3. Die Revolutionswerkstatt. (Vom Februar bis zum November 1918.)
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Am Mittwoch, den 6. Februar, abends, erhielt ich einen Rohrpostbrief von Richard Müller, ich solle ihn am andern Morgen in seiner Wohnung auf alle Fälle besuchen. Ich fuhr hin. Er und Paul Blumenthal, der mitanwesend war, erklärten mir, daß Müller die Order habe, und daß ich unbedingt die Leitung. der illegalen Bewegung übernehmen müsse. Es sei ein Trümmerfeld, das nur mit zähester Energie wieder bestellt werden könne, da so ziemlich alle unsere Vertrauensleute eingezogen seien, und ich sei der Einzige, der die Führung übernehmen könnet Ich sagte zu, unter der Vedingung, daß die noch anwesenden Mitglieder des Aktionsausschusses mit einverstanden seien.
Am Sonnabend, den 9. Februar, fand dann im Norden Berlins eine Sitzung aller noch in Berlin befindlichen oppositionellen Obleute statt. Es waren 18 Kollegen anwesend. Nollege Vlumenthal leitete die Sitzung, gab einen kurzen Rückblick, erklärte, daß neben andern Mitgliedern des Aktionsausschusses auch R. Müller eingezogen sei und deshalb an seiner Stelle ein Vorsitzender gewählt werden müsse. Er schlage in Müllers Auftrag und in seinem Namen den llollegen Barth vor. Es sprachen verschiedene Rollegen in Zustimmendem Sinne, nur Roll. Heinrich Maltzahn wandte sich lebhaft dagegen und schlug Vlumenthal vor, der jedoch ganz entschieden ablehnte. Ich nahm nunmehr daz Wort und führte folgendes aus:
Werte Genossen!
Wir befinden uns inmitten einer revolutionärenPhase, die durch die Evolution erzeugt ist, und es kommt nur darauf an, wie schnell, wie wuchtig, wie organisiert und wie ausgerüstet die revolutionären Aktionen sich folgen. Seien Sie sich bewußt, daß hierbei klarer Vlick und revolutionäre Vegeisterung, daß sichere s Erkennen und Wägen mit tatbereitem Wollen und Wagen, daß persönliche Initiative mit organisatorischer Disziplin gepaart sein müssen. Seien Sie sich klar, daß in diesem Kampfe der Menschlichkeit gegen die Gewalt nicht die Theorie, sondern die Organisation, nicht das Wort, fondern die Tat, nicht Fäuste, sondern Waffen entscheiden werden. Darum gestatten Sie mir, daß ich Ihnen meine Vedingungen stelle, unter denen ich bereit bin, den Vorsitz zu übernehmen.
Vor allem lehne ich es ab, den Vorsitz der gewerkschaftlichen Opposition zu übernehmen, lehne es ab, meine und anderer Kraft und Zeit zu vergeuden, um neuen Leilungen in den Gewerkschaften die Wege zu ebnen, neuen Leilungen mit altem Geiste, ich lehne ab, demonstrative Bewegungen vorzubereiten und durchzuführen, ich lehne ab, den fünfzig Iahre betriebenen Vetrug der Massen fortzuführen, indem ich so tue, als ob ich etwas täte.
Ich bin nur bereit, den Vorsitz zu übernehmen, wenn es vorbei ist mit kleinen, enggesteckte Ziele verfolgenden Bewegungen, wenn Sie geloben, mit mir Ihr ganzes Ich selbstlos einzusetzen für eine ausgesprochen revolutionäre Bewegung, revolutionär in ihrem Ziele, ihrer Organisation und ihren Kampfmitteln.
Das Ziel ist der proletarische Friede, d. h. der vom Proletariat erzwungene Friede, das ist Sozialismus, das ist die Diktatur des Proletariats.
Dieses Ziel ist nur zu erreichen, wenn Sie bewußt und konsequent jede Stunde bereit sind, Ihr Leben für die große, gewaltige Idee in die Schanze zu schlagen, wenn Sie erkennen und danach handeln, daß in diesem gewaltigen Kampfe der Menschheit gegen die grausamste Lestie, die Vestie Mensch, nur rücksichtsloseste Rücksichtlosigkeit zum Siege zu führen vermag. Nur wenn Sie klar erkennen, daß Sie alle Vrücken hinter sich abzubrechen haben, daß Sie jedwedes patriotische Gefühl nicht nur aus dem Herzen zu reißen, sondern auch mit Ihrem Hasse zu verfolgen haben. Denn, dieses teuflischste aller Gifte sät nicht nur Haß und Zwietracht unter die aufeinander angewiesenen Völker, sondern auch Mord und Hungersnot, Verwüstung und Vrandschatzung, und es bewirkt dauernd die Ausbeutung der arbeitenden Massen.
Um das Ziel der Diktatur des Proletariats zu erreichen, müssen Gedanken, nicht Gefühle auf ein einheitliches Ziel gerichtet ?ein. Dieses Glück ist die zerstörende, ausrottende, vernichtende und dann aufbauende, Glück und Freiheit, Friede und Wohlfahrt spendende Revolution. Der Patriotismus hat Europa mit Vlut gedüngt, mit Menschenblut und Menschenleibern, sein Pesthauch hat die Seelen vergiftet, der Odem der Menschen, der Verge, der Täler, der Felder und Wälder ist Habgier und Grausamkeit. Mies, alles ist vergiftet und tanzt einen wilden, fanatischen Tanz um-, goldene Kalb. kille sind der Erfolgsanbetung anheimgefallen. Heil Hindenburg! Heil Ludendorff! Heil goldenes Kalb!
In diesen Strudel der Habsucht und der Verkommenheit ist bald alles hineingezogen. Die „Führer" des Proletariats so ziemlich restlos und auch weite Kreise des Proletariats selbst. Hiergegen und gegen die dem Sozialismus ungetreuen Führer den Kampf aufzunehmen, das ist unsere Aufgabe. ,
Wollen Sie die Revolution, wollen Sie selbst das Revolutionskomitee sein? Dann bin ich bereit, den Vorsitz zu übernehmen, alles zu tun, um möglichst bald in der Lage zu sein, mit der Regierung nicht zu verhandeln, sondern gegen sie zu handeln.
Aber Freunde! Das ist das Gewollte! Vom Wollen und Wünschen allein wird nichts erzeugt, sondern durch die Tat. Die Tat in unserem Falle ist die Organisation!
Nicht die Organisation, die Selbstzweck ist, sondern nur, aber auch nur Mittel zum Zweck. Eine illegale Organisation, die mehrere gewaltige Aufgaben zu erledigen hat. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, ihre Existenz geheim zn halten. Solange Sie unbekannt sind, wird sie nicht behelligt, nicht verfolgt, und solange ist sie aktionsfähig.
Die Aktionsfähigkeit der illegalen Organisation ist etwas wesentlich anderes, als die einer legalen. Wirkt letztere neben der Propaganda schon durch die wacht ihres Daseins, durch ihre Größe, durch Vluffs, so erstere einzig und allein durch die Tat. Daraus erfolgt und muß erfolgen, daß nicht die Phrase, daß nicht das Verbreiten von Flugblättern, sondern ein guter Ausbau zur mündlichen Agitation Zeugnis von der Güte der illegalen Organisation ablegt. Individuell betrachtet, ist der Fels der illegalen Organifation das gegenseitige Vertrauen. Sieht also jeder einzelne seine Hauptaufgabe darin, verschwiegen zu sein, so wird restloses Vertrauen herrschen, und die Organisation wird in kurzer Frist eine Macht darstellen. Die Organisation muß gegliedert sein in dw verschiedensten Organisationen, von denen jedoch gegenwärtig nur von der Massenorganisation gesprochen werden soll und darf, da von den übrigen Organisationen für Geld und Waffenbeschaffung, Veschaffung von Papieren, Vesorgung von Nachrichten der Polizei, des Militärs, der Scheidemänner, der Gewerkschaften, Ueberwachung der eigenen Genossen, Organisierung der Stoßund Kampftrupps usw. natürlich immer nur die direkt Veteiligten mit dem allernotwendigsten informiert werden dürfen.
Also hier in diesem Kreise darf für ein und allemal nur von der Organisation für den die Voraussetzung für alles andere bildenden Generalstreik gesprochen werden. Die Organisation bildet das Rückgrat von allem und muß folgendermaßen gestaltet werden:
An der Spitze ein Diktator mit unbeschränkten Machtbefugnissen. Seinen Vefehlen oder Anordnungen hat sich jeder zu fügen. Ieder hat auszuführen, was ihm aufgetragen wird, ohne zu fragen, warum und weshalb. Dieser an der Spitze stehende hat allein das Recht, Aufträge zu erteilen, so daß alles, was geschieht, einheitlich ist.
Dieser ergänzt sich, indem er einige Genossen zu seiner. Unterstützung sich auswählt, um mit ihnen nach Vedarf zusammen zukommen, um zu beraten und zu taten. Kein Mensch soll erfahren, wer die Genossen sind, so daß bei einem Verrat nicht der ganze Kopf verloren geht.
Dieser Kopf ruht auf dem Rumpfe, den Sie bilden. In diesem Dumpfe muß jeder Großbetrieb mit einem Kollegen vertreten sein, der in seinem Verriebe als unser Obmann fungiert. Ist der eigentliche Obmann des Vetriebes unser Mann, dann um so besser, ist derselbe kein Kerl, dann suchen wir uns einen geeigneten Genossen. Doch das sei gesagt: lieber keinen, als einen nicht absolut zuverlässigen, verstehen Sie? Absolut zuverlässigen.
Dieser Obmann ist verpflichtet, sich aus allen Abteilungen seines Werkes je einen Vertrauensmann zu suchen, wobei dieselben Bedingungen wie bei dem Obmann selbst zu stellen sind. Mit diesen Vertrauensleuten kommt er wöchentlich zusammen, um ihnen das hier gehorte zu übermitteln, ihnen revolutionären Willen, Energie und Entschlossenheit beizubringen.
Jeder Vertrauensmann hat die Aufgabe, in seiner Abteilung die zuverlässigen Genossen um sich zu scharen, um ihnen wöchentlich dasselbe zu übermitteln, was ihm übermittelt wird.
Keiner von Ihnen hat das Recht, auch nur zu einem seiner Vertrauensleute, auch nicht seinem besten Freunde, etwas von unseren Zusammenkünften zu sagen.
Außer den Obleuten gebrauchen wir hier noch Mitglieder der mittleren Verwaltung des Metallarbeiter-Verbandes, sowie Vertreter der übrigen Organisationen, die die Mittelbetriebe so behandeln, wie die Obleute ihre Abteilungen.
So muß diese Organisation, ungenannt und ungenannt, bis in die äußerste Peripherie reichen, und so muß sie gestaltet sein, nicht nur hier, sondern über das ganze Neich, an allen Fronten.
Das waren kurz skizziert Ziel und Organisation, und nun gestatten Sie noch einige Worte zu den Mitteln, mit denen der Kampf zu führen sein wird.
Der Generalstreik ist die Fanfare. Von seiner Größe, seiner Ausdehnung hängt, wenn auch nicht alles, so doch sehr viel ab. Ie gewaltiger, je wuchtiger, je umfassender er ist, um so wirkungsvoller ist seine Suggestivkraft. Und diese Suggestivkraft wird das Ausschlaggebende sein. Wir brauchen die Suggestion der Masse auf die Masse selbst, um ihren Mut, ihre Energie zu heben, um sie zur Tat zu begeistern. Zur Tat sage ich, und damit komme ich zum entscheidenden Mittel. Wir brauchen Waffen, und wir brauchen disziplinierte Trupps, die diese Waffen zu gebrauchen wissen.
Seien Sie sich klar, daß wir nicht etwa Waffen, in solcher Anzahl haben können, daß wir den Kampf gegen die SoldatesKa aufzunehmen vermögen. Das ist aber das mindeste, daß wir so viel Waffen und so viel beherzte Waffenträger haben müssen, daß wir in einer Stunde Herren der Straßen Berlins gegenüber den Schutzleuten sind, um dann durch die Masse und durch diesen Sieg auf die gegen uns nunmehr aufgebotenen Soldaten eine faszinierende Suggestion auLzuüben und sie zu uns herüberzuziehen. Das kann Menschenleben kosten! Aber ich frage Sie: nachdem Millionen für ihre Ketten gestorben oder verstümmelt sind, können da nicht lausende für ihre Freiheit das Leben opfern? Diese Frage stellen, heißt sie bejahen!
Aber, und nun komme ich zu den andern Mitteln, diese Opfer sind nur dann vor dem eigenen Gewissen zu verantworten, wenn man sich dazu innerlich vollständig dem großen, gewaltigen und heiligen Ideal des Sozialismus verschrieben hat. Hie Sozialismus und Menschlichkeit, hie Nationalismus und Vestialität. tzie selbstlose Aufopferung, um Millionen das Leben zu retten, hie Mord und Massenmord, um des Patriotismus willen, d. h. um Länderraub, Völkerunterjochung und ewige Ausbeutung des arbeitenden Menschen.
Nur der, der gewillt ist, für andere sich zu opfern, hat das Recht, Opfer zu verlangen. Aber mehr! Wer Devolution, wer Sozialismus will, der musz für dieses Ideal mehr als das Leben zu geben gewillt sein. Der muß die bürgerliche Moral an den Nagel hangen, der muß für sein großes Ideal alle Mittel zur Verwirklichung benutzen, niemand, aber auch niemand als seinem eigenen Gewissen Rechenschaft schuldend.
Sie sehen, schreitet man von der demonstrativen zur revolutionären Bewegung fort, so muß man gewillt sein, aus einer Welt in die andere zu gehen, so muß man gewillt sein, Vater und Mutter, Bruder und Schwester, Frau und Kinder freudig zu opfern.
Sind Sie zu alledem und vielem, vielem andern gewillt, sind Sie damit einverstanden, daß jeder, der irgendwem, der diesem tlreise nicht angehört, je ein Wort von unserer Existenz sagt, als — verräter gilt, und — daß — Verrat — mit — dem — Tode — zu sühnen — ist, dann, aber auch nur dann bin ich bereit, den Vorsitz mit diktatorischen Vefugnissen zu übernehmen, falls ich in geheimer Abstimmung einstimmig gewählt werden sollte."
Schweigen, Totenstille! Alles wischte sich den Schweiß von der Stirne, alles war sprachlos . Wir saßen im Nebenzimmer, dicht an der Tür des Lokal, führten die Unterhaltung halblaut, ich selbst glühte vor Begeisterung und hatte mehr oder minder alle angesteckt.
Blumenthal teilte Stimmzettel aus und das Resultat war 17 Stimmen für Barth, 1 Zettel weiß. H. Maltzahn ließ sich in unserem Kreise nicht wieder sehen.
Es begann nun eine ungemein schwere, aufreibende, Tag und Nacht erfordernde Tätigkeit. Mir war am Abend des 9. Sebruar die Schwere der Aufgabe wohl klar, ich hatte jedoch keine Klarheit, wie ich meinen Willen in die Praxis umsetzen könne und müsse. . ,
In den folgenden Sitzungen war bei allen eine ungeheure Niedergeschlagenheit. Ein jeder berichtete von den Einziehungen in seinem Verriebe und von dem blassen Schrecken, der in den Vetrieben wegen der Einziehungen, der Verhaftungen und des schändlichen Wittens der außerordentlichen Kriegsgerichte herrsche.
Es hielt sehr schwer, den Mut zu beleben. Eine ungemein starke Fluktuation herrschte in unserem Kreise, viele wurden eingezogen, und so mancher, der sich in der Maienblütezeit der Revolution so ganz besonders laut hervortat, hatte vorher gekniffen. Von der Stärke der Fluktuation wurde ich fast zur Verzweiflung getrieben, ganz besonders, wenn auch die letzten Freunde, von der Nutzlosigkeit des Veginnens sprechend, den Wunsch aussprachen, sich zurückzuziehen.
Es fiel mir ungeheuer schwer, den Genossen auseinanderzusetzen, daß sie im Irrtum seien, wenn sie annehmen, daß diese Einziehungen uns schädigen. Im Gegenteil, erklärte ich, das ist ja unsere Stärke, unsre Hoffnung. Lüdendorff stranguliert sich selbst, indem er den revolutionären Sauerteig in alle Zellen seines schon völlig zerfallenden Organismus aufnimmt. Im übrigen ist die Laschheit unter den Genossen kein Schaden: denn hierdurch wird ein Verzetteln der Kräfte verhütet, nutzloses Aufbegehren unterbleibt, die Organisation wird ausgebaut und gefestigt und alles mit dem Glauben auf einen einzigen, unverhofft geführten Hauptschlag erfüllt.
Ich selbst fuhr unter den verschiedensten Namen nach den verschiedenen Großstädten und Industriezentren, immer nur mit einem Genossen Fühlung suchend, die Vildung der Organisation in den Vezirken und Orten bewirkend und die Verbindung über das Reich herstellend.
Ver schwierigste Stand war gegenüber den Spartakisten und Linksradikalen. Sie glaubten, daß revolutionäres Empfinden, Wollen und Tun durch Flugblätter und revolutionäre Gymnastik erzeugt wird. Die ganze Zähigkeit und Energie aufzuwenden für eine Arbeit, die nicht täglich berauschende Phrasen in Masse erzeugt, eine Tätigkeit, die völlig im Verborgenen spielt, das lag ihnen nicht.
Lag es den ehrlichen Genossen nicht, so den in ihren Kreisen weilenden Spitzeln natürlich noch viel weniger. Diese trieben dauernd zu Putschen, denen dann gewöhnlich die besten Genossen zum Opfer fielen.
Ein besonders interessanter Fall sei hier geschildert.
In Hamburg hatten wir eine Einigung zwischen U. S. P. und Linksradikalen herbeigeführt, die in ihrer illegalen Organisation zu den glänzendsten Hoffnungen berechtigte.
Beim Abzug von Flugblättern wurde ein Teil ausgehoben und Zu langjähriger Zuchthausstrafe verurteilt.
Ich hatte nun einen Mann im Verdacht, Spitzel zu sein, und bewirkte eine Sitzung in Hamburg, um ihn zu überführen. Ein ganz ausgesiebter Kreis war zusammen, die Ueberführung war so ziemlich geglückt und bei einer, wegen dieser Sitzung erfolgten Vernehmung wurde den Hamburger Genossen eine Photographie unserer Sitzung vorgelegt. In Hamburg sah nun jeder den andern für einen Spitzel an und die illegale Bewegung war so ziemlich tot.
In Berlin gelang es mir leider nicht, eine Einigung herbeizuführen. In mindestens 10 Zusammenkünften mit Iogisches, dem leitenden Kopfe, einem Mann mit phänomenalem Wissen, unbeugsamem Willen, unerschütterlichem Charakter und festgefügter sozialistischer Ueberzeugung kamen wir nicht nur nicht zusammen, sonoern leider immer mehr auseinander. Es mangelte ihm völlig die Fähigkeit, sich in die Psyche des deutschen Arbeiters hinetnzuversetzen. Er war der Verfechter der revolutionären Gymnastik in Person. Nur im Kampfe, im blutigen Kampfe wird die revolutionäre Energie erzeugt, wird das Proletariat gestählt. Jede Niederlage, jeder Tote, jeder im Zuchthaus Schmachtende bildet einen Baustein an dem zu errichtenden Gebäude des Sozialismus. Erhebung von tausend und blutige Niederlage bringt die Erhebung von zehntausend, wieder Niederlage: Erbitterung, Haß, Kampfeswille hüben, Abscheu vor den eigenen Taten, Zweifel, Umfall drüben. Neue Erhebung von hunderttausend usw., bis zum endgültigen Siege.
Meine Einwendungen, daß die Niederlage monatelange Deprimierung, aber keinen revolutionären Elan erzeuge, daß allein der Erfolg entscheidend sei, und daß dieser nach Lage der Sache nur in einem großangelegten, an allen Orten einheitlich geführten Schlag erfolgen könne, verwarf er als utopistisch, und letzten Endes wurden seine Angriffe im „Spartakus" noch gehässiger.
Ich bedauerte dies Ergebnis ungemein: denn ein großer Teil überzeugter, opferfreudiger und wagemutiger Genossen ging vorläufig verloren, mußte auf Umwegen herangeholt werden. Ich bedauerte dies um fo mehr, als meine Verhandlungen mit dem Parteivorstand der U. S. P. mich nicht mit allzuviel Hoffnung beseelten.
Mit Ausnahme von Ledebour, der trotz seinem gebleichten Haare ein jugendlich feuriges Herz sich bewaijrt, der jedoch glaubte, daß die vretter des Parlaments die Welt bedeuten, und Laukant, der unserm Kreise nachher angehörte, der sich keiner Aufgabe entzoa, waren dort bei jedem zwei tränende Augen: Ia, ja, aber die Organisation! Und erst später, als mein Freund Ernst Däumig, der fast zur selben Zeit in unsern Kreis kam, wie zum Parteivorstand, in dieser Körperschaft etwas bohrte, tat man dort so, als ob man täte.
Im Uebrigen war uns das ziemlich gleichgültig. Wenn wir glaubten, mit dem P. V. etwas erledigen zu müssen, dann haben wir ihn geladen und mit ihm verhandelt, wie Großmacht und Macht, und da beim Gelingen der Sache man doch mit dabei sein wollte und beim Mißlingen man auf die Verschwiegenheit glaubte bauen Zu können, so war das Verhältnis immer ein leidliches.
Ludendorff, unser Schutzpatron. hatte uns nicht nur durch die Einziehungen zum Heere gedient, sondern noch mehr durch die Inhaftierung und Verurteilung von zirka 140 Genossen zu insgesamt 120 Jahren Zuchthaus und Gefängnis, hatte er die Erbitterung aufs höchste gesteigert. In dem wochenlang geführten, zuerst völlig verloren scheinenden Kampfe um die Vereinheitlichung und Leitung der Unterstützung für die Inhaftierten, siegten wir schließlich! ich selbst wurde Vorsitzender, und es gelang uns, die Sammlung so ausyiebig zu gestalten, daß wir den Familien eine Unterstützung von wöchentlich 25 Mark, für jedes Kind 5 Mark und für die Miete die zu 20 Mark zahlen konnten. Das war eine bis dahin nie geahnte Unterstützung.
Die illegale Organisation wuchs, der Mille stählte sich, der Ramvfesmut hob sich, so daß im April wieder ein Geist vorhanden umr, der ermutigend wirkte. Einige Genossen glaubten, daß es Seit sei, einmal etwas zu unternehmen. Dagegen wandte ich mich mit aller Entschiedenheit, da dies keine revolutionäre, sondern eine rein demonstrative VeweHung geworden wäre. Ich legte damals programmatisch die von mir gewünschte Taktik fest, indem ich ausführte:
„Das Elend, die Not und die brutale Unterdrückung sowie die ungeheuren Vlutopfer an der Front erzeugen eine Stimmung voll Resignation, Verzweiflung und Unzufriedenheit, weit über die Kreise des Proletariats hinaus. Das gesamte Vürgertum, mit Ausnahme der Kriegsinteressenten, der Bauern und der Beamten, sind des grausigen Spiels überdrüssig. Sie sind unzufrieden, sie sind rebellisch, aber sie sind bei weitem nicht revolutionär. Sie möchten ein Ende des Gemetzels, des Entsagens und Entbehrens, aber sie möchten das siegreiche Ende. Die Oberste Heeresleitung und alle Einsichtigen wissen, daß ein siegreiches Ende nicht kommen kann. Aber sie wissen, daß dies Eingeständnis ihre Götterdämmerung bedeutet, und so spielen sie das Vabanquespiel, immer noch auf ein unerwartetes Ereignis, ein Wunder hoffend, weiter. Sie setzen Menschen ein, führen Millionen zur Schlachtbank, obwohl sie deren Untergang vor Augen sehen, obwohl sie wissen, daß der Gegner nicht nur an Menschenmaterial täglich uns ungeheuer überflügelt, sondern auch technisch uns weit überlegen ist.
Wir stehen nun vor ungeheuren Entscheidungen, die ruhige und Klare Ueberlegung fordern. Wir sehen, wie die Herrschenden, nach dem Strohhalm eines Wunders greifend, ihre Landeskinder skurvellos zu Millionen auf die Schlachtbank führen, und wir wissen, daß es unsere Pflicht wäre, dem zwecklosen Gemetzel sofort Einhalt zu gebieten. Es blutet uns das Herz, wenn wir sehen, daß wir diese niordenden, Zwecklos, selbst von ihrem Standpunkt aus, mordenden Unmenschen nicht zu beseitigen vermögen. Doch sehen wir klar!
Wenn nicht alles trügt, dann schleppt sich ohne endgültige Entscheidung das Metzeln bis zum Winter hin. Und dann im Februar, wenn vielleicht fünf Millionen Amerikaner auf französischem Vooen stehen, wenn auch dem Dümmsten die Hoffnung auf Sieg genommen,. wenn durch Kälte und Hunger die Disziplin gelockert ist, dann ist es unsere Aufgabe, vor dem Veginn des gewaltigen Frühjahrsangriffs, gegen die Gewaltherrscher anzugehen.
Sollte aber schon vorher die Niederlage erfolgen, dann ist es unsere Aufgabe, sofort loszuschlagen, um Deutschland vor völliger Verwüstung zu retten. Denn erfolgt erst die entscheidende Niederlage, dann ist der Kampfesgeist gebrochen, die Disziplin gelockert, aller Widerstandsgeist aufgehoben. Die hungernden deutschen Soldatenmassen fluten aufgelöst über das eigene Land zurück, jeder nur von dem einen Gedanken, rette sich wer kann, beseelt, requiriereno, stehlend, plündernd' der Feind hinterher, nicht Waffenstillstand gewährend, bis das alte System beseeitigt ist. Das zu verhüten ist für uns doppelt notwendig: erstens weil wir als Menschen und Sozialisten ein Interesse daran haben, die Menschheit vor diesem Elend und diesen Greueln zu bewahren. und zweitens, weil wir uns klar sein müssen, daß die für uns jetzt und in den Tagen des Kampfes sekundären Fragen der Ernährung und Arbeitsbeschaffung ohnehin uns vor kaum lösbare Probleme stellen werden. Ich will darauf nicht eingehen, fondern nur bemerken: Wenn wir die Macht ergreifen, möge das im Oktober, November oder im Februar, März erfolgen, dann können wir nicht Milch und Honig aus der Erde stampfen, sondern nur den Grund und Voden und die Produktionsmittel in den Besitz der Allgemeinheit überführen, aber die dann alles besitzende Masse muß Entsagungsund Arbeitsfreudigkeit in gewaltigem Maße aufbringen.
Ich resümiere also: Wir müssen mit doppeltem Eifer für die Entscheidungsschlacht arbeiten, jedoch das Datum der Schlacht bestimmen nicht wir, sondern das wird entschieden auf den blutgetränkten Feldern Frankreichs."
Däumig trat mir scharf entgegen, erklärte meine Auffassung für utopistisch, da niemals die Niederlage der deutschen Armee erfolgen würde. Allerdings stimmte er darin mit mir überein, daß augenblicklich nicht der gegebene Zeitpunkt sei.
Die Frühjahrsoffensive, die, abgesehen von der bei allen deutschen Spießern — und dazu zählte das Gros der Arbeiterschaft mit — erneut erzeugten Kriegsund Siegestrunkenheit nichts erreichte, war im Mute erstickt.
***
Es war wohl daschwerste Stück Arbeit gewesen, Verbindungen ausfindig zu machen, um die notwendigen Vrownings, Munition und Handgranaten zu erhalten. Aber es gelang schließlich doch. Einen Teil bekamen wir völlig umsonst, einen Teil zu normalen und einen Teil zu unverschämten Wucherpreisen. Als wir nun soweit waren, .die Waffen zu erhalten, hatte sich eine erste und eine zweite Gelegenheit, Geld zu erhalten, zerschlagen. Endlich, nach ungeheuer mühevollen Bemühungen — den Freunden, die hierbei so viel gewagt, sei besonderer Dank hier abgestattet — erhielt ich von einigen Genossen ausreichend Geld, immer soviel ich benötigte. Die Tage, die Wochen verflogen und noch immer war die Veschaffung von Handgranaten nicht geglückt. Doch endlich hatten wir mit ungeheurem Wagemut selbst welche hergestellt, hatten sie in vielen D-Zugfahrten, trotz Zugkontrolle, hierher geschafft und so war auch diese Sorge erledigt. — Euch, Freunde, gebührt für revolutionäres Wagen die Palme! Dank Freunde! Tausend Dank!
Jetzt begann das Gefährlichste! Die Bildung der Stoßtrupps. Es mußte in jedem Großbetriebe ein Führer derselben gefunden werden, der dann innerhalb. seines Vetriebes seine Leute aussuchte. Ein einziger Fehlgriff, und die Sache war verraten. Ein einziger Lump, und alle standen an der Wand: denn darüber mußte sich jeder klar sein: Pardon hätte es nicht gegeben. Auch das mußte jedem klar sein, daß, wenn die Mehrheitssozialisten Wind bekamen, die Sache verloren war.
Es mußte jeder Stoßtruppführer genau mit den Waffen informiert sein, fo daß er sie ausprobierte und jedem Einzelnen wiederum klarlegte. Die einzelnen Leute mußten verschwiegen sein, mußten die Waffe kennen und mußten auch die Kerle sein, sie zu benutzen. Doch es ging, es ging nicht nur besser, als ich dachte, sondern gerade diese Führer, die ich alle selbst einweihte, nachdem sie nach reiflicher Prüfung an mich verwiesen waren, gaben mir neuen Mut und neue Energie. Ich fand todesmutige Helden, soviel ich benötigte, und ich sehe sie jetzt vor meinem geistigen tluge, alle ohne Ausnahme voll fanatischer Begeisterung. Dank Euch!
Anfang August, also nach der Niederlage an der Marne, wurden die ersten Stoßtrupps gebildet. In den Sitzungen mit den Obleuten und bei den Führern legte ich klar, daß nunmehr alle Tage die Kriegslage uns zwingen könne, loszuschlagen. Ludendorff war wiederum unser Helfer. Seine verlogenen Verichte, die die Stimmung vor dem Zusammenbruch bewahren sollten, bereiteten, nachdem sie anfangs zu seinen Gunsten wirkten, das Gegenteil.
Alles hatte fich entwickelt, wie ich es vorausgesagt! Ietzt galt es, die richtige Stunde zum Kampfe zu wählen, die richtige Stunde und die äußerste Kraftanstrengung, den einheitlichen Schlag im ganzen Lande. Kuriere gingen ab. Die Stimmung war überall gut, die Vorbereitungen überall fest im Gange. Ueberall die strikte Anweisung, nur auf meine Parole loszuschlagen.
Am 22. Oktober wurde der Reichstag eröffnet, eine Vagatelle, die nicht eines Blickes würdig sein sollte. Da drohte an dieser Lagatelle die ganze Aktion zu zerschellen. Die Spartakisten, nicht die opferfreudigen, todesmutigen und kampfbereiten, denn die waren alle in unsern Stoßtrupps, fondern jene Dillettanten, denen es nicht darauf ankommt, daß überhaupt etwas gemacht werde, sonoern wer etwas macht, und die befürchteten, daß ihnen eine Gelegenheit, so zu tun, als ob sie etwas täten, entgehe, riefen durch Flugblätter zur Demonstration vor dem Reichstage auf. Wir hatten Sonnabend beschlossen, daß es unter unserer Würde sei, uns um die Reichsquasselbude zu kümmern. Ietzt tobte die ganze bürgerliche Presse und, so sahen wir Führer uns veranlaßt, in letzter Stunde noch einigen Vetrieben zu schicken mit der Weisung, um S Uhr Feierabend zu machen und zu demonstrieren. Doch die Veteiligung war Kläglich. Höchstens 8—10 000 Mann vor dem in weitem Vogen abgesperrten Reichstag. Däumig und ich suchten vergebens nach einem der Führer der Spartakisten. Nicht einen fanden wir. Wir gaben dann, um nicht völlig der Lächerlichkeit zu verfallen, die Parole Durchs Brandenburger Tor bis zur Friedrichstrasse und dann auflösen. Veim zweiten Anprall gaben die Schutzleute das Tor frei und etwa vier bis fünftausend Menschen zogen nun die Anden entlang. Vor der russischen Lotschaft wurde von berittenen Schutzleuten wieder gesperrt. wir drängten durch: doch wurde nun die Parole: an der Friedrichstraße auflösen!, nicht befolgt und an der Charlottenstraße gab es dann eine Schutzmannsattacke mit Verwundeten und verhafteten.
Am nächsten Tage wurde Karl Liebknecht entlassen.
Ich bekam wieder erst in letzter Stunde Nachricht. Trotzdem war es noch möglich 15—20 000 Menschen am Abend auf die Veine zu bringen. Nachdem der Zug mehrmals durch Schutzmannsketten ailseinandergerissen war, fuhren wir zuletzt auf einem Rollwagen, von zirka 1000 Menschen begleitet, unter den binden entlang, als am yotel Adlon ein Trupp berittener Schutzleute ankam. Sie hatten blank gezogen und im Nu war alles verschwunden. Ich stand mit Frau Liebknecht zuletzt allein auf dem Wagen und bewunderte Hermann Dunker, der vom Wagen herunter dem Brandenburger Tor zulief mit einer Behendigkeit, daß ich staunte, daß man fo lange Satze so schnell hintereinander machen kann. Wir gingen dann ganz allein, Frau Liebknecht, ich, Karl Liebknecht und Peters, die Pferdeköpfe über unsern Köpfen, während die Schutzleute schimpften und die Säbel schwangen, zum Brandenburger Tor, wo dann die Menge stand, fuhren mit einem Mietsauto zu dreien nach dem Potsdamer Bahnhof und von da mit der Vahn nach Friedenau. Auf dem Wege von da nach Steglitz erklärte Liebknecht: Solch eine Menschenmenge hat Berlin noch nicht gesehen! Ich werde ihnen eins aufspielen! In 14 Tagen bin ich wieder im Zuchthaus. Dch erklärte ihm, daß er im ersten Punkte im Irrtum sei, und daß, wenn das Letztere der Fall sein würde, ich ihn für den dümmsten und feigsten Trottel halten würdedenn, um ins Zuchthaus zu Kommen, dazu gehöre nichts, aber nicht hineinzukommen und trotzdem das ganze System zu stürzen, dazu gehöre etwas. Doch wir wollen alles zu Hause in Ruhe besprechen. Er meinte hierauf: Recht haben Sie! Zu Hause setzte ich ihm alles auseinander über die Vorbereitungen und über die taktischen Pläne. Ie weiter ich in meinen Ausführungen kam, um so länger wurde sein Gesicht und zum Schlusse erklärte er: „Es ist ja ganz gut, das; Ihr nicht geschlafen habt, aber jetzt bin ich ja wieder da, und ich werde nun schon die ganze Sache richtig gestalten. Ich erklärte ihm, daß es mich ungeheuer freuen würde, wenn er kräftig mitarbeiten würde, aber planmäßig und vorsichtig. Vorsicht und Planmäßigkeit allein Kann zum Gelingen führen, Tollpatschigkeit und Revolutionsromantik verurteilt uns zur Niederlage, ersäuft die revolutionäre Bewegung im reaktionären Vlutbad. Ich bat ihn eindringlich, da er die Möglichkeit habe, auf Ioggisches, Maier und Dunker einzuwirken, daß er dies tun solle. „Ich kann mich nicht binden, ich muß mir erst alles überlegen", waren seine letzten Worte in dieser Unterhaltung, denn Lucharin und Karski kamen in dem Augenblick ins Zimmer. Ich unterhielt mich noch kurze Zeit mit Theodor Nebknecht und ging mit dem Bewußtsein, daß bittere Tage für die revolutionäre Bewegung angebrochen seien.
Am andern Morgen besprach ich die ganze Situation eingehend mit Ernst Däumig, der ganz meiner Auffassung war. Ich drang in väumig, daß er mit Haase und Ledebour ein ernstes Wort reden solle, damit wir uns endlich zusammensetzen könnten, um das eingehend zu besprechen, was am Tage nach der Revolution zu geschehen habe, es soweit wie möglich organisatorisch zu gestalten und prinzipiell festzulegen. Seit vier Monaten drang ich auf diese Sitzungen. Trst hatte sich Däumig ablehnend verhalten, dann hatte er mich aber seit drei Monaten äußerst lebhaft unterstützt. Aber immer vergeblich. Haase erklärte einfach, vorher ließe sich das gar nicht festlegen. Es war die Angst vor der eigenen Tourage, die Angst, daß bei einem Mißlingen ihm etwa eine positive Veteiligung nachgewiesen werden könnte. Diese Sitzung kam auch nie zustande. Alles war gut, so gut es unter den obwaltenden Umständen eigentlich wohl kaum erwartet werden konnte, vorbereitet, bis zum Tage der Revolution, dann triumphierte der parlamentarische Kretinismus, dann war nicht Revolution, sondern Pfiffigkeit Trumpf. Für diese Sitzung war keine Zeit, weil man keine haben wollte, aber Freitags war eine Parteivorstandssitzung mit Liebknecht, in der ihm angeboten wurde, in den Parteivorstand einzutreten. Er lehnte nicht ab, aber stellte in seiner Weltfremdheit die Vedingung, daß sofort ein Parteitag einberufen werden solle, und wenn sich dieser seine prinzipielle und taktische Anschauung und Methode zu eigen mache, dann sei er bereit.
Als ich das von Däumig erfuhr, schlug ich die Hände über dem Kopfe zusammen. In der denkbar bewegtesten Zeit, wo zwingend jede Stunde praktisches Handeln erfordern konnte, tragt sich jemand, der sich Revolutionär dünkt, mit dem Gedanken, theoretische Auseinandersetzungen und Haarspaltereien herbeizuführen. Däumig war nun genau so pessimistisch gestimmt wie ich und befürchtete ebenfalls das Schlimmste für die Bewegung. Ich werde diese Stunde, eine der erhabensten meines Lebens, nie vergessen. Ver Vesprechung der ganzen so ernsten, tragischen und gefahrvollen Situation, die jede Stunde das bringen konnte, wofür wir beide, jeder auf seine Art, unser ganzes Leben gearbeitet hatten, die aber auch anders werden konnte, rollten uns beiden die Tränen aus den Augen und wir sanken uns in die Arme. Vir hatten gewagt, Menschenleben eingesetzt, um Menschenleben zu retten. Sollte in letzter Minute unser Vagen zur Frivolität werden? Nein!, gelobten wir vns, wir wollen Revolution, aber auf keinen Fall foll Verschwörerlos gespielt werden.
Zu der Sitzung der Obleute am folgenden Abend hatte ich Liebknecht geladen. Wir waren uns klar, daß an dem Abend die Probe auf den Wert oder Unwert der Obleute gemacht würde. Es war dies überhaupt ein Tag kritischer Ereignisse. Am Morgen bekam ich einen Kassiber von einem seit einem Vierteljahr mit wichtiger Mission beauftragt gewesenen, verschollenen Genossen. Ich atmete freudig auf, daß er noch am Leben war und bangte zugleich, daß er irgend etwas bei sich haben konnte oder eine UnvorsichtigKeil begehen könnte, die uns alle Kopf und Kragen kosten könne. Noch im Laufe des Vormittags kam eine Genossin, die mehr als alle Obleute wußte und schon mehrmals unglaublichen Mut bewiesen hatte, und teilte mir mit, daß sie in Sachen eben dieses Genossen vorgeladen sei. Ich band ihr dringend aufs Herz, ja vorsichtig zn sein, sich im Kreuzverhör nicht fangen zu lassen, da bei einer unvorsichtigen Aeußerung — es war das erste Mal, daß sie vernommen wurde — ihr und unser aller Schicksal besiegelt sei. Am Nachmittag erschienen zwei Genossen aus dem Orte, von wo wir unsere „Eier" bezogen, die mir ihre Befürchtung Mitteilten, daß von ihren Lieferungen etwas verpfiffen sei. Um das Maß vollzumachen, kam nun noch die Nachricht, daß einer von den Stoßtruppführern verhaftet werden follte, der aber noch rechtzeitig türmen konnte. Warum wußte der Hiobsbote nicht. Warum? War er unvorsichtig gewesen bei Waffenverteilungen oder war es wegen Militärsachen.' Wenn ich es nur wüßte. Und alles, aber auch alles mußte ich, um m keinem die Stimmung zu verderben, für mich behalten. Ich halts nur eine Sehnsucht: Wenn doch möglichst bald die Entscheidung erfolgte! Ich war mir aber auch klarer denn je: Nur keine Dummheit machen, nicht zu früh und nicht zu spät.
Am Abend eröffnete ich, nachdem wir in der Leitung uns eingehend über die ganze Situation ausgesprochen hatten, die Sitzung den Obleute, indem ich mitteilte, ich habe Liebknecht eingeladen und hoffe, daß niemand etwas dagegen habe und erwarte, daß sie, die sich seit Monaten nicht mit Phrasen, sondern mit wirklich revolutionären Tun befaßt hätten, sich bei seinem Erscheinen als Männer Zeigen würden. Däumig erhielt nun, wie seit Wochen, das Wort, um die politische Lage zu erörtern. Als er gerade begonnen, kam Liebknecht — und zwar trotz meiner ausdrücklichen Erklärung, daß er nicht das Recht habe, noch jemand mitzubringen, — mit noch 4 Spartakusgenossen. Er meldete sich zum Wort und führte aus:
„Parteigenossen! Ich habe durch Erzählungen gehört von Ihrer Existenz, von der Existenz einer revolutionären, illegalen Organisalion. Aber ich muß Ihnen schon sagen, daß ich enttäuscht, bitter enttäuscht bin von Ihren Taten. Sie sind ein revolutionäres Veilchen, das seinen Stolz dareinsetzt, im Verborgenen zu blühen. Ich muß sagen, daß ich mir das Tun und das Tempo anders vorstelle. Am Mittwoch kam ich, und es fand jene gewaltige Demonstration statt, wie Berlin mit gleichem Elan noch keine gesehen, nachdem um Tage zuvor eine von derselben Vegeisterung getragene Demonstration vor dem Reichstag und Unter den Linden stattgefunden hatte. Und seit drei Tagen bin ich nun schon hier, und noch hat keine erneute Demonstration stattgefunden. Das ist unglaublich, das ist unverantwortlich! Aber unglaublicher und unfaßbarer ist mir, daß Sie heute hier beisammen sitzen und nicht beraten, wie die morgige . und die im Laufe der nächsten Woche stattfindenden Demonstrationen zu gestalten sind, sondern daß Sie, eine revolutionäre Körperschaft, bestrebt sind, Demonstrationen zu unterbinden. Wie wird denn revolutionäre Energie, revolutionärer Tatendrang erzeugt? Glauben Sie etwa durch Ihre mündliche Propaganda in so und so viel verschwiegenen Zusammenkünften? Glauben Sie vielleicht durch die Bewaffnung von einigen Tausend wohl energischer, das Leben mit freudiger Begeisterung wagender Genossen, denen man die Waffen in die Hand drückt, aber mit der Anweisung, dieselben uur zu gebrauchen, wenn es ihnen durch Sie befohlen wird?
Nein! Nein! Und tausendmal Nein!
Dadurch wird der revolutionäre Elan, die Begeisterung, die Todesverachtung wieder im Keime erstickt von denen, die glauben, ste gepflanzt zu haben. Ieder einzelne muß zu einem Feldherrn, selbst entscheidenden und selbstwagenden Feldherrn gemacht werden. Es ist eine Utopie, wenn man glaubt, mit einem einzigen großen Schlag die siegreiche Revolution zu machen! Es ist eine Utopie, nein, es ist mehr, es ist ein Verbrechen, derartiges zu glauben und zu propagieren! Die revolutionäre Energie, der revolutionäre Trutz und die revolutionäre Tatkraft wird nur im revolutionären Kampfe erzeugt, geboren, gestärkt und gehoben. Der revolutionäre Kampf, das sind revolutionäre Aktionen, sind Straßendemonstrationen, sind Generalstreiks!
Darum sage ich Ihnen und fordere von Ihnen, daß Sie heute beschließen, daß morgen im Anschluß an die stattfindenden Versammlungen Straßendemonstrationen stattfinden! Und nicht nur Ltraßendemonstrationen, sondern Straßendemonstrationen mit der Parole der allgemeinen Vewaffnung! Es wird zu Zusammenstößen mit der Polizei kommen, es wird Blut fließen, es werden Verhaftungen erfolgen! Dies wird Proteststreiks auslösen! Die Soldateska, die Ludendorffs und Scheidemänner werden sie zu unterdrücken suchen! Neues Vlutvergießen und neue Verhaftungen, neue Solidaritätskundgebungen, größere Streiks, Streiks in neuen Orten, neue Demonstrationen, brutalere Unterdrückung, gewaltigere Ausdehnung des Kampfes, Anschwellung der revolutionären Eneraie, der revolutionären Tatkraft, revolutionärer Straßenkampf, Desorganisation im Heere und zuletzt Revolution! So und nur so allein erfolgt revolutionäre Schulung, erfolgt der revolutionäre Sieg.
In diesem Kampfe, aber auch nur in diesem, erfolgt die Einigung und Revolutionierung des Proletariats, erfolgt die Demaskierung der Sozialverräter, erfolgt die Klassenscheidung und erfolgt die ltevolutionierung des Heeres. Truppen, die heute blindlings dem Vefehle ihrer Vorgesetzten folgend, ihre Brüder morden, werden morgen von Zweifeln zernagt und gehen übermorgen zu ihren Brüdern über, mit ihnen gemeinsam den Kampf für Friede, Freiheit, für den Sozialismus wagend und durchführend.
Ich bitte Sie, prüfen Sie meine Vorschläge, meine Forderungen und entscheiden Sie in meinem Sinne.
Vorbei mutz sein die Zeit des Wägens, die Stunde gebietet zu wagen, nicht zu wagen den entscheidenden Endkampf, das ist Utopie, sondern zu wagen den Leginn der Kämpfe, der wahrhaft revolutionären Kämpfe, den ersten Kampf, der die andern sich immer steigernden, den Sieg verbürgenden im Schoße trägt!
Mit uns das Volk, mit uns der Sieg!"
Sich an seinen Worten selbst berauschend, immer feuriger und wilder sprechend, hatte er nun auch einen Teil der Obleute mitgegerissen.
Ich sprach nach ihm und führte folgendes aus:
„Wenn man es so hört, dann könnte es leidlich richtig erscheinen! Und wenn wir hier alle aus zweieinhalbjähriger, schwerer, verbitternder, den klaren Blick für die so reale und nüchterne Wirklichkeit trübender Haft kämen, selbst alle erfüllt mit revolutionärem Willen und revolutionärer Tatkraft, dann würden wir vielleicht auch, berauscht von dem Empfang und getrieben von unserm Hasse, so reden und ich würde dann auch verstehen, daß man derartigen Ausführungen Veifall spendet und sie in die Tat umzusetzen versuchen würde.
Aber so verstehe ich Ihren Beifall nicht. Und da wir eine ungeheure Verantwortung für das Gelingen der Revolution zu tragen haben, muß ich mich ganz entschieden und scharf dagegen wenden.
Wir sind diese berauschenden Ideen der revolutionären Gymnastik nicht neu! Ich habe ihnen einmal selbst gehuldigt, als ich die Menschen so in Rechnung stellte, wie ich sie mir wünschte. Ich habe diese Theorie im Laufe dieses Iahres öfter gehört im Verkehr mit Spartakisten, und ich glaube, diese heutigen Ausführungen Liebknechts vor einigen Wochen schon einmal genau so gehört zu haben, mit einer Menge praktischer Beispiele — die bei näherer Prüfung alle hinken aus Rußland belegt, von dem Genossen Bucharin. Da mehr als alle Theorien, die ja immer mehr oder minder grau sind, das Veisviel aus dem praktischen Leben zu überzeugen vermag, so gestatten Sie mir, daß ich kurz resümierend die revolütionare Geschichte des Krieges skizziere, ganz besonders zur Information des Genossen Liebknecht.
Im Juli 1914 alle Schleusen der Beredsamkeit, alle Druckerschwärze im Kampfe gegen den Krieg. In den Massen — ach diese wankelmütige Masse — einmütig die Auffassung: wehe, wenn sie es wagen! Sie wagten, die Führer fielen um, die Massen fielen nach, und es dauerte drei bis vier Monate, bis es nur möglich war, die Masse zu gewerkschaftlichen Bewegungen zu gewinnen, in kleinen wilden Merkstattstreiks. 1916 war es dann anläßlich der Verurteilung Liebknechts das erste mal möglich, Massen — 55 000 — zum politischen Streik zu bewegen. Einige Verhaftungen und Einziehungen hatten bewirkt, daß es bei der Revisionsverhandlung unmöglich war, die Massen wieder auf die Beine zu bringen. Es wurde April 1917, bis es wieder möglich war — aber nicht um politischer Forderungen, sondern um ein paar Gramm Brot — die Massen heraufzuholen. Von einer revolutionären Gymnastik zur andern — abgeschwächten — war eine Atempause von 8 Monaten notwendig. Mehr Verhaftungen, mehr Einziehungen, Militaristerung vieler Verriebe, rücksichtslosere Schutzhaftverhaftunaen, die Brutalität im Niederhalten jeder freiheitlichen Regung überbot sich, das Elend stieg, der Wucher und das Schiebertum wuchsen wie Pilze aus der Erde, und es dauerte zehn Monate, bis das schimpfende, fluchende und ob der geistigen und materiellen Vedrückung bald verzweifelnde Proletariat sich wieder demonstrativ zu regen wagte.
Und nach dem Januar? Hatte die sich täglich steigernde Neaktion eine Auslösung der revolutionären Willens und Tatkraft zur Solge? Mit nichten! Die Niedergeschlagenheit, der Schrecken, die Furcht und Angst, die Sveichelleckerei der Masse wuchs und wuchs. Hatte die Einziehung von 50—60 000 Berliner Metallarbeitern, darunter etwa 5000 Vertrauensleuten, hatte das Müten der außerordentlichen Kriegsgerichte, hatte das Verhängen von etwa 130 Jahren Zuchthaus und Gefängnis, hatte der Tod von einigen Genossen die Depression der Massen nicht ins Unglaubliche gesteigert? Waren wir nicht ob diesem Mangel revolutionären Elans bald selbst verzweifelt? Und abgesehen von der Masse, wie war es denn hier in diesem Kreise? Sind nicht ungefähr 200 Genossen durch den Kreis gegangen? Mußten nicht viele immer wieder herangeholt werden? War es nicht selbst hier, bei dem grünsten vom grünen Holze so, daß man an der ?agd verzweifeln konnte, weil man das Empfinden hatte, daß man seine besten Hunde zum Ilagen tragen müsse? Glauben Sie mir sicher, ich war oft, ohne daß Sie eine Ahnung davon hatten und ohne daß ich auch nur einen Einzigen von Ihyen etwas merken ließ, am Rande der Verzweiflung, ob der ganzen Erbärmlichkeit der Masse. Wagnisse sind unternommen worden, wovon immer nur die daran Veteiligten etwas wußten, die, wenn Sie es geahnt hätten, noch manchen aus diesem Kreis herausgetrieben hätten. Es sind Verhaftungen erfolgt, es sind einige verschollen, vielleicht tot, und die Verschollenheit bedeutete für mich oft wochenlang schlaflose Nächte: denn in solchen leiten bangte ich mich um Euch, um die ganze Revolution, trotz aller Vorsichtsmaßnahmen.
Aber abgesehen von alledem, was Sie nicht wissen und auch vorläufig nicht erfahren, welche Gefahren lagen nur in Ihrer Tätigkeit, wieviel Arbeit, wieviel schlaflose Nächte? Wer von Euch hatte geglaubt, daß es möglich sein würde, tausende von bewaffneten Genossen, unter den Augen der Ludendorff- und Scheidemannkreaturen, zusammenzufassen, in taktischen Einheiten zu formieren? Keiner! Welche Vedenken wurden mir von jedem einzelnen geäußert, solange die Frage theoretisch behandelt wurde und in Vorbereitung war? Aber ich weiß auch besser wie jeder andere, mit wieviel lachender, wonniger Begeisterung sich in den einzelnen Vetrieben die weiter der Stoßtrupps fanden. Wie deren Augen leuchteten, wie sie mit Energie an ihre gefahrvolle Arbeit gingen.
Wir haben gewagt in dem Bewußtsein, daß alles Wagen wemger denn nichts sei gegenüber dem gewaltigen, herrlichen und heiligen Ziele. War es nicht unser aller größter Stolz, in äußerster Selbstlosigkeit das Leben einzusetzen und es andern zu retten?
Aber seien Sie sich Klar, Freunde, so nah das Lächerliche beim Erhabenen liegt, noch viel näher liegen sich Heroismus und Dilettantismus, zwei Ismen, die sich nur darin scheiden, daß ersterer nach klarem Wägen in mutigem Wagen die Tat vollbringt, während letzterer bramarbasierend auf Wägen und Wagen pfeifend, in glanzvoller Pose so tut, als ob er täte. Und ich warne Sie vor dem größ ten Verbrechen, vor dem Dilettantismus, der gleißnerisch Sie umstrickt und in dessen Netze sich zu verlieren um so leichter ist, je mehr man sich vom Gefühl allein leiten läßt. Geist ohne Gefühl ist eitel, kühl berechnend, immer wägend, niemals wagend, ist kalt, herzlos, Vorteil und immer nur Vorteil suchend. Gefühl ist, sobald es zum bestimmenden Faktor allein wird, wildstürmend, blindvertrauend, siegestrunken, Erfüllung und nur Erfüllung suchend. In beiden Fällen ist, wenn es sich um revolutionäre Taten handelt, der Mißerfolg gewiß. Im ersten Falle, weil im Wagen um des Vorteils willen die Stunde des Handelns verpaßt wird, im letzteren, weil die Stunde nicht erwartet, dem Gegner die Möglichkeit de? Niederschlagens in die Hand gespielt wird.
Nun bilde sich nicht etwa einer ein, ich wolle ein Loblied auf den goldenen Mittelweg — die Zusammenfassung von spekulativer Niedertracht und Feigheit — singen. Nein! kleinen Mittelweg, sondern Vereinigung von Geist und Gefühl, von Herz und Hirn. Mares Erkennen und Vegeisterung müssen gepaart sein. Man muß die physische und psychische Macht und Kraft des Gegners und die eigene erkennen. Man muß zu erkennen und zu berechnen vermögen, wie sich die Kräfte entwickeln, die gegnerischen und die eigenen, und wenn man dies kann und dann Mut und Entschlossenheit benützt, dann findet man die Stunde. Wie ist nun die beiderseitige Stärke, wie wird sie sich entwickeln, und wann kommt aller Vornussetzung nach die entscheidende Stunde?
Wenn ich nun diese Ausführungen mache, setze ich voraus, daß die Frage der revolutionären Gymnastik hier in diesem Kreise nur dieses eine Mal besprochen wird, daß dieser Kreis nicht zu einem Diskutierklub herabgewürdigt, sondern seiner ureigensten Tätigkeit wieder zugeführt wird.
Im Frühjahr, als ich die Ansicht vertrat, daß die Möglichkeit unseres Handelns von den Ereignissen auf dem Kriegsschauplatze in erster Linie abhänge, stand ich allein. Heute wird wohl niemand mehr anderer Auffassung sein. Sie haben gesehen, wie die Stimmung der Truppen und der Massen mit den Siegen und strategischen Rückzügen aufund niederwogte, und dieses Auf- und Niederwogen ist bestimmend für das Stärkeverhältnis der reaktionären und revoluttonären Kräfte. Und warum? Eine kleine Zahl ist hüben und drüben mit klarem, festem Wollen. Dort skurpelloseste Opferung von Millionen und Abermillionen, um Aufrechterhaltung und Vergrößerung der monarchistischen, militaristischen und kapitalistischen Herrlichkeit willen. Hier der Wille zum Sturz alles dessen, um der Menschheit Lebensglück zu geben. In der Mitte der große Haufen, der im revolutionären Kampfe letzten Endes entscheiden wird, und dessen psychologisches Erkenntnisvermögen ihn auf die eine oder andere Seite wirft. Iene unseligen Machthaber haben in dem Kampfe der rohen Gewalt gegen die Menschlichkeit nicht nur Milliontzn Menschen sinnlos geopfert, fondern sie haben auch die Hoffnungen auf klingende Entschädigung bei dem großen Haufen erweckt. Die Hoffnung auf den Milliardensegen, die im August 1914 mehr als alles andere die Siegesgewißheit auslöste und den Geist des Durchhaltens wachhielt, diese Hoffnung, die heute noch in großen Kreisen lebendig ist, die muß beseitigt werden, und in dem Augenblick, in dem dies geschehen, ist für uns die Stunde des Losschlagens gekommen. Und diese Stunde kann alle Tage kommen, sie muß im Laufe der nächsten Wochen kommen.
Iedem hier ist es klar, daß die Westfront zusammenbrechen muß. Aber draußen der große Haufe glaubt den verbrecherisch verlogenen Berichten Ludendorffs und wird die Wahrheit erst erkennen, wenn die best ausgebaute Stellung, dieSiegfriedstellung, geräumt werden muß. Dann bricht die Hoffnung auf den Milliardensegen zusammen, und dann muß elementar und so wuchtig wie maglich an allen Orten und an den Fronten an einem Tage die revolutionäre Erhebung erfolgen, um die rote Fahne, die Fahne des Friedens und der Freiheit von allen Gebäuden wehen zu lassen.
Unsere nächsten Aufgaben werden dann sein: Den Waffenstillstand abzuschließen, den bedingungslosen Frieden anzubieten, wirtschaftliche Veziehungen im Westen und ganz besonder s im Osten anzubahnen, das Heer zu demobilisieren und zu einer roten Armee zu reorganisieren, Grund und Boden und Produktionsmittel in den Besitz der Allgemeinheit zu überführen, die Verwaltung von Reich und Kommunen, fowie der Vetriebe umzuwandeln, die Techniker, Kaufleute und Veamten durch klare Erlasse und weitgehendes Entgegenkommen für den Aufbau der sozialistischen Wirtschaft zu gewinnen, den kommunistischen und kollektivistischen Ackerbau zu bewerkstelligen und anderes mehr.
Es ist nach meinem Dafürhalten einige Minuten vor Zwölf und wäre wahnwitziger Dilettantismus, wollten wir jetzt dem Gegner unsere Vorbereitungen verraten, ihm die Möglichkeit, uns niederzuschlagen, geben, unsere Aktionsmöglichkeit vergeuden, um in der Stunde, da es zu handeln gilt, gefesselt am Voden zu liegen.
Nun noch ein Wort zu den Waffen. Es wäre hirnverbrannt, wollten wir uns? einbilden, damit die Revolution durchführen zu können. Wir können sie nur beginnen. Die Waffen sollen und müssen bewirken, daß alle Verriebe mit denselben herausgeholt und in den Demonstrationszügen zusammengehalten werden, so daß die Suggestion der Masse in Wirkung gesetzt und daß ferner die Polizei besiegt wird, fo daß das Militär zu uns herübergezogen wird.
Doch nun genug! Ich resümiere und sage:
Wir brauchen Heroismus und keinen Dilettantismus, wir brauchen einen Feldherrn mit Soldaten und nicht Feldherrn ohne Soldaten, wir brauchen revolutionäre Disziplin und keine chaotischen Freischärler, wir brauchen keine RomaNtik, sondern Realität, wir brauchen keine Phrasen, sondern die zielklare, planvoll organisierte, begeisternde, alles, was im Wege steht, hinwegfegende ttevolution. Wir alle hier müssen der Geist und das Schwert der Revolution sein. Wir sind nicht ein Verschwörerklub, sondern das Revolutionskomitee, das von sich sagt, sich sagen muß: Die Sterne kann vom Himmel reißen das eine Wort: ich will!"
Die Beifallsbezeugungen während und nach den Ausführungen bewiesen, daß wir bleiben wollten, was wir waren.
Nack mir sprach Dr. Ernst Maier. Er sprach im Sinne Liebknechts und stützte seine Argumentation auf die russische Revolution, schon damals betonend, daß wir vereint mit Rußland am Rhein kämpfen müßten, um die Revolution nach Frankreich und England zu tragen.
Ernst Däumig, der dann das Wort nahm, ging scharf mit ihm ins Gericht. Er schilderte die russische Revolution kurz und prägnant. Er legte ganz besonders die Novemberrevolution klar und nahm Stellung zu der Phrase der gemeinsamen. Rheinfront, zum Schluß erklärte er, daß er mit mir völlig übereinstimme. Die Sitzung wurde auf Montag vertagt.
In den am Sonntag, den 27. Oktober stattgefundenen fünf Wahlversammlungen sprach überall Liebknecht und glaubte nun, wegen des ihm zuteil gewordenen Veifalls, das Recht zu haben, am Montag erneut für seine revolutionäre Methode Propaganda machen zu müssen und schlug erneut Straßendemanstrationen vor.
Zu dieser Sitzuag, die diesmal in unserm sichersten Lokal stattfand, in Reinickendorf, fuhr ich von einer andern Sitzung mit Lieb-. knecht gemeinsam. Ich sagte ihm, daß er alles tun müsse, um nicht erkannt zu werden, er solle den Kragen hochstellen und den Hut ins Gesicht ziehen und sich in die Ecke des Perrons, mit dem Gesicht nach außen, stellen. Kaum waren wir drei Haltestellen gefahren, war er schon mit einem Manne im Gespräch und der ganze Perron wußte, wer er war. Wir stiegen ab und ich erklärte ihm, daß, wenn er nicht sich so verhalte, wie ich sagte, ich ihn einfach versetzen würde. Wir gingen auf Umwegen, um eine mögliche Verfolgung festzustellen, nach einer andern Haltestelle und fuhren weiter.
Um die Debatte zum Abschluß zu bringen und dann wenigstens das Wichtigste der technischen und organisatorischen Maßnahmen besprechen zu können, schlug ich vor, daß die am Mittwoch tagende Vorstandssitzung der U. S. P. von Groß-Berlin darüber entscheiden solle, ob im Anschluß an die, am kommenden Sonntag stattfindenden Versammlungen Demonstrationen stattfinden sollten.
Wir fuhren um 12 Uhr von Reinickendorf nach Hause, und ich bat Liebknecht dringend, doch ja die größte Vorsicht in der Elektrischen walten zu lassen, damit ihn niemand erkenne. Auch Däumig legte ihm das dringend ans Herz. Die Elektrische kam vollbesetzt von Tegel. Wir drängten noch hinein und waren kaum drin, als Liebknecht ——— mitten im Wagen stehend, Zuchthauserlebnisse erzählte. Wie ein Lauffeuer ging es durch den Wagen: Liebknecht! Liebknecht! Mit solch sträflicher Leichtfertigkeit handelte der Mann dauernd. Die Cluittung hierfür hätten wir zehn Tage später beinahe erhalten.
Mittwochs in der Zentralvorstandssitzung sprach er als erster und trat mit aller Leidenschaftlichkeit für eine Demonstration ein, ausdrücklich für eine bewaffnete Demonstration, sprach von revolutionären Obleuten und bewaffneten Stoßtrupps, wie der Straßenhändler von seinen Streichhölzern. Dies alles in einer Körperschaft, ^ie von alledem, was vorging, zum größten Teil gar keine Ahnung hatte.
Ich sprach nach ihm, schilderte die politische Situation, fragte, wo es revolutionäre Obleute und Stoßtrupps gäbe, und erklärte, ich wüßte lediglich etwas von der gewerkschaftlichen Opposition und bewaffnete Stoßtrupps seien etwas legendenhaftes. Ich bat, da wir am Sonntag bei den paar Versammlungen höchstens 20 000 Mann auf die beine bringen und uns nur lächerlich machen würden, von jeder Demonstration abzusehen.
Nachdem ich gesprochen, ging ich zu Liebknecht, und es entspann sich folgender Dialog:
„Sie wissen, daß ich eine Demonstration nicht nur bekämpfe, fondern für ein Verbrechen halte. Sollte aber die Demonstration beschlossen werden, dann verlange ich von Ihnen, daß Sie mir sagen, wo ich Sie am Sonntag treffe, zusammen mit Maier und Dunker. Ich bringe 4 Vrownings mit je 100 Schuß mit, und wir stellen uns dann an die Spitze des Zuges und —"
„Aber Genosse Barth, Sie sind ja wahnsinnig!"
„O nein, lieber Freund! Nur konsequent! tllso wir gehen an der Spitze des Zuges und wenn wir an die 2chutzmannskette herankommen, dann 1, 2, 2 piff, paff!"
„Aber Genosse Barth, Sie sind ja völlig wahnsinnig!" sagte er nun schneebleich.
„Hören Sie doch weiter, bis ich fertig bin: Und sollte hierbei einer von Euch dreien versagen oder Reißaus nehmen wollen, dann Knalle ich ihn nieder, so wahr ich hier sitze!
„Aber Barth, aus Ihnen spricht buchstäblich der Wahnsinn!."
„Nein, nein!. Nur die Konsequenz! Aber aus Ihnen die Feigheit und der Größenwahn! Sie behaupten, das durch die Säbelhiebe der Schutzleute vergossene Blut erzeuge revolutionären Elan und revolutionäre Tatkraft. Ich nehme an, daß Sie nicht so demogogisch sind, daß dieser Grundsatz für alle mit Ausnahme von Ihnen Gültigkeit habe. Ich sage: wenn ich von dem Proletariat revolutionäre Taten verlange, dann muß ich nicht nur mit gutem, fondern mit dem denkbar bestem Beispiel vorangehen. Und nun passen Sie auf: Wird die Demonstration beschlossen und Sie oder Maier oder Dunker kommen nicht und zwar so wie eben gesagt, dann knalle ich Euch wegen Feigheit und Schurkerei nieder wie Hunde."
„Sie sind wahnsinnig!"
Ich brauchte mein Wort nicht wahr zu machen, der Zentralvorstand lehnte die Demonstration ab.
Von dieser Stunde ab war ich bei Liebknecht der bestgehaßte Mensch, gegen den zu kämpfen ihm jede Gelegenheit und jedes Mittel recht war. von demselben Gefühl war Dunker gegen mich beherrscht, dem ich in dieser Sitzung wegen seiner Feigheit den Marsch blies. Und das Kam so:
Am Sonntag zuvor, am 20. Oktober, fand ein Parteitag der Jugend statt. Dort verleitete er die Iugendlichen» zu einer Demonstration, wobei Vlut floß, er selbst aber hatte den bessern Teil der Tapferkeit erwählt und war ausgerissen. Ietzt dagegen trat er für die bewaffnete Demonstration ein mit derselben Vegründung wie Liebknecht.
Am Donnerstag, den 31. Oktober fand zu Ehren Liebknechts ein Empfangsabend in der russischen Votschaft statt. Es war mir — Mchard Müller und ich waren zusammen hingegangen — das erstemal vergönnt, die geistigen Spitzen und Träger der deutschen Revolution zusammen zu sehen. Da machte ich die Erfahrung, daß man, um zu bvzantinern, weder in Byzanz, noch im Sonnenstrahl eines huldvollen Cäsaren zu weilen braucht. Dieses gegenseitige Verveihräuchern und Anhimmeln war geradezu widerlich. Ich staunte über all die aufgezählten Verdienste, und Richard Müller, den ich an diesem Abend zum ersten Mal wütend fluchen hörte, sagte zu mir, ich solle nun auch eine Tischrede halten, aber eine zünftige. Ich tat dies, und zwar gründlich! Ie verblüffter die Gesichter murden — und so verblüffte Gesichter hatte ich in meWem Leben nie gesehen —, um so ungeschminkter sagte ich meine Meinung. Ich tadelte den Byzantinismus und gedachte der ungezählten Ungenannten und Unbekannten, die mit freudiger Vegeisterung, ohne jede Verechnung, ihr Leben geopfert hatten und weiterhin zu opfern bereit waren.
Im Laufe des Abends sprach ich einige Worte mit Joffe, die einzigen, die ich mit ihm überhaupt wechselte, und ich muß sagen, daß mein Eindruck derartig war, daß ich mich später über seine beiden Funksprüche nicht im geringsten wunderte.
Mitte Oktober erklärte Ledebour den Genossen Däumig, Müller und mir, daß ein Oberleutnant bei ihm gewesen sei, um sich der Lewegung zur Verfügung zu stellen, wir sollten den andern Abend zu ihm in die Wohnung kommen, um uns den Mann selbst anzusehen und zu entscheiden, ob wir ihn verwenden oder nicht, auf ihn habe er einen sehr guten Eindruck gemacht. Es war bei allen unseren militärischen Veratungen immer der wunde Punkt, daß wir keinen technisch geschulten Offizier hatten, und unser Plan war immer gewesen, daß, wenn es foweit sei, wir Veerfelde befreien wollteZ, mit List oder Gewalt. Aber es war natürlich zu begrüßen, wenn wir von vornherein einen zuverlässigen Offizier bei den Vorbereitungen gutachtlich hören konnten, und fo willigten wir ein. Am andern Abend waren wir mit noch zwei Genossen bei Ledebour. Dieser hatte dem Offizier, der sich als Lindner vorstellte — Ledebour hatte er seinen richtigen Namen, Walz, gesagt — alles erzählt, was er wußte. Das war allerdings nicht allzu viel. Aber auch wir hatten allesamt bald jeden Argwohn und jedes Mißtrauen abgelegt und da die Sache eilte, so besprachen wir allgemein den etwaigen Aufmarsch und beauftragten ihn, bis Montag Kartenmaterial zu besorgen um dann eingehend den Operationsplan zu besprechen und festzulegen. In zwei weiteren Sitzungen legten wir nun den Aufmarschplan fest, wobei wir leider feststellen konnten, daß die Hinzuziehung und Einweihung des Walz vollständig überflüssig war. Doch es war geschehen, ein Zurück gab es nicht, ohne zu brilskieren, und am Tage oder besser den Tagen des Kampfes konnte sich der Nutzen erweisen.
Wohl war uns allerdings bei der ganzen Sache nicht. War dieser Offizier ein gut instruierter, für die Rettung des Vaterlandes zum Sterben bereiter Iünger Ludendorffs, dann konnte uns unversehens die rächende, d. h. die uns an die Wand stellende Nemesis erreichen, die Revolution, wenn auch nicht für immer, fo doch für unabsehbare Zeit erdrosselt werden. Ganz besonder s mißtrauisch war Richard Müller. Als er wegen der Niederbarnimer Reichstagswahl beurlaubt worden war, erklärte er mir an einem der ersten Abende: „Ich bin ja eigentlich ganz gegen meinen Willen in die ganze Bewegung hineingekommen. Ich wollte nur die gewerkschaftliche Opposition, und den Burgfrieden zu beseitigen. Es zog immer weitere und tiefere Kreise, bis ich eben, da das Wirtschaftliche ja eng mit der Politik zusammenhängt, völlig in der Politik drin stand. Aber — Deine ganze waghalsige Art, ich weiß nicht, mir grauts davor. Ich weiß nicht, wo ein Mensch den Mut hernimmt zu alledem, was Du machst. Ein einziger Vlaupfeifer, und wir alle, die Revolution, die U. S. P., kurz, alles ist erledigt."
„Na," sagte ich, „wenn du der Auffassung bist, warum trittst du nicht dagegen auf?"
„Nein," erwiderte er, „wenn die Sache dann schief ginge, weil eine derartige Organisation fehlte, dann hätte ich die Verantwortung. Außerdem ist ja alles viel zu weit fortgeschritten, und auch Deiner ganzen Argumentation kann ich mich nicht verschließen."
Aber dann tauchte bei ihm wieder starker Pessimismus auf. Rich. Müller mußte nämlich ein Hauptquartier suchen, von dem aus es möglich war, die Revolutionsschlacht acht Tage zu leiten. Für acht Tage Proviant für etwa acht Mann und einigermaßen Liegegelegenheit sollte vorhanden sein. Er fand es und bestand mir gegenüber darauf, daß Walz dies nicht erfahre. Damit war ich einverstanden und walz erfuhr nichts.
Wir hatten am 1. November dort unsere erste Sitzung, wozu vom Parteivorstand Haase und Ledebour, vom Spartakusbund Liebknecht und Piek zugezogen waren, yaase war jedoch nicht erschienen. An diesem Abend schlug ich vor, wir sollten Sonnabend den Obleuten empfehlen, am Montag, den 4. November loszuschlagen. Nachdem ich diesen Vorschlag begründet hatte, wurde er ohne Diskussion angenommen. Wir besichtigten dann eingehend die Räume, prüften die Verteidigungsund Fluchtmöglichkeiten, besprachen die Vestimmung der einzelnen Zimmer, die Verproviantierung und die Munitionsfrage. Es war an diesem Abend wirklich eine Stimmung, wie sie bei solch ernsten Angelegenheiten immer sein müßte: es wurde wenig, aber um so vernünftiger geredet.
Die Kuriere, die im Laufe der Woche von allen Provinzzentralen zurückgekommen waren, berichteten übereinstimmend guten Geist und Tatentschlossenheit, und ferner brachten alle die Zusicherung, daß nicht ohne unsere Anweisung, dann aber auch sofort, gehandelt würde. Die Berichte von der Front, wie auch die der Obleute der berliner Regimenter, ganz besonders aber von der weiteren Umgebung Berlins waren sehr gut.
Ich erledigte nun alle Angelegenheiten der Unterstützungskommission. Dies war nicht so ganz einfach, denn das Geld war von der Dank abgehoben und an sicherer stelle untergebracht, damit es der Staatsanwaltschaft bei einem etwaigen Zufassen nicht in die ljände fallen sollte. Das hatte ich gemacht, ohne jemand zu fragen, und erst bei der Revision hatte ich es erklärt. Die Revisoren weigerten sich, zu entlasten, und so mußte ich einem von ihnen sagen, wo es liegt.
Es war nun schwer, jemanden zu finden, dem man indirekt etwas sagen konnte, der nicht bei einem Mißlingen über die Klinge springen oder flüchten müßte und trotzdem verschwiegen war. Auch das wurde erledigt.
Am Sonnabend, den 2. November, kamen wir vormittags in Neukölln zusammen: Barth, Brühl, Däumig, Eckert, Franke, Haase, Ledebour, Liebknecht, Neuendorf, Piek und Walz. Wir besprachen eingehend unsern strategischen Aufmarschplan, an Hand der in die Karten eingezeichneten Lage der Großbetriebe, der Kasernen, der Kommandanturen, der Polizeireviere und der öffentlichen Gebäude. Ich hatte bereits die Kuriere für die einzelnen Züge — insgesamt 11 — bestimmt, und wir konnten mit gutem Gewissen feststellen, daß alles, was nach menschlicher Voraussicht getan werden konnte, getan war und daß wir, wenn überhaupt, sehr wohl die Verantwortung für die Empfehlung des Losschlagens mit allen seinen Solgen übernehmen konnten.
Walz erklärte am Abend, dienstlich verhindert zu sein, und ich verabredete mit ihm eine Zusammenkunft am andern Morgen um 8 Uhr. Am Abend fand nun die Sitzung der Obleute statt, zu der das erste Mal der Parteivorstand und einige Genossen der Spartakusleitung hinzugezogen waren. Ich eröffnete die Sitzung und führte folgendes aus:
Werte Genossen!
Zu folgenschwerer, weltgeschichtlich bedeutungsvoller Entscheidung sind wir heute zusammengekommen. Um es vorweg zu nehmen: Wir vom Kopfe empfehlen Ihnen zu beschließen, am Montag loszuschlagen. Das Vertrauen müßte ja nun eigentlich so weit gehen, oajj, wenn wir Ihnen einen derartigen, weitgehenden und verantwortungsvollen Vorschlag unterbreiten, Sie ihn ohne Begründung annehmen müßten. Wir sind jedoch einmütig der Auffassung, daß von Ihrer Willensstärke und Ihrer Tatkraft ein wesentlicher Teil des Erfolges abhängt und daß bei einem Mißlingen auch auf Sie — nicht etwa die Strafe, denn darauf pfeifen wir — aber ein Teil der Verfluchungen der Masse entfällt. Darum, sage ich, sind wir einmütig der Auffassung, daß Sie so weit wie möglich über alles unterrichtet werden müssen, um Ihre Entscheidung treffen zu können.
Die Stunde ist da, in der wir eine geschichtliche Aufgabe zu erfüllen haben, im Interesse des Sozialismus, der Menschheit und des gesamten deutschen Volkes. Und es. wäre mehr als verbrecherisch gehandelt, wenn wir zu kurzsichtig, zu schwachmütig, oder gar zu feige wären, wenn wir diesen Schritt, der allen, ohne Ausnahme, nützen soll, nicht unternehmen würden.
Warum ist nun diese Stunde die allein richtige? Warum ist das Handeln zwingendes Gebot selbst auf die Gefahr einer Niederlage hin? Warum bietet diese Stunde die höchste Wahrscheinlichkeit des Gelingens? Und warum dient es gerade jetzt dem ganzen Volke, der Menschheit und dem Sozialismus?
Massenbewegungen beruhen auf Massensuggestion, und von tausend solcher Massensuggestionen sind 999 erzeugt durch die Lüge, Demagogie und Niedertracht, und nur eine durch Wahrheit! Diese durch Wahrheit erzeugte kann nur in einem bestimmten Augenblick erzeugt werden, weil sie im nächsten Augenblicke schon wieder durch die Lüge erdrückt ist. Die Wahrheit zeigt sich elementar, bitter, schreckenerregend, und weil sie jedem Schausvieler — das sind 999 von 1000 Menschen — die Maske herunterzureißen droht, darum wird die Wahrheit verabscheut, verfolgt, gehaßt, und willig folgt man der alles verschönernden, in Glorienschein gehüllten Lüge.
Doch jetzt, gerade jetzt suggeriert die Wahrheit gewaltig, elementar. Die Kriegs- und Siegestrunkenheit ist augenblicklich einem ernüchternden Katzenjammer gewichen. Die Hoffnung auf den Milliardensegen ist auch bei dem Dümmsten begraben, die Gottähnlichkeit der Hohenzollern und Ludendorffs ist in die Vrüche gegangen. Der Hunger, der Kummer, das Elend, die Sorge haben den Schrei nach Friede und mehr, den Schrei nach Rache gegen die Schuldigen in jedem herzen entfacht.
Darum ist diese Stunde die richtige, weil die Stimmung der Massen uns günstig ist.
Zwingendes Gebot ist es, jetzt zu handeln, weil wir allein und nur wir, eineil Waffenstillstand von der Entente erhalten können, und weil, wenn dieser Waffenstillstand nicht schnell erfolgt, Hunderttausende unserer besten und kräftigsten Brüder und Genossen, die bei dem Kampfe und noch viel mehr nachher bei dem ungeheuer schwierigen wirtschaftlichen Aufbau so notwendig gebraucht werden, auf dem an Schrecken und Verwüstung alles bisherige weit übertreffenden Rückzuge rettungslos verloren sind. Unsere Feigheit wäre ihr Morder, unsere Erbärmlichkeit wäre schuld an der Verwüstung fast aller deutschen Gaue.
Sie ist auch zwingend wegen des sicheren Erfolges! Der Erfolg ist verbürgt durch die Massenstimmung nicht nur des Proletariats, fondern all derer, die an Kriegsprofiten nicht interessiert sind, vor allem auch durch die infolge der Niederlage erzeugte Depression der militärischen Kamarilla. Und deren Sturz allein Kann das gesamte Volk vor dem nrausigsten Elend und dem völligen Untergang erretten.
Wir dienen aber mit unserm Handeln auch der gesamten Menschheit, weil es den Krieg beendigt, und alle Mütter, deren Sölme noch nicht gemordet sind, erleichtert aufatmen läßt.
Wir sind die Friedensbringer! Und Friedensbringer zu sein, das ist unsere erste und heiligste Pflicht, weil wir durch nichts eine gleich gewaltige moralische Eroberung für den Sozialismus zu machen vermögen, weil wir hierdurch die Sympathie der Entente-Völker im Sturme erobern, und weil die Ententeregierungen keine Repressalien gegen die Sriedensbringer verhängen können aus Furcht vor innerpolitischen Widerständen.
Seien Sie sich klar, daß beides für uns Notwendigkeiten sind: Die Sympathie der Ententevölker ist für uns Brot, aber die freundichaftliche Haltung der Ententeregierungen ist uns Licht und Luft.
Wollen wir den Sozialismus, die Expropriation der Expropriateure, dann müssen wir handeln, handeln am Montag. Mit unsern Stoßtrupps holen wir alle Vetriebe bis auf den letzten Mann heraus, mit ihnen werden wir der Polizei Herr. Mit dieser Masse und diesem Siege, fo wird mir von unsern Vertrauensleuten bei den hiesigen Regimentern versichert, holen wir ohne schwere Kämpfe die Soldaten zu uns herüber. Aber auch bei hartem und schwerem Kampfe stehen einige Regimenter hier und in der weiteren Umgebung Berlins mit Kavallerie und Artillerie auf unserer Seite.
Sie wissen, ich habe immer und immer mich dagegen verwahrt, um des Scheins willen etwas zu unternehmen. Heute aber sage iches geht um das Sein! Nicht eine Demonstration, fondern die Revolution, die sozialistische Revolution foll am Montag marschieren, jeden erfüllend mit dem Geiste des Worts:
Lieber im Sturme stehn, als bitten und betteln müssen,
Lieber zugrunde gehn, als andern die Füße küssen!
Ich bitte nun, da wir noch ungemein viel organisatorische und technifche Arbeiten zu erledigen haben, daß nur solche Genossen ums Wort bitten, die anderer Auffassung sind, und nur die Obleute.
Wünscht nun jemand das Wort?"
Es meldete sich erst der Genosse Richter von der Firma C. P. Görz. Er sprach dagegen, da in seinem Verriebe die Kollegen noch nicht so weit wären. Nach ihm sprachen noch drei mit derselben Argumentation. (Sie sind heute alle stramme Kommunisten!)
Nun wurde allgemeine Diskussion beschlossen.
'Als erster sprach Däumig, ganz in meinem Sinne und mit seiner ganzen Wärme und Leidenschaft.
Dann sprach Dittmann:
„Nutzloses Beginnen, sträflicher Leichtsinn, Revolutionspielerei, ein Verbrechen, jetzt von Revolution zu reden, da deren blutige Niederschlagung sicher. Ueberhaupt, erst muß der Friede geschlossen sein, ehe von Revolution die Rede sein Kann, ich warne und lehne jede Verantwortung ab."
Dann sprach Liebknecht, trotzdem er am Tage mit dabei gewesen war, scharf dagegen, daß man hier von dem Kampfe rede, es sei ein Kampf, kurz, warf in dieser Stunde Theorien auf, Haarspaltereien. Er schlug tägliche Demonstrationen vor und andere Lächerlichkeiten.
Piek plätcherte in demselben Wasser.
Haase, der ebenfalls am Tage mit dabei gewesen war, ohne ein Wort gesagt zu haben, trat nun ganz auf den Standpunkt des von ihm instruierten Dittmann, warnte, malte schwarz in schwarz und warnte, nicht nur für heute, sondern überhaupt bis für die Zeit nach dem Frieden.
Ledebour mit seinem grauen Haar und seinem jugendlich feurigen Herzen ging darauf, sich völlig auf meinen Standpunkt stellend, mit Liebknecht, Dittmann und Haase scharf ins Gericht.
Rich. Müller sprach ebenfalls mit wenn und aber, mit einerseits anderseits, zwar nicht für völlige Vertagung, aber für eine Vertagung auf acht Tage.
Däumig, der innerlich kochte, ging gegen Müller, Haase, Dittmann und Liebknecht los.
Es sprachen noch einige Genossen.
In meinem Schlußwort bedauerte ich nur, daß wir überhaupt die nichts wollenden, nichts wissenden, nichts könnenden und darum immer verwirrten und andere verwirrenden Generale in unseren Kreis zugezogen hätten. Ich erklärte: Wenn ich auch Liebknechts verkehrte Methode bekämpfe, die Folge seiner Weltfremdheit ist, w könnte ich sie doch verstehen. Aber Dittmann, der ebenfalls hinter Gefängnismauern saß, empfehle ich, sich eine Zipfelmütze zu kaufen, sich hinter den Ofen zu setzen und Politik Politik sein zu lassen, sonst muß ich annehmen, daß er zu den von Däumig gekennzeichneten Parasiten gehört, die zitternd und bebend auf dem Sprunge stehen, um nicht mitzutaten, die aber beim Gelingen die Ersten sind, wenn es gilt, sich im Glorienschein zu zeigen. Eine Abstimmung habe nun nur noch informatorischen oder auch vielleicht historischen Wert: denn eine solche Aktion, ohne einheitlichen Willen unternommen, ist verdammt zur Niederlage.
Es stimmten 19 Obleute — nur diese hatten Stimmrecht — für, 21 gegen eine Aktion am Montag, den 4. November. Dann wurde einstimmig beschlossen, die Vorbereitungen weiter zu treiben, um möglichst am 11. loszuschlagen.
Der erste Leichenzug der deutschen Revolution, mit dem revolutionär-sozialistischen Geiste im Sarge, pilgerte an diesem Abend durch Berlin. Die Haase, Liebknecht, Müller, Piek und Dittmann triumphierten, die Pfiffigkeit und Aengstlichkeit hatte dem Weitblick und der revolutionären Entschlossenheit ein Vein gestellt. Die Evolution. erdrosselte die Revolution.
Am Sonntag früh traf ich mich mit Walz. Er war bei meinem Vericht ganz niedergeschlagen. Wir besprachen das nächste und verabredeten eine Zusammenkunft für Montag nachmittags. Ich sah dann einige militärische Obleute, die ganz verzweifelt waren, da sie nicht wußten, ob sie die bereits getroffenen Maßnahmen wieder rückgängig machen könnten. Es war Sonntag und Montag eine Hetzjagd. Hinzu kam, daß meine beiden Söhne von 17 und 16 Iahren schwer krank an der Grippe lagen. Doch ich selbst hatte ja die Parole gegeben: Und wenn Vater und Mutter, Bruder und Schwester, ja selbst Frau und Kinder auf dem Totenbette liegen, jeder hat beim Nufe zu erscheinen Vitter sollte sich das an mir erfüllen. Am Montag, mittags zur verabredeten Zeit, kam Walz nicht. Ich hatte eine Vorahnung. Ich ging nach seiner Wohnung und hörte von seiner Wirtin, daß er verhaftet und bei ihm HausBuchung nach politischen Schriften gewesen sei. Sofort wurden alle ihm bekannten Genossen gewarnt. Meine Frau wurde benachrichtigt, daß ich nicht nach Hause kommen könne. Armes, liebes Weib! Am Aliend starb mein sechzehnjähriger Sohn.
Mittwoch Vormittag hatten wir eine Sitzung in Reinickendorf, wo wir mit den Obleuten und Stoßtruppführern den Aufmarsch der einzelnen Betriebe mit all ihren Aufgaben und ihren Zielen festlegten. Plötzlich Kam die Nachricht, draußen sind Spitzel. Ich hob sofort die Sitzung auf und drängte auf schnelles Verlassen, erneut einschärfend, bei Verhaftungen jede Aussage zu verweigern. Plötzlich fuhr ein Auto mit Polizeioffizieren und auf drei Lastautos etwa 200 Schutzleuten mit Karabinern vor. Ich ging die Treppe hinauf, und als die Schutzleute ins Haus stürzten, ging ich pfeifend runter und auf meine Frage, was da los sei, brüllte mich ein. Leutnant an: Scheren Sie sich weg oder ich lasse Sie arretieren. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und verschwand.
Ich fuhr nun nach Hause, um meine Frau von dritter Person holen zu lassen. Ich wollte andere Kleidung anziehen. Als ich an der Haltestelle ausstieg, rief mein 3 jähriger Junge: Papa! Papa! Meine Frau kam aus einem Sarggeschäft heraus, wir traten in die Haustüre und ich erriet sofort' der Ih jährige Sohn war Montag nacht5 gestorben. „Um 6 Uhr jetzt wird er eingesargt, du kommst gerade recht. Am Freitag ist die Veerdigung."
„Liebe Frau! Ich kann nicht nach Hause! Hole mir die und die Kleidungsstücke, so und so!" Eine gallenbittere, schwere Stunde, ganz besonders für meine treue Frau.
Sie holte mir das Gewünschte, sie schied von mir unter Crimen, nachdem ich ihr gesagt: Kopf hoch, wie es auch kommen mag! In den nächsten Tagen fällt die Entscheidung. Fällt sie wider uns, wider mich und. sie hängen mich, so Komme im weißen Kleide, lache, spotte ihrer und impfe dem Hellmut deinen und meinen Haß ein, erziehe ihn zu meinem Rächer!"
Fieberhafte Tätigkeit allerorts war notwendig.
Paul Eckert, der treue Eckehard, half hinten und vorn und überall, wie vom ersten Tage ab, bis zur letzten Stunde. Km Freitag früh sollte eine Sitzung stattfinden.
Haase war glücklicherweise weggefahren nach Kiel. Dort war zum großen Schaden der Revolution, zum Teil durch meine Venachrichtigung, zum Teil durch die in der Oeffentlichkeit bekannten Voraünge, nicht die Revolution, aber eine Revolte ausgebrochen.
Durch die tölpelhafte Vespitzelung des Schiffbauerdammes, des Parteibüros, wußten alle, daß Dir bespitzelt wurden. Daher wurde die Sitzung, die in der Nähe stattfinden sollte, sofort unterlassen.
Müller und Liebknecht hatte ich nach einem andern Lokal bestellt. Ich wartete dort und wartete bis 1/2 1 Uhr, dann rief ich im Parteibüro an und frug nach Däumig, wo mir die Antwort wurde, Däumig sei vor dem Hause verhaftet worden und wahrscheinlich auch Müller und Liebknecht.
Hallo! Die Würfel waren gefallen! Schnelles Handeln ist doppeltes Handeln. Ich machte mich sofort auf die Veine, um zum Abend die Obleute, Stoßtruppführer und Kuriere zusammenzurufen. Es gelang! Hab Dank, hab tausend Dank, die du mir Herbei so große Hilfe geleistet!
Abends um 8 Uhr betrat ich, nachdem ich die ganze Umgebung genau kontrolliert hatte, das Lokal und eröffnete sofort die Sitzung wie folgt!
„Genossen! Unsere Sitzung ist eröffnet!
Däumig, Müller und Liebknecht sind verhaftet!
Ich beantrage nunmehr, daß mir diktatorische Vollmacht gegeben wird!
Wünscht hierzu jemand das Wort? Das geschieht nicht, dann kommen wir zur Abstimmung. Wer dafür ist, ersuche ich, die Hand zu erheben! Danke! Gegenprobe! ich konstatiere einstimmige Annahme.
Ich diktiere nun: Morgen früh geht es los!
Ich diktiere weiter: Heute geht von euch keiner nach Hau je!
Ich diktiere ferner: Es darf keiner vor morgen früh um 6 Uhr allein gehen, sondern immer nur zu zweien, damit dauernd jeder überwacht ist. Das ist kein Mißtrauen, das ist Vorsicht.
Nun ist die Sitzung solange vertagt, bis Ich den morgen zu verteilenden Aufruf, geschrieben habe
Ich schrieb nun folgende Zeilen, unter lautloser Stille der Versammelten:
Arbeiter, Soldaten, Genossen!
Die Entscheidungsstuncle ist da! Es gilt der historischenen Aufgabe gerecht zu werden.
Wärend an der Wasserkante die Arbeiter- und Soldatenräte die Gewallt in Händen haben, werden hier rücksichtslos Verhaftungen vorgenommen. Däumig uncl Liebknecht sind verhaftet.
Das ist der Anfang der Militärdiktatur, das ist der Auftakt zu nutzlosem Gemetzel.
Wir fordern nicht Abdankung einer Person, sondern Republik!
Die sozialitische Republik
mit Allen ihren Konsequenzen.
Auf zum Kampf für Friede, Freiheit und Brot.
Heraus aus den Betrieben,
Heraus aus den Kasernen!
Reicht Euch die Hände,
Es lebe die sozialistische Republik.
Der Vollzugsausschuss des Arbeiter- und Soldatenrates.
Barth, Brühl, Eckert, Franke, Haase, Ledebour, Liebknecht, Neuendorf, Piek, Wegmann.
-
Anwesend von den Unterzeichneten waren nur Eckert und ich — — da es gut ging, hat nicht einer auch nicht einmal ein Wort darüber verloren. wenn es aber schief gegangen wäre, wie wäre ich abgeschüttelt und gesteinigt worden. Erfolgsanbeter oder Nutznießer des Erfolgs!
Ich gab nun einem Genossen den Auftrag, hiervon soviel drucken zu lassen, wie es geht, mindestens aber 20 000, so daß in jeder Fabrik mindestens doch 100 Zettel herumgehen könnten.
Er erklärte, das ginge jetzt nicht mehr.
Ich erwiderte ihm, du mußt! Und morgen früh um 1/2 5 Uhr bist du mit den Aufrufen da und da, im Auto. Er ging und erledigte prompt seine Aufgabe.
„Nun, Genossen, kommen wir zu einer außerordentlich wichtigen Frage. Erschrecken Sie nicht! Seit Sonntag ist der Oberleutnant, von dem ich andeutungsweise sprach, verhaftet, und er scheint den mit ihm zusammen ausgearbeiteten Plan verraten zu habendenn gestern bekamen wir den nagelneuen Aufmarschplan des Oberkommandos. wir müssen nun ebenfalls unseren ganzen Plan ändern. Aber das eine sei vorausgesagt keine Notizen! Jeder hat das ihn angehende sich genau zu merken."
Wir stellten nun den am andern Tage dann auch eingehaltelien Marschplan der 11 Züge auf. In drei Stunden war diese Arbeit erIedigt.
Ich gab sodann folgende Anweisung zur allgemeinen Befolgung: „Unser Streben und Ziel ist. Sturz der Machthaber und Ergreisung der Macht. Kostet dieser Kampf Opfer, so ist dies ein bedauerlicher Begleitumstand, bei dem jede Sentimentalität auszuscheiden hat. Aber ebensowenig, wie Sentimentalität, darf Brutalität irgendwo treibender Faktor werden. Sie müssen bestrebt sein, darauf hinzuwirken, daß möglichst wenig Blut fließt, ganz besonders darf nicht ein Tropfen nach der Kampfhandlung vergossen werden. Dies ist das Prinzipielle für den morgigen Tag.
Taktisch wird allgemein folgendermaßen verfahren: Wer in Ihren eigenen Vetrieben, sich weigern sollte, herauszugehen, dem halten Sie einen Vrowning unter die Nase, dann wird schon alles laufen. Tritt einer provokatorisch, aktiv gegenwirkend auf, dann heißt es handeln, ein Exempel statuieren; denn seien Sie sich immer Klar: die Masse muß es sein. Dann haben Sie den Zug so an. zuordnen, daß ein Drittel Ihres Trupps, verstärkt durch die Handgranatenkolonne, an der Spitze, ein Drittel am Ende und ein Drittel als Begleitung des Zuges links und rechts marschiert, die auch das Abbröckeln zu verhüten haben.
In den Betrieben, die Sie herauszuholen haben, verfahren Sie ebenso. Fabriktore nehmen Sie, falls sie verschlossen sind, mit Gewalt! Soldaten, die Sie treffen, reihen Sie, falls sie bewaffnet sind, an der Spitze des Zuges, wenn unbewaffnet, hinter den Stosstrupps ein. Kommt der Zug an eine Schutzmannskette, dann muh schnell gehandelt werden. Es heißt da! entweder — oder! Eniweder sind sie gegen Euch, dann müssen sie für die Sache der Menschlichkeit fallen oder sie müssen den Kampfplatz räumen. Kommt Ihr an eine Kaserne, dann beginnt das Fraternisieren. Eine Deputation geht in die Kaserne, um zu verhandeln. Aber energisch oder gar nicht und auf Keinen Sall provozierend! Sind die Soldaten zu gewinnen, so werden die Offiziere abgesetzt und erhalten zu ihrem eigenen Schutz Kasernenarrest.
Das weitere, ob der Kampf schnell oder langsam geht, das ist heute nicht zu sagen. Doch wie es auch Kommt, strenge revolutionäre Disziplin verlange und erwarte ich von Euch! Der Einzelne von Euch kann und muß seine Lage, seine Sellung, seine Situation überschauen, aber er kann nicht das ganze Schlachtfeld übersehen. Darum strikte Vefolgung der vor mir kommenden Anweisungen.
Folgende Möglichkeiten gibt es:
1. Schlagartiger Erfolg und Sieg auf der ganzen Linie.
2. Schlagartige Niederlage.
3. Mehrtägiger Kampf mit Erfolg.
4. Mehrtägiger Kampf mit Niederlage.
5. Wechselvoller, zäher, lange Zeit dauernder, blutiger Kampf.
Prophezeihen wie es kommt, wäre müßig, wir sagen: Sieg auf alle Fätle, Sieg oder Tod!
Um dies zu ermöglichen, ist ein guter Kurierdienst die Hauptsache. Ieder Kurier des Zuges hat für einen Ersatzmann zu sorgen und der hat wieder einen für sich zu beschaffen, so daß die Meldungen stündlich einlaufen.
In diesen Meldungen ist anzugeben:
1. In den Vetrieben Veschäftigte, 2. Herausgegangene, 3. am Zuge Teilnehmende, 4. Zusammenstöße mit der Polizei, hierbei Tote, Verletzte, 5. Zusammenstöße mit Militär, wieviel zu uns übergegangen, 6. gegenwärtiger Aufenthalt, 7. wo in einer Stunde. Die letzten beiden Fragen sind sehr wichtig, da hiervon die ganze DisPositionsmöglichkeit abhängt. Der erste Kurier geht von allen Zügen um 9 Uhr ab, sodann stündlich. Der zweite Kurier wartet schon auf Befehle, so daß von ungefähr 12 Uhr ab alle Fäden in meiner Hand zusammenlaufen, der Angriff planmäßig erfolgt. Was genommen wird, hängt dann von unserer Stärke ab: OberKommando, Präsidium, Wilhelmstraße, Reichstag usw."
„Wohin bringen wir nun die Nachrichten?"
Ich schlug — Patrioten, erschreckt nicht! — den Alten Fritzen im Friedrichshain vor. »Der, der dort stehen wird, hat einen weißen Taschentuchzipfel aus der linken Paletottasche hängen, und die, die Kommen, aus der rechten. Keine langen Erzählungen, sondern alles Kurz auf ein Stück Papier.
Hiermit wären wir so ziemlich am Ende. Doch eins, was mich bedrückt, möchte ich noch sagen:
Es ist bitter, aber wahr! Seit Monaten drängte ich darauf, planvoll alles vorzubereiten, für den Taa nach dem Kampfe, einen Plan und die dazu notwendige Organisation. Es rächt sich vielleicht bitter, daß wir in der Stunde der Handelsnotwendigkeit die Zeit vertrödeln müssen mit Diskussionen. In den ersten Tagen muß sich entscheiden, ob die an die Spitze zu stellenden Männer die Größe ihrer Stunde erreichen. Ob sie im In- und Ausland einen Jubelruf auszulösen vermögen, oder ob sie um des i-Punktes willen tausend Möglichkeiten zertrümmern. Ob sie die Ernährungs-, Arbeitsbeschaffungs-, Waffenstillstands-, Friedens und Demobilisations und Mobilisationsfragen zu lösen verstehen. Wer und was die Männer sind. Nichts, absolut nichts ist geprüft, organisiert. Doch lassen wir die Sorgen des Morgen, heute haben wir genug mit dein Heutigen, mit dem Kampfe.
Sie alle treffen sich um 2 Uhr am .... platz, aber nicht auf einem Haufen, von da werden Sie dahingeholt, wo Sie die Handgranaten mitnehmen. Ieder besorgt sich einen Sack, Korb oder Kiste, von wo ist gleichgültig. Ich werde nun noch jedem 50 MK geben, damit Ihr essen könnt und fahren."
Der Genosse, bei dem die Eier lagen, suchte sich einige Genossen aus, die er gleich mitnahm, um die Vorarbeiten zu erledigen. Auch. ihm sei hier als einem der Allerbesten gedankt.
Um 1/2 1 Uhr wurde die Sitzung geschlossen.
Am Alexanderplatz wurde ich dann beinahe noch verhaftet. Iedoch in die dunkle Seitengasse wagten sich die Greifer nicht nach Dank euch Freunde, die ihr mich gerettet.
Wir gingen noch 1 1/2 Stunden, dann legte ich mich todmüde bis 6 Uhr ins Vett. Auch dir, treue Seele, die heute der Rasen deckt, die du monatelang alles gewagt und den Abend mich gesättigt hast, auch dir sei Dank.
Um 6 Uhr standen Paul Eckert, der bei mir war, und ich auf und fuhren nach Schöneberg, wo einige Genossen sein sollten, die am Abend zuvor, wie ich später hörte, im Reichstag zusammen gewesen waren, um zu – – – diskutieren.
Wir fanden Keinen Menschen und fuhren nach Berlin zurück Ich ging nach einem Lokal, wo ich das Hauptquartier, dargestellt durch einen Stadtplan, den ich auf dem Tisch auslegte, aufschlug. Das Revolutionskomitee bildete ich mutterseelenallein, Eckert stand am Alten Fritzen.
Um 10 Uhr kamen die ersten Berichte: Schwartzkopf-Scheringstrake, Konsum-Lichtenberg, Riebe-Weissensee. Alle Berichte über Erwarten gut. In eigenen sowohl wie in den herauszuholenden Betrieben alles heraus und alle im Zuge und an jeden Zug schon einige tausend Soldaten angeschlossen. Ich jubelte.
Die weiteren Meldungen entsprachen völlig den ersten.
Den zweiten Kurieren wurde die allgemeine Parole nach dein Stadtinnern gegeben, mit der Maßgabe, die öffentlichen Gebäude zu nehmen, jedem Zuge ein bestimmter Aüftrag.
Um 3/1 12 Uhr kam Rich. Müller zu mir. Ich begrüßte ihnn „Gott seis getrommelt und gepfiffen, daß endlich einer kommt, damit wir uns über die nächsten Maßnahmen besprechen Wo kommst du denn jetzt her?" „Ich komme jetzt von Zuhause! Jetzt gehe ich erst etwas essen, und dann will ich mal ein bißchen Revolution ansehen," erwiderte er mir und verschwand. Das war für mich ein Dämpfer!
Um 1/2 12 Uhr kamen Jäckel und Dittmann-Hamburg, und erklärten mir, es seien schon Verhandlungen mit Scheidemann und Ebert gewesen, wegen gemeinsamer Uebernahme der Regierung „Was?" sagte ich, „gemeinsame Regierung mit den Verrätern? Ausgeschlossen!" Da erklärte mir Dittmann, daß sie in Hamburg von der Masse zur Einigkeit gezwungen worden seien, und daß es uns hier ebenso gehen würde. Darum sollten wir nur gleich darauf eingehen.
Ich fuhr nun mit nach dem Reichstag. Da saßen nun im Zimmer 18 die Leuchten und Größen der U. S. P., so unbeholfen und zerfahren, wie eine vom Marder umkreiste Hühnerschar. Alles schrie Haase, wenn nur Haase da wäre, als ob von ihm das Heil der Welt abhinge. Der eine schrie hü der andere hott. Die Kretinierung des Parlamentarismus zeugte potenzierte Hilflosigkeit.
Während die Demagogen der S. P. in jedem Zimmer des Hauses eine andere Soldatenversammlung abhielten, gegen die U. S. P hetzend, ebenso in allen Kasernen. saß ein Teil der U. S. P.-Führer zusammen, um sich gegenseitig die Lösung des Welträtsels vorzudeklamieren, während die andere ßälfte auf den Straßen Reden schwang, auf der Straße, statt in den Kasernen, bei den uns sichern Arbeitern, statt bei den Soldaten.
Ich selbst sorgte nun dafür, daß unsere Genossen, so gut und so schlecht es eben ging, ebenfalls in die Sitzungen und in die Kasernen gingen. Leider ging es schlecht. Die Programmlosigkeit und die Organisationslosigkeit rächten sich jetzt bitter. Die Debatte — die, wenn wir ein vorher festgelegtes klares Programm gehabt hätten, unmöglich gewesen wäre – zog sich stundenlang hin. Während dieser Zeit kam zweimal Scheidemann, um zu fragen, ob wir uns entschieden hätten. Doch immer tauchten neue Meinungen auf, und immer gab es neue Störungen, Deputationen der verschiedenen Regimenter erfolgten, die immer dringlicher die Einigkeit forderten.
Gegen Abend kamen Scheidemann, Ebert und David und stellten uns folgende Alternativen Entweder sollten wir die Regierung allein übernehmen, und sie verpflichteten sich zur wohlwollenden Neutralität, oder umgekehrt, oder aber gemeinsam eine rein sozialiftische Regierung mit 6 Volksbeauftragteu an der Spitze und bürgerlichen Fachleuten als Ressortministern, in welchem Falle dann von jeder Seite ein Unterstaatssekretär zu stellen sei. Wenn von einer Seite ein Staatssekretär gestellt würde, dann solle die andere Seite den Unterstaatssekretär stellen. Haase, der nun endlich zurück war, sawie die Abgeordneten erklärten alle, daß wir allein die Regierung nicht übernehmen könnten, da es uns an Leuten fehledoch zur Besetzung der Staatsund Unterstaatssekretäre waren sie dann da.
Eins wurde mir an diesem Abend klar: den Leuten fehlte sedweder Rebellentrotz, es fehlte der von Liebe und Haß gepeitschte Wille. Weder um der Liebe zur Masse, zum hungernden, stöhnenden, den ewigen Golgathaweg keuchenden Proletariat, noch um des Hasses gegen deren Peiniger, Schächer und Schlächter willen, taten sie etwas, was dem eigenen Ich gefährlich werden konnte. Es waren Männer der Theorie, die die Interessen einer der Masse dienenden Idee mit ihren eigenen Interessen identifizierten. Es waren Männer, denen das urwüchsige und elementare proletarische Empfinden fehlte, da sie selbst wenig materielle Not je empfunden und, wenn dies einmal der Sall gewesen, es längst vergessen hatten.
Wer eben nicht diesen Trotz, aus Liebe und Haß geschmiedet, besitzt, der wird in revolutionären Zeiten nie treibend, immer nur verwirrend, hemmend, auflösend und zerstörend wirken, weil ihm dauernd der Wille zur Macht und somit zur Tat fehlt. Das geht nicht!, ist ihre dauernde Redensart, die Angst vor der eigenen Courage ihre größte Stärke. In solchen Zeiten, wo Sekunden die Bedeutung von Jahrhunderten haben, da reden sie, statt zu handeln. do wagen sie, statt zu wagen, da haben sie immer die schon vorgestern notwendige Auffassung über die Dinge und die Menschen, d. h. sie humpeln dauernd den Ereignissen nach, markieren den Führer, wo sie dauernd Nachläufer der Masse sind, über die sie toben und schimpfen, weil sie wagt, anders, besser und schneller zu handeln, als sie, die vom Glorienschein umstrahlten Führer.
Haase, Ledebour und Liebknecht waren gegen die Veteiligung an der Regierung. Cohn, Dittmann, Wurm u. a. traten für die Leteiligung ein. Haase war gegen die Veteiligung und gegen die alleinige Uebernahme, weil die schwache Organisation, uns von vornherein ins Hintertreffen bringe. Also keine prinzipielle, sondern eine taktische Verneinung und zwar nicht um der Revolution, sondern um der Partei willen. Ledebour war gegen eine Veteiligung, weil er sich mit den Leuten im allgemeinen und mit Ebert und Scheidemann im besonderen nicht an einen Tisch, viel weniger in eine Regierung setzen würde. Keine prinzipielle, sondern eine rein persönliche Gegnerschaft. Gegen die alleinige Uebernahme war er wegen desselben Bedenkens wie Haase. Liebknecht war dagegen, weil man die Revolution weiter treiben müsse. Das am Abend des 9. November, wo noch kein Mensch wissen konnte, wie weit die Nevolution sich überhaupt selbst treiben würde. Aber für drei Tage sei er bereit, um den Waffenstillstand abzuschließen. Gegen die alleinige Uebernahme war er auch.
So verschieden wie die Gründe für Ablehnung waren die für die Annahme. Ich trat entschieden für die alleinige Regierungsbildung ein, indem ich erklärte, daß die Versonenfrage für mich nicht so schwierig sei, da ich doch als selbstverständlich annehme, daß wir für Preußen keine Ministerien mehr brauchten, sondern hier mit dem unitaren Deutschland beginnen müßten. „Sollten Sie jedoch," sagte ich, „ der Auffassung sein, daß dies eine Unmöglichkeit sei, dann muß ich mich aber doch ganz entschieden auf den Ztandvunkt stellen, daß wir auf keinen Fall AbstinenzpolitiK treiben dürfen. Seit bald einem Ila.hr arbeiten wir bewußt auf den Sturz des Vestehenden hin, und jetzt, wo unsere gefährliche Arbeit Erfolg zeitigte, zu erklären: Bitte schön, machen Sie es, wir sind zu dumm, so kann und so darf es nicht gehen. Heute früh schrieb der „Vorwärts" im Auftrage des Parteivorstandes der S. P., und in hünderttausenden von Flugblättern stand dasselbe: Arbeiter, laßt euch nicht provozieren! Hochverrat, Landesverrat, Mord an unsern Vrüdern draußen, unverantwortliche Hetzer usw. Als dann nicht nur das Berliner Proletariat marschierte, sondern auch die Garnison zu ihm überging, da kommt dieser Parteivorstand, d. h. der Reichskanzler Ebert und Staatssekretär Scheidemann, und mimen die Revolutionäre, bieten uns Verhandlungen an zur Bildung einer gemeinsamen Regierung, und nun wollen Sie sagen:. nein, macht ihr es allein!
Wen betrügen nun die Ebert-Scheidemänner? Vetrügen sie diejenigen, die ihnen bis heute vertrauten, oder betrügen sie uns? Eins von beiden gibt es doch nur: Entweder, sie haben bisher geheuchelt, um den jetzigen Zustand langsam, aber sicher herbeizuführen, oder sie heucheln jetzt, um die Revolution zusammen zu verraten, zu erschlagen. Aber ganz gleich, ob so oder so, gerade Wege gehen sie nicht, und darum müssen sie von uns, wenn nicht auf die Seite oder an die Wand gedrückt, zu mindest scharf beobachtet werden. Ich sage also, wir müssen die Macht allein in die Hand nehmen: fehlt Ihnen dazu der Mut, dann gemeinsam, aber auf keinen Fall dürfen wir Abstinenz üben, d. h. die Revolution ihren Feinden ausliefern."
Nach meinen Ausführungen wurde nur noch debattiert, ob allein oder zusammen, und mit Ausnahme von Ledebour — der allerdings an seinen Gründen nichts geändert hatte — waren alle für die Koalition. Liebknecht stellte aber folgende Forderungen: 1. die Aund S.-Räte haben die legislative und exekutive Macht: 2. die Koalition ist für drei Tage, bis zum Abschluß des Waffenstillstandes: 3. die Volksbeauftragten müfsen von der Vollversammlung der A. und S.-Räte Berlins bestätigt werden.
Vorgeschlagen wurden nun Haase, Liebknecht und Barth, die alle drei annahmen. Es wurden dann einige bestimmt, ich weiß nicht mehr wer, um mit der Gegenseite zu verhandeln. Ich selbst wurde nach den im Hause tagenden, in denkbar demagogischer Weise von den Vertretern der S. P. belogenen und gegen uns aufgehetzten Soldatenversammlungen geholt. Ganz besonders bunt ging es in der Versammlung her, in der Cohen sich in Uniform aufhielt.
Nachts um drei waren wir glücklich soweit, daß so ungefähr 5 oder 6 Vollzugsausschüsse der Soldatenräte vorhanden waren. In jedem war ein Neichstagsmitglied der S. P. — trotz der Revolution mimten sie immer noch die Abgeordneten.
Wir tagten und verhandelten nun die ganze Nacht, um am Sonntag vormittag auch so weit zu sein, einen Ausschuß der Soldatenräte zusammenzuhaben und ihn in einer Soldatenratsversammlung im Plenarsitzungssaal empfehlen und zur Annahme bringen zu können. Leider kümmerte sich von unserer Partei kein Mensch sonst um die Soldaten, wobei allerdings zu bemerken ist, daß am Sonntag vormittags in allen Verrieben. Versammlungen mit Arbeiterratswahlen stattfanden.
Um 10 Uhr waren wir wieder im Zimmer 18 zusammengetreten Liebknecht erklärte, daß er nach Rücksprache mit seinen Freunden ablehne, in die Regierung einzutreten. Ebert und David kamen mit dem Waffenstillstandsangebot und boten uns, von der Härte desselben völlig niedergeschlagen, erneut an, die Geschäfte allein zu übernehmen. . Nun war natürlich gar nicht mehr daran zu denken, daß der Mut zur alleinigen Regierungsübernahme aufgebracht würde. An Stelle Liebknechts wurde Dittmann vorgeschlagen und er nahm freudestrahlend an.
Es sei mir hier eine Einschaltung gestattet: Däumig war am Freitag verhaftet worden. Am Sonnabend, nachdem das Präsidium genommen war, frug ich, ob Däumig entlassen sei, was bejaht wurde. Es wurde spät abends. Ich frug erneut mehrmals nach ihm, und immer wurde mir erklärt, er sei gleich nach Hause gegangen. Ich wartete und wartete, denn et war doch der einzige Mensch, mit dem ich mich über alles hätte aussprechen können. Er kam so ziemlich am Schlusse unserer Sitzung ganz verbittert an Ich ging auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen, er wies sie ab. Gleich darauf wurde ich geholt nach den S.-R.-Sitzungen Am Sonntag kam er erst gegen Mittag. Ich hatte ihn an Dittmanns Stelle vorgeschlagen, aber er war nicht da.
Wir hatten dann eine kurze Besprechung mit Ebert, Scheidemann und Landsberg, in der wir kurz die Erledigung der Vollversammlung der A.- und S.-Räte Groß-Berlins besprachen.
Um 5 Uhr fand dann die erste Vollversammlung der Arbeiterund Soldatenräte Groß-Berlins statt. Eine derartige Versammlung hatte es noch nicht gegeben und gibt es vielleicht auch nie wieder. Es war natürlich unmöglich, gedruckte Legitimationen. regelrecht geprüft, für die Räte, die vorschriftsmäßig gewählten Räte, auszustellen. Jeder Betrieb und jede Formation sollte auf woo Arbeiter oder Soldaten einen Rät wählen. Schmählich wurde von der S. P. gegen Treu und Glauben verstoßen. Sie brachten Hunderte ohne Berechtigung in den Zirkus.
Ich eröffnete die Versammlung durch eine kurze, der historijchen Vedeutung der Stunde gerechtwerdende Ansprache.
Bei der Bürowahl wurde ich als erster, Walz als zweiter Vorsitzender gewählt, Müller und Molkenbuhr als Schriftführer.
Als Tagesordnung schlug ich vor:
1. Vestätigung der Volksbeauftragten.
2. Wahl des Vollzugsausschusses der Berliner A.- und S.-Räte und zugleich des provisorischen Zentralrats.
Die Tagesordnung wurde angenommen.
Nachdem Ebert und Haase ebenfalls ganz Kurze Ansprachen gehalten hatten, wurde folgende Resolution eingebracht und angenommen:
An das werktätige Volk!
Das alte Deutschland ist nicht mehr. Das deutsche Volk hat erkannt, daß es jahrelang in Lug und Trug gehüllt war. Her vielgerühmte, der ganzen Welt zur Nachahmung empfohlene Militarismus ist zusammengebrochen. Die Revolution hat von Kiel ihren Siegesmarsch angetreten und hat sich siegreich durchgesetzt Die Dynastien haben ihre Existenz verwirkt. Die Träger der Krone sind ihrer Macht entkleidet. Deutschland ist Republik gemorden, eine sozialistische Republik. Sofort haben sich die Gefängnis-, Arrest und Zuchthausmauern für die wegen politischer und militärischer verbrechen Verurteilten und Verhafteten geöffnet. Die Träger der politischen Macht sind jetzt die Arbeiter- und Soldatenräte. Iln allen Garnisonen, in denen keine Arbeiter- und Soldatenräte bestehen, wird sich die Bildung solcher Räte rasch vollziehen. Auf dem flachen Lande werden sich Bauernräte zu demselben Zwecke bilden.
Die Aufgabe der provisorischen Regierung, die von dem Arbeiterund Soldatenrat Berlin bestätigt ist, wird in erster Linie sein, den Waffenstillstand abzuschließen und dem blutigen Gemetzel ein Ende zu machen. Sofortiger Friede ist die Parole der Revolution. Wie auch der Friede aussehen wird, er ist besser, als die Fortsetzung des ungeheuren Massenschlachtens.
Die rasche und konsequente Vergesellschaftung der kapitalistischen Produktionsmittel ist nach der sozialen Struktur Deutschlands und dem Reifegrad seiner wirtschaftlichen und politischen Organisation ohne starke Erschütterung durchführbar. Sie ist notwendig, um die wirtschaftliche Versklavung der Volksmassen, den Untergang der Kultur zu verhüten.
Alle Arbeiter, Kopfund Handarbeiter, welche von diesem Ideal erfüllt sind, welche aufrichtig für seine Verwirklichung eintreten, sind zu seiner Mitarbeit berufen.
Der Arbeiter- und Soldatenrat ist von der Ueberzeugvng durchdrungen, daß in der ganzen Welt sich eine Umwälzung in der gleichen Richtung vorbereitet. Er erwartet mit Zuversicht, daß das Proletariat der anderen Länder seine ganze Kraft einsetzen wird, um eine Vergewaltigung des deutschen Volkes bei Abschluß des Krieges zu verhindern.
Er gedenkt mit Vewunderung der russischen Arbeiter und Soldaten, die auf dem Wege der Revolution vorangeschritten sind. er ist stolz, daß die deutschen Arbeiter und Soldaten ihnen gefolgt sind, und damit den alten Ruhm, Vorkämpfer der Internationale zu sein, wahren. Er sendet der rusfischen Arbeiterund Soldatenvereinigung seine brüderlichen Grüße.
Er beschließt, daß die deutsche republikanische Regierung sofort die völkerrechtlichen Beziehungen zu der russischen Regierung aufnimmt, und erwartet die Vertretung dieser Regierung in Berlin. Durch den entsetzlichen, über vier Iahre währenden Krieg ist Deutschland auf das fürchterlichste verwüstet. Unersetzliche materielle und moralische Tüter sind vernichtet. Aus diesen Verwüstungen und Zerstörungen neues Leben hervorzulufen, ist eine Riesenaufgabe.
Der Arbeiter- und Soldatenrat ist sich dessen bewußt, daß die revolutionäre Macht Verbrechen und Fehler des alten Regimes und der besitzenden Klassen nicht mit einem Schlage gutmachen, daß sie den Massen nicht sofort eine glänzende Tage verschaffen kann. Aber diese revolutionäre Macht ist die einzige, die noch retten kann, was zu retten ist. Die sozialistische Republik ist allein imstande, die Kräfte des internationalen Sozialismus zur Herbeiführung eines demokratischen Dauerfriedens auszulösen.
Es lebe die deutsche, sozialistische Republik."
Die sechs Volksbeauftragten wurden bestätigt.
Ich gab nun einen kurzen Vericht über unsere Tätigkeit als Aktionsausschuß der Berliner Obleute und der revolutionären Zentrale Deutschlands und schlug die neun Genossen, die bisher diesen Aktionsausschuß gebildet hatten, als Vollzugsausschuß vor.
Büchel schlug nun 9 Mann von der S. P. vor.
Ich wandte mich dagegen, da wir es ablehnen müßten, die revolutionäre Körperschaft mit denen gemeinsam zu bilden, die solange die Revolution bekämpft und denunziert hätten.
Die von der S. P. in der Nacht und am heutigen Tage bearbeiteten Soldaten schrien nun Parität, Parität! Ein mörderischer SpektaKel setzte ein.
Ich sagte nun zu Ebert: Das ist der Kampf! der blutige Kampf!
Ebert kam dann zu mir hin und erklärte, sie seien damit einverstanden, daß 9 und 2 und ebenfalls 11 Soldaten den Vollzugsausschuß bilden.
Ich sagte nein! 9 und 9 Soldaten, von euch Keiner!
Ebert erklärte sich auch damit einverstanden.
Ich gab ihm das Wort. Er schrie sich heiser, ich schrie mich heiser, aber kaum, daß wir verstandlich gemacht hatten, daß wir und wie wir uns geeinigt, da setzte der Spektakel, das Gebrüll' Einigkeit, Parität, von neuem ein.
Nun legte ich den Vorsitz nieder und zog meinen Ueberzieher an Alle meine Freunde stürmten auf mich ein, auch Liebknecht, der mir wörtlich sagten Ich verstehe Sie nicht! Die Berliner Revolution, die deutsche Revolution und die Weltrevolution stehbn durch Uhr Verhalten auf dem Spiel! Sie müssen die Parität anerkennen! Oder wollen Sie morgen den blutigen Kampf? — Ja, den will ich, ehe ich hier nachgebe! – Das dürfen Sie nicht! Sie müssen nachgeben. — Alle drangen in mich und zwangen mich, bis ich nachgab. Ich mußte! Ich stand allein!
Wir einigten uns auf je fünf, mit der Vedingung, daß wir die Vorgeschlagenen der S. P. aussuchten. Sieben, die sie nun nacheinander vorschlugen, lehnten wir ab.
Ich eröffnete nun die Versammlung wieder und die Wahl wurde vorgenommen.
Liebknecht, sowie auch Ledebour, die zu sprechen versuchten, wurden einfach, ohne ein Wort anzuhören, niedergebrüllt.
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