Manifest Proletkunst (1923)

Theo van Doesburg (R) with Cornelis van Eesteren (L)

“Manifest Proletkunst” (Manifesto of Proletarian Art), a text written by the Dutch artist Theo van Doesburg, published in Kurt Schwitters' periodical Merz #2 in April 1923 (Hannover, p.24-25), with signatures by leading artists of the international avant-garde (Schwitters, Hans Arp, Tristan Tzara and Christof Spengemann).

Submitted by Craftwork on March 5, 2017

Eine Kunst, welche sich auf eine bestimmte Klasse von Menschen bezieht, gibt es nicht, und wenn sie bestehen würde, wäre sie für das Leben gat nicht wichtig.

Diejenigen, welche proletarische Kunst schaffen wollen, fragen wir: »Was ist proletarische Kunst?« Ist das Kunst von Proletariern selbst gemacht? oder Kunst, die nur dem Proletariat dient? oder Kunst, die proletarische (revolutionäre) Instinkte wecken soll? Kunst, durch Proletarier gemacht, gibt es nicht, weil der Proletarier, wenn er Kunst schafft, nicht mehr Proletarier bleibt, sondern zum Künstler wird. Der Künstler ist weder Proletarier, noch Bourgeois, und was er schafft, gehört weder dem Proletariat noch dem Bürgertum, sondern allen. Die Kunst ist eine geistige Funktion des Menschen mit dem Zwecke, ihn aus dem Chaos des Lebens (Tragik) zu erlösen. Die Kunst ist frei in der Verwendung ihrer Mittel, aber gebunden an ihre eigenen Gesetze, und nur an ihre eigenen Gesetze, und sobald das Werk Kunstwerk ist, ist es weit erhaben über die Klassenunterschiede von Proletariat und Bürgertum. Sollte die Kunst aber ausschließlich dem Proletariat dienen, abgesehen von der Tatsache, daß das Proletariat angesteckt ist von bürgerlichem Geschmack, dann wäre diese Kunst beschränkt, und zwar ebenso beschränkt wie die speziell bürgerliche Kunst. Eine solche Kunst würde nicht universal sein, nicht aus dem Weltnationalitätsgefühl wachsen, sondern aus individuellen, sozialen, zeitlich und räumlich begrenzten Ansichten. Soll nun die Kunst tendenziös proletarische Instinkte wachrufen, so bedient sie sich im Grunde derselben Mittel wie kirchliche oder nationalistische Kunst. So banal es an sich klingt, ist es im Grunde dasselbe, ob jemand ein rotes Heer mit Trotzky an der Spitze oder ein kaiserliches Heer mit Napoleon an der Spitze malt. Für den Wert des Bildes als Kunstwerk ist es aber gleichgültig, ob proletarische Instinkte oder patriotische Gefühle erweckt werden sollen. Das eine wie das andere ist, vom Standpunkte der Kunst aus betrachtet, Schwindel.

Die Kunst soll nur mit ihren eigenen Mitteln die schöpferischen Kräfte im Menschen wachrufen, ihr Ziel ist der reife Mensch, nicht der Proletarier oder der Bürger. Nur kleine Talente können aus Mangel an Kultur, da sie das Große nicht übersehen, in ihrer Beschränktheit so etwas wie proletarische Kunst (d.h. Politik in gemaltem Zustande) machen. Der Künstler aber verzichtet auf das Spezialgebiet der sozialen Organisation.

Die Kunst, wie wir sie wollen, die Kunst ist weder proletarisch noch bürgerlich, denn sie entwickelt Kräfte, die stark genug sind, die ganze Kultur zu beeinflussen, statt durch soziale Verhältnisse sich beeinflussen zu lassen.

Das Proletariat ist ein Zustand, der überwunden werden muß, das Bürgertum ist ein Zustand, der überwunden werden muß. Indem aber die Proletarier mit ihrem Proletkult den Bourgeoiskult imitieren, sind gerade sie es, die diese verdorbene Kultur der Bürger stützen, ohne sich dessen bewußt zu sein; zum Schaden von Kunst und zum Schaden von Kultur.

Durch ihre konservative Liebe für die alten, überlebten Ausdrucksformen und ihre ganz unverständliche Abneigung für die neue Kunst halten sie das am Leben, was sie nach ihrem Programm bekämpfen wollen: die bürgerliche Kultur. So kommt es, daß bürgerlicher Sentimentalismus und bürgerliche Romantik trotz aller intensiven Bemühungen der radikalen Künstler, diese zu vernichten, immer noch bestehen bleiben und sogar neu gepflegt werden. Der Kommunismus ist schon eine ebenso bürgerliche Angelegenheit wie der Mehrheits-sozialismus, nämlich Kapitalismus in neuer Form. Die Bourgeoisie verwendet den Apparat des Kommunismus, der nicht vom Proletariat, sondern von Bürgern erfunden ist, nur als Erneuerungsmittel für ihre eigene verfaulte Kultur (Rußland). Infolgedessen kämpft der proletarische Künstler weder für die Kunst noch für das künftige neue Leben, sondern für die Bourgeosie. Jedes proletarische Kunstwerk ist weiter nichts als ein Plakat für das Bürgertum.

Das, was wir hingegen vorbereiten, ist das Gesamtkunstwerk, welches erhaben ist über alle Plakate, ob sie für Sekt, Dada oder Kommunistische Diktatur gemacht sind.

THEO VAN DOESBURG. KURT SCHWITTERS.
hans arp. TRISTAN TZARA.
CHR. SPENGEMANN.

d. Haag 6.3.23.

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