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Vorwort des Verlages.
Vorwort des Verfassers.
1. Revolutionen werden gemacht.

Submitted by Noa Rodman on March 15, 2017

Vorwort des Verlages.

Für die sachliche Festlegung von Ereignissen weltgeschichtlicher Bedeutung ist es von hohem Wert, wenn Schilderungen des Tatsachenstoffes von den führenden Persönlichkeiten vorliegen.

Die deutsche Revolution vom November 1918 ist in erster Linie von dem Verfasser dieser Arbeit vorbereitet worden. Obwohl wir uns weder die Einzelheiten des vorliegenden Werkes, das die erste Vearbeitung durch einen Beteiligten an der Hand von schriftlichen Aufzeichnungen bringt, noch die Kennzeichnung der verschiedenen Persönlichkeiten völlig zu eigen machen, und obwohl wir un klar sind, daß eine einwandfreie, sachliche Feststellung des geschichtlichen Geschehen erst aus der Bearbeitung von Schilderungen de verschiedenen Beteiligten sowie der urteilsfähigen Beobachte möglich ist, fo halten wir es dennoch für angebracht, die Darstellung Emil Barths der breitesten Offentlichkeit und dem Urteil der Geschichte vorzulegen. Denn wir sind überzeugt, daß sie zum mindester einen wertvollen Beitrag zur Geschichte der revolutionären Bewegung der neuesten Zeit liefert, der für die Geschichtsforschung und für das Urteil eines jeden unentbehrlich ist, welcher sich am revolutionären und sozialistischen Entwicklungsgange unserer Tage irgendwie beteiligt fühlt. Und wir sind weiter überzeugt, daß Barths Darstellung allein als psychologisches Dokument einer Persönlichkeit, welche an einem Tage höchster weltgeschichtlicher Bedeutung von unabsehbarer Wirkung dem Schwungrade der Geschichte maßgebend in die Speichen griff, nicht übersehen werden kann.

Vorwort des Verfassers.

Von den verschiedenen Parteien von links und rechts verfehmt, ist es mir ein dringendes Vedürfnis, das niederzuschreiben, was mir notwendig erscheint, um zu verhüten, daß ich später in der Geschichte als Bluthund, als Streber oder als Esel behandelt werde.

In meinen Darstellungen werde ich keinen Namen nennen, der nicht schon in dem Zusammenhange erwähnt ist, um zu verhüten, daß weitere Opfer fallen.

Doch allen denjenigen, die mir treue Mitarbeiter waren, ob sie mich heute noch lieben oder hassen, sowie ganz besonders denen, die mir heute noch die Treue bewahren, sei hiermit meine Achtung bezeugt und mein Dank abgestattet.

Berlin, im Juli 1919.
Emil Barth.

1. Revolutionen werden gemacht.

Revolutionen werden nicht gemacht!

Wie stolz auf ihre Weisheit sind alle jene Theoretiker des Sozialismus, die weltenfern vom wirklichen Leben, an ihrem Schreibtisch sitzend, die Weltgeschichte, wie der Anatom die Leiche, sezieren. Haargenau weisen sie noch, daß es nur so, wie es kam, hat kommen können, weil eben die gegebenen Voraussetzungen gar keine anderen Wirkungen entstehen lassen konnten. Sie weisen historisch nach, daß es so und nicht anders kommen mußte und daß die Entwicklung die Gestaltung der Dinge in Zukunft so und nicht anders bringen wird und bringen darf.

Mit Verlaub — und bei aller Hochachtung vor den in diesen Nachweisen steckenden wissenschaftlichen Leistungen — sei gesagt: All' dies ist nur eine wissenschaftlich garnierte Lebensfremdheit: denn bei Richte besehen ist dies weiter nichts als die Lehre des Fatalismus, es widerspricht jeder Wirklichkeit. Das Gegenteil ist die Wahrheit:

Revolutionen werden gemacht!

Sie werden gemacht, genau so wie die Gegenrevolutionen.

Sie werden gemacht, sie müssen gemacht werden, wenn sie sein sollen, aber sie können nicht jederzeit gemacht werden, ebenso sehr und ebenso wenig, wie nach erfolgter Revolution die Gegenrevolution.

Die Voraussetzung jeder Revolution ist die Evolution. Es heißt also nicht Evolution oder Revolution, sondern Evolution und Revolution.

Also, höre ich die Herren sozialistischen Stubengelehrten sagen, wir haben doch vollkommen recht, Revolutionen werden nicht gemacht, sondern sie kommen elementar.

Ich sage: nein! Ohne Evolution keine Revolution. Aber was ist denn Evolution? Es ist die Entwicklung auf allen Gebieten. Und, daß ohne Entwicklung in kultureller, wirtschaftlicher und somit auch in sozialer Beziehung keine Revolution, sondern Degeneration und Zerfall eintritt, das ist selbstverständlich.

Wann ist nun die Evolution auf dem Punkte angelangt, datz die Revolution kommen kann, nicht kommen muß?

Dann, wenn die Herrschenden und Besitzenden die Evolution, getrieben von Herrschsucht und Habsucht, durch eine Reaktion unterbinden, dann, wie gesagt kann sie kommen. Und sind in einem solchen Falle proletarische Organisationen mit Willens-, Tat- und Schlagkraft vorhanden, dann wird sie gemacht. Fehlen aber diese Voraussetzungen, dann wird, trotzdem die Evolution auf allen Gebieten dieselbe Entwicklungsstufe erreicht hat, das Proletariat auf Iahre zurückgeworfen.

Die Revolutionsmöglichkeit ist also eine Aktivitätsmöglichkeitsfrage des Proletariats, und diese wiederum eine Organisationsfrage. Iedoch nicht eine Organisationsfrage schlechthin, sondern eine Organisation von Einzelnen, vorc denen jeder erfüllt ist von Willensstärke und Tatkraft, von Klassenkampfgeist und Solidarität. Von jener Solidarität, die verankert ist nicht nur im Gehirne, sondern auch im Herzen, erfüllt von jener Solidarität, die allein berechtigt, sich Sozialist zu nennen, die ihn bewußt und mit freudiger Vegeisterung weit über den Fundamentalsatz des Urchristentums: „Nebe Deinen Nächsten wie dich selbst", hinaustreibt, die ihn zwingt zu dem Grundsatz: „Nebe deinen Nächsten mehr als dich selbst". Eine Organisation erfüllt von diesem Geiste, aber auch nur eine solche ist die Aktivität des Proletariats.

Alle andern Organisationen sind dies nicht nur nicht, sondern sie verdammen das Proletariat zur Inaktivität, zur Ohnmacht undzur Sklaverei.

Wenn die Organisationen des Proletariats an sich genügten, nicht deren Inhalt und Geist, dann wäre dem dummen deutschen Michel schon lange geholfen: denn über riesige Organisationen verfügt er, die ihm aber in seinem Befreiungskampfe, wie einem Schwimmer ein Mühlstein, am Halse hängen, da in all diesen Organisationen die ersten Diener derselben sich zu ihren Herren machten, erfüllt sind von dem einen Streben, das Proletariat zur Ruhe, zur Zufriedenheit und zur Vewunderung ihrer eigenen Person zu erziehen. So in Partei, Gewerkschaft, Genossenschaft, Krankenkassen usw., und ich möchte laut und dringend mahnen, wachsam zu sein, denn schon zeigen sich in der U. S. P. dieselben Fäulniserscheinungen.

Sind nun diese, von solchem Geiste erfüllten Organisationen vorhanden, dann ist notwendig, daß sie eine Leitung haben, welche klar sieht. Ebenso gefährlich, wie verpaßte Gelegenheiten, sind Bewegungen, die zu früh einsetzen. Die richtige Stunde, und dann aber auch die richtige Methode, das sind neben dem Kampfesmut der Massen die Hauptvoraussetzungen zum Gelingen.

Revolutionen werden gemacht! Aber wer sie macht, soll sich der Verantwortung bewußt sein, die auf ihm lastet. Eine niedergeschlagene Lewegung kostet Blut und Tränen im Uebermaß. Wer die Stunde, wer die Stärke des Gegners und die eigene Stärke nicht M iverten vermag, der soll Holz spalten, aber keine Revolution machen. Wer hierbei wägt und immer wieder wägt, bei wem persönlicher Vorteil oder Ehrgeiz in Frage steht, der soll die Hände aus dem Spiele lassen. Wer warnt und wieder warnt und beim Erfolg sich mit dem Lorbeer schmückt, beim Mißerfolg Zeter und Mordio schreit, der soll im Interesse der Sache verschwinden.

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