2. Der Weltkrieg als Keimbett der Revolution. (Die Entwicklung bis zum Januar 1918.)
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Als der Novembersturm über Deutschland hinwegbrauste, den Krieg, die Throne, die Macht der Militärkamarilla, der Junker und Pfaffen, eine Unmenge Moder und Fäulnis hinwegfegte und die Macht in die Hände der aus dem Erdboden gewachsenen Arbeiterund Solbatenräte legte, da glaubten viele, die Revolution sei uns als überreife Frucht, ohne jedwedes Zutun, als Folge des Kriegselends, in den Schoß gefallen. Andere behaupteten, es handle sich um eine Militärrevolte ohne eigentlichen politischen und sozialen Hintergrund.
Mit Unrecht! Nicht von ungefähr kam die Novemberrevolurion, sie ist felbst nur ein Glied in der gewaltig schreitenden Weltrevolution, und diese ist ein Zwillingsbruder des Weltkrieges.
Die große, gewaltige industrielle, kommerzielle, kulturelle und foziale Evolution ist die Mutter dieser beiden Zwillingsbrüder. Sie, die Evolution, schuf die Dampfmaschine, die ungeheure Merke treibt. Sie ist es, die kaum geahnte Warenmengen produziert, in Tausenden von Riesenschiffen die Ozeane durchfurcht, Entfernungen beseitigt, die Völker des Erdballs zusammenführt, große Nationalstaaten bildet. Sie scheidet alle Einzelvölker in Massen, macht Völker und Kontinente andern Völkern tributpflichtig, setzt den Mammon zum Herrn der Welt ein, bildet Riesenheere und Mesenflotten, erfüllt die gesamte Menschheit mit Hak und Neid und wiederum mit Kulturgemeinschaft und Idealen.
Während der eine Zwillingsbruder, der Weltkrieg, kraftstrotzend und kerngesund, jeden Tag draller und fetter werdend, die Welt tyrannifierte, Städte und Länder verwüstete, Menschen zu Millionen verstümmelte und mordete, Frauen in das mordende Arbeitsjoch spannte, Greise und Kinder massenweis qualvollem Tode überlieferte, lag der andere, die Weltrevolution, krank und siech, nur bellhörigen ilerzten Leben zeigend, darnieder.
Doch das alte Sprichwort: der Soche (Sieche) überlebt den Poche (Pochenden), fällte sich hier wieder einmal glänzend bewahrheiten. So wie der Weltkrieg, im Uebermaß Kräfte vergeudend, abmagerte, Krank und siech wurde, so erholte sich dieser, wurde kräftig und ist nunmehr im Legriffe, seinerseits den Siegeszug anzutreten, allerdings ein Siegeszug von völlig anderer Art' denn kam sein Bruder mit Feuer und Schwert, um zu zerstören und morden, so kommt er mit dem Oelzweig, um Schmerzen zu lindern, Wunden zu heilen, zerstörte Städte und Dörfer aufzubauen.
Doch man ist nicht ungestraft der Bruder eines blutdürstigen Tyrannen. Alle, ganz besonders diejenige, die die treusten und blutrünstigsten Diener seines Bruders waren, klagen ihn jetzt all der Missetaten und des Elendes an, die jener erzeugte, und nur in unermüdlicher, hingebungsvoller, sich weder Rast noch Ruhe gönnender Arbeit gelingt es ihm, die große Masse von seinen edelmütigen Absichten zu überzeugen.
Als am Abend des 1. August 1914 die Mobilmachung angeschlagen wurde, als noch nicht die Bomben über Nürnberg abgeworfen, die Brunnen vergiftet, die Rheinbrücken gesprengt, tausend deutschen Soldaten die Augen ausgestochen, als ganz besonders die sozialistische Presse noch nicht die „warmen patriotischen" Töne gefunden, der Verrat der sozialistischen Grundsätze durch die Verbandsvorstände und die Reichstagsfraktion noch nicht bekannt waren, da war noch Entrüstung und Wut über die Kriegserklärung, revolutionäre Entschlossenheit und Kampfeswille bei den sozialistischen Proletariern. Da konnte es noch scheinen, daß der gewaltige und freche Schlag der Reaktion gegen die soziale Evolution und somit auch gegen die Revolution, revolutionäre Akte auslösen Könne.
Aber als am 3. früh der Beschluß der Vorständekonferenz, am tlbend der Veschluß der Fraktion bekannt wurde1 , als am 4. — trotz der Erklärung Lethmanns über Belgien, die am Tage zuvor verfaßte Veschlußfassung verlesen und den Krediten zugestimmt wurde, die Tartarennachrichten über die Gegner und die Siegesnachrichten unseres glorreichen Heeres einliefen, da schwenkte auch das Proletariat in die Reihen det Kriegsund Siegestrunkenen so ziemlich restlos ein.
Lüge, Heuchelei und Demagogie, brutalste Reaktion, Burgfriede, Velagerungszustand und Schutzhaft lasteten auf Land und Volk, jedweden freiheitlichen Geist völlig erstickend.
Die patriotische Begeisterung schlug Purzelbäume, täglich wurden neue Siege gefeiert — Niederlagen, selbst katastrophale Niederlagen, wurden völlig verschwiegen — niemand gedachte der Mutströme und Leichenhaufen. Die Arbeitslosigkeit, der einzige Wermutstropfen im Freudenrausch, verstärkte nicht nur die Depression unter dem Proletariat, sondern bewirkte durch die unglaubliche Zahl der sich freiwillig Meldenden den patriotischen Taumel, erzeugte geradezu eine Panik der Angst, daß der Krieg zu Ende gehe, ohne daß man dabei gewesen sei und nachher nicht an dem Milliardensegen und an dem Ruhme teilnehmen dürfe. In jenen Tagen wurde das Fundament für die nachher jedes andere Gefühl verschlingende, skrupellos über Leichen schreitende Habsucht gelegt.
Nur wenig, allzuwenig Menschen in allen Schichten hatten sich ihr klares Denken bewahrt. Nur wenige Sozialisten waren in jenen Tagen dem Sozialismus treu geblieben und zwar nur solche vom äußersten linken Flügel. Iene, seit Iahren mit größtem Eifer innerhalb der Partei Vekämpften waren die einzigen, die trotz ihrer angeblichen Verschrobenheit und Himmelsstürmerei die reale Erkenntnis für Ehre und Tatsachen besaßen.
Ich selbst erklärte am Abend des 5. August, als die Kriegserklärung Englands bekannt wurde: Der Krieg heißt, wenn er sehr schnell geht, der europäische Krieg von 1914—16, wenn er schnell geht, bis 1917, und wenn er normal verläuft bis 1918. Er endigt nur, entweder mit der deutschen Niederlage oder der deutschen Revolution, sehr wahrscheinlich mit beiden, da die erstere die letztere erzeugen und im Gefolge haben wird. Ich begründete dies mit der Geschichte und Statistik, sagte die Vrotund Fleischkarten, das Hungerund Materialelend und die Unmöglichkeit, den Krieg ohne den Kapitalismus zu liquidieren, an demselben Abend voraus. Daß ich deshalb für verrückt erklärt und beinahe, im Laufe der nächsten Monate öfter wirklich, verprügelt wurde, von „Genossen", die zum größten Teile heute so radikal sind, wie sie damals patriotisch waren —, dies nur nebenbei.
Die Reaktion triumphierte. Hatte sie das Spiel auch mit Hoffnung auf Gewinn begonnen, daß er aber so leicht und so restlos eingeheimst würde, das hatte sie denn doch nicht geglaubt. Völlig zertrümmert, nein mehr, beinahe restlos vertilgt, war die revolutionäre Bewegung.
Nach einigen Wochen, angeregt durch die „Berner Tagwacht", stellte Karl Liebknecht seine freiwillige Tätigkeit beim Sanitätsdienst ein, und es erschienen nun die Spartakusbriefe. Es fanden auch theoretisierende und diskutierende Zusammenkünfte statt, die glaubten, daß mit Flugblättern etwas zu machen sei. Ich selbst nahm, da ich wegen der mir notwendiger erscheinenden Verlammlungstätigkeit in der Gewerkschaft keine Zeit hatte, nicht an ihnen teil. Ich erklärte auch, daß nur eine Macht in der Lage sei, den Proletariermassen, trotz ihrer Belügung durch Parteiund Gewerkfchaftspresse, die klare Erkenntnis dessen, was ist, beizubringen, und diese Macht seien die Tatsachen. Erst dann, frühestens nach zwei Iahren, sei der Boden, um ihn beackern zu können, von den schlimmsten Steinen gereinigt. Diese Arbeit kann nicht durch Flugblätter, sondern nur von Mund zu Mund in den Vetrieben gemacht werden, und hierzu wiederum ist das Theoretisteren nicht nur nicht Voraussetzung, sondern schädlich. Erst dann ist es am Platz, wenn, trotz des Burgfriedens, der Wille zum wirtschaftlichen Kampfe wieder wachgerufen und, trotz Schützengrabendrohung, zur allgemein selbstverständlichen Tat geworden ist.
Als im Oktober 1914 in einer Sitzung der mittleren Verwaltung — wo ich bis dahin als einziger Opponent saß — der Levollmächtigte Cohen freudestrahlend erklärte, daß, wenn der Krieg nicht gekommen wäre, die zu erwartende ungeheuerliche ArbeitslosigKeit des kommenden Winters sehr wahrscheinlich die finanzielle Katastrophe für die Organisation geworden wäre, der Krieg also außer, daß er nun endlich den Gewerkschaften die staatliche Anerkennung gebracht habe, für die Organisation die Rettung gewesen sei, da gelang es mir, Richard Müller 2 zu gewinnen, indem ich ihm auseinandersetzte, daß es geradezu ein Verbrechen sei, wenn wir nicht alles aufböten, um die Berliner Metallarbeiter von diesem Vevollmächtigten zu befreien und rücksichtslos die Metallarbeiter wieder in den wirtschaftlichen Kampf zu führen.
Richard Müller war ein tüchtiger, radikaler, von gesundem proletarischen Instinkt geleiteter, doch völlig unpolitischer Gewerkschaftler. Ein kluger Kopf, der mit einem bewunderungswürdigen diplomatischen Geschick auf ein einmal erkanntes und erstrebtes Ziel hinarbeitete und, unverdrossen alle Hindernisse vorsichtig beseitigend, mit zäher Energie aushielt. Er war Branchenleiter der Dreher, der fortgeschrittensten und bestorganistertesten Berufsgruppe, und hatte nicht nur vorzüglich verstanden, das Vertrauen der gesamten Dreher völlig zu erwerben, sondern hatte mit ganz besonderem Geschick eine völlig homogene Branchenkommission um sich gesammelt und benutzte dies nun beides, um überall, in allen wesentlichen Betrieben Berlins, Lohnbewegungen einzuleiten und die Forderungen gegen die hartnäckige Ablehnung der Unternehmer mittels wilder Streiks durchzuführen.
Die Unternehmer tobten ob der Störung des Burgfriedens, d. h. der ungestörten und ungehemmten Profitmacher, die Militärbehörden drohten mit verschärftem Belagerungszustand und Schließung der Gewerkschaften, und die Herren Gewerkschaftsführer zitterten vor den Drohungen der Industrieund Militärgewältigen in tausend Aengsten, das Wohlwollen der Staatsbehörden wieder zu verlieren, an allen Gliedern schlotternd ob ihrer Reklamation. — Nicht etwa weil sie fürchteten, reklamiert zu werden und ihren patriotischen Durchhaltestandpunkt nicht durch todesmutigen Heroismus bezeugen zu können, nein, dieser Vorzug durfte nach ihrem Dafürhalten nur vaterlandslosen, rebellischen Gesellen Zuteil werden. Sie drohten mit Ausschluß, wetterten in den Sitzungen und Versammlungen und erreichten wider Willen, als ein Teil von jener Kraft, die das Böse will und das Gute schafft, eine Streikepidemiea Als kein Drohen, kein Schimpfen — daß der Streik Landesverrat sei, Mord an unsern Brüdern draußen und an unserer Zukunft, konnte man schon damals hören — und Kein Denunzieren etwas half, verfielen die Herren auf die Idee, für Lohnforderungen die Zanktionsbewilligung zu fordern, auf das Streikrecht aber zu verzichten, da dies gegen die Abmachungen vom 2. August sei.
Alles dies löste das Gegenteil aus. Die Verwaltung verlor in der Mitgliedschaft jedweden Kredit. Indem die Unternehmer bei den Verhandlungen den bösen, undankbaren Arbeitern die einsichtige Verwaltung gegenüberstellten, gegen sie ausspielten, steigerte sich diese Kreditlosigkeit bis zum Haß und zur Verachtung. Allgemein wurde schon damals — ob mit Recht oder Unrecht, war, da diese ükten im Oberkommando verbrannt wurden, nicht mehr festzustellen — jede Denunziation und was sonst vorkam, der Leitung in die Schuhe geschoben.
Als nun die Vorsig und die Tohen keinen andern Ausweg aus der Profitminderung und der Einziehungsdrohung mehr sahen, gaben sie der Berliner Arbeiterschaft den Schlichtungsausschuß. Doch wenn sie geglaubt hatten, dadurch Ruhe zu bekommen, so waren sie im Irrtum.
So wie die Metallindustrie die Industrie überhaupt geworden war, so die Metallarbeiter die Arbeiterschaft. Die paar Zehntausend, die sonst in Berlin beschäftigt waren, fielen wenig ins Gewicht und wurden außerdem in die Streikwelle mit hineingezogen. Es ist also so, daß in Berlin die gesamte Arbeiterschaft bereits im Frühjahr 1915 den Vurgfrieden für wirtschaftliche Fragen hinweggefegt hatte, daß die Erkenntnis bereits wieder Allgemeingut war, daß Nationalismus und Patriotismus die sozialen Gegensätze nicht zu beseitigen vermögen, und daß, wenn auch der politische Kampf im Innern, solange außen der Feind steht, möglichst zu beseitigen, zumindest aber burgfriedlich auszutragen sei, doch beim wirtschaftlichen Kampfe alle Mittel berechtigt seien.
Das war ein gewaltiger revolutionärer Fortschritt. Nicht nur, daß hierdurch die soziale Evolution laut und deutlich ihr Nochdasein bewies, sondern dieses Nochdasein oder Mederdasein äußerte sich ganz im Gegensatz zu dem Willen der Führer der politischen und gewerkschaftlichen Organisationen, trotz deren schärfstem Dagegenarbeiten. So etwas hatte es in Deutschland nie gegeben, es war der erste Pulsschlag der Revolution.
Diese Welle flutete über das ganze Reich. Nicht stürmisch, sondern langsam, vorsichtig den Riesen Proletariat aus dem Schlafe weckend.
Die Reaktion, die sich dieser Bewegung erst mit aller Gewalt entgegenwarf, erkannte noch nicht die Tiefe und Gefährlichkeit derselben, wähnte, sie in ihre Dienste stellen zu können: sie änderte schnell ihre Stellung, trieb die Bewegung vorwärts, um vom Militärfiskus wegen der Lohnerhöhungen höhere Preise mit neuen, festen Profiten herauszuholen, hierbei mit der Arbeiterschaft um jeden Pfennig feilschend. So gestaltete sich diese Bewegung zu einer Schraube ohne Ende.
Zur selben Zeit kam nun, nachdem die volkswirtschaftlich und kriegstechnisch so dumme Verschleuderung des Fleisches aus den Massenschlachtungen in der Vevölkerung den Glauben erweckt hatte, daß Krieg billige und reichliche Lebensmittel bedeute, die Einführung der Vrot-, Vutterund Fleischkarten, kam die höherhängung des Vrotkorbes und die Geburtsstunde des alles degenerierenden und letzten Endes gewaltig revolutionierenden Schleichhandels.
Frühjahr und noch kein Ende? Lieben Monate — wo man kaum an sieben Wochen geglaubt hatte — Krieg, noch weniger Ausficht, zum Ende zu kommen, Sieg auf Sieg und trotzdem der Milliardensegen in himmlischer Ferne, — das regte denn doch hin und wieder zum Denken an. Die Masse besteht aus Erfolgsanbetern, das heißt, sie ist wetterwendisch, unberechenbar und vor allem kein Sels, auf den zu bauen ist. Kamen Siege, dann strahlten die Äugen, der Mund lief über, von wessen das patriotische Herz so voll war. Kam neue Teuerung, neue Nahrungsbeschneidung, dann zogen sich die Augenbrauen zusammen, und der Mund lief über, wessen der Magen begehrte. Kam ein Streik mit einer Lohnerhöhung, dann ballte sich die Faust, das Auge sprühte, und der Mund lies über, wessen man fähig wäre, wenn man wollte, wenn man täte, wenn — — — wenn — — —. Kam der Endtermin der Reklamation oder gar die Order, dann lief der Mund über, wie man wohl brav sein wollte, wenn — — — wenn — — —.
Das war die Masse! Doch innerhalb dieser Masse wuchs die Anzahl derer, die erkannten, was ist, die wußten, was sie wollten, und die ihren Kollegen als Lehrer und Rückenstärkung dienten.
Zu all diesen unmittelbaren Wirkungen auf die Masse kam die Kreditablehnung Liebknechts, dann die der Haase, Ledebour usw., die erst erzeugt wurde durch die revolutionäre Welle und nun wieder befruchtend, belehrend und belebend zurückwirkte.
Die wirtschaftlichen Bewegungen wurden größer. Politisch wirkten sie, da sie entgegen dem Willen und trotz der Bekämpfung der Gewerkschaftsführer, welche auch tonangebend im Kampfe gegen die Arbeitsgemeinschaft waren, wohl radikalisierend, doch noch nicht revolutionierend.
Zur politischen Klärung und Aufklärung trug der Aufruf von Haase und Kautsky, die Bildung der Arbeitsgemeinschaft, die Bildung der U. S. P., der Raub der Leitungen u. a. m. sehr viel bei.
So kam der 1. Mai 1916. Mit ihm beginnen, wenn auch zunächst nur als eine Art Karrikatur, die bewußten Massenaktionen gegen den Krieg.
Diese Bewegung, die aus den persönlichen politischen Verhallnissen Karl Liebknechts geboren war und die Realitäten der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse völlig außer Acht ließ, war lediglich auf die ideale Begeisterung der Massen fundiert und darum von vornherein zum Mißlingen verurteilt.
Ich sprach mit ihm zwei Tage zuvor und setzte ihm folgendes auseinander:
Die Bewegung kann nicht nur nichts werden, sondern wird lächerlich wirken, weil höchstenfalls tausend Menschen kommen und von diesen sich wiederum höchstens ein Dutzend aktiv beteiligen werden. Und warum?
Die Mass ist wohl durch die Lange des Krieges, durch die Hungerkur, durch die Knebelung des Velagerungszustandes, durch die rücksichtslose Ausbeutung, der langen Arbeitszeit wegen und noch aus tausend anderen Gründen unzufrieden, meinethalben auck rebellisch, aber auf keinen Fall revolutionär. Sie ist trotz aller Unzufriedenheit feige, bodenlos feige. Vei aller Kriegsmüdigkeit unternimmt sie gegen den Krieg vorläufig nichts, weil sie immer noch fürchtet, sich die Siegesbeute, die sie für alle Entbehrungen reichlich entschädigen soll, zu verscherzen.
Die Demonstration sollte meine Voraussage noch übertreffen. Ist die Masse an sich schon feige, so kennt die Feigheit keine Grenze, wenn es gilt, sich vom Schützengraben zu drücken. Und jeder weiß, daß er, wenn er auch nur der Teilnahme denunziert wird, in den Schützengraben wandert.
Weiterhin sagte ich, glaubt die Masse, die an ihrer Kraft verzweifelt, nicht an die Möglichkeit einer Massenaktion. Der Glaube an ihre Kraft und Stärke, an ihre unwiderstehliche Macht muß ihr erst beigebracht, ihre schlummernde Solidarität erst geweckt werden. Dies kann man nicht, indem man sie zum letzten Schritt zuerst aufruft, zur insurrektionellen Aktion, wozu allen der Mut und heute noch dem größten Teile der Wille fehlt. Hietzu müssen große, über den Rahmen des Vetriebes hinausgehende, mindestens den Ort umfassende, rein wirtschaftliche Bewegungen vorausgehen. Ist erst durch eine solche Bewegung wegen einer reinen Magenfrage einmal die lIktionsfähigkeit bewiesen, dann erwacht das proletarische Machtbewußtsein, der proletarische revolutionäre Instinkt, und dann ist bei einer von der Reaktion begangenen, die gesamte Arbeiterschaft aufpeitschenden Tat die Stunde für eine aufs Ganze gehende 8ewegung gekommen, wenn,, und dieses Nenn empfahl ich dringend zu beachten, sie von einem namhaften Führer aufgefordert wird.
„Ohne Revolution dauert der Krieg noch sicher 2 1/2 oder auch 3 1/2 Iahre. Nenn Sie also jetzt in leichtfertiger Weise ins, Zuchthaus wandern, dann begehen Sie ein Verbrechen an sich und Ihrer Familie, ein größeres an der Internationale und ein vielleicht katastrophales an der Weltrevolution! Denn, wenn die Stunde Kommt, dann müssen Sie da sein, dann müssen Sie rufen . . . ."
Er antwortete mir:
„Selbst die unbestreitbare Richtigkeit Ihrer Auffassung zugegeben, könnte ich nun nicht mehr zurück, wenn ich mich nicht der Lächerlichkeit preisgeben wollte. Aber selbst wenn ich es könnte, wollte ich es nicht. Sehen Sie sich meine Lage an. Nach meinem Auftreten im Reichsund Landtag kann ich unmöglich zu meinem Truppenteil zurück. Ich müßte entweder desertieren — was für mich politischer Selbstmord wäre — oder ich muß mich weigern, wieder hinzugehen und muß diese Weigerung mit meiner politischen Ueberzeugung begründen. Ich werde vor ein Kriegsgericht gestellt und wie aus diesem Grunde schon mehrere, zu mehreren Iahren Zuchthaus verurteilt. Ich wage es also halb gezwungen, halb, weil ich glaube, daß Sie sich irren, weil ich vielmehr glaube, daß Zehntausende demonstrieren, ihre Kriegsgegnerschaft öffentlich dokumentieren und weitere Zehntausende zum politischen Streik mitreißen werden. So werde ich ein Echo an den Fronten, wo die Kriegsüberdrüssigkeit einen außerordentlich hohen. kaum zu überwindenden Grad erreicht hat, erwecken, da nur der Funke fehlt — den ich schaffen werde —, um das Pulverfaß zu sprengen und die Friede und Sozialismus bringende Revolution zu erzeugen. Kommt es nicht so, sondern so, wie Sie glauben, dann wandere ich wohl ins Zuchthaus, aber mit dem stolzen Bewußtsein: Ich hab's gewagt!"
Es half kein Reden, um an dem Entschluß etwas zu ändern. Ich ging nach meinem Lazarett und mußte zu meinem Bedauern nachher feststellen, daß ich die Masse richtig eingeschätzt hatte.
Trotzdem sollte diese Demonstration den Ausgangspunkt der revolutionären Aktionen bilden, allerdings in völlig anderer Weise als Karl Liebknecht es gedacht hatte.
Eine andere, im großen revolutionären Geschehen bedeutungsvolle Ursache, sollte den Folgen dieser Demonstration die Auswirkungsmöglichkeit geben.
Ich sagte schon, daß man mit ltecht behaupten kann, daß wichrend des Krieges Metallarbeiter und Arbeiterschaft eigentlich zwei völlig gleiche Begriffe waren. Die Leitung der Berliner Metallarbeiter hatte immer noch Herr Cohen, der sich mit großem Geschick am Ruder hielt, trotzdem er sich immer selbst von einer Generalversammlung zur andern Lügen strafen mußte. Immer die auflösung der Organisation an die wand malend, schilderte er die Ohnmacht der Arbeiter in den düstersten Farben, sang von den Machtmitteln der Arbeitgeber und ihrer Vereitschaft zu Verhandlungen und Zugeständnissen übertriebene Lobgesänge. Richard Müller, von der Schädlichkeit dieser Leitung völlig überzeugt, hatte nun mit einigen Obleuten von namhaften Großbetrieben Vesprechungen und war mit ihnen übereingekommen, — einen eintägigen Generalstreik an dem Tage, da das Kriegsgericht gegen Liebknecht verhandelte, zu veranstalten. Da die gesamten Organisationsleitungen, die der Metallarbeiter an der Spitze, eine Parole gegen den Streik herausgegeben hatten und nachher mit allen Mitteln gegen die Streikenden vorzugehen versuchen würden, sollte der Arbeiterschaft endlich die Rückständigkeit und reaktionäre Liebedienerei der Führer vor Augen gestellt werden.
Der Streik kam, 55 000 Arbeiter und Arbeiterinnen hatten die Hrbeit niedergelegt. Der Bann war gebrochen, die Aktionsmöglichkeit und -fähigkeit des Proletariats , nicht nur ohne, sondern selbst gegen die Führer, war erbracht.
Und das war Richard Müllers Verdienst, dem sich später weitere anreihten. Waren auch seine Veweggründe nicht konsequent und klar auf die Revolution gerichtet, seine Caten, waren es um so mehr, — und diese sind ja letzten Endes entscheidend, — und mit ihnen wuchs seine politische Erkenntnis.
Der Streik forderte seltsamer Weise beinahe gar keine Opfer. Die Reaktion erkannte die Vedeutung desselben ebensowenig, wie die Gegenseite die der Augusttage erkannt hatte. Die Vourgeoisie, sich den Teufel um Politik scherend, in wildem Galopp hinter dem Mammon her, atmete auf, daß sie der Spaß absolut nichts gekostet hatte. Die Militärkamarilla, im sicheren Vewußtsein ihrer Machtmittel, sah dies als einen bedeutungslosen, dummen Streich an, ganz besonders, da die Industriellen, die bei der kleinsten Lohnbewegung mit einer Liste Mißliebiger aufwarteten, diesmal keine Wünsche dieser Art äußerten. Die Partei und Gewerkschaftsführer,' denen ein gewaltiger Schreck in die Glieder gefahren war ob der elementaren, wuchtigen Bewegung und ob ihrer völligen Einflußlosigkeit, verkleinerten die Bewegung ebenfalls und versprachen, Vorsorge zu treffen, daß ähnliches nicht wieder vorkäme.
So war der Lenz der Revolution erwacht, weder von Freund noch von Feind erkannt, hatte die Eisdecke der Reaktion gesprengt und die gewaltige Masse gelockert, um sie bei dem nächsten warmen Strahl vorwärts, der Freiheit und dem Leben zuzuführen.
Doch „mit des Geschickes Mächten ist kein ew'ger Bund zu flechten": Als das Revisionsverfahren Liebknechts vor dem Reichsmilitärgericht stattfand und wiederum ein eintägiger Proteststreik stattfinden sollte, da fiel er kläglich ins Wnsser. Die Reaktion jubelte und triumphierte.
Was war geschehen?
Neben den Drohungen der Militärkamarilla, die den verschärften Velagerungszustand, Standrecht und Militarisierung der Vetriebe ankündigte, war an dem Proletariat eine schmähliche Hrreführung von seinen Führern begangen worden.
Sie ließen über eine Million Flugblätter — von bezahlten Verteilern, nachdem die Vertrauensleute abgelehnt hatten — vor den Fabriktoren, unter dem Schutze der Polizei und Gendarmerie oerteilen, in denen es von Hoch- und Landesverrat, von Mord an unseren Brüdern draußen, von gewissenlosen Hetzern usw. nur so wimmelte.
Diese Drohungen und diese Beeinflussungen vernichteten die junge Knospe der revolutionären Energie in der Berliner Arbeiterschaft.
„...... und das Unglück schreitet schnell!"
Löste die Verschärfung des Urteils von 2 1/2 wahren Gefängnis ohne, auf 4 1/2 Jahre Zuchthaus mit Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte allgemein Entsetzen und Wut aus, fo bei dem Berliner Proletariat unermeßlichen Haß und tiefe Verachtung gegen die Führer, denen ganz allein die Schuld an der Verschärfung beigemessen wurde. Hierdurch wurde das ängstlich tastende, mehr wägende, als wagende revolutionäre Empfinden zu den Anfang«;stadien des entschieden revolutionären Vewußtseins vorwärtsgetrieben.
Trotz dieser nunmehr erzeugten Stimmung konnte und durfte keine Aktion erfolgen, sondern es mußte ein neuer Reifungsprozeß bis zu einem der Explosion nahekommenden Grade abgewartet werden.
Neue Siege im Osten und Südosten ließen der Militärkamarilla den Kamm mächtig schwellen, die ungeheuren Opfer vor Verdun und an der Somme ließen sie erzittern und veranlagten sie, im Verein mit den Nutznießern des Schlachtfeldes, denen die Massen von Menschenkadavern ungeheure Profite einbrachten und die bangten, daß diese herrliche Zeit enden könne, das Hilfsdienstgesetz zu schaffen.
Bei diesem, jeden Eigenwillen erstickenden Sklavengesetz hatten die Partei- und Gewerkschaftspfaffen nicht nur Pate gestanden, sondern sie hatten sogar an seine Herstellung lebhaften Anteil genommen. Als seine Apostel reisten sie herum und spendierten ihm ihren Segen, sodaß sofort die Unternehmer ihren brüskesten Standpunkt herauskehrten. In den Eingeweiden der Arbeiter rumorte wütender Hunger, zu dessen Linderung wohl Versprechen auf Versprechen gegeben wurde, weiter aber nichts geschah. Allmählich reifte die Erkenntnis, daß das Kriegsende nach bald dreijährigem Kriege noch nicht abzusehen war, und daß trotz alledem die Organisationsleitung bei ihrer Beschönigung der Verhältnisse verblieb. Das stärkte die Opposition gewaltig und ließ sie eine neue Bewegung vorbereiten im April 1917.
Da wurde Rich. Müller zwei Tage vor ihrem Beginn eingezogen, und die Herren Eohen, Siering und Karsten, überzeugt, daß die 8ewegung abzuwürgen sei, warfen sich zu deren Führer auf. Es streikten in Berlin 200 000 Arbeiter und Arbeiterinnen, und schon am ersten Tage wurde verhandelt, Versprechungen wurden gegeben, und am anderen Tage wäre gearbeitet worden? wenn die Arbeiter nicht die Entlassung Rich. Müllers verlangt hätten. Am nächsten Tage wurde erneut verhandelt, die Entlassung Rich. Müllers versprachen, der Streik abgebrochen. Aber einige Großbetriebe in Berlin streikten, indem sie politische Forderungen aufstellten, weiter. Die Forderungen waren äußerst bescheiden, doch es erfolgte, unter dem Veifall der Gewerkschaftspfaffen, ja, auf deren Verlangen, die Verhaftung der Kommission und einiger anderer Genossen. Es zeigte sich sofort tiefe Niedergeschlagenheit in der Arbeiterschaft, die durch die systematische Hetze des „Vorwärts" und der Gewerkschaftsblätter noch gesteigert wurde. Doch so groß auch die Niedergeschlagenheit, größer war die Erbitterung gegenüber der Reichsleitüng, der Militärkamarilla und ganz besonders der vfaffokratie der Partei und Gewerkschaften, am meisten gegen die Vevollmächtigten des Metallarbeiter-Verbandes. Im Mai hatte die Neuwahl Cohens zu erfolgen. Seine Wiederwahl wäre vollständig ausgeschlossen gewesen, doch vom Oberkommando der Marken wurde die Neuwahl verboten. Dies kostete jedoch Cohen den letzten Rest des Vertrauens bei der Berliner Arbeiterschaft und brachte eine heillose Verbitterung. Alle Einziehungen oppositioneller Kollegen wurden ihm nunmehr in die Schuhe geschoben, und die Opposition erfaßte bald die ganze Arbeiterschaft, so daß sich dieselbe Verhältnismäßig sehr schnell von ihrer Depression erholte.
Der Aderlaß und die Hetze kamen jedoch noch nicht zur Auswirkung. Die befruchtende Wirkung der russischen Revolution setzte eist ein. Hoffen und Sehnen zog gewaltiger denn je durch die Gemüter. Nikolaus und Wilhelm, Nikolajewitsch und Hindenburg-Ludendorff, forderten sie nicht allzusehr zum Vergleich heraus? Und was jenen geschah, — Konnte das nicht auch diesen passieren? Hoffen? Sehnen? ja! — Willensstärke? Tatkraft? nein!
Es kam die russische Novemberrevolution! Die Devolution der „verruchten und verfluchten" Volschewiks! Cs kam deren Funkspruch: An Alle!
Eine Kundgebung an alle kriegführenden Völker:
„Die durch die Revolution am 6. und 7. November geschaffene Regierung der Arbeiter und Vauern, die sich auf den Arbeiterund Soldatenrat stützt, schlägt allen Regierungen der Kriegführenden vor, alsbald Vesprechungen über einen gerechten demokratischen Frieden zu beginnen. Die Regierung ist der Ansicht, daß ein gerechter demokratischer Frieden, der von der Mehrheit der Arbeiterklassen aller kriegführenden Länder erstrebt wird, die durch den Krieg erschöpft und ruiniert sind, ein Frieden, den die russischen Arbeiter und Vauern nach dem Sturz der Monarchie forderten, ein sofortiger Frieden ohne Annexionen, das heißt ohne widerrechtliche Aneignung fremden Gebietes und ohne gewaltsame Eroberung fremder Nationalitäten, und ein Frieden ohne Kontributionen sein muß. Die russische Regierung schlägt allen Kriegführenden vor, sogleich einen solchen Frieden zu schließen, und sich bereit zu erKlären, unverzüglich alle energischen Schritte zur endgültigen Villigung aller Vedingungen dieses Friedens durch die Vevollmächtigten aller Länder und Nationen zu tun. Unter Annexion oder widerrechtlicher Gebietsaneignung versteht die Regierung nach dem Nechtsbewußtsein der Demokratie im allgemeinen und der Arbeiterklassen im besonderen jede Annexion einer kleinen schwachen Nationalität ohne Zustimmung dieser Nationalität und unabhängig von dem Grade ihrer Zivilisation und ihrer geographischen Lage in Europa oder in jenseits des Ozeans gelegenen Ländern. Wenn irgendeine Vevölkerung von irgend einem Staate gewaltsam festgehalten wird und wenn ihr gegen ihren Willen, wie er in der Presse oder in den nationalen Versammlungen oder Parteibeschlüssen oder durch Auflehnungen oder Erhebungen gegen den Unterdrücker zum Ausdruck gelangt, das Recht zu allgemeiner Abstimmung verweigert wird, wenn man sich ferner weigert, die Vesatzungstruppen zurückzuziehen und der Vevölkerung nicht das Recht zugesteht, ihre politische Regierungsform einzurichten, so ist ein solcher Zustand Annexion oder widerrechtliche Aneignung. Die Regierung ist der Ansicht, daß eine Fortsetzung des Krieges zu dem Zweck, die schwachen besiegten Nationalitäten unter den reichen, mächtigen Nationen zu teilen, ein großes Verbrechen gegen die Menschheit ist. Daher verkündet die Regierung feierlich ihren. Entschluß, einen Frieden zu unterzeichnen, der unter den erwähnten, für alle Nationalitäten gerechten Vedingungen diesem Kriege ein Ende machen wird.
Gleichzeitig erklärt die Regierung, daß die erwähnten Ledingungen nicht als endgültig betrachtet werden sollen, das heißt, die Regierung ist damit einverstanden, alle anderen Friedensbedingungen zu prüfen, wobei sie nur darauf besteht, daß diese Vedingungen so bald wie möglich von jedem Kriegführenden vorgelegt werden, und daß diese Vedingungen durchaus klar, ohne die geringste Zweideutigkeit und ohne jeden geheimen Charakter seien.
Ihrerseits unterdrückt die Regierung jede Geheimdiplomatie und bekräftigt ihren festen Entschluß, die Friedensbesprechungen offen vor der ganzen Welt fortzusetzen und zur Veröffentlichung aller geheimen Verträge zu schreiten, die von der Regierung der Großgrundbesitzer und der Kapitalisten seit Februar bis zum 7. November 1917 gebilligt oder geschlossen worden sind. Die Regierung erklärt den Inhalt dieser Geheimverträge für null und nichtig, soweit sie, wie es in der Mehrzahl der Fälle geschieht, alle Arten von Vegünstigungen und Vorrechten den Großgrundbesitzern und KaPitalisten zuzugestehen suchen, indem sie die von den Großrussen gemachten Annexionen aufrecht erhalten oder vermehren.
Indem die Regierung alle Völker einlädt, sogleich FriedensVorverhandlungen zu beginnen, erklärt sie sich ihrerseits bereit, diese Vorverhandlungen durch schriftliche oder telegraphische MitTeilungen sowie durch Vesprechungen zwischen Vertretern der verschiedenen Länder oder durch Konferenzen aus den genannten Vertretern zu verwirklichen. Um diese Vorverhandlungen zu erleichtern, wird die Regierung Vevollmächtigte in den neutralen Ländern ernennen.
Die Regierung schlägt den Regierungen aller kriegführenden Länder vor, sogleich einen Waffenstillstand zu schließen: sie glaubt ihrerseits, daß dieser Waffenstillstand für drei Monate geschlossen werden muß, welche Zeit genügen würde, um die Verhandlungen zu einem guten Ende zu führen: sie schlägt ferner vor, daß Vertreter aller Nationalitäten oder Nationen, die in den Krieg hineingezogen sind, oder ihn über sich ergehen lassen mußten, an den Friedensbesprechungen teilnehmen, und daß eine Konferenz aus Vertretern aller Nationen der Welt zur endgültigen Mlligung der ausgearbeiteten Friedensbedingungen zusammenberufen werde.
Indem die vorläufige Regierung der russischen Arbeiter und Bauern diese Friedensvorschläge den Regierungen aller kriegführenden Länder macht, wendet sie sich insbesondere an die Arbeiter der drei zivilisiertesten und am tätigsten am gegenwärtigen Kriege teilnehmenden Nationen, nämlich Englands, Frankreichs und Deutschlands. Die Arbeiter dieser drei Länder haben der Sache des Fortschritts und des Sozialismus die größsten Dienste erwiesen, nämlich durch Einrichtung der Charten in England, die großen Revolutionen des französischen Proletariats und den heldenhaften Kampf der deutschen Arbeiter für ihre Organisation. Alle diese Beispiele geben die Gewähr, daß die Arbeiter dieser Länder die Probleme begreifen, die sich vor ihnen erheben, Probleme der Vefreiung der Menschheit von den Schrecken des Krieges, und daß diese Arbeiter durch ihre mächtige Tatkraft voller Selbstverleugnung uns helfen werden, das Werk des Friedens zu Ende zu bringen und alle Arbeiterklassen von Ausbeutung zu befreien."
Nun, da war nichts von verrucht und verflucht zu hören. Wie der leibhaftige Herrgott, wenn er vom Himmel stiege, so wurden die Bolschewiks gefeiert, verherrlicht, wurde ihnen gedankt! denn Frieden, wirklichen, den Mord beendenden, den Aufbau beginnenden Frieden wollten sie der Menschheit bringen.
Der Januarstreik 1918 wäre auch ohnedies, aber weder in der Form, noch mit seinen Forderungen gekommen.
Schon im November hatten Richard Müller, Paul Blumenthal und Paul Eckert mit der Parteileitung der U. S. P. Verhandlungen wegen der, von den Arbeitern geradezu geforderten Bewegung. Doch die Parteileitung und auch die Fraktion, mit Ausnahme von Ledebour und Herzfeld, wurden nicht warm. Ia, wenn man wüßte!
Es kamen die Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk, der Faustschlag Hoffmanns, der Abbruch, der Generalstreik in Wien und am 28. Januar der Streik in Deutschland.
Es waren Richard Müller, Paul Eckert und dann nach und nach noch einige andere Genossen, oder bester gesagt Kollegen aus der mittleren Verwaltung des Metallarbeiter Verbandes (Bezeichnung des erweiterten Vorstandes), welche die Vorbereitungen zu dem Streik getroffen haben. Sie waren mehr aus Gefühl, als aus Erkenntnis, daß eine erneute Bewegung unbedingt von großen politischen Gesichtspunkten geleitet werden müsse, mit dem Parteivorstand der U. S. P., wie schon gesagt, in Verbandlung getreten, um ihn zu veranlassen, durch einen mit seiner UnterIchrift gezeichneten Aufruf zu einer allgemeinen Massenaktion aufzufordern.
Wäre nun dieser Parteivorstand nur ein Bruchteil dessen gewesen, was er vorgab und sich den Anschein gab, zu sein, öcmn hätte er die Bewegung beflügelt, sich an ihre Spitze gestellt, sie über ihr Ziel weit hinausgeschoben und hinausgetrieben, sie aus einer demonstrativen zu einer revolutionären Aktion gestaltet. Wenn — — ja, wenn die Angst vor der eigenen Courage nicht gewesen wäre. Nein zu sagen, um dann bei einer trotzdem kommenden Bewegung, falls sie gelingt, sich nicht mit dem Lorbeer schmücken zu können, nein — — das ging nicht. Aber das Verlangen zu erfüllen, um bei einem Mißlingen die geheiligte, teure Person in Gefahr zu bringen, das ging auch nicht. Und so verfiel die hohe Körperschaft auf den „genialen" Ausweg, die Sache der Fraktion zuzuschieben, die durch ihre Immunität geschützt sei. Die Fraktion, innerlich die Kerle verfluchend, die mit direkten, Gefahren in sich tragenden Aktionen kamen, zeigte ihre revolutionäre Energie und ihren Mannesmut, indem sie sich auf einen lendenlahmen Aufruf einigte.
Die Bewegung selbst wurde so vorbereitet, daß in hierzu am Sonntag, den 27. Januar, einberufenen Branchenkonferenzen und Branchenversammlungen der Streik zum andern Morgen beschlossen wurde und das Flugblatt selbst am Montag früh erst verteilt wurde. Mittwochs hatte nun eine Vorbesprechung stattgefunden, an der auch ein Spartakist teilgenommen hatte, und schon am Freitag wurde von den Spartakisten ein Flugblatt mit der Aufforderung zum Generalstreik am Montag verteilt. Das war frevelhafte, an Verrat grenzende Leichtfertigkeit, die von dem Vestreben diktiert war, sich die Urheberschaft zuschreiben zu können. Hätte das OberKommando, hierdurch gewarnt, den verschärften BelagerungszuKand verhängt, die Verriebe militarisiert, Landgerichte errichtet, dann wäre die Bewegung erledigt gewesen. voch glücklicherweise kam dies nicht.
Am Montag früh begann der Streik, die Vetriebe wählten Arbeiterräte, und die im Gewerkschaftshaus tagende ArbeiterratsVersammlung wählte einen AktionsausschuK: 10 Kollegen, 3 Parteileitungsmitglieder der U. S. P. und 3 der S. P. D.
Die Versammlung stellte folgende Forderungen auf:
1. Schleunige Herbeiführung des Friedens ohne Annexion, ohne Kriegsentschädigung, auf Grund des Selbstbestimmungsrechtes der Völker, entsprechend den Ausführungsvestimmungen, die dafür von den russischen Volksbeauftragten in Brest-Litowsk formuliert wurden.
2. Zuziehung von Arbeitervertretern aller Länder zu den Friedensverhandlungen.
Besonders für Deutschland wird gefordert:
3. Ausgiebigere Nahrungsversorgung durch Erfassung der Lebensmittelbestande in den Produktionsbetrieben wie in den Handelslagern zwecks gleichmäßiger Zuführung an alle Bevölkerungskreise.
4. Der Belagerungszustand ist sofort aufzuheben. Das Vereinsrecht tritt vollständig wieder in Kraft, ebenso das Recht der freien Meinungsäußerung in der Presse und in Versammlungen. Die Schutzgesetze für Arbeiterinnen und Jugendliche sind schleunigst wieder in Kraft zu setzen, Alle Eingriffe der Militärverwaltung in die gewerkschaftliche Tätigkeit sind rückgängig zu machen und neue zu verhindern.
5. Die Militarisierung der Betriebe ist gleichfalls aufzuheben.
6. Alle wegen politischer Handlungen Verurteilten und Verhafteten sind sofort freizulassen.
7. Durchgreifende Demokratisierung der gesamten Staatseinrichtungen in Deutschland, und zwar zunächst die Einführung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts für alle Männer und Frauen im Alter von mehr als 20 Iahren für den preußischen Landtag.
Ferner nahm die Versammlung folgende Entschließung an:
„Da nur unbedingte Solidarität Erfolg verheißt, geloben wir, jede Maßregelung unserer Führer, Vertreter und Veauftragten mir aller Macht abzuwehren. Wir richten aber auch an die Proletarier Deutschlands wie der anderen kriegführenden Länder insgesamt die dringende Aufforderung, wie schon die Arbeitskollegen Oesterreich-Ungarns erfolgreich uns vorangegangen sind, so nunmehr gleichfalls in Massenstreiks einzutreten, denn erst der gemeinsame internationale Klassenkampf schafft uns endgültig Frieden, Freiheit und Brot."
Sodann beauftragte die Versammlung den Aktionsausschuß, mit der Regierung zu verhandeln. Aber mit diesem Veschluß war der Bewegung das Genick gebrochen. Denn so war sie, trotz der radikalen Forderungen, aus einer politischen zu einer gewerkschaftlichen geworden, und trotz ihrer Größe und Ausdehnung aus einer revolutionären zu einer demonstrativen herabgestiegen.
Sie zu einer solchen zu gestalten, war allerdings auch das Streben der dem Aktionsausschuß angehörenden Parlamentarier — mit Ausnahme Ledebours — die natürlich ihre UnentbehrlichKeit, Unersetzlichkeit und ihren überragenden, dem Proletariat auch bei direkten Aktionen alleinhelfenden Geist zeigen und leuchten lassen wollten, um in Zukunft derartig unliebsame, ihre Eitelkeit verletzende, ihre Führerschaft bedrohende Bewegungen zu unterbinden. Aber auch den übrigen Mitgliedern kam es mehr oder minder auf einen unter Ausschaltung der Gewerkschaftsleitung errungenen Erfolg an, auch sie dachten nur an Reform, nicht an Revolution.
Die Verhandlungen zerschlugen sich an Formalitäten, da die Regierung es ablehnte, mit den nichtparlamentarischen Mitgliedern zu verhandeln, während diese darauf bestanden.
Es kam ein Versammlungsverbot. Da die S. P. D. und die Gewerkschaften die Bewegung sabotierten, außerdem durch systematisch verbreitete, falsche Nachrichten die Einigkeit der Streikenden unterwühlten, so bröckelte der Streik, an dem allein in Berlin 600 000 Arbeiter teilgenommen hatten, ab, nachdem am Donnerstag genialtige Demonstrationen an mehreren Stellen zu Vlutvergießen geführt hatten und am gleichen Tage der verschärfte VeläaerungLzustand verhängt worden war.
Als ich am Sonnabend, aus dem Lazarett entlassen, in Derlin ankam, wohnte ich abends einer Sitzung der Obleute der wesentlichsten Großbetriebe, bei, in der die Anschauungen scharf aufeinanderplatzten. Alle Anwesenden wußten, daß, obwohl der Antrag zum Abbruch des Streiks aufzufordern, beinahe einstimmig abgelehnt worden war, der Streik in den nächsten Tagen erlöschen würde.
So grenzenlos die Wut der Herrschenden und Besitzenden über den Streik gewesen war, der ihnen das Grollen in der Tiefe und erneut die Geburtswehen der Revolution angezeigt hatte — denn nicht nur in Berlin, sondern in allen wesentlichen Industriestädten des Reiches hatte die Berliner Bewegung gewaltige Streikbewegungen entfacht — so roh und brutal war nunmehr ihre Rache. Unter dem Standrecht waren über 200 Streikende zu über 130 Jahren Zuchthaus und Gefängnis verurteilt worden, und ungefähr 40—50 000 wurden eingezogen.
Die Militärkamarilla hatte geglaubt, der revolutionären Bewegung den Todesstoß versetzt zu haben. Sie hatte sich getäuscht, gründlich getäuscht. Sie sollte bald erkennen, daß ihre Gewalt im Innern für sie ebenso brüchige Verhältnisse schuf, wie ihre Gewalt nach außen.
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