4. Meine Tätigkeit als Volksbeauftragter der deutschen sozialistischen Republik.
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а) Vom 10. November bis 20. Dezember 1918.
Wir hatten als Volksbeauftragte unsere erste Sitzung in ber Reichskanzlei. Ebert und Haase wurden als Vorsitzende mit gleichen Rechten bestimmt.
Wir schickten gleich die Vollmachten telegraphisch an Erzbеrger, den Waffenstillstand zu den gegebenen Bedingungen, an denen – darüber waren wir uns alle klar — nichts zu ändern war, abzuschlieseen. Ich wurde beauftragt, die Vermittlung zwichen Volksbeauftragten und Vollzugsausschuse, der sich nun Vollzugsrat nannte, zu übernehmen. Es war dies eine ebenso schwere, als undankbare Aufgabe. Vor allem war es mein Bestreben, eine Aussprache unter unseren Genossen, soweit sie als Vollzugsrat, Volksbeauftragte, Staatssekretäre und Unterstaatssekratäre in Frage kamen, herbeizuführen, um uns prinzipiell und taktisch im Interesse der vorwärtszutreibenden Revolution festzulegen. Das erwies sich als unmöglich.
Haase erklärte mir jedesmal: das geht nicht! Er glaubte immer, eine Anpassungsmdglichkeit zu verscherzen, er musste immer lavieren. Müller, Ledebour und Däumig sagten: „Wir sind Volksugsrat und legen uns nicht fest, wir treiben die Revolution vorwärts."
Dabei muse man bedenken, dass wir als Volksbeauftragte drei zu drei und im Vollzugsrat sieben zu vierzehn standen. Wie sollte denn da, ohne klares Ziel und immer vorgezeichneten Weg, ein handinhand-Arbeiten möglich sein. Jeder wollte das Beste, aber es ist bitter auszusprechen — keiner wollte den Rat des andern. Die Gegenseite arbeitete mit Routine und Geschick. Sie waren skrupellos und — konterrevolutionär, aber sie waren einig, wohingegen wir soviel Meinungen wie Personen darstellten.
Am Montag und Dienstag waren eine Unmenge dringender Angelegenbeiten, ganz besonders die Besetzung der Posten der Staats- und Unterstaatssekretärе zu erledigen. Die Ebert, Scheidemann und Landsberg drangen darauf, es mit allen möglichen und unmöglichen Argumenten als unbedingt notwendig nachweisend, daß die Demokraten, das Zentrum und möglichst auch die Nationalliberalen durch Uebernahme von Ministerien an der Regierung beteiligt wenden müßten, um die Verantwortung für den Waffenstillstand der Sozialdemokratie nicht allein aufzuladen, um Leruhigung in die bürgerlichen Kreise zu tragen, um die Landwirtschaft zur Anerkennung der Verhältnisse und dadurch zur freiwilligen Relieferung von Lebensmitteln zu bewegen, um das Wirtschaftsleben schnell in Gang zu bringen, um die Einheit des Reiches zu wahren, um eine Militärrevolte zu verhüten, um die Räumung des linken Nheinufers zu ermöglichen, um der Demobilisation willen, um noch eine Menge anderer Dinge willen.
Ich wandte mich dagegen, daß aus diesen Gründen auch nur ein Bürgerlicher in die Regierung käme. Ich sagte, daß wir die denkbar tüchtigsten Fachleute mit den Posten betrauen sollten, ganz gleich, wie ihre politische Anschauung sei, wenn sie sich nur restlos, ohne Vorbehalt, zur Verfügung stellen. Ich wandte mich weiter ganz entschieden gegen die von Landsberg vertretene, durch Ebert und Scheidemann unterstützte Auffassung, daß wir dem Wunsche der Obersten Heeresleitung (O. H. L.) und dem Kriegsministerium in bezug auf die Offiziere Rechnung tragen dürften. Ich bestritt uns überhaupt das Recht, daß wir den Soldaten im Kleinen verbieten dürften, daß sie, was wir im Großen im Proletariat getan, gelten ließen und ausübten. Kraft revolutionären Rechtes fegte das Proletariat die Potentaten und ihre Lakaien weg und setzte uns an deren Stelle, um die Revolution zu schützen und weiter zu führen, und mit demselben Rechte jagen die Soldaten ihre Führer zum Teufel, um an deren Stelle Leute ihres Vertrauens zu setzen. „Verhindern Sie das, dann machen Sie einen Strangulterungsv ersuch an der Revolution, dann üben Sie Verrat. Der S. R. bei der O. H. L. ist in Gemeinschaft mit den Armee-, Divisions- und Regiments-S. R. nach meinein Dafürhalten besser in der Lage, für Ordnung und. strengste Disziplin zu sorgen, als das Offizierkorps, und unsere Aufgabe ist, die technischen Offiziere durch Verordnung zu zwingen, ihre Kräfte nach wie vor Zur Verfügung zu stellen. Verfahren wir so, dann ist die Revolution durch das revolutionierte Heer gesichert, ist jeder Gegenrevolution das Genick gebrochen. Hierzu ist natürlich die Ersetzung Scheuchs durch Däumig notwendig."
Mit fünf gegen eine Stimme wurde jedoch folgender Aufruf an das Heer beschlossen:
Die Zurückführung in die deutsche Heimat.
Telegramm der Volksregierung an die Oberste Heeresleitung.
Die Volksregierung ist von dem Wunsche beseelt, daß jeder unserer Soldaten nach den unsäglichen Leiden und den unerhörten Entbehrungen in kürzester Zeit nach der Heimat zurückkehrt. Dieses Ziel ist aber nur zu erreichen, wenn die Demobilisierung nach einem geordneten Plane vor sich geht. Falls einzelne Trupps willkürlich zurückfluten, so gefährden sie sich selbst, ihre Kameraden und die Heimat aufs schwerste. Ein Chaos mit Hunger und Not müßte die Folge sein. Die Volksregierung erwartet von Euch strengste Selbstzucht, um unermeßlichen Schaden zu verhüten. Wir ersuchen die Oberste Heeresleitung, das Feldheer von vorstehender Erklärung der Volksregierung in Kenntnis zu setzen und folgendes anzuordnen:
1. Das Verhältnis zwischen Offizier und Mann hat sich auf gegenseitigem Vertrauen aufzubauen. Willige Unterart»nung des Mannes unter den Offizier und kameradschaftliche Vehandlung des Mannes durch den Vorgesetzten sind hierzu Vorbedingungen.
2. Das Vorgesetztenverhältnis des Offiziers bleibt bestehen. Unbedingter Gehorsam im Dienste ist von entscheidender Bedeutung für das Gelingen der Zurückführung in die deutsche Heimat. Militärische Disziplin und Ordnung im Heere müssen deshalb unter allen Umständen aufrecht erhalten werden.
3. Die Soldatenräte haben zur Aufrechterhaltung des Vertrauens zwischen Offizier und Mann beratende Stimme in Fragen der Verpflegung, des Urlaubs, der Verhängung von Disziplinarstrafen. Ihre oberste Pflicht ist es, auf die Verhinderung von Unordnung und Meuterei hinzuwirken.
4. Gleiche Ernährung für Offiziere, Beamte und Mannschaften.
5. Gleiche Zuschüsse zu den Löhnungen. Gleiche Feldzulage für Offiziere und Mannschaften. Von der Waffe gegen Angehörige des eigenen Volkes ist nur in der Notwehr oder zur , Verhinderung von Plünderungen Gebrauch zu machen.
Berlin, den 12. November 1918.
Ebert. Haase. Scheidemann. Dittmann. Landsberg. Barth.
Ich bestand nun ganz entschieden darauf, daß das Staatssekretariat des Innern mit einem Sozialisten besetzt würde. Iedoch wieder vergebens. Alle fünf waren sie für die Berufung von Dr. Preuß. Um nun wenigstens etwas für die Masse der Bevölkerung zu tun, wurde ein Aufruf an das Volk beschlossen, in dem man so tat, als ob man etwas täte.
Er lautete:
Der Rat der Volksbeauftragten veröffentlicht folgenden Aufruf:
An das deutsche Volk!
Die aus der Revolution hervorgegangene Regierung, deren politische Leitung rein sozialistisch ist, setzt sich die Aufgabe, das sozialistische Programm zu verwirklichen. Sie verkündet schon letzt mit Gesetzeskraft folgendes:
1. Der Belagerungszustand wird aufgehoben.
2. Das Vereins- und Versammlungsrecht unterliegt keiner Beschränkung, auch nicht für Veamte und Staatsarbeiter.
3. Eine Zensur findet nicht statt. Die Theaterzensur wird aufgehoben.
4. Meinungsäußerung in Wort und Schrift ist frei.
5. Die Freiheit der Religionsübung wird gewährleistet. Niemand darf zu einer religiösen Handlung gezwungen werden.
6. Für alle politischen Straftaten wird Amnestie gewahrt. Die wegen solcher Straftaten anhängigen Verfahren werden niedergeschlagen.
7. Das Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst wird aufgehoben, mit Ausnahme der sich auf die Schlichtung von Streitigkeiten beziehenden Bestimmungen.
8. Die Gesindeordnungen werden außer Kraft gesetzt. Ebenso die Ausnahmegesetze gegen die Landarbeiter.
9. Die bei Beginn des Krieges aufgehobenen Arbeiterschutzbestimmungen werden hiermit wieder in Kraft gesetzt.
Weitere sozialpolitische Verordnungen werden binnen Kurzem veröffentlicht werden, spätestens am 1. Januar 1919 wird der achtstündige Maximalarbeitstag in Kraft treten. Die Negierung wird alles tun, um für ausreichende Arbeitsgelegenheit zu sorgen. Eine Verordnung über die Unterstützung von Erwerbslosen ist fertiggestellt. Sie verteilt die Lasten auf Reich, Staat und Gemeinde. — Auf dem Gebiete der Krankenversicherung wird die Versicherungspflicht über die bisherige Grenze von 2500 Mark ausgedehnt werden. — Die Wohnungsnot wird durch Vereitstellungen! von Wohnungen bekämpft werden. — Auf die Sicherung einer gerechten Volksernährung wird hingearbeitet werden. — Die Regierung wird die geordnete Produktion aufrechterhalten, das Eigentum gegen Eingriffe Privater sowie die Freiheit nnd Sicherheit der Person schützen. — Alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften sind fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten, allgemeinen Wahlrecht auf Grund des proportionalen Wahlsystems für alle mindests 20 Iahre alten männlichen und weibwichen Personen zu vollziehen. — Auch für die
konstituierende Versammlung,
über die nähere Vestimmung noch erfolgen wird, gilt dieses Wahlrecht.
Berlin, den 12. November 1918.
Ebert. Haase. Scheidemann. Landsberg. Dittmann. Barth.
Es war mir auch hierbei nicht möglich, auch nur das Geringste durchzusetzen, weil ich immer auf den geschlossenen Widerstand meiner fünf Kollegen stieß. Ich wollte wenigstens unter 10. eine Verordnung, die die gesamten Bodenschätze, Kohle, Kali, Erze, die Hüttenwerke, die Lokomotiv-, Wagen- und landwirtschaftlichen Maschinenfabriken in den Besitz der Allgemeinheit überführen sollte, wobei die Entschädigungsfrage offen bleiben sollte. Ich verlangte ferner das Recht auf Arbeit und hierzu eine Verfügung, in der Fertigindustrie die Arbeitszeit auf höchstens vier Stunden zu verkürzen, bis zur Hebung des Produktionsprozesses. Ich wollte auch die Streichung des letzten — die Wahlen betreffenden — Absatzes. Alles vergebens.
Es gab nun hierbei eine prinzipielle Auseinandersetzung Aber die Autorität der Regierung, wobei Landsberg den Standpunkt vertrat, eine Regierung habe nur soviel Autorität, wie sie Macht besitze, und darum müsse sofort eine Macht aus dem noch bestehenden Heere für die Rlgicrung gebildet werden, um möglichen bolschewistischen Unruhen entgegentreten zu können. Er halte eine Erhebung von rechts für ausgeschlossen, aber auch hiergegen müsse diese Macht dienen. Ich trat mit aller Entschiedenheit gegen diese Auffassung'auf, und erklärte, daß eine sozialistische Regierung nur eine einzige Macht kennen dürfe, das Vertrauen der Massen, und daß sie sich dieses Vertrauen nur erwerben könne durch sozialistische Taten. Dieser Aufruf aber sei ganz das Gegenteil, er enthalte ein paar völlig altbackene gewerkschaftliche Forderungen und im übrigen sei er diktiert von dem Vestreben, etwas zu scheinen ohne etwas zu sein.
Es nützte alles nichts! Mit fünf gegen eine Stimme wurde er beschlossen, nur wurde die Einsetzung einer Sozialisierungskommission verkündet, die in den nächsten Tagen ernannt werden sollte.
In bezug auf die äußere Politik hatte die Volkversammlung der Berliner A.- und S.-Räte in ihrer Resolution die Wiederaufnahme der freundnachbarlichen Beziehungen zu Rußland gefordert, woran die Volksbeauftragten ja eigentlich gebunden sein sollten, denn ihr Dasein stützte sich doch letzten Endes auf eben diese Versammlung. Aber weit gefehlt! Die Herren Landsberg, Ebert und Scheidemann hatten ihren Solf schon für das Notwendige sorgen lassen und so kamen sie mit einem Funkspruch von Radek, in dem er den gemeinsamen Kampf am Rhein gegen die Kapitalistische Entente ankündigte. Eine große Eselei und die denkbar schwerste Schädigung der Weltrevolution bedeutete diese blöde Phrase. Sie kamen ferner mit einer Note des deutschen Gesandten im Haag, in der er erklärte, „daß die Zulassung des russischen Botschafters für die Entente die Bestätigung des Radekschen Funkspruche s sei, d. h. die Vestätigung des deutsch-russischen Offensivbündnisses und deshalb die sofortige Aufhebung des Waffenstillstandes zur Folge haben würde."
Unter diesen Umständen war es natürlich unmöglich, Votschafier herüberzuholen und hinüberzuschicken, aber möglich nicht nur, sondern nach meinem Dafürhalten zwingende Pflicht war es, alles zu tun, um mit den gesamten Ostvölkern zu einem freundnachbarlichen Verhältnis zu kommen. Ich beantragte deshalb folgendes:
Zu den Völkern des Baltikums, nach Moskau, nach Warschau und Kiew sind sofort Kommissionen, bestehend lediglich aus Sozialisten zu entsenden, um den dortigen Regierungen zu erklären, daß ein neues Deutschland, ein Deutschland der Gerechtigkeit, der Vertragstreue und der Friedensliebe erstanden sei, das die an den baltischen, polnischen, russischen und ukrainischen Völkern verübten Gewalttaten und Verwüstungen genau so verabscheut und bedauert habe wie sie selbst und das bereit sei, soweit es in seinen Kräften steht, alles wieder gut zu machen. Viese Kommissionen haben sofort dafür zu sorgen, daß mit jenen Staaten gemeinsam der Rücktransport unseres Ostheeres mit seinem ungeheuren Material geregelt und begonnen wird. Es muß jenen Ländern 2 bis 3 Millionen Tonnen Kohle hierfür als Ausgleich angeboten werden. Hierdurch haben wir dann die freundschaftlichen und Handelsbeziehungen mit den osteuropäischen Völkern angebahnt, und der mindestens ein Iahr dauernde Waffenstillstand würde dann, selbst wenn die Blockade bis zum Ende dauerte, uns nicht mehr allzu viel niederhalten können. Wir hätten dann Handel und Wandel im Osten, die Möglichkeit, uns von dort Lebensmittel und Rohstoffe zu verschaffen. Von dort, wo unsere, nun nach der Niederlage katastrophal stürzende Valuta immer noch gleichwertig stehe.
„Wo bliebe denn da unsere nationale Ehre, wenn wzr jedem Slowakenvolk im Osten nachlaufen?" donnerte nun händeringend und bartzausend Landsberg los. „Das geht nicht, das dürfen wir nicht!" Nationale Ehre, Prestige und derartiges mehr waren seine Argumente. Ebert, Scheidemann, Haase und Dittmann sprachen in demselben und ähnlichem Sinne, der Antrag wurde mit 5 gegen 1 Stimme abgelehnt.
Polen! Polen war eine Frage für sich. Hierzu sprach ich darauf, um wenigstens das Notwendigste zu retten. Ich erklärte folgendes: ln Posen, West- und Ostpreußen lagern noch 40 Proz. unserer Kartoffeln, 20 Proz. unserer Körnerfrüchte, unser zweitwichtigstes Industriegebiet liegt in gemischtsprachigem Gebiet, das nach dem Waffenstillstand entweder ohne weiteres zu Polen kommt, oder aber abstimmendes Gebiet wird. Auf alle Sälle wird Polen das Durchgangsland für unsern Handel mit Rußland, der Ukraine und einem wesentlichen Teile des Valtikume sein. Ein freundnachbarliches Verhältnis mit ihm ist also für uns fo notwendig wie das tägliche Vrot. An den Polen haben wir sehr viel von den Taten und Unterlassungen der letzten hundert, besonders aber der letzten Hier Iahre gut zu machen. Zu diesen Gründen kommt noch die Verpflichtung, vorausschaund für die deutsche Minderheit Polens zu sorgen, so groß oder klein sie auch sei, darum ein schnell zu schließendes Wirtschaftsabkommen zu treffen, der Fels, auf dem die Freundschaft zweier Völker aufzubauen ist. Ich wies ganz besonders lebhaft darauf hin, was es für den gesamten Osten Deutschlands zu bedeuten habe, wenn Oberschlesien zu Polen geschlagen würde, woran wir ja gar nichts andern könnten. Die Industrie Gstelbiens einschließlich Berlins, wäre zum Teil zum Tode, zum Teil zu armseligem Vegetieren verurteilt, da wir in dem Falle auch nicht ein Pfund Kohle von Polen erhalten würden, da wir heute noch die Besitzenden, somit die Gebenden seien, fo seien wir verpflichtet, umgehend mit den Polen ein Abkommen zu treffen, möglichst auf 100 Iahre, wonach ein Drittel oder die Hälfte — das müßten Sachverständige entscheiden — der Bodenschätze Oberschlesiens an Polen, das übrige an Deutschland falle, ganz gleich, wie die Sriedenskonferenz entscheide, und als Gegenleistung solle sich Polen verpflichten, eine — wieder von Sachverständigen festzustellende — gewisse Menge Getreide und Kartoffeln zu liefern.
Meine fünf Kollegen lächelten überlegen, trommelten nervös, brummten versammlungsreden und — lehnten auch den Vorschlag mit 5 gegen 1 Stimme ab.
Nebenbei will ich noch erwähnen, daß auch mein Antrag, Solf durch einen Sozialisten zu ersetzen, mit der gleichen Stimmenzahl abgelehnt wurde.
Das einzige, was mir möglich war, durchzusetzen, war, daß auch die sofortige Rimmung im Osten — das war im Waffenstillstandsvertrag nicht angeordnet — befohlen wurde. Wie der Vefehl ausgeführt wurde, davon später. Nur das eine sei hier bemerkt: wäre der Winter 1918-1919 so früh gewesen, wie er spät, und so strenge, wie er gelinde war, so wären durch Landsbergs nationale Ehre, die von den andern vier Volksbeauftragten dann mitempfunden wurde, Hunderttausende deutscher Familienväter elendiglich verhungert und erfroren, der napoleonische Rückzug wäre an Schrecken, Elend und Toten weit überboten worden.
Das nicht Grundlegende werde ich bei alledem, was ich über diese Zeit schreibe, übergehen.
Am Dienstag kam ich Beerfeldes wegen zum Vollzugsrat. Die Genossen sagten, ich sollte doch einen Augenblick bleiben, da sie gerade die Kompetenzen des Vollzugsrates und der Volksbeauftragten berieten, das solle nämlich heute Abend endgültig geregelt werden. Im Vollzugsrat waren darüber die Meinungen sehr geteilt, und auf direkte Frage meiner Freunde fagte ich, daß ich unmöglich, wenn meine Kollegen nicht dabei seien, darüber meine Meinung sagen könne, aber heute Abend sollen sie dieselbe hören. Nur komisch mutete es mich an, daß sie diese Frage überhaupt aufwarfen.
Am Abend fand die gemeinsame Sitzung der Volksbeauftragten mit dem Vollzugsrat statt. Rich. Müller legte die Auffassung des Vollzugsrates vor, ein Kompromiß, und es entspann sich eine lebhafte Debatte. Als ich zum Worte kam, legte ich dar, daß logischeriveise aus dem revolutionären Rechte, das allein maßgebend sei, die Zouveränität in den Händen der A.- und S.-Räte läge, bezw. in denen des provisorischen Zentralrates, d. h. des Berliner Vollzugsrates. Die Souveränität zerfällt in die exekutive, legislative und juristische Gewalt, welch erstere, die exekutive Gewalt, dem Rate der Volksbeauftragten überwiesen sei, wobei allerdings die A.und S.-Räte nie auf die Exekutive gegenüber konterrevolutionären Veweaungen verzichten könnten. Vei allen andern Fragen seien die Volksbeauftragten vom Vollzugsrat abhängig, der sie auch abberufen könne. Nach längerer Diskussion wurde dann auch meiner Auffassung gemäß beschlossen.
Die Volksbeauftragten für Preußen sollten nun von den Volksbeauftragten und dem Vollzugsrat eingesetzt werden. Dagegen wandte ich mich mit aller Entschiedenheit. Ich führte an, daß es mir unbegreiflich sei, daß jemand, der sich Revolutionär nenne, noch von Preußen reden könne. Die Revolution bedeute für mich das unitare Deutschland und der erste Partikularismus, der zerschlagen werden müsse, sei der preußische, der auch der stärkste und gefährlichste sei. Für Preußen können nicht einmal mehr Minister ernannt werden, viel weniger Volksbeauftragte, sondern nur Kommissare, die bis zur Liquidierung die preußischen Geschäfte leiten. Es wäre ein Hohn, wenn die Revolution 22 Potentaten und Votentätchen zum Teufel gejagt habe, um 26 Präsidenten, 26 Volksbeauftragrenkollegien an ihre Ztelle zu setzen.
Alle, besonders aber Däumig, der mir zurief, was du nicht verstehst, da lasse deine Finger davon, traten mir scharf entgegen und nur gegen meine Stimme wurden die Volksbeauftragten für Preußen eingesetzt, d. h. die junge deutsche Republik zerschlagen, um einige Sinekuren zu schaffen. Es sei hier ausdrücklich bemerkt, daß die Volksbeauftragten vom Vollzugsrat vor eine vollendete Tatsache gestellt waren und daß gerade die preußischen Minister in der Zukunft die stärksten Gegenpole der Revolution darstellten.
Am 13. November abends berichtete der soeben zurückgekehrte Erzberger über seine Waffenstillstandsverhandlungen. Ich sah Erzberger zum ersten Male, und, um es vorweg zu nehmen: bei aller Voreingenommenheit gegen den einstigen Venjamin des Reichstages, gegen den gerissenen Iesuiten, der in allen Sätteln und auf jedem Pferde zu reiten versteht, dem überchauvinistischen Kriegshetzer und angeblichen Geschaftelhuber von 1914-15, dem Friedensmimen von 1917, dem Ludendorffbewunderer von 1918, mein Eindruck von ihm nach seinem Vortrag war kein schlechter. Er war und ist besser als die meisten Parlamentarier, und Staatsmänner, die ich Kennen lernte, er ist eine Persönlichkeit.
Er schilderte, wie die Waffenstillstandskommission im dicht verhängten Wagen nach dem Walde von Eompiögne fuhr, wie dort auf offenem Gelände im Wagen die Verhandlungen stattfanden, er-Mite, wie wenig höflich die Vehandlung durch Marschall Foch gewesen sei, von dem er sagte, er könne wohl ein großer Feldherr sein, sei aber kein großmütigen Mensch, schilderte die ersten, gerade. zu niederschmetternden Eindrücke der Kommission bei Überreichung der Bedingungen und gab dann, nur einige Male in den Vertrag sehend, eine eingehende Schilderung des ersten Entwurfes, ihre Gegenvorschläge und die zugestandenen Abänderungen, die ausnahmslos alle erst am Morgen des 11. November, nach Vestätigung der Umwälzung in Deutschland, erfolgten.
Wir hatten ja alle den Waffenstillstandsvertrag bereite gelesen, und doch waren wir nach dem Vericht, der klar und lebhaft gegeben wurde, erschüttert. Klar war uns allen, daß eine Milderung nicht zu erhoffen sei. Daß ganz besonders in den schärfsten Vestimmungen rücksichtloseste Erfüllung gefordert werden würde. 5000 Lokomotiven, 150 000 Magen, 5000 Automobile, Aufrechterhaltung der Blockade, d. i. Verlängerung des Hungers und die Unmöglichkeit, Erwerbsmöglichkeit für das zurückkommende Millionenheer zu schaffen. Und doch, was war dies alles gegenüber den Räumungsbedingungen des linken Rheinufers? Verspätung hieß Gefangenschaft, Widerstand oder irgendwelche Requisition oder gar Plünderung, irgendwo, von irgend ein paar Unbesonnenen, konnte die Aufhebung des Waffenstillstandes, die Wiederaufnahme des Gemetzels, die Ueberschwemmung des ganzen Reiches mit Kriegsschrecken und Verwüstungen bedeuten.
Landsberg zitterte am ganzen Körper und erging sich in Salbadereien ob der Unmenschlichkeit der Sieger. Die andern vier sekundierten ihm mehr oder minder erregt und erbost. Ich sagte, all dies sei mehr denn bitter, aber es habe keinen Zweck, zu lamentieren, denn jeder Sieger wird im ersten Siegesrausch auf seine Macht pochen, Orgien der Brutalität feiern. Hilfe bringt nur energisches Handeln. Ieder Friede, mag er noch so hart und noch so grausam sein, ist für uns besser als dieser Waffenstillstand, denn jeder Friede gibt uns die Freiheit des Handelns und des Handels. Und da, aller menschlichen Voraussicht nach, uns doch der Friede »on unsern siegreichen Gegnern diktiert werden wird, so beantrage ich, daß sofort eine Delegation, lediglich aus Sozialisten bestehend, zusammengestellt wird, die nach Versailles geht, um den bedingungslosen Frieden anzubieten und zu erbitten. Wenn von diesen Tegnern etwas Erträgliches zu erhoffen ist, dann nur, wenn die Entente-völker für uns Sympathie und Mitleid empfinden und sie mäßigend auf ihre Negierungen einwirken. Solche Sympathie kann aber nur durch den angeregten Schritt erzeugt werden. Nur hierdurch wird der einsetzenden Haßerzeugung in Wort und Bild wirkungsvoll entgegengearbeitet werden. Die alte nationale Ehre, der preußische Kommißstiefel, der uns den Haß und die Verachtung der ganzen Welt und diesen Zusammenbruch eingebracht hat, ist glücklicherweise in Scherben geschlagen. Aber jetzt haben wir es in der Hand, eine neue, nationale Ehre aufzubauen, die auf Vertragstreue und ewigem Friedenswillen beruht. Handeln wir so, dann schlägt der Haß gegen uns in Freundschaft, die Verachtung in Achtung um. Ich beantrage, bedingungslosen Frieden anzubieten. MIe traten entrüstet gegen mich auf, nur — zur Schande meiner beiden Parteigenossen sei es gesagt — Erzberger stellte sich voll und ganz auf meinen Standpunkt. Mit 5 gegen 1 Stimme wurde mein Antrag abgelehnt.
Ich versuchte erneut, die Entlassung von Solf, Scheuch und der O. H. L. und ihre Ersetzung durch Genossen durchzusetzen und ebenso nochmal die Orientierung der Ostpolitik in meinem Sinne. Auch darin stieß ich wieder auf den geeinten Widerstand meiner Kollegen.
In der Kabinetts-Sitzung am 14. November wurden die Staatssekretäre endgültig ernannt. Ich wandte mich von neuem gegen Solf und Scheuch, wie auch gegen Mann, ganz besonders aber gegen Schiffer, indem ich feststellte:
„Wenn Sie erklären, daß die Lourgeoisie sich leichter überzeugen lasse, falls einer der ihren ihr die neuen Steuergesetze und deren Notwendigkeit klarlegt, dann beneide'ich Sie um diesen Glauben. Ich glaube daran nicht, sondern ich bin überzeugt, daß Schiffer, dem an unserm und des Proletariats Vertrauen gar nichts gelegen ist, mit seinen Geheimräten bestrebt sein wird, so zu verfahren, daß er sich das Vertrauen der Bourgeoisie erhält. Mindestens 25 Milliarden werden notwendig sein, um den Etat zu bilanzieren, und die sind nur herauszuholen bei rücksichtslosem Zugreifen. Dieses Zugreifen vermag nur ein Sozialist zu vollbringen. Schiffer wird versuchen, mit indirekten Steuern zu operieren. Wenn Sie das nicht wollen, wird er gehen, und die kostbarste Zeit ist verloren. Millionen fragen heute nicht nach Geld, sondern sie freuen sich, daß ihnen und ihren Ungehörigen durch die Beendigung des Gemetzels das Leben erhalten ist, aber morgen ist diese Erhaltung eine Selbstverständlichkeit, und sie sitzen wieder auf ihrem Gelde. Darum ist heute ein sozialistischer Finanzminister eine Notwendigkeit, die nicht erfüllt zu haben, uns morgen bitter leid tun wird. Vermögenssteuern, die gestaffelt sind bis 100 Proz. bei fünf Millionen, können uns allein helfen und das Vertrauen der Massen zu uns fest verankern, wenn dieses überhaupt anders als durch weitgehendste Sozialisierung zu erwerben ist."
Es half nichts, auch Schiffer blieb.
Ein Vorstoß gegen Köth, der ganz offensichtlich im Interesse der Großindustriellen seines Amtes waltete, war ebenfalls vergeblich. Hierbei erklärte Scheidemann, der im Kabinett verhältnismaßig wenig sprach:
„Was Sie immer haben mit Ihren Massen! Die müssen wollen, wie wir wollen, und das wollen sie auch, wenn es ihnen richrig schmackhaft gemacht wird." Ein Patentdemagoge!
An dem Nachmittag sprach ich mit einigen Freunden und auch mit Liebknecht, Rosa Luxemburg und Dunker, die ich im Abgeordnetenhaus traf, über meinen Austritt aus. der Regierung. Doch mir wurde von allen abgeraten, dies gleich zu tun, sondern sie empfahlen, abzuwarten, bis eine aufpeitschende Gelegenheit käme.
Ich werde auf alle die Verhandlungen, die ich mit den Genossen. des Vollzugsrats, den Soldatenräten, den Arbeiterräten und den revolutionären Obleuten hatte, nachher im Zusammenhang eingehen. Außerdem hatte ich täglich in der Reichskanzlei ein Dutzend und mehr Deputationen abzufertigen von den einzelnen Betrieben, den Arbeitern und Direktoren, den Soldaten der einzelnen Regimenter, der Sicherheitswehr und Matrosendivision, sowie viele Devutationen der rheinisch-westfälischen, der mitteldeutschen und oberschleichen Bergleute und der dortigen Landräte und Regierungspräsidenten. Ebenso sei hier bemerkt, daß der Strom jener speichelleckerischen Subjekte, die um Anstellung bettelten, mir einen Teil der kostbaren Zeit wegstahl. Es ging von morgens acht bis nachts um zwei, öfter die Nacht durch.
Nachdem nun die Staatssekretäre alle ernannt waren, begannen uns die von ihnen ausgearbeiteten Vorlagen zu beschäftigen. Meist Vorlagen, erfüllt von altem Geiste, was bei den alten Männern mit den alten Geheimräten ja auch nicht verwunderlich, sondern selbstverständlich war. Viele dieser Vorlagen wurden heftig umstritten, abgeändert, abgelehnt, viele mit allen gegen meine Stimme angenommen.
Die meiste Zeit bei unsern Veratunge'n beanspruchte die AußenPolitik. Haase als Dezernent verlas Telegramme, machte Vorschläge, immer ohne vorher mit mir darüber Rücksprache zu nehmen, und war ich gegen seine Vorschläge, so wurden sie um so sicherer' angenommen. Hierbei spielte die polnische Frage die Hauptrolle. Neben ihr die ukrainische, die baltische und die russische Frage, wichrend die Ententefragen im Kabinet nur bei Verlängerung des Waffenstillstands besprochen wurden. Hierzu hatte man wieder nur gegen meine Stimme, der Waffenstillstandskommisfton, d. h. Erzberger, dessen rühmenswerte Eigenschaft, unermüdlichen Fleiß, ich gerne anerkenne, weitgehendste Selbständigkeit eingeräumt — nach meiner Meinung zum großen Schaden des deutschen Volkes. Die Vehandlung der polnischen Frage ist ein Schandfleck der deutschen Revolution: denn hierbei wurde so schlimm geschwindelt, wie in den schlimmsten Zeiten des Krieges.
Das Auswärtige Amt (A. A.), Ober-Ost (O. O.), O. H. L. und Kriegsministerium (K. M.) täuschten uns, die Volksbeauftragten, und das deutsche Volk. Aber, und dies ist das schandbarste an diesem Trug, sie täuschten gemeinsam mit einem Teile der Volksbeauftragten, im Verein mit den Ebert, Scheidemann und Landsberg usw. Trotz meiner Opposition, meiner Warnungen und der täglichen Veweise der Lüge fielen Haase und Dittmann dauernd darauf hinein, bis es beim Schlußakt der Tragödie auch ihnen wie Schuppen von den Augen fiel.
Bald berichtete das A. A. über politische Aspirationen, bald das K. M. über gewaltige Truppenzusammenziehungen der Polen, bald die O. H. L. über gewaltsame Unterbindung der Rücktransporte durch dieselben und fast täglich O. O. über einen polnischen Bandeneinfall an irgendeiner Stelle der deutsch-polnischen Grenze.
Die O. H. L. hatte in provokatorischer, hochverräterischer Weise am 16. November, entgegen unseren klaren Vestimmungen und Vefehlen folgenden Geheimbefehl an O. O. gegeben:
Ich weise ernstlich darauf hin, daß eine schnelle Räumung des ganzen Ober-Ostgebietes, vornehmlich der Ukraine und des baltischen Gebietes, keinesfalls im nationalen und wirtschaftlichen Interesse Deutschland liegt. Gelingt es uns, in der Ukraine auch nach Friedensschluß noch Truppen zu haben, so ist das volkswirtschaftlich von großem Werte. Es handelt sich also zunächst nur darum, durch partielle Räumungen Kräfte für etwaigen Bahnschutz in Polen und zuverlässige Detachements für den Heimatschutz freizubekommen. Im übrigen hat die Räumung, wie im Waffenstillstandsvertrag vorgesehen, in einem späteren, mit der Entente zu vereinbarenden Zeitpunkt zu erfolgen. Ich bitte daher, mit aller Schärfe darauf hinzuweisen, daß nach Verfügung der Regierung jeder Heeresangehörige, der eigenmächtig seinen Posten verläßt, sich nicht nur strafbar macht, sondern auch jedes Anspruchs auf Versorgung verlustig geht. Mit Bildung freiwilliger Verbände, nicht nur für Deutschland, sondern auch für wichtige Punkte im Ober-Ostgebiet einverstanden. Vorschläge wegen Vergünstigungen sind an Kriegsministerium weiterzugeben.
(gez.) Gröner.
Als wir dieses Telegramm bekamen, beantragte ich die Absetzung und Verhaftung Gröners wegen Gehorsamsverweigerung, Hochverrats und Rriegsanzettelung sowie wegen des leichtsinnigen und frivolen Spiels mit Hunderttausenden von Menschenleben. Doch ich stand wieder, wie so oft, allein.
Auch bei Rücksprache mit Däumig, den ich geradezu anflehte, doch ins K. M. einzutreten, wurde ich brüsk abgewiesen, mit dem Vemerken: Ich lasse mich nicht im K.M. begraben.
Die Hakatisten, denen der Schmerz über den Verlust der rückfichtslos ausgeübten diktatorischen Gewalt den letzten Funken von Vernunft und Verstand geraubt hatte, tobten ob der polnischen Anmakung und des polnisch-spartakistischen Bündnisses, das darin bestand, daß das westpreußische, posensche und schlesische Proletariat, das bis dahin, wenn auch zähneknirschend, den Stiefel geküßt hatte, der es trat, es wagte, A.- und S.-Räte zu bilden. Grund genug für das nach unten hin immer einige Dreigestirn, Adel, Pfaffen und Großbourgeoisie, um ihre noch in Amt und Würde sitzenden Freunde zu Hilfe zu rufen. Hörte man diese, fo ging in jenen Bezirken alles drunter und drüber. Hörte man aber die meist paritätisch aus Deutschen und Polen zusammengesetzten A.- und S.-Räte, dann war alles in Ordnung. Nichts von Konspiration, nichts von nationalistischem Hasse und nichts, aber auch absolut nichts, von Vandeneinfallen. Unruhen, polnische oder spartakistische, am besten polnisch-spartakistische, waren der Wunsch unserer Hakatisten, und kamen sie nicht, nun dann mußten sie eben gemacht werden. Zu diesem Zwecke kam der Heimatschutz, dann der Grenzschutz. Beides trotz lebhaftem Widerspruch der Polen und trotz ihres immer wiederholten Versprechens der Loyalität gegenüber dem Waffenstillstand. Es nutzte nichts, denn der Hakatismus war, so lächerlich und unglaublich dies auf den ersten Blick klingen mag, der stärkste Faktor im neuen Deutschland. Und das kam so: Der hakatistische Landsberg war der leitende und bestimmende Kopf des Rates der Volksbeauftragten. Ebert und Scheidemann, zwei über wenig Wissen verfügende, aber mit Fuchsschlauheit, mit Sophistik und Streberhaftigkeit bis oben hin vollgefüllte, in der Parteibürokratie ausgebildete Routiniers, waren nur Puppen in der Hand eines Landsberg. Dieser war ein ebenso gescheiter wie gewissensarmer Kopf, ein außerordentlich tüchtiger, gerissener und überzeugend deduzierender Jurist, ein mit allem gesellschaftlichen Firnis übertünchter Weltmann und ein mit dreifachem Haß erfüllter und nur diesem Hasse lebender, ihm skrupellos alles opfernder Mann. Er haßte die Polen als im hakatistischen Sinne erzogener Oberschlesier, er haßte das Proletariat als ausgeprägter Boürgeois, und er haßte die Vorsehung, die ihn einen jüdischen Vater finden ließ, was ihn verdammte, nur Nebenfigur zu sein, wo er im andern Falle nach dem Lorbeer hätte greifen können. Er haßte, er hatte diese stärkste, treibendste Eigenschaft, ohne die in edle Bahnen führende, gleich starke Eigenschaft der Liebe zu besitzen. Hatte er das Proletariat geliebt, wie er es haßte, es sähe um die deutsche Revolution anders aus. Meine Anklagen gegen ihn erhebe ich später.
Diesem geschlossenen Trio, dessen Geschlossenheit, wie bemerkt, in dem Mißverhältnis zwischen Wissen und Strebersinn der Veiden und in der geistigen Ueberlegenheit des Einen bestand, standen wir gespalten gegenüber.
Haase war einer der ehrlichsten Menschen, die ich je kennen gelernt, aber absolut kein Tatmensch. Er war ewig bestrebt, es mit keinem Menschen zu verderben, ein Zauderer, wo schnelle Entschlüsse zwingend sind, ein überzeugter Sozialist aus geistigem Erkennen und Erfassen des historischen Materialismus: dies aber, ohne das nur durch Not und Elend zu erwerbende gesunde, proletarische Empfinden, das allein vermag, falls es nicht durch brutale, das gesunde Rechtsempfinden aufpeitschende persönliche Vergewaltigung erzeugt wird, wahrhaft revolutionäres Empfinden und revolutionäre Tatkraft auszulösen. Er war ein scharfes Extrem zu Landsberg. Er liebte das Proletariat, wie es jener haßte, er war bereit, ulles für den Sozialismus zu opfern, wie jener bereit war, den Sozialismus für seine Haßbefriedigung zu benutzen, er wollte mit Güte und Entgegenkommen die Bourgeoisie für das proletarische Streben gewinnen, ihm fehlte der Haß gegen die Bourgeoisie. Hierbei meine ich nicht den einzelnen Vourgeois, wie ich, um Entstel. lungen vorzubeugen, betone, denn den hasse ich auch nicht, den bekämpfe ich. Er hielt die Bourgeoiste für nicht notwendig, für überflüssig, vielleicht auch für schädlich, aber er haßte sie nicht, und darum hatte er keine Energie zur Durchsetzung seines rein theoretischen Willens. Er sagte nicht: ich will! und weil ich will, darum muß es! Er sagte noch nicht einmal: Ich möchte, wohinter immer noch eine gewisse Energie steht, sonderrn er brachte es nur zu einem: wenn es wäre. Das heißt Ausschaltung aller Energie, heißt lavieren, heißt paktieren, statt niederzwingen. In der eigenen Partei war er anders, da setzte er sich rücksichtslos durch. Hinzu kam nun noch, daß er in den entscheidenden Fragen sich selbst nicht klar war und darum doppelt zauderte. Er stand außen- und innenpolitisch völlig unter dem Einfluß Kautskys, wirtschaftspolitisch unter dem Einfluß Hilferdings. Er huldigte deren Theorien, sah aber, daß er in der Praxis, wenn er nicht in der chauvinistischen, wirtfchaftsfriedlichen, den Sozialismus bekämpfenden Sozialdemokratie aufgehen wollte, anders handeln müsse.
Ein Wort sei hier zu Kautsky und Hilferding bemerkt. Ueber Kaurskys umfangreiches historisches Wissen und gewaltiges Lebenswerk als Historiker ist kein Wort zu verlieren. Aber es ist ein erheblicher Unterschied, ob jemand als Anatom oder als Chirurg auftritt. Er Kann in dem einen Falle Autorität, in dem andern ein Stürnper sein. Ohne daß nun jemand ihm das Recht absprechen dürfte, sich weiter als Autorität in der Anatomie zu betätigen, hat jeder, der es mit ihm und der Menschheit gut und ehrlich meint, die Pflicht, ihm, wenn er erneut einen operativen Eingriff bei einem bebenden machen will, zuzurufen: Hände weg! Ebenso geht es Kautsky. Er ist der erste lebende Anatom des wissenschaftlichen Sozialismus. Er weist historisch, überzeugend und schlagend nach, daß das und das aus den und den Ursachen so und so werden mußte. Aber ob man eine Sache historisch oder gegenwärtig betrachtet, ist ein gewaltiger Unterschied, und ob man es mit dem Glorienschein längst vergangener Zeiten umschmückt oder ob man selbst gestaltend eingreift, ist ebenfalls ein gewaltiger Unterschied. Grundlegende Theorien, die gewaltigsten Felsen des Prinzips , müssen in der Stunde des Handelns oft mit einer einzigen Handbewegung weggewischt werden, um — eben den Theorien, den Prinzipien zum Durchbruch, zum Siege zu verhelfen. Wer die Demokratie will, der muß die proletarische Diktatur wollen, bis zur Kaltstellung und Zertrümmerung der bestehenden Diktatur. Und bis zur Errichtung der sozialen Demokratie, bis zu deren in der Zeit der proletarischen Diktatur erfolgten Fundierung, wird es immer nur Diktatur geben. Ebenso — das gilt für Kautsky und Hilferding — steht es mit der Sozialisterung, die nicht betriebsweise, sondern organisch von der Zentrale aus erfolgen muß, aber nicht organisch in dem Sinne geoeutet, daß organisch langsam und nach und nach heißen muß. wer aber solche Fragen Wissenschaftlich behandelt, der muß sich klar seln, daß er nicht alle paar Wochen ein anderes Programm vertreten darf. Wissenschaftlich eine Frage prüfen und klären heißt alle Möglichkeiten klar und bestimmt ausdenken und hieraus den richügen Weg und die richtige Methode — die allerdings beide nicht nach der wirklichen oder vermeintlichen Stimmung der Masse hinund herschwanken dürfen — theoretisch festlegen, so daß sich die Praktiker danach zu richten vermögen.
Haase stand also, wie gesagt, in deren Bann, und so wie die Gärung in den Massen stieg, so rückten sie langsam nach links. Wäre der Haase vom November und Dezember der vom März gewesen, dann wäre manches ganz anders gekommen. Doch bei aller sachlichen Differenz: Die Motive Haases waren die denkbar ehrlichsten und redlichsten. Er verkannte die Situation, hatte zu großes Dertrauen zu seinen Partnern.
Dittmann war völlig der Schatten und das Sprachrohr Haases, im Kabinett und auch sonst. Auch sein Referat auf dem Rätekongreß hat Haase vorgelegen, so daß also auch dessen damalige Auffassung klar daraus hervorgeht.
Am 25. November fand in der Reichskanzlei eine Reichskonferenz der Freistaaten-Vertreter statt. Ich hatte Haase dringend nahegelegt, daß wir mit unsern Genossen der Konferenz unter Hinzuziehung unserer Genossen des Vollzugsrates, entweder vor, oder wenn die» nicht ginge, doch mindestens nach der Konferenz, eine Sitzung anberaumen follten. Doch er erklärte, das ginge nicht, weil hierdurch das gemeinsame Zusammenarbeiten unter Umständen durch ein infolgedessen entstehendes Mißtrauen unterbunden werden könne. Meine Einwendungen, daß selbst auf diese Gefahr hin wir verpflichtet seien, dahin zu wirken, im ganzen Reiche einheitlich und zielklar zu arbeiten, wehrte er mit der Vemerkung, daß noch alles im Flusse sei und wir uns nicht durch voreilige Veschlüsse binden dürften, ab. Dies rächte sich bitter. Dieses verfluchte Lavieren, diese ewige Angst vor einem Festlegen auf klare Prinzipien und klare taktische Maßnahmen bewirkten eine ewige Zerfahrenheit und Direktionslosigkeit, machten uns dauernd zum Spielball der demagogischen und, wie sich später herausstellte, uns täuschenden Routiniers, die mit ihren Anhängern und im Bunde mit den Solf, Erzberger, Schiffer usw. immer ein klares — konterrevolutionäres — Ziel hatten. Hinzu kam, daß Haase dauernd, na sagen wir, zu bescheiden war, seine Vorsitzendenrechte wahrzunehmen. Auf mein wiederholtes Drängen, er müsse abwechselnd mit Ebert die Kabinett und sonstigen Sitzungen leiten, sagte er stets, beantragen Sie es doch, wogegen ich mich verwahrte, indem ich ihm erklärte, daß ich Eine derartige Selbstverständlichkeit nicht beantrage, da ich das als eine Herabwürdigung für ihn betrachte. Es half nichts.
Auch auf dieser Konferenz hatte Ebert vorund nachmittags die Leitung und da er hierin eine meisterhafte Routine besaß, schob er die Karre so, wie er sie wollte und brauchte. Mit der ihn so vorzüglich kleidenden, salbungsvollen Würde eröffnete er in phrasenreicher Ansprache die Konferenz der „demokratisch-sozialistischen" Republik und schlug als Tagesordnung vor, daß mit Solf und Erzberger beginnend, alle Ressorts einen Vericht geben sollten, woran Kch eine allgemeine Aussprache schließen sollte. Diese Tagesordnung hatten wir nicht im Kabinett festgelegt, sondern nur Ebert und Haase. Tisner wandte sich zur Geschäftsordnung dagegen und schlug eine Dreiteilung vor: 1. Waffenstillstandsund Friedensfrage. 2. Stellung der Gliedstaaten zum Reich und 3. Wirtschaftsfragen. Lipinski unterstützte Eisner und Ulrich Ebert mit dem Resultat, das beschlossen wurde, erst die Referate zu hören und dann die Diskussion Zu gliedern. In Wirklichkeit hatte Eisner Ebert ungewollt in die Hände gearbeitet: denn das wollte Ebert, daß über vergangene Sünden geredet werde, um zu verhüten, daß etwas Praktisches und das Kabinett Bindendes beschlossen wurde. Gewiß war die AuslandsPolitik das Wichtigste und die Frage der bürgerlichen Minister bedurfte dringend der Lösung. Aber diese beiden Fragen konnten im Sinne des Sozialismus und der Revolution nicht gelöst werden, indem man über sie selbst sprach, sondern nur indem man die Wirtschaftsfragen — wozu in diesem Zusammenhang Finanz-, Demobilisations- und Ernährungsfragen gehören — im sozialistischen Stnne entschied, wodurch ganz von selbst entweder ein fluchtartiges Demissionieren von Solf bis Preuß oder die Demaskierung der Rechtssozialisten erfolgt wäre.
Die Konferenz verlief wie das Hornberger Schießen, stärkte die Macht von Landsberg und hinterließ verstärkte Zerrissenheit der U. S. P. Meine erneuten Vemühungen, am Schlusse eine Zusammenkunft unserer Genossen herbeizuführen, scheiterten, da beinahe alle unsere Teilnehmer es ablehnten, insbesondere Haase, Eisner und die auf dem linken Flügel stehenden Genossen aus Gotha und Braunschweig. Es war bald zum Verzweifeln.
Am 27. November hatte ich in der Berliner Vollversammlung der Arbeiterräte ein Referat gehalten, wartn ich unter anderem erklärte: Ein Verräter an der Revolution sei der, der sie zu einer Lohnbewegung degradiere. Ich wandte mich gegen die Streiks und erklärte dann wörtlich: „Ich sage es aber auch laut und deutlich, daß jeder Unternehmer, der das Wirtschaftsleben sabotiert oder auch nur passive Resistenz verübt, rücksichtslos, ohne jedwede Tntschädigung expropriiert wird."
Als ich nun am andern Morgen zur Kabinettsitzung kam, meinte Landsberg: „Koll. Barth. sagen Sie einmal, vorausgesetzt, daß Sie diesen Satz, der übereinstimmend in allen Zeitungen steht, worin Sie die Expropriation androhen, gesagt haben, wer Sie dazu autoristerthat?"
Ich: „Den Satz habe ich gesagt! Und wer mich dazu autoristert hat?"
Landsberg: „Ja, wir haben hierüber, als einer doch außerordentlich weitgehenden Frage, doch keinen Beschluß gefaßt."
Ich: „Nein! Aber hierzu hat mich die Revolution autorisiert, und das, da können Sie versichert sein, wird wahrgemacht! Haben Sie übrigens etwas dagegen, dann bitte sagen Sie es sofort, dann ziehe ich die Konsequenzen und trete zurück!"
Landsberg: „Nein!"
Ich: „Haben Sie etwas dagegen?" frug ich Scheidemann.
Scheidemann: „Nein!"
„Sie?" frug ich Ebert.
Ebert: „Treten wir in die Tagesordnung ein!"
„Also haben auch Sie nichts dagegen, d. h. Sie sind mit meinem Anspruch einverstanden."
Am 29. November beantragte ich im Kabinett, daß ich und ein Volksbeauftragter der S. P. D. nach der am 1. Dezember in Lad Ems stattfindenden Vertreterversammlung der Frontsoldatenräte delegiert würden. Ebert, Scheidemann und Landsberg wandten sich entschieden dagegen, Haase und Dittmann befürworteten es. tluf meine Erklärung, daß ich fahren würde, ob mit oder ohne ihre Zustimmung gaben sie dieselbe, erklärten jedoch, daß sie für sich bereits ihren Vertreter bei der O. H. L. — Giebel — delegiert hätten. Hierauf kam es zwischen mir und den Dreien, denen ich unkollegiales Verhalten, das an Hintergehung und Betrug grenze, vorwarf, zu einem scharfen Zusammenstoß.
Es sei hier bemerkt, daß wir trotz eifrigster Vemühung keinen Genossen fanden, weder zur Vertretung als Unterstaatssekretär im K.-M., noch als Regierungsvertreter bei der O. H. L., d. h. in den beiden wichtigsten Stellen hatten wir keinen Vertreter.
Am Sonnabend fuhr ich nach Köln und am Sonntag früh von da im offnen Auto nach Ems, wo wir um 3/4 12 ankamen.
Meinem Begleiter erkläre ich: „Nach meiner Auffassung gehen wir jetzt in die höhle des Löwen, d. h. in die Zentrale der Gegenrevolution. Werde ich niedergeknallt oder verhaftet, so gib sofort Bericht nach Berlin." Zu meiner größten Genugtuung hatte ich mich getäuscht. Der Vertretertag war allerdings nicht revolutionär, aber auch nicht ausgesprochen gegenrevolutionär. Es war wie bei allen Soldatenräten, eine beinahe jedes politischen Verständnisses bare, von den kleinsten und kleinlichsten Sorgen des Heute erfüllte, völlig im Vanne der Soldatenvsvchose stehende Versammlung, wo, von einigen ausnahmen abgesehen, jeder Einzelne alle Fragen nur in seinem persönlichen Interesse betrachtete, ohne zu wissen, was eigentlich Morgen seine Interessen seien. Der einzige feste Kern in der Versammlung, dem allerdings ihre große Mehrzahl, wenn auch nicht feindlich, so doch ablehnend gegenüberstand, waren die dorthin delegierten Offiziere, die es verstanden, der Versammlung zu suggerieren, daß zwischen ihren und der andern Delegierten Interessen nicht nur keine Gegensätze bestünden, sondern daß ihre Interessen völlig identisch seien. Und daher kam es, daß alle dort gefaßten Beschlüsse lediglich militärischer, die Revolution in ihrem Wesenskern völlig ignorierender Natur waren. Wieviele der damaligen Delegierten haben sich wohl, ob ihrer damaligen Kurzsichtigkeit, seitdem die Haare gerauft?
Als ich den Saal betrat, sprach gerade Giebel, in skrupelloser Weise gegen Spartakus hetzend, von der aus divergierenden Mannern zusammengesetzten Regierung, in der die Vertreter der S. P. das Abrücken zum Bolschewismus verhüten würden, zum Schluß der Versammlung zur treuen Unterstützung der Regierung „Ebert-Scheidemann" auffordernd.
Nach der Mittagspause, die nun eintrat, bekam ich das Wort, mit schwachem Veifall und regem Widerspruch begrüßt, und gab in 1 1/2 stündiger Ausführung ein Bild von den wirklichen Verhältnissen und Zuständen. Ich führte der Versammlung vor Augen, wie es mit dem Heere im Osten und Westen bestellt sei, wie das Verhältnis mit Polen und wie die Wirkungen des Waffenstillstands seien. Dann gab ich ein Vild über unsere Ernährungsverhältnisse, um dann eingehend die wirtschaftlichen und die daraus resultierenden politischen Verhältnisse zu schildern, in die sie allerdings erst hineingezogen würden, wenn sie ihre kleinen soldatischen Sorgen von heute mit den großen Sorgen von morgen vertauschen würden. Zum Schlusse appellierte ich an ihr Solidaritätsgefühl und schloß unter dem stürmischen Veifall der Versammlung.
In der Diskussion fand nun die Spartakushetze keinen Beifall mehr, und auch Giebel schlug, gewarnt, andere Töne an. Was ich in Ems hoffen konnte zu erreichen, nämlich die Unmöglichkeit, die Fronttruppen gegen uns zu mißbrauchen, das hatte ich erreicht. Um sie zu uns herüberzuziehen, dazu war die harte Schule des Lebens nötig.
Am Montag fuhr ich nach Mannheim, um wegen der Erschießung eines französischen Gefangenen im dortigen Gefangenenlager zu verhandeln, doch die Angelegenheit war bei meiner Ankunft schon erledigt.
Nunmehr fuhr ich nach Kassel zur O. H. L. In mehrstündigen Verhandlungen mit Gröner bekam ich ein klares Vild über das Tun und Wollen der O. H. L., das ich dem Major Gareis auf seine Frage nach der Unterredung folgendermaßen formulierte:
„Das, was ich bisher geglaubt, das ist mir heute zur Gewißheit geworden. Hier bei der O. H. L. laufen die Fäden der Gegenrevolution zusammen. Heute und morgen haben wir von Ihnen nichts zu befürchten, aber übermorgen, d. h. sofort nach dem Friedensschluß. Ich billige Ihnen das Recht zu, Gegenrevolution zu machen. Aber lassen Sie sich nicht dabei kriegen, denn dann geht es Auge um Auge."
Diese Worte sprach ich im Beisein einiger Mitglieder des S.-R., und Gareis war derart betroffen, daß er keine Worte der Erwinerung fand.
Am 6. Dezember kam ich nach Berlin zurück. Am Nachmittag war ich zu eine Konferenz im Abgeordnetenhaus. Um 3/4 5 Uhr verließ ich sie, um nach der Kabinettsitzung zu gehen. Als ich auf den Korridor kam, kam mir gerade Paasche entgegen, der mich am Arm faßte und nach dem Seitenausgang ziehen wollte.
„Schnell! Schnell! Genosse Barth! Das ganze Haus ist schon von Soldaten gefüllt! Der Vollzugsrat wurde eben verhaftet. Kommen Sie schnell!"
„So," sagte ich, „dann muß ich schnell sehen, was los ist und mit einem Donnerwetter dazwischenfahren."
„Menschenskind, Sie rennen mit offenen Augen in Ihr Verderben!" rief er und rannte los.
Ich ging nun den Korridor um die Ecke, da wogte es von Soldaten, die schon einige Kuriere des Vollzugsrates verhaftet hatten.
Ich stürmte hin und rief: „Wo ist euer Führer?"
Sie zeigten auf die Treppe, wo mitten im Gewoge ein Feldwebel stand. Ich brüllte nun aus Leibeskräften:
„He, Sie! Feldwebel! Kommen Sie mal herunter! Aber sofort!"
„Was fallt dem Kerl ein! Nehmen Sie ihn fest!" rief er den Soldaten zu, worauf ich den Söldaten und auch ihm zurief:
„Mein Name ist Barth, Volksbeauftragter! Und nun kommen Sie herunter, oder ich lasse Sie von Ihren Leuten sofort festnehmen! Los, hopp, schnell kommen Sie her! Was fällt Ihnen ein? Wissen Sie, daß Sie hier Hochverrat begehen, daß ich Sie mit Ihren ganzen Deuten an die Wand stellen lassen kann?"
„Zu wem steht ihr, Kameraden? Steht ihr zur revolutionären Regierung oder zur Gegenrevolution, zur Monarchie?"
„Wir stehen zur Republik!" riefen nun die Soldaten.
Ich ging nun mit dem Feldwebel Fischer in ein Zimmer, wo er mir erklärte, er komme im Auftrage der Regierung mit der Weisung, die Vollzugsratsmitglieder zu verhaften und jeden Widerstand zu brechen. Den Auftrag selbst habe er von dem Kommandanten der Franzer, Spiero. Ich rief zwei Soldaten und gab ihnen den Befehl, ihn solange festzuhalten, bis ich wiederkäme. Dann ging ich nach dem Beratungszimmer des Vollzugsrates. Die Vollzugsratsmitglieder saßen alle ruhig und still um den Tisch, und der ganze Raum war gefüllt mit Soldaten mit aufgepflanztem Bajonett, die einen ziemlichen Lärm vollführten.
„Ruhe da!" rief ich nun, „Ruhe! Und stillgestanden, wenn zu Ihnen im Dienste ein Mitglied der Regierung tritt!"
Als sie das Wort Regierung in Verbindung mit dem scharfen Tone hörten, trat augenblickliche Ruhe ein.
„Soweit Sie mich nicht kennen, mein Name ist Barth, Volksbeauftragter! Ieder hat sich meinem Vefehle zu fügen! Wer ist euer Führer?"
Der kam in dem Augenblick zur Türe herein und gab, sich erst entschuldigend, auf meine Fragen folgende Auskunft:
„Mein Name ist Schmitt. Ich erhielt von einem Kameraden, den ich kenne, der schon mehr Vefehle überbrncht hat, den Vefehl, von der Regierung unterschrieben und unterstempelt, den Vollzugsrat zu verhaften. Wenn Sie mir nun das Gegenteil erklären, dann sind wir mißbraucht worden. Ich werde sofort mit einigen Leuten gehen, um meine Auftraggeber zu verhaften und sie hierherbringen. Den von Ihnen unterschriebenen Vefehl geben Sie mir aber bitte mit."
Es kam noch eine dritte Kolonne. Ich sprach nochmal mit den drei Führern, die alle drei durch falsche Vefehle mißbraucht waren.
Als die Soldaten nun aus dem Zimmer waren, beriet der Vollzugsrat, was für energische Maßnahmen zu unternehmen seien. Ich sagte, redet nicht lange, sondern geht nach allen Kasernen, und sorgt für Aufklärung. Aber da war nichts zu machen, sie redeten.
Ich fuhr nach der Franzerkaserne, wo ich Spiero, der in der Zwischenzeit den dicken Ebert zum Präsidenten ausgerufen hatte, inmitten des S.-R. der Franzer vernahm. Spiero erklärte sich bereit zu dem von mir verhängten Kasernenarrest, der S.-R. der Franzer verpflichtete sich, Tollin Roß, Fellichner und Metternich zu verhaften, und am andern Morgen wurde die Vernehmung vorgenommen. Vei der Vernehmung stellte sich heraus: Fellichner, Krebs, Collin Roß und Metternich, die sich ihre Werkzeuge weiter unten besorgten, standen im Dienste von Hauptmann Lorenz vom K.M., dem Freiherrn von Stumm im A. A. und dem Geheimrat Simons in der Reichskanzlei sowie Moser, dem Sekretär Landsbergs. Die Sache wurde "dann einer Kommission zur Erledigung überwiesen, deren Endresultat mir nicht bekannt ist.
Am Abend kam es aber in der Invalidenstraße noch zu einer Schießerei. Schuld an dieser Schießerei trug neben den schon oben genannten Personen noch ein Krebs, S.-R. beim G. P., der wiederum im Auftrage des Stadkommandanten Wels handelte. Aufklarung wurde bis heute noch nicht gegeben.
Nach meinen Erfahrungen am 2S. und 24. Dezember vermute ich heute, daß die ganze Sache im Auftrage Landsbergs gemacht war, daß aber die Ausführenden die Sache verpfuscht haben, indem sie die zeitliche Reihenfolge umwarfen. Landsberg wollte damals kurz vor dem Rätekongreß, vollendete Tatsachen schaffen, wie er bestrebt war, dasselbe im Osten gegenüber den Polen zu tun und am 2S. und 24. Dezember. Doch hier wie dort fiel er, weil er bei seiner glänzenden Strategie zu dumme Unterführer hatte, hinein. Es sollte also folgendermaßen von statten gehen:
Erst sollte die Demonstration in der Invaliden—Chausseestrasse im Blute ersäuft, die Soldateska durch den Widerstand der Demonstranten in die. höchste Ekstase versetzt-, dann von dieser wütenden Meute der Vollzugsrat verhaftet und beim geringsten Widerstand gemeuchelt, dann Ebert zum Präsidenten ausgerufen, hierauf der Belagerungszustand verhängt und jeder Widerstand niedergeschlagen werden. W. T. B. sollte dann in so verlogener Weise, wie zu Weihnachten in Spartakistenhetze machen, der Präsident unddas U. S. P.-reine Ministerium hätten sofort den Wahltermin für die Nationalversammlung verkündet, und das ganze Volk hätteaus Dankbarkeit für die Errettung aus der von ihm noch nicht einmal geahnten Gefahr auf dem Vauche gelegen. Hei, das wäre nicht nur eine Wahlparole zur Nationalversammlung gewesen, sondern auch der hellste Glorienschein ob des Geschickes, das Gras wachsen zu hören, und ob der Entschlossenheit und Tatkraft, das Uebel an der Wurzel zu fassen.
In der Kabinettsttzung am 7. Dezember nachmittags forderte ich, indem ich zugleich meine Eindrücke von Ems und Wilhelmshöhe mitverwertete, wahrheitsgemäße Angaben, die Verhaftung von Simons, von Stumm und Lorenz, die sofortige Einsetzung einer Untersuchungskommission und weiterhin die Ausfegung des K. M. und des A. A. und die Entlassung von Wels. Die Einsetzung einer Kommission wurde beschlossen, alle weiteren Anträge mit 5 Stimmen abgelehnt.
Ich schwankte hin und her, ob ich aus dem Kabinett ausscheiden sollte oder nicht. Beweise für die Mitschuld der S. P. hatte ich nicht. Waren sie unschuldig, dann durfte keine Abstinenzvolitik geübt werden, waren sie schuldig, dann bezweckte ihr Tun, uns zu entfernen, dann durfte ich erst recht nicht niederlegen, sondern mußte bestrebt sein, Material zu sammeln, um auf dem Rätekongreß mit ihnen abzurechnen.
Am Sonntag, den 8. Dezember, hatten wir abends eine recht lebhafte Auseinandersetzung im Kabinett. Am Morgen in der S.-R.-Versammlung hatte der Vorsitzende des Potsdamer S.-R., Heyne, mitgeteilt, daß das Generalkommando Lequis mit starken und bewaffneten Truppenmassen, in denen es keine S-R. gäbe, zwischen Potsdam, wo sie die roten Jahnen heruntergerissen hätten, und Berlin läge. Ebert erklärte, daß eine Selbstverständltchkeit vorläge. Die Garde-Kavallerie-Schützen-Division, die die ganze Zeit im Felde gestanden habe, sollte hier in Berlin, ihrem Garnisonsort, einziehen und sofort entlassen werden. Nicht länger alS höchstens zwei Tage wären sie hier, ein Teil nur einen Tag, da diese Regimenter nicht in Berlin, sondern in verschiedenen andern Orten Mittel- und Westdeutschlands lägen, aber ihrem Wunsche, in Berlin einzuziehen, müsse man Rechnung tragen. Ich wandte mich scharf gegen derartige verschwenderische Spielereien, die unnütz Kohle, Transportmittel und sonstige namhafte Ausgaben verursachten und forderte ihre sofortige Entlassung bzw. den Abtransport. Meine fünf Rollegen waren dafür, da sie nun einmal vor Berlin lägen, sie nun auch einziehen zu lassen. In dem Augenblick kamen etwa 10 Mitglieder des Vollzugsrates und forderten Aufklärung über dieselbe Angelegenheit. Ebert gab die gleiche Erklärung wie zuvor. Die erschienenen S. P.- und S.-Mitglieder des V.-R. stimmten dem Vorschlage Eberts zu, nur die U. S. P.-Mitglieder desselben opponierten. Wir kamen dann überein, es war mittlerweile Mitternacht geworden, daß zwei S.-Mitglieder des V.-R. und ich sofort hinausfahren, das Kommando und die Soldaten sprechen sollten und daß die endgültige Entscheidung am andern Morgen gefällt werden follte.
Wir fuhren nun nach Wannsee, wo wir mit dem Hauptmann Pabst verhandelten. Nach einem kurzen, aber sehr scharfen Zufammenstoß gab er alle gewünschte Auskunft. Wir sprachen auf seine Veranlassung auch noch rein persönlich über die Offiziersfrage im allgemeinen und seine Person im besonderen. Das Resultat war, daß er seine pessimistische, von Selbstmordgedanken erfüllte Auffassung aufgab und mir zum Schluß herzlich dankte.
Am andern Morgen hatten wir mit Scheuch und Lequis im Kabinett Verhandlung. Auch hierbei wurde versprochen, genau nach unseren Anweisungen zu verfahren.
Heute behaupte ich, da nach den Versprechungen nicht gehandelt wurde, allerdings, zu ihrer Ehre sei es gesagt, nachdem Lequis abgedankt und Scheüch seine Demission eingereicht hatte, daß uns auch hierbei Landsberg und Genossen getäuscht haben. Ich behaupte: Die Garde-Kavallerie-Schützen-Division war von Landsberg und Genossen hinter unserm Rücken gerufen worden, um nach dem Putsch vom 6. Dezember den Landsberg-Ebert-Scheidemann-Truppen bei Niedermetzelung des Berliner Proletariats und der zu ihnen stehenden Truppen zu helfen.
An diesem Tage schnitt Landsberg auch die Frage des Joffe-Telegramms an.1 Ich gab eine kurze und bündigeErklärung, ebenso Haase. Darauf Keine weitere Frage und Keine Antwort. Ich frug nun am Schlusse der Sitzung, was das zu bedeuten habe, ob sie irgendwelche Konsequenzen daraus gezogen zu sehen wünschten, worauf die Antwort erfolgte: „Nein, für uns ist die Sache erledigt."
Hierzu möchte ich jedoch sagen: Selbst vorausgesetzt, daß das mir von deutschen Genossen gegebene Geld von Ioffe stammte, erkläre ich die Funksprüche Ioffes für mehr als dummdenn wenn ich ebenfalls Namen genannt hätte, dann wären jene Genossen sicherlich nicht mehr am Leben, die Konterrevolution hätte sie gemordet. Und im übrigen waren diese Funksprüche vom Standpunkt der Sowjetrepublik die denkbar größte Eselei, ich glaube nicht, daß es noch so einen Menschen gibt, der sich des Misbrauchs der Exterritorialität brüstet. Das war für die ganze bürgerliche Meute das denkbar angenehmste Fressen. Als Beweis dafür folgender Abwehrartikel aus der „Freiheit" vom 11. Dezember 1918:
„An den Laternenpfahl!
Von Emil Barth.
Einen Vorgeschmack, wie der weiße Schrecken mit satanischer Lust wüten würde, gibt der heutige Leitartikel der „Deutschen Tageszeitung": „Deutsche Revolution, russisches Geld".
Ein Herr P. B. ruft nach dem Reichsgericht, d. h. er ruft nach dem Hochverratsparagraphen, d. h. er ruft nach den Köpfen derer, die bei der Revolution an vorderster Stelle standen. Er ruft nach den Köpfen der siegreichen Revolution. Und man mache sich klar, nach wie vielen Köpfen dieser Herr rufen würde, wenn die Gegenrevolution siegte.
Wie und durch welche Ursachen das Telegramm Ioffes entstand oder ob, wie ich annehme, eine Mystifikation vorliegt, kann ich nicht sagendas jedoch kann ich sagen: soviel Worte, soviel Unrichtigkeiten. Ich stehe voll und ganz zu meiner Erklärung, und ich erweitere diese Erklärung dahin, daß nach meinem Wissen keiner von den Genossen, die mir Geld gegeben, etwas von den Russen erhalten hat. Ich leugne natürlich auch nicht, monatelang in eminent revolutionärem Sinne tätig gewesen zu sein. Ich leugne nicht, mehrere tausend Schutzwaffen und mehrere tausend Handgranaten zur Ausrüstung der Berliner Arbeiterschaft besorgt zu haben. Ich leugne auch nicht, daß diese Waffen durch eine vorzügliche Organisation über ganz Berlin verbreitet gewesen sind. Ich leugne nicht, daß es keine Großbetriebe in Berlin gegeben, die nicht bei dem Ausbruch der Revolution in der Lage gewesen wären, mit ihrer Sturmtruppe an der Spitze der Schutzleute Herr zu werden. Ich leugne nicht, daß, wenn es zum Kampfe gekommen wäre, es viele Opfer gekostet hätte. Ich möchte es mir aber ganz energisch verbitten, von irgendwem und irgendwann mir sagen zu lassen, daß ich im Interesse des Auslandes tätig gewesen sei.
Ich war tätig für die Revolution, für den Sozialismus, für die Menschheit. Ich war tätig, um eine illegale Organisation von vielen Tausenden zu schaffen, die, obwohl sie nicht im Schützengraben lagen, obwohl sie angeblich so hohe Löhne bezogen, bereit waren, freudig ihr Leben in die Schanze zu schlagen, um Millionen draußen an der Front daneben zu retten. Es ist nur bedauerlich, daß dies erst im Iahre 1918 und nicht schon einige Iahre früher geschah. Wäre dies früher geschehen, dann wären Millionen von Menschenleben erspart und Deutschland vor dem völligen Zusammenbruch bewahrt geblieben.
Das ist alles wahr. Wahr ist weiter, daß von dieser illegalen Organisation die Leitung der U. S. P. erst erfuhr, als daran absolut nichts mehr zu andern war. Ich konstatiere gern, daß dann auch nicht von einem einzigen Bedenken erhoben worden sind, sondern daß sie sich alle voll und freudig der notwendigen Aufgabe widmeten.
Es ist also etwas mehr, was ich heute sage, als was in meiner gestrigen Erklarung stand, und ich scheue nicht zurück vor dem Ruf nach meinem Kopfe, der von dem Organ ausgestoßen wird, dem selbst das Meer von Blut, das der Krieg gekostet hat, den Mutrausch nicht gestillt hat. Ich möchte aber gleich bemerken, sie mögen etwas vorsichtiger sein mit ihren Aeußerungen. Es war der Fehler aller Revolutionen, daß das Mitleid und die Menschlichkeit sie abhielten, das zu tun, was zur Erhaltung ihrer Sicherheit notwendig gewesen wäre. Und ich möchte hier mit aller Deutlichkeit konstatieren, daß auch in Rußland die Novemberrevolution solange friedlich ohne jeden Terror und ohne jedes Blutvergießen war, solange die Gegenseite ihrem Blutdurst und ihren Machtgelüsten nicht die Zügel schießen ließ. Und unsere blutdürstigen Hyänen, die vier Iahre lang vom Leichenschmause lebten und weit hinter der Front immer nach mehr Vlut und Leichen schrien, um aus dem Mute und den Knochen der Ermordeten und Verstümmelten Geld und wieder Gelb zu münzen, schreien nur nach unserem Blute, nach unseren Köpfen, um ihren Profit, ihr Allerheiligstes, nicht zu gefährden.
Aber sie mögen sich hüten, sie mögen den Schrei nicht allzu laut werden lassen, denn in der heutigen Zeit der Erregung und Erbitterung ist es äußerst leicht, daß sich die Extreme berühren: und sie mögen sich gesagt sein lassen, heute noch haben wir die Macht, und ebenso schädlich wie es für sie ist, daß wir die Köpfe noch auf den Schultern tragen, ebenso schädlich und gefährlich ist es auch für uns, daß bei ihnen dasselbe zutrifft. Sie mögen sich hüten, schon heute ihre Absichten von morgen allzu klar zu enthüllen: denn keine Macht der Erde kann es dann verhüten, daß dieses wollen von morgen heute unmöglich gemacht wird.
Sie mögen sich hüten, ihren Terror und weißen Schrecken an die Wand zu malen, sonst könnten sie durch unseren, dann notwendigen, aus Notwehr geborenen Terror vernichtet werden. Ich hoffe und wunsche das nicht! Ich hoffe und wünsche, daß alle einsehen lernen, daß der Zusammenbruch des Reichs territorial, wirtschaftlich und finanziell nur verhütet werden kann, wenn sich alles einmütig um das Vanner der Freiheit und des Rechtes,um das Banner des Sozialismus schart. Die anderen mögön sich gesagt sein lassen, daß von dem friedlichen Aufbau und Ausbau des völlig zerrütteten, aus tausend Munden blutenden Landes das Wohl des deutschen Volkes abhängt, daß wir aber nicht feige genug sind, diese Freiheit und unser Leben leichten Kaufes preiszugeben. Sie mögen sich gesagt sein lassen: Komme, was da wolle, wir fliehen nicht, sondern wir kämpfen, um zu siegen oder zu sterben.
Sie mögen sich gesagt sein lassen, sie alle, die jahrelang in Kriegsbesoffenheit den Mord als des Lebens höchstes Gut gepriesen hatten, um sich nun feige vor den Folgen zu drücken, die die Reichseinheit unterminieren, um ihren Geldsack zu retten, daß es nur unserm Einfluß zu danken ist, daß Ruhe herrscht und daß es nur eines Winkes von uns bedarf, um ihrer entledigt zu sein. Sie mögen sich merken, daß ihr Ruf nach dem Laternenpfahl sehr leicht sie zu dessen erster Zierde machen konnte.
Wir sind zum Frieden gewillt, zum Kampfe bereit!"
***
Die neuen Waffenstillstandsverhandlungen erforderten ebenfalls wieder einige Verhandlungen. Am 12. Dezember kamen Telegramme, die von Internierung der Waffenstillstandskommission, von scharfen Forderungen zur Erfüllung der Bedingungen vom 11. November und Androhung der Besetzung der neutralen Zone nördlich Köln bis zur holländischen Grenze berichteten. Am 12. traf eine Depesche ein, in der mitgeteilt wurde, daß die Entente die ttund S.-Räte nicht anerkenne.
Hier zeigte Erzberger so recht sein Talent, von ihm gewünschte Sachen in Tatsachen umzuformen, und dieses Gewünschte dem Kontrahenten als seinen Wunsch zu suggerieren. Er beantragte Reueerlaubnis für die Delegierten zum Kongreß der A.- und S.-Räte nach Berlin, was angeblich Foch ablehnte, und aus dieser Ablehnung machte er eine Nichtanerkennung der A.- und S.-Räte. Ob er das aus sich, oder im Einverständnis mit unsern drei ebenso wahrhettsliebenden Kollegen machte, wird vielleicht einmal die Zukunft lehren. Doch die Delegierten kamen zum Kongreß ohne jede Schwierigkeit. Am 16. abends gab uns Erzberger seinen Bericht, in dem er ganz besonders darauf drängte, daß die Lokomotiven und Waggons geliefert würden und verlangte die volle Ausnützung aller derartigen Fabriken durch Einführung von drei Schichten und Verteilung dieser Arbeiten in weitere Vetriebe. Ich unterstützte ihn und beantragte zu beschließen, daß Borsig den streikenden Formern die gestellten Forderungen bewilligen müsse, um sofort den Betrieb aufzunehmen. Doch auch mit der Forderung blieb ich allein, nur wurde beschlossen, Borsig aufzufordern, sich mit den Streikenden zu einigen.
Am 13. und 14. beschäftigten uns einige Vorstöße der Militärkamarilla, die sich bereits wieder fühlte, und die sich nicht mehr begnügte mit dem Grenzschutz Ost, sondern auch einen Grenzschutz West organisierte.
Am 16. Dezember begann der Rätekongreß.
Am 15. fand abends die Begrüßungsfeier statt. Die Einbeirufung, Leitung und Arrangierung des Kongresses lag in den Händen des Vollzugsrates, der mit geradezu abstoßender Eifersucht darüber wachte, daß die Volksbeauftragten seine Souveränität nicht antasteten. Da Landsberg und Genossen, die an Pfiffigkeit, Rabulistik und rücksichtsloser Ausnutzung ihrer Macht dem Pfiffikus des Vollzugsrats Richard Nlüller bedeutend über waren, da sie handelten, wo dieser redete, kam es zu einigen nicht erbaulichen Zwischenfällen, wovon ich nur den krassesten schildern will.
Der Vollzugsrat hatte eine Pauschalsumme für den Kongreß verlangt, die dann kaum zur Hälfte reichte. Als dann Erhöhung verlangt wurde, kam es zu einer geradezu beschämenden Blamage des Vollzugsrates. Und da nach außen hin der Vollzugsrat gewissermaßen als U. S. P. und die Volksbeauftragten als das Entgegengesetzte angesehen wurden — wie falsch dies war, habe ich schon oben gesagt: denn wir waren hier die Hälfte und dort nur ein Drittel — fo waren wir natürlich die Mitblamierten.
Doch soweit kannte man ja unsere Genossen vom V.-R., die eben in die Falle Landsberg, der die S. P.-Mitglieder des V. R. völlig an der Strippe hatte, hineingetappt waren. Aber, daß sie es unterließen, für eine Zusammenkunft der U. S. P.-Delegierten am Sonnabend zu forgen, wird für immer unverzeihlich bleiben.
Vom V. R. war nur Paul Eckert, der mit den Vorbereitungen, die Richard Müller in der Hand hatte, gar nicht vertraut war, anwesend, von den V. B. nur ich. Die Genossen von außerhalb traten «n mich heran, und wir hielten dann im Vorraum, wo alles hinund herflutete, eine Sitzung ab, in! der sich der Groll der Delegierten gegen Berlin in stärkster Weise zeigte. Wir besprachen das Notwendigste und setzten eine Sitzung für den andern Morgen fest, M der jedoch die maßgebendsten Mitglieder des V. R. wiederum nicht erschienen. In dieser Sitzung zeigte sich, daß die Direktionslosigkeit in der technischen Organisation ein Uebel, aber nicht das Hauptübel war. Es herrschte eine Zerfahrenheit in prinzipieller und taktischer Hinsicht, die nicht zu überbieten war. Die äußersten Extreme waren links Heckert und rechts Hilferding, und dazwischen bildete jeder für sich eine Fraktion, ja manche sogar zwei. In einem Punkte waren allerdings alle Delegierten einig, in der abfälligen Beurteilung Berlins, wenn auch die Motive wiederum alle Schattierungen aufwiesen. Eine neue Psychose war da. Es war, als ob ein Teil der besten Männer des Proletariats beweisen wollten, daß auch sie die Unvernünftigkeit, bis zur höchsten Potenz gesteigert, in sich verkörpern könnten. Ein Mann: dessen großes Wissen, dessen revolutionäre Vegeisterung doch wahrlich kein Mensch bezweifeln konnte, der sich aber einen klaren Blick für die wirklichen Realitäten bewahrt hatte und taktischen Blick und taktisches Geschick besaß, Lauffenberg, wurde als Leisetreter beiseite geschoben. Das Wort Prinzip schien jedes klare Denken erwürgt zir hauen. Ach, was war in jenen Tagen nicht alles Prinzip? Wie viele, die kaum allein gehen, auf keinen Fall in den Sattel steigen Konnten, spielten sich als Prinzipienreiter auf. Männer, die in der persönlichen Unterhaltung wirklich Klar sehen, wurden in den Sitzungen „prinzipientoll."
So planlos und direktionslos wie der eigentliche Kongreß vorbereitet war, so planlos war alles in unserer Fraktion. Sie konnten sich aus lauter Rivalität auf keinen Kongreßvorsitzenden, auf keine Schriftführer einigen. Bei Besetzung der einzelnen Kommissionen wurde alles dem Zufall überlassen. All dies war die Schuld unserer Genossen vom V. R. und ganz besonders seines Vorsitzenden. Ohe, wenn jemand gewagt hätte, auch nur mit einem Wort etwas von sich aus in die Hand zu nehmen, der wäre unwei gerlich als Verräter des Rätegedankens und bewußter Zerstörer des Ratesystems erklärt, verschrien, in Acht und Bann getan worden.
Am Montag konnte man vier Gruppen unterscheiden:
1. Die stärkste Gruppe, Heckert, Braß, Müller: Abstinenz auf alle Fälle.
2. Die Gruppe Geyer, Köhnen: Abstinenz wenn irgend möglich.
S. Die Gruppe Lauffenberg, Barth: wenn irgend möglich keine Abstinenz.
4. Die Gruppe Hilferding, Dittmann: unter keinen Umständen Abstinenz.
Ach, es war zum Verzweifeln. In einer potenziert revolutionären Zeit, wo Reden Blech und Handeln Gold, schnelles Handeln Diamanten sind, in einer derartig bewegten Zeit sich mit Gewalt selbst auszuschalten, mit Gewalt dem mich fanatisch hassenden Gegner alle Macht in die Hände spielen, dem Renegaten Blankovollmacht für alle von ihm zu begehenden Verbrechen zu geben, das ist wahrhaftig zum Verzweifeln.
Richard Müller ist derjenige, bei dem das Proletariat sich bedanken kann für seine Entwaffnung, bei dem die Ebert-Noske sich bedanken dürfen, daß sie in Amt und Würden statt sonst wo sitzen. Er sagte bei seinem Vericht auf dem Kongreß: ich verzichte auf die weitere Tätigkeit im Vollzugsrat, und war nun bestrebt, seine persönliche Abstinenz zur Parteisache zu machen. Heckert, dem jeder Mick für Wirklichkeit und Wirkung abging und der völlig auf denn unsinnigen spartakistischen Standpunkt stand, daß das Zusammengebrochene noch einmal zusammenbrechen müsse, war von dem Ehrgeiz erfüllt, der radikalste der Delegierten zu sein, während Braß sich lediglich von der Wirkung seines Tuns auf die Agitation im rheinischen Industriegebiet leiten ließ. Sie setzten sich in der FraKtion durch, der Zentralrat wurde boykottiert, die Landsbergs bekamen VIankovollma'cht, die Militärkamarilla feierte ihre völlige Rehabilitierung, die sozialistische Republik wurde beerdigt, die bürgerliche über die Taufe gehaben.
Hierzu trug allerdings das Referat Dittmanns auf dem Kongrsß ein gerüttelt Maß von Schuld. Ich fühle mich jedoch verpflichtet zur Verteidigung Dittmanns einige Worte zu sagen. Er schreibt ebenso wie Scheidemann und Richard Müller seine Reden vorher wörtlich nieder, und er hat sie mit Haase vorher genau durchgesprochen. Also er hat nicht mehr Schuld wie Haase.
Der Blödsinn feierte also Orgien, indem diejenigen, welche dauernd mit ihrer ganzen Lungenkraft schrien: Alle Macht den A.-und S.-Räten!, den Zentralrat boykottierten.
Auf den Kongreß selbst will ich nur ganz kurz eingehen.
Müller richtete drei Viertel seiner Rede gegen den Rat der volksbeauftragten, Dittmann war ganz erfaßt vom Einigungsfimmel. Ich selbst machte bei diesem Punkte einen scharfen Vorstoß gegen meine Kollegen wegen der Militärkamarilla und dem Grenzschutz. Ebert stellte sich vor den Kongreß und beeinflußte ihn mit seiner biedermännischen Rabulistik, und Haase lließ, zum Teil selbst schuldig, mich im Stich. Ich wollte niederlegen. Haase beschwor und bat mich, doch zu bleiben. Er versprach mir, daß er mich im Kabinett in der Kommandound in der Sozialisierungsfrage bis zur äußersten Konsequenz unterstützen würde. Ich blieb.
Daumig hielt ein vorzügliches, aber zu akademisches Referat. Er sprach, was verständlich, resigniert, in der Abwehr, statt frisch und lebendig, wie später auf dem 2. Rätekongreß, zum Angriff überzugehen. Haase stellte sich ohne Einschränkung auf den Voden der bürgerlichen Demokratie.
Die Neuwahl des Zentralrates war schnell erledigt. Es dedurfte eine.«außerordentlich scharfen Vorstoßes, um die aus Gewerkschaftsangestellten bestehende Mehrheit zu bewegen, die Sozililisierung noch zu beraten. Hilferdings Referat war matt, widerspruchsvoll: die Wirklichkeit auf den Kopf stellend, das Finanzkapital schonend, die Exportindustrie, deren restlose Sozialisierung das zwingendste Gebot ist, wenn die Valuta gehoben werden soll, und die Landwirtschaft ausschaltend. Er verlangte Wartezeit und «klärte die sozialistische Mehrheit der Nationalversammlung als das Fundament der Sozialisierung. Ein richtiges Mädchen aus der Sremde, für jeden eine Gabe bringend, für den einen eine bessere, für den andern eine mindere, für das Proletariat Honigseim und Seifenschaum. Ich machte auch hierbei einen scharfen Vorstoß und bewirkte auch, daß mein Vorschlag über die Vergwerke akzeptiert wurde. Mein Vorstoß gegen die Militärkamarilla bekam eine kräftige Unterstützung durch eine Demonstration der Berliner Garnison.
Der Kongreß brachte neben andern zwei wesentliche Veschlüsse, deren sofortige Erledigung uns aufgetragen war.
Der erste, zur Kommandogewalt, lautete:
1. Die Kommandogewalt über Heer und Marine üben die Volksbeauftragten unter Kontrolle des Vollzugsrats aus.
2. Als Symbol der Zertrümmerung des Militarismus und der Abschaffung des Kadavergehorsams wird die Entfernung 'aller Rangabzeichen und das Verbot des außerdienstlichen Waffenrragens angeordnet.
3. Für die Zuverlässigkeit der Truppenteile und für Aufrechterhaltung der Disziplin sind die Soldatenräte verantwortlich. Der Kongreß der A.- und S.-Räte ist der Ueberzeugung, daß die unterstellten Truppen den selbstgewählten Soldatenräten und den „Vorgesetzten" im Dienste den zur Durchführung der öielc der sozialistischen Revolution unbedingt erforderlichen Gehorsam erweisen. Vorgesetzte außer Dienst gibt es nicht mehr.
4. Entfernung der bisherigen Achselstücke, Unteroffizierstressen usw., Kokarden, Achselklappen und Seitengewehre ist ausschließlich Angelegenheit der Soldatenräte und nicht einzelner Personen. Ausschreitungen schädigen das Ansehen und die Revolution und sind zur Zeit der Heimkehr unserer Truppen unangebracht. Der Kongreß verlangt Abschaffung aller Orden und Ehrenzeichen und des Adels.
5. Die Soldaten wahlen ihre Führer selbst: frühere Offiziere, die das Vertrauen der Mehrheit ihres Truppenteils genießen, dürfen wiedergewählt werden.
6. Offiziere der militärischen Verwaltungsbehörden und Veamte im Offiziersrang sind im Interesse der Demobilisation in ihren Stellungen zu belassen, wenn sie erklären, nichts gegen die Revolution zu unternehmen.
7. Die Abschaffung des stehenden Heeres und die Errichtung der Volkswehr sind zu beschleunigen.
Der zweite, zur Sozialisierung lautet:
„Der Kongreß der Arbeiterund Soldatenräte beauftragt die Regierung, mit der Sozialisierung aller hierzu reifen ?n> dustrien, insbesondere des Vergbaues, unverzüglich zu beginnen."
Der Kongreß, insbesondere die Fraktionssitzungen der U. S. P., hatten aber auch bewiesen, daß die Partei unmöglich einheitlich bleiben konnte. Das sah jeder ein, nur, was werden würde, das war nicht zu sagen. Machte sich die Spartakusgruppe selbständig und ging der rechte Flügel zur S. P., dann war die Partei erledigt, blieb der rechte Flügel, dann gab es zunächst einen scharfen Kampf innerhalb der Partei, dessen Ausgang ungewiß war.
b) Vom 20. bis 24. Dezember.
Am Abend des 20. Dezember sollte eine gemeinsame Sitzung des Zentralrates (Z. R.) mit den V. B. stattfinden. Als ich von meinem Zimmer zur Kabinettsitzung ging, kam ich durch einen langen Saal, in dem eine Sitzung, unter Vorsitz Landsbergs, mit den Vertretern der besetzten Gebiete stcrttfand. Da ich nicht annehmen konnte, daß dies eine Parallelsitzung sei, blieb ich bis zum Schlusse, wo dann Landsberg mir auf meine Frage, wann die Sitzung des K. mit dem Z. R. sei, erklärte: die tagt schon lange. Ich ging nun hin und fand dort von den V. B. nur Ebert und Scheidemann, außerdem aber Gröner.
Wie unaufrichtig die Ebert, Scheidemann und Landsberg uns gegenüber handelten, wird man erkennen, wenn man bedenkt, daß auf unser Telegramm vom 15. 12. an die O. H. L. noch keine Antwort eingegangen sein sollte — eine Antwort, auf die der ganze Kongreß wartete — und daß nun, nach Veendigung des Kongresses, Gröner anwesend war. Es muß doch jedem nicht völlig blöden Menschen klar sein, daß Gröner seine Ankunft telegraphisch oder telephonisch mitgeteilt hatte, und daß er in dieser Mitteilung auch die Antwort der O. H. L. mit eingeflochten haben muß. Ich war, als ich Gröner sah, im ersten Augenblick ganz überrascht. Die Aussprache zwischen den zwei V. B., dem Z. R. und Tröner hatte schon lange Zeit gewährt und folgende Normen angenommen. Hei meinem Eintritt sprach Lampl-Hamburg, der Begründer der sieben Hamburger Punkte, zur Kommandogewalt auf dem Kongreß, aus dessen Ausführungen ich nicht Klug werden konnte. Nach ihm sprach Gröner, dessen Ausführungen kurz zusammengefaßt lauten: „Meine Herren! Ich danke Ihnen für Ihr weitgehendes Entgegenkommen, das von Ihrem großen Verständnis und dem Bewußtsein Ihres großen Verantwortungsgefühls Zeugnis ablegt. Wir sind uns also einig, daß es beim Feldheer und dem Grenzschutz so bleibt, wie es ist, Vertrauensleute der Mannschaften, nicht S. R., die die materiellen Interessen der Mannschaften zu vertreten, ein gutes VertrauensVerhältnis zwischen Offizieren und Mannschaften und stramme Zucht und Disziplin zu schaffen versuchen, und in der Heimat erfolgr schnellste Demobilisation und bis zu derselben eine organische HinÜberleitung zur Volkswehr."
Nach Gröner sprachen noch zwei Mitglieder des Z.R. in demselben Sinne, worauf ich zum Worte kam, um auszuführen:
„Genossen, gestatten Sie mir, daß ich Ihnen sage, daß mir Ihr Verhalten geradezu unglaublich erscheint. Einstimmig beschloß der Kongreß die sieben Hamburger Punkte. Er beschloß sie als Gesetz, nicht als Material oder zur Verücksichtigung: denn den dies aussprechenden Punkt acht hat er gestrichen. Und nun bedenken Sie, in dem Augenblicke, da Sie zusammentreten, um, wenn die V. B. eventl. zaudern und zögern sollten, diese zu zwingen, daß sie den Veschluß sofort zur Tat werden lassen, da mißbrauchen Sie schnöde das in Siez gesetzte Vertrauen und fallen vor einem stirnrunzelnden General um. Dies ist, das sage ich Ihnen unumwunden, ein glatter Verrat Ihrerseirs an den A. und S. R. Deutschlands, am deutschen Proletariat, ist ein unglaublicher Mißbrauch des in Sie gesetzten Vertrauens bei Ihrer ersten Handlung. Sie, die Sie das Musteran Treue und Entschiedenheit, die Sie der Sels der sozialistischen Republik sein sollen, an dem sich die heranbrandenden Wogen der Militärkamarilla brechen sollen, Sie fällen sich selbst, was sollen denn da unsere Genossen draußen noch glauben, was sollen sie tun?
Und Ihnen, Herr General, möchte ich sagen: der Kongreß der A. und S. R., das allein maßgebende und souveräne Parlament, trat nicht zusammen, um Ihnen genehme Veschlüsse zu fassen, sondern um zu beschließen, was er im Interesse der Revolution für notwendig hielt. Diesen Veschlüssen haben Sie sich ohne jede Einschränkung zu fügen, und wenn Sie das nicht wollen, oder glauben nicht zu können, dann haben Sie Ihren sofortigen Abschied zu nehmen. Nehmen Sie Ihren Abschied jedoch nicht, arbeiten, handeln und wirken aber gegen die Veschlüsse, dann begehen Sie Hochverrat geaen die sozialistische Republik, die Ihnen dann wohl zeigen wird, daß sie sich Ihrer zu entledigen und sich zu sichern vermag.
Genossen! Ich verlange von Ihnen den Veschluß, daß sich die V. B. sofort mit dem K. M. in Verbindung setzen, um die technischen Sragen zu erörtern und zu lösen, damit zu Weihnachten den Brüdern im grauen Rock dieses Gesetz als Gabe überreicht wird."
Diese Ausführungen und deren Ton bewirkten eine erfreuliche Ernüchterung bei dem Z. R., und nachdem die Genossen Haase und ganz besonders Dittmann — die gleich nach mir gekommen waren — meine Ausführungen kräftigst unterstützt hatten, wurde meinem Antrage gemäß beschlossen.
Es war also Veschluß, daß den Soldaten bis spätestem Weihnachten die vom Kongreß beschlossenen Hamburger Punkte gesetzlich zuerkannt sein müssen.
Gröner ging, und wir verhandelten gleich über die Sozialisierung.
Auch hierbei wurde nach meinem Vorschlag beschlossen, daß durch Verordnung der V. B. der gesamte Kohlen-, Erz-, Kaliund Salz-Vetgbau in den Vesitz der Allgemeinheit, mit weitgehendster Verwaltungsbefugnis der Arbeiterund Angestelltenräte, übergehen müsse, wobei die Entschädigungsfrage offen bleiben solle, und zwar vor den Feiertagen, als Weihnachtsgabe an das gesamte arbeitende Volk Deutschlands .
Die nächste gemeinsame Sitzung wurde auf den 3. Januar festgesetzt.
In der Kabinettsitzung am 21. früh kam Ebert mit einerVorlage des K.M. wegen der Demobilisation. War es schon eigenartig, daß nicht mit dem K.M. verhandelt wurde, wegen des Kongreßbeschlusses, so war es zweifellos noch viel eigenartiger, daß eine derartige Vorlage kam und noch eigenartiger, daß dieselbe von Landsberg und Genossen so lebhaft und warm befürwortet wurde. Eine Vorlage, die allen bisher gefaßten Veschlüssen ins Gesicht schlug, die Klar von dem Vestreben diktiert war, eine gewaltige Heeresmacht zu schaffen, und nicht nur das, fondern eine neue Drillanstalt mit all ihren gemeinen Einrichtungen brutalen und grausamen Vestrafungen, mit völlig exklusivem Offizierkorps und unter Ausschluß der Soldatenrate, nur mit Ausbau der Küchenkommissionen.
Es Kam nun zu einer äußerst scharfen und lebhaften Debatte. Von unserer Seite wurde Klargelegt, daß dieser Entwurf nicht nur unserer Verordnung betreffend die Demobilisation vom 12. November, sondern auch, und dies in geradezu provokatorischer Weise, auch dem Kongreßbeschluß und dem Veschluß vom gestrigen Abend mit dem Zentralrat zuwider sei. Weiter erklärten wir, daß es gar nicht angängig sei, einen derartigen Veschluß ohne die Zustimmung des oentralrates zu fassen: Außerdem sei der materielle Inhalt des Entwurfes nicht nur eine Verhöhnung, sondern eine beschimpfende Massakrierung der Revolution.
Landsberg und Genossen drohten mit dem Austritt aus dem Kabinett: Wir sagten: bitte schön, geht! Nun schlugen sie um. Da bei einer Abstimmung die Vorlage mit drei gegen drei Stimmen abgelehnt worden wäre, so gaben sie klein bei und waren mit der Vertagung bis zum Zusammentritt des Zentralrates einverstanden. Diese völlig überflüssige — reine Sabotage darstellende — Debatte dauerte bis 1/2 1 Uhr.
In der Zwischenzeit hatte Haase ein Telegramm vom S. R. Ober-Ost erhalten, das ein Geheimtelegramm Hindenburgs enthielt, mit folgendem skizziertem Inhalt:
Streng vertraulich! Geheim!
Ich erkenne die von dem Kongreß der A. und S. R. gefaßten Veschlüsse nicht an .... Dieses Necht hat nur die National-Versammlung .... Die Veschlüsse widersprechen auch den zwischen mir und der Regierung getroffenen Verabredungen und Vereinbarungen .... Es bleibt deshalb bei den bisher gegedenen Vefehlen. Hindenburg.
Haase verwahrte sich scharf gegen eine derartige Anmaßung.
Landsberg hieß sie zwar nicht gut, aber er plädierte für den guten Glauben und die gute und ehrliche Absicht Hindenburgs, derselbe Landsberg, der täglich Zetermordio schrie, wenn irgendwo ein A. oder S. R. eine kleine Dummheit machte.
Ebert, dem das militärische Gebiet im Kabinett unterstand, hätte doch als erster schärfste Verwahrung einlegen müssen, aber er hieß es zwar nicht glücklich, aber aus der soldatischen in unsere Sprache übersetzt, für gerechtfertigt und zweckentsprechend: denn bis zu unserer Verkündigung müsse es doch beim alten bleiben, wenn nicht völliges Durcheinander eintreten sollte.
Ich trat erst scharf Landsberg und Ebert entgegen und verlangte dann die Amtsentsetzung der gesamten G. H. L., deren Verhaftung und Aburteilung.
O weh! O weh! Nie konnte ich? Ich wurde beinahe gelyncht.
Wir verlangten nun erneut die sofortige Zusammenberufung des lediglich aus Rechtssozialisten bestehenden Z. R. Sie lehnten ab! Sie hatten noch nicht vorbereitet und ausgeführt, was sie im Schilde führten, sie wollten den Z. R. erst vor vollendete Tatsachen stellen und ihn dann zum Hehler ihrer Taten machen.
Am Sonnabend Abend hatte Ebert eine Unmenge Zeüg in seiner Mappe, das alles „dringend" erledigt werden mußte, womit denn auch der Abend ausgefüllt wurde. Um Schlusse der Sitzung schlug Ebert vor, am Sonntag keine Sitzung abzuhalten, damit jeder von uns die wegen des Kongresses liegen gebliebene Arbeit erledigen könne.
Ich widersprach, indem ich darauf hinwies, daß es die höchste Zeit sei, wenn wir die beiden wichtigen Anträge des Kongresses, dem Auftrage des Z. R. gemäß, zu Weihnachten erledigt haben wollten — und dazu hätten wir uns verpflichtet — um uns mit dem K. M. und dem Reichswirschaftsamt in Verbindung zu setzen, um eiligst das Notwendige zu veranlassen und zu erledigen. Es sei doch geradezu unerträglich, wie von ihrer Leite dauernd künstlich Differenzen und Hindernisse hervorgerufen und aufgebaut würden. Ebert erklärte, daß er diesen Vorwurf, weil unberechtigt, zurückweisen müsse. Die künstlichen Differenzen schüfe ich. Morgen geht es nicht, und am Montag müßten die Vesprechungen mir dem Kriegsminister und dem Reichswirtschaftsminister stattfinden. Er glaube kaum, daß es möglich sei, noch vor den Seiertagen die beiden Angelegenheiten zu erledigen.
Haase, den nun wieder seine Konzilianz im Vanne hatte, griff vermittelnd ein. Er erklärte, die beiden Vorlagen müßten erledigt werden, aber er selbst wäre auch froh, wenn er morgen einmal freu wäre, um die dringendste Arbeit hier und zu Hause zu erledigen. Resultat: am Sonntag keine Sitzung.
Am Sonntag hatte ich eine fünfstündige Aussprache mit einem Gesandten Lenins. Es war seit der Revolution das erste Mal, daß ich einwandsfrei, völlig objektiv über Rußland unterrichtet wurde. Der Allgemeinzustand Rußlands sei nicht hoffnungslos, nicht katastrophal, aber schlecht. Sie hätten den zähen Willen und auch die Energie, sich völlig allein durchzusetzen, aber hoffnungsvoll wäre in dem Augenblick ihre Lage, wo sie von Deutschland hunderttausend Techniker und qualifizierte Handwerker zum Aufbau ihrer Industrie erhielten. Ich setzte ihm eingehend meine Auffassung und mein Wollen auseinander und am Schlusse der Unterhaltung erklärte er mir, daß er mit verschiedenen deutschen Genossen gesprochen habe, aber bei keinem eine so verblüffende Uebereinstimmung mit der Auffassung, sowohl in der Gesamtlage, wie in Einzelfragen mit Lenin gefunden habe wie bei mir.
Am Montag früh um 9 Uhr kam ich mit Haase in das Sitzungszimmer. Ebert, Scheidemann und Landsberg saßen am Tisch und unterhielten sich lachend uber das Malheur Scheidemanns, daß er sein Gehalt als Minister bei Ausbruch der Revolution zurückzahlen mußte. Recht breit erzählte Ebert, noch breiter erzählte Scheidemann, bis ich dazwischenplatzte, indem ich sagte: das ist ja sehr interessant und amüsant, aber ich glaube doch wirklich, daß wir heute unsere Zeit notwendiger gebrauchen, und bitte anzufangen.
Ebert räusperte sich, rückte seinen Sessel, dehnte seinen ihm plötzlich zu eng werdenden Kragen, putzte seine Augen aus und fing dann endlich, ganz verlegen und, da er keine Mappe bei sich hatte, also auch nicht in dieselbe sehen konnte, hilfesuchend von einem zum andern sehend, also zu reden an:
„Kollegen, so — geht — es — nicht — mehr. Das — halten — ja — die — stärksten — Nerven — nicht — aus. Wir können hier, in Berlin, keine Stunde mehr regieren. Am Sonnabend, nein, das ist nicht zum Ertragen, da war doch alles in Berlin wieder auf den Kopf gestellt. Wenn hier 12 Mann bewaffnet hereinkommen und die Wache wehrt sich nicht, und wir wehren uns nicht, dann heben sie uns einfach aus, und das Regieren hat ein Ende. Das geht hier mit den ewigen Deputationen und den ewigen Bedrohungen keine Stunde mehr. Wir müssen heute noch nach Weimar oder Rudolstadt."
Landsberg spann nun diesen Faden noch weiter. Autorität, Herrschaft der StraKe, Regierungssoldaten, die zum Schießen bereit sein müssen, Spartakisten, Verbrecher und Narren, die Als Zuchthaus oder Irrenhaus gehören, die Regierung muß mit dem Reich gegen Verein usw. Die ganze Leichte einer schönen Seele, während ihre Augen Haß und Verachtung sprühten.
Haase vermittelte, ganz besonders in den Vordergrund rückend, dass wir ohne Zentralrat eine Verlegung der Regierung nicht beschließen Könnten.
Ich wurde grob und höhnend. „Seien Sie doch ehrlich!" sagte ich, „sagen Sie doch, Sie wollen den Konflikt! Sie sabotieren unsere Arbeit, spielen Schindluder mit dem Sozialismus, verraten die Republik, um Faschingsoder Hottentotten-Wahlen in Ihrem Sinne für die Nationalversammlung zu machen. Sie unterbinden jede Sozialisierung! Sie stellen sich schützend vor die Militärkamarilla! Sie wollen aus Berlin, um im Reiche für sich Stimmung zu machen! Sie sind eine Volksregierung und fürchten und hassen das Volk! Sie sind als Regierung durch die Revolution erzeugt und schmähen, verlästern und verraten die Revolution! Sie wollen nach Weimar oder Rudolstadt, weil, wenn hier zwölf Mann bewaffnet kommen und die Wache sich nicht wehrt, daß Sie, um sich zu wehren, zu feige sind, brauchen Sie mir nicht erst zu sagen, es mit der Regierung vorbei ist. Das stimmt! Aber wenn wir heute nach Weimar oder ttudolstadt — warum nicht nach Buxtehude oder Katzenellenbogen — fahren, und dort kommen zwölf Mann bewaffnet und die Wache wehrt sich nicht und wir wehren uns nicht, ist es dann nicht auch ausregiert? Und das geben Ste doch zu, daß wir, wenn wir jetzt sofort beschließen, wegzufahren, doch unsere sieben Sachen packen müssen und darum vor morgen früh nicht fahren können. Welches homerische Gelächter würde erschallen, wenn wir am Morgen des Weihnachtsabends, wo jeder, der es einigermaßen möglich machen kann nach Hause zu den Seinen fährt, wenn wir an dem Tage Hals über Kopf mit einer unheimlichen Heimlichkeit von unsern Familien aus Lerlin flüchten würden. Hören Sie auf mit diesen Hanswursteleien, vertrödeln Sie nicht die Zeit!"
Diese Debatte ging bis 12 Uhr, wo Baake meldete, daß eine Deputation der Matrosen da sei, die dringend verlangten, vorgelassen zu werden, da ihnen das Geld für die Löhnung verweigert würde. Landsberg, der fonst immer tobte, sagte, wir wollen sie gleich vorlassen.
Die Matrosen kamen herein und erklärten, daß ihnen die notwendigen 80 000 Mk. zur Löhnungszahlung verweigert würden und daß sie für nichts gutsagen könnten, wenn den 1600 Mann zu Weihnachten ihre Löhnung nicht ausgezahlt würde.
Das Mephistogestcht Landsbergs strahlte in fanatischer Freude. Strahlend zog er ein Schriftstück aus der Tasche und erklärte:
„Hier ist ein Protokoll vom 16. Dezember, worin Sie sich verpflichteten, die Matrosendivision auf 600 Mann zu reduzieren und das Schloß zu räumen, widrigenfalls Ihnen die Löhnung nicht mehr ausgezahlt würde."
Die Matrosen bestritten, etwas derartiges vereinbart zu haben. Ihr Sprecher führte aus: Sie seien am 9 November aus Aufforderung Eberts von Kiel herübergekommen. Er habe sie noch als Reichskanzler, nicht als V. B. gerufen, vielleicht schon damals mit der Absicht, sie gegen die Revolution zu verwenden, wie er es, da sie sich hierzu nicht gebrauchen ließen, mit der von ihm anscheinend gerufenen Finnlandgarde beabsichtigte. Seit dem 6. Dezember, an welchem Tage sie sich nicht von ihrem damaligen Führer, von Metternich, gegen die Revolution haben mißbrauchen lassen, werde gegen sie gehetzt und ihnen das Leben sauer gemacht. Schon bei der letzten Löhnung seien sie auf Schwierigkeiten gestoßen. Wels habe ihnen erklärt, sie müßten reduziert werden. Sie hätten sich auch mit Wels über die Reduzierung dahingehend verständigt, daß alle nicht politisch und gewerkschaftlich organisierten Matrosen entlassen werden müßten, und daß dann, bei einer eventl. weiteren Reduzierung, Wels die Entlassungen, die sie ihren Genossen und Kollegen gegenüber unmöglich aussprechen könnten, selbst vornehmen müßte. Hierzu sei aber eine vorherige Aussprache und Verständigung mit dem Rot der Volksbeauftragten notwendig, da sie der Auffassung seien, daß derselbe, ganz besonders aber Ebert, nicht die Matrosen, die von ihm gerufen und in den ersten Tagen der Revolution sein Rückgrat gewesen waren, einfach aufs Pflaster setzen würde. Im übrigen seien ja schon 1400 Mann entlassen. Die Räumung des Schlosses hätten sie ohne weitere s zugestanden und seien auch sofort dazu bereit, wenn vereinbart würde, daß es nicht von anderen Truppen besetzt werden dürfe und sie die Wache vor den verschlossenen Toren stellten. Das vorliegende, von Landsberg verlesene Schriftstück sei kein Protokoll, sondern eine ihnen bis jetzt völlig unbekannt gewesene, der Wahrheit nicht entsprechende, einseitige Darstellung von Wels, Würden Verabredungen heute mit uns getroffen, so würden sie sich natürlich strikte danach richten.
Landsberg mußte das Fehlen der Unterschriften, d. h. seine vorherige völlig falsche Darstellung bestätigen, und wir beschlossen, daß die Matrosen sofort das Schloß räumen, die Schlüssel abliefern und sich verpflichten sollten, bis zum 1. Januar die Division auf 600 Mann zu verringern, daß jedoch die zu entlassenden Matrosen möglichst der „Republikanischen Sicherheitswehr" eingereiht werden fMten. Nach Ablieferung des Schlüssels sei das Geld auszuhändigen.
Wir tagten noch bis 1/2 3 Uhr weiter, verständigten uns, daß die Verlegung des Regierungssitzes von Berlin vertagt werden solle und setzten die nächste Sitzung auf abends 6 Uhr an.
Um 4 Uhr kamen etwa 20 Matrosen zu mir ins Ammer mit einer riesigen Kiste mit Schlüsseln, unter Führung Dorenbachs, der mir erklärte, daß sie das Schloß geräumt hätten, daß dies. die Schlüssel seien und er froh sei, wenn bei der ungeheuren, durch die Vorenthaltung der Löhnung und den Veschluß der Regierung erzeugten Erregung die Löhnung vorüber sei. Ich klingelte nun im Veisein der Matrosen Wels an und sagte ihm, daß die Matrosen mit den Schlüsseln vom Schloß bei mir seien, also dasselbe geräumt hätten, und er ihnen nunmehr ihr Geld auszahlen solle.
Wels: „Nein! Das geht nicht! Die müssen mir die Schlüssel selbst bringen, sonst gibts keinen Pfennig. Jetzt habe ich sie in der hand.
Ich: ,,Menschenkind, mach doch keinen Unsinn und rede Keine Blech. Die Schlüssel sind hier, und du Kannst sie ja, wenn wir entschieden haben, wer sie aufbewahrt, abholen. Die Matrosen sagen: sie hätten sie hierhergebracht, weil, wenn sie nach der Kommandantur gegangen wären, es leicht zu unliebsamen Zusammenstößen hätte führen können. Du weißt doch selbst, welcher Beliebtheit du dich bei ihnen erfreust, und es wäre doch jedenfalls das denkbar bedauerlichste, wenn es 24 Stunden vor Weihnacht durch den einen oder andern Unbesonnenen zu irgendwelchen unliebsamen Zusammenstößen käme."
Wels: „Das ist mir ganz gleich! Ich muß die Schlüssel haben, ehe ich das Geld herausgebe! Ich habe die Verantwortung."
Ich: „Aber nun erlaube einmal, wenn ich dir sage, ich übernehme die Verantwortung, dann muß dir das doch genügen. Also zahle. Ia?"
Wels: „Nein! Deine Verantwortung genügt mir nicht. Wenn es Ebert sagt, dann ja!"
Ich: „Zum Donnerwetter noch mal! Ietzt kann ich wirklich verstehen, daß kein Mensch mit dir verhandeln kann, ohne sich mit dir in den Haaren zu liegen! Du sprichst mir nolens volens die Vertrauenswürdigkeit ab. Wenn die Matrosen nicht hierständen, würde ich dir etwas anderes sagen. Doch das eine merke dir. Ebert ist kein Iota mehr und kein Iota weniger als ich. Wir sind sechs V. B. mit völlig gleichen Rechten. Ich habe mir wahrlich noch Keine Sekunde etwas darauf eingebildet, V. B. zu sein. Aber hier hört es denn doch auf. Also ich übernehme die Verantwortung, und du gibst das Geld."
Wels: „Ich wollte dich nicht beleidigen. Aber Ebert hat das Militärische. Wenn er mir also sagt: Zahle! Dann kann ich zahlen, aber wenn du es sagst, dann bleibt mir immer die Verantwortung."
Ich: „Na gut! Ich schicke jetzt die Matrosen zu Ebert, dann mag doch er, wenn es mir nicht möglich ist, die Sache zu regeln, weil du mir die Verechtigung absprichst, sie regeln."
Schluß.
„Ihr habt ja gehört, was ich sagte," erklärte ich den Matrosen, „geht hinüber zu Ebert, der Klingelt bei Wels an, dann ist die Sache erledigt."
Die Matrosen waren nun begreiflicherweise ärgerlich, schimpften und fluchten und zogen mit ihrer Bundeslade ab.
Ich erledigte nun einige andere Deputationen und besprach dann mit Unterstaatssekretär v. Möllendorf seinen Wirtschafte plan, als der Sekretär Eberts ins Zimmer kam und mich bat, sogleich zu Ebert zu kommen. Ich verabredete mit Möllendorf eine neue Zusammenkunft, sagte ihm, welche s statistische Material ich wünsche, und ging zu Ebert.
In seinem Arbeitszimmer war er nicht, und so ging ich nach seinem Wohnzimmer, klopfte an und trat ein. Ebert lief im Zimmer hin und her, Landsberg, Scheidemann und Vaake saßen. Sie schauten mich alle vier ganz perplex an, ich sie auch.
„Sie ließen mich doch rufen," sagte ich zu Ebert.
Ebert: „Ich? Nein!"
Ich: „Nanu, machen Sie doch keine Witze! Krüger war doch bei mir."
Landsberg: „Ja, Kollege Barth, wir wollten nur sehen, ob Sie uns Gesellschaft leisten."
Ich: „Gesellschaft leisten?"
Landsberg: „Ja, wissen Sie denn von nichts? Von gar nichts?"
Ich: „Na sprechen Sie doch nicht in Rätseln."
Landsberg: „Na, dann will ich Ihnen die Mitteilung machen, daß wir außerordentlich erfreut sind, daß Sie uns in unserer Gefangenschaft Gesellschaft leisten."
Ich: „Was? Gefangenschaft? Seit wann machen denn Sie Witze?"
Landsberg: „Ich sehe Sie wissen wirklich von nichts, ich werde es Ihnen also erklären. Wir sind von den Matrosen verhaftet. Von unserer eigenen Wache. Kein Mensch darf das Haus verlassen und die Telephonzentrale ist gesperrt. Sie sind also unser Schicksalsgenosse."
Ich: „Machen Sie doch keinen Unsinn! Haben Sie Telephon hier? Nein! Na da will ich mal von meinem Zimmer telephonieren. Davon muß ich mich selbst überzeugen, bevor ich es glaube."
Ich ging nun in mein Zimmer, nahm den Hörer und auf die Erklärung, die Leitung ist gesperrt, sagte ich dem Vetreffenden, er solle keinen Unsinn machen, ich müsse Verbindung haben. Darauf wurde ich verbunden.
In dem Augenblick rasselte das andere Telephon mit folgendem Gespräch:
„Hier Klawunde, Vorsitzender des S. R. Potsdam."
„Hier Barth. Ist Heyne nicht mehr Vorsitzender vom P. S. R?"
„Nein! Seit Sonnabend bin ich es. Hier wurden eben einige Regimenter Infanterie und Kavallerie nach Berlin verladen, die schon, wie mir eben mitgeteilt wurde, seit heute morgen alarmbereit lagen. Sie sollen von der Regierung gerufen sein, um einen Spartakistenputsch niederzuschlagen. Stimmt das?"
„Unsinn! Versuchen Sie doch alles Mögliche, um deren Abfahrt zu verhindern. Die sind ja verrückt! Einen Putsch! Blutvergießen am Weihnachtsabend. Sehen Sie doch bitte sofort zu, was ich noch machen läßt."
„Zwei Züge sind schon lange weggefahren. Ich werde sehen, was ich noch machen kann."
Ich ging nun sofort zu Ebert und frug, wer in Potsdam diese Anweisungen gegeben habe. Ich bekam zur Antwort: Wir wissen von nichts. Die Gesichter Eberts und Landsbergs strahlten vor Wonne und Freude.
Die Sperre der Reichskanzlei war schon aufgehoben.
Ich bat nun Ebert dringend, sofort bei allen militärischen Stellen anzurufen, um Auskunft zu bitten und Gegenbefehle anzuordnen.
Ebert erklärte: Das ginge nichtdenn es könne doch nicht angehen, daß wir dauernd einer Handvoll Elemente preisgegeben seien, daß wir dauernd auf einem Pulverfasse säßen. Mit diesen Zuständen müsse jetzt aufgeräumt werden.
Ich sagte ihm, das sei ein verbrecherische s Vabanquespiel, wozu ich meine Einwilligung nicht gäbe, ich müsse auf das lebhafteste protestieren. Irgend welche Maßnahmen könnten doch in der Angelegenheit nur durch Kabinettsbeschluß unternommen werden, und wir müßten uns doch auf das Entschiedenste verbitten, daß irgendeine militärische Stelle in unserm Namen etwas unternehme. Landsberg sagte hierauf, dak er meine Aufregung nicht verstehe, da ich mich doch über die andere Seite nicht aufrege. Ich entgegnete, daß dieser in der Erregung begangene, durch Wels verschuldete Dummejungenstreich doch erledigt sei, und daß doch sie durch Vorenthaltung der Löhnung ein gut Teil Schuld auf sich geladen hätten. Eine Gewaltmaßregel habe immer eine andere der Gegenseite zur Folge, und unsere Aufgabe als Volksregierung sei es doch, dafür zu sorgen, daß Ruhe und Vertrauen herrsche und nicht wilder, blutiger Kampf tobe.
Ebert versprach nun, zu veranlassen, daß keine Truppen von Potsdam kämen, bzw. daß ankommende zurückgeschickt würden. An diese Worte glaubte ich, auf die Worte verließ ich mich.
Um 6 Uhr hatten wir Sitzung, in welcher wir die Verordnung über Tarifverträge, Arbeiterund Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten berieten. Reichsarbeitsminister Bauer trug die Verordnung vor und begründete sie, wobei alle meine Mänderungsanträge gegen fünf Stimmen abgelehnt wurden.
Dies ist doppelt wichtig. Einmal, daß ich keine Verantwortung für diese mit Recht angefeindete und bekämpfte Verordnung trage. Und dann, was bedeutend wesentlicher und wichtiger ist, weil daraus hervorgeht, daß die Ebert, Scheidemann, Landsberg abends zwischen h und 8 Uhr, da ihnen, was auf der Kommandantur vorgegangen, schon bekannt war — wir erfuhren dies erst später, da Ebert, als ich die Frage der Matrosen anschneiden wollte, sie für erledigt erklärte — nicht nur nichts sagten, sondern sogar eine Aussprache darüber verhinderten, um zu ihrem planvoll vorbereiteten Vorgehen völlig freie Hand zu behalten.
Nach Erledigung dieser Verordnung wurde an diesem ilbend noch endgültig Vrockdorf-Rantzaus Verufung zum Leiter des A. A. gegen meine Vedenken «und entgegen meinem Vorschlage, Vreitscheid hierzu zu nehmen, mit fünf gegen eine Stimme beschlossen.
Um 8 Uhr war unsere Sitzung zu Ende. Haase und Dittmann gingen sofort weg, ohne mir, obwohl ich sie auf den Ernst der Situation und meine Vedenken aufmerksam machte, zu sagen, wohin. Allerdings hatte ich sie auch nicht danach gefragt.
Um 1/2 9 Uhr kam nun ein Trupp Matrosen vor die Reichskanzlei, besetzte den Hof, und einige Mann kamen zu mir nach oben und erklärten: Im Tiergarten stehen einige tausend Mann Infanterie, Kavallerie und Artillerie mit Geschützen, Minenwerfern und Maschinengewehren. Wenn sie nicht sofort abziehen, dann marschiert die ganze Berliner Garnison, und es gibt ein furchtbares Gemetzel.
Nach den Worten Eberts drei Stunden zuvor, hielt ich'das für vollständig ausgeschlossen. Ich ging zu Ebert und befragte ihn, worauf er mir versicherte, er wisse von gar nichts, habe die Order gegeben, alles Militär von Berlin zurückzuziehen, und er glaube nicht daran.
Ich sagte: ich würde nach dem Tiergarten fahren, um mich selbst zu überzeugen und, falls die Angaben stimmten, die Truppen im Auftrage der Regierung wegzuschicken. Hiermit war er einverstanden.
Im Tiergarten sprach ich mit einem Offizier, der mir erklärte, daß sie im Auftrage der Regierung handelten. Er zog sich nun mit seinen Truppen zurück und sagte, daß er den Befehl an die andern Truppen weitergeben würde.
Ich fuhr nun zurück, und als ich vor die Reichskanzlei kam. da standen zirka 300 Mann der G.K. Sch. D. mit Stahlhelm, aufgepflanztem Seitengewehr, mit dem Aufbau der Geschütze und Maschinengewehre beschäftigt, während im Hofe die Matrosen, auch 200 bis 200 Mann, standen. Ich suchte sofort den Führer, einen Major, stellte mich vor, fragte, was das sein solle und in wessen Auftrag er handle.
Sie seien im Auftrage der Regierung da, um die Matrosen mit Gewalt aus der Reichskanzlei zu schaffen. Pardon würde nicht gegeben.
Ich gab nun den Gegenbefehl, befahl abzurücken, was die Offiziere, da ich für sie nicht maßgebend sei, verweigerten. Ich sagte nun, daß drei Offiziere mit nach oben kommen sollten, um zu verhandeln. Ich konnte, nachdem ich mich mit den Matrosen verständigt hatte, das gewünschte freie Geleit geben. Oben waren Ebert und Landsberg. Mit den Offizieren waren auch einige Matrosen zur Verhandlung nach oben gegangen. Diese Verhandlungen waren wild und stürmisch, bis dann mein Vorschlag, daß die eine Truppe links, die andere rechts abziehe, die Reichskanzlei ohne Wache bleiben und alles andere morgen in der Kabinettsitzung nesprachen und geregelt werden solle, angenommen wurde.
Ebert knüpfte hieran nur die Bedingung, daß ich bei den Matrosen und Soldaten sprechen und das Beschlossene zur Annahme bringen solle. Das tat ich, und gegen 1/2 11 Uhr zog alles ab. Um 12 Uhr verließ ich, nachdem ich mich noch einmal vergewissert hatte, dntz alles in Ordnung war, die Reichskanzlei.
Es ist nun notwendig, das nachzutragen, was sich und wie es sich in der Reichskanzlei und in der Kommandantur abgespielt hm. Vemerken will ich noch, daß ich das erst am andern Morgen erfuhr.
Als die Matrosen mit den Schlüsseln des Schlosses mein Simmer verlassen hatten, suchten sie Ebert, fanden ihn jedoch im ganzen Hause nicht, d. h. dies bedeutete für die Matrosen, daß sie das Geld nicht bekommen konnten. Da sagten sie sich, nun sind wir seit'drei Tagen von Pontius zu Pilatus gelaufen, jetzt baben wir es satt. Gingen runter zur Wache — das warben ebenfalls Matrafen, die noch keine Lohnung erhalten hatten — und sagten i besetzt die Reichskanzlei und die Telephonzentrale bis ihr von uns weitere Nachricht, bekommt. Die V. B. zu verhaften war nicht ihre Absicht, sondern nur die Absperrung, bis sie auf d.er Kommandantur ihr Geld geholt hätten. Aber daß es zur Absperrung der Reichskanzlei, zum Blutvergießen vor der Kommandantur usw. Kam, das war lediglich die Schuld Eberts und Landsbergs.
Die Matrosen fuhren nun mit der Bundeslade und den Schlüsseln zum Marstall und erklärten dort, was sich in der ReichsKanzlei zugetragen.
Darauf zogen etwa 100 Mann Matrosen nach der Kommandantur. Auf dem Wege dahin wurden aus der Vibliothek heraus Zwei Mann von hinten erschossen, worauf sie die Kommandantur stürmten, sich das Geld zur Löhnungszahlung holten und gleich den Kommandanten Wels und seinen Adjutanten Fischer mitnahmen mit der ausdrücklichen Erklärung, daß sie nur so lange verhaftet bleiben sollen, bis sich ihre Unschuld an der Erschießung der beiden Matrosen ergäbe.
Es braucht kein Mensch das Vorgehen der Matrosen in der Reichskanzlei und Kommandantur gutzuheißen, aber wer hätte, wenn er objektiv prüft, die Stirn, sie zu verurteilen? War nicht alles, alles von den Landsberg und Genossen getan, um die Matrosen zu provozieren? War ihnen zu dem Zwecke nicht drei Tage die Löhnung vorenthalten? Waren sie nicht von Wels verhöhnt und verspottet? Hat nicht Wels durch seine Nichtanerkennung meiner Verantwortung diese Erregung Künstlich gesteigert? Hat nicht da!Verstecken Eberts vor den Matrosen ihnen die Galle zum Neberlaufen gebracht? Hat nicht die Erschießung der beiden Matrosen erst die Möglichkeit des Eingreifens der G. K. Sch. D. schaffen sollen? Hat nicht durch diese Erschießung weiter die republikanische Sicherheitswehr zur Verstärkung der G. K. Sch. D. mit den Matrosen in Kampf gebracht werden sollen, wobei die G. K. Sch. D., die seit drei Tagen alarmbereit lag, als rettender Engel in der Not erscheinen sollte? Doch genug der Fragen, ich fahre fort.
Am andern Morgen — am Morgen des Weihnachtsabends — um 8 Uhr erdröhnte auf einmal Berlin unter Kanonendonner und Minenwerferschlägen. Ich trank Kaffee, als meine Frau sagte, es schießt. Richtig es schoß. Das ist am Schloß! Um 1/2 9 Uhr Kam mein Chauffeur, und wir fuhren schleunigst nach dem Schlosse. Vor der Kommandantur mußte ich aussteigen und erfuhr dort, daß der Stab der G. K. Sch. D. in der Universität sei. Ich ging hin. Dort traf ich den Hauptmann Pabst, der mir erklärte, sie hätten den Befehl von der Regierung, sie könnten nichts ändern. Ich erklärte, als Mitglied der Regierung und da ich hier allein bin, als Regierung, gebe ich den Befehl, sofort den Kampf abzubrechen.
„Herr Barth", sagte Pabst, ich muß nach meinen Vefehlen handeln. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie die Einstellung des Gemetzels bewirkten. Sie wissen, ich bin mit Leib und Seele Soldat, aber daß ich auf Deutsche schießen muß, das erweckt in mir Ekel und Abscheu. Klingeln Sie doch beim K. M. an, dort werden Sie das Nähere erfahren."
Zu Diskussionen hatte ich weder Zeit noch Lust, darum schnell nach der Reichskanzlei. Haase und Dittmann waren noch nicht da, auch keiner von den anderen. Ich rief nun das K. M. an und hatte mit Major v. Harbou folgendes Gespräch:
„Ich wollte soeben zum Schloß, um mir Klarheit über die Vorkommnisse zu verschaffen. Ich Kam jedoch nur bis zur Universttät. Dort konnte ich den Hauptmann Pabst sprechen. Der gab mir die Auskunft, die Truppen hätten von Ihnen den Befehl gehabt, heute morgen ein Ultimatum an die Matrosen zu stellen und mit Waffengewalt die Durchführung zu erzwingen. H., Pabst sagte mir auch, daß dieser Befehl von der Negierung ausgegangen sei. Wie verhalt sich die Angelegenheit?"
Major v. Harbou: „Jawohl! Ich habe den Auftrag von der Negierung und kann die Anordnungen nur auf einen Kabinettsbeschluk hin rückgängig machen. Dringen Sie diesen Beschluß zustande."
„Das ist unmöglich, da die Kabinettsmitglieder nicht anwesend sind. Ich bin zurzeit das einzige Regierungsmitglied im Hause. Ich sagte Ihnen aber schon gestern, daß Sie die ganze Verantwortung für die Folgen dieser militärischen Anordnung allein tragen müssen. Gestern habe ich noch den Zusammenstoß vermeiden können und erreicht, daß die Matrosen und die von Ihnen geschickten Truppen abzogen. Heute nun die Metzelei. Ich verlange und befehle Ihnen die sofortige Einstellung des Blutbades."
Major v. Harbou: „Dann bringen 2ie eben einen Kabinettsbeschluß zustande, daß die militärischen Maßnahmen aufgehoben werden. Ohne einen Kabinettsbeschluß kann nichts erfolgen."
„Landsberg, Ebert und Scheidemann lassen heute Blut vergießen, halten sich aber irgendwo auf, wo man sie nicht erreichen kann. Sie erklären also, daß Sie ohne Kabinettsbeschluß die Feindseligkeiten nicht einstellen. Ich mache Sie nochmals darauf aufmerksam, daß zurzeit wegen Abwesenheit der Kabinettsmitglieder ein Beschluß nicht herbeigeführt werden kann. Ich stelle ferner fest, daß Sie die Feindseligkeiten ohne Kabinettsbeschluß aufgenommen haben."
Major Harbou: „Ich erkläre nochmals, daß das Generalkominando die Feindseligkeiten nur auf schriftlichen Vefehl des gesamten Kabinetts einstellt. Daß das Generalkommando auf Anweisung einzelner Kabinettsmitglieder diese militärische Anordnungen traf, erklärt sich dadurch, daß mir bekannt war, daß der V. B. Ebert die militärischen Angelegenheiten der Regierung vertritt."
„Das heißt also, daß Sie auf Unordnung Eberts den Angriff und diesesMutbad unternommen haben. Ferner, daß Sie auf meinen Vefehl nicht reagieren."
Major Harbou: „Nein, nein! Aber in dem Falle kann ich nur einen Gegenbefehl des gesamten Kabinetts oder Eberts, Scheidemanns und Landsbergs, oder Eberts allein anerkennen."
„Das genügt mir! Guten Morgen!"
Ich stürzte nun nochmals fort, um zu sehen, wer da sei. Haase und Dittmann waren noch nicht anwesend, die andern drei waren nun in Eberts Zimmer.
„Wer von Ihnen hat den Befehl zu dem Gemetzel gegeben? Wer von Euch trägt die Verantwortung, daß Berlin mit Kanonen beschossen und Minen beworfen wird?"
„Was? Mit Kanonen beschossen?" riefen alle drei zugleich.
„Wenn Ihr heuchelt, daß Ihr nicht wißt, daß mit Kanonen geschossen wird, was in Berlin doch jedes Kind weiß, dann heuchelt ihr zu viel, dann gebt Ihr indirekt zu, den Vefehl gegeben zu haben. Wenn im Grunewald ein Autoreifen platzt, dann fallt Ihr vor Angst vom Stuhle und zittert wie Espenlaub, und wenn ganz Berlin unter dem Kanonendonner erzittert, dann hört Ihr nichts? wer hat den Befehl gegeben?!"
Ebert: „Ja, ich weiß von nichts." — Landsberg: „Ja ich auch' nicht." — Scheidemann: „Ich weiß von gar nichts."
Ich: „Sie wissen nichts?! Soeben erklärt mir Major von Harbou, er habe die Vefehle von Ihnen! Stimmt das?"
Ebert: „Ich weiß absolut von nichts."
„Entweder sind Sie oder er ein gemeiner Lügner und blutrünstiger Schurke! Hier unterschreiben Sie alle drei: Kampf einstellen! Militärische Maßnahmen rückgängig machen? Generalkommando Lequis hat mit allen Truppen sofort Berlin zu verlassen."
Landsberg: „Wir haben doch keinen Befehl gegeben, so Können wir doch auch keinen zurücknehmen."
Ich: „Unterschreiben Sie, oder unterschreiben Sie nicht?" ,
Landsberg: „Sind Haase und Dittmann noch nicht hier, damit wir das im Kabinett besprechen?"
Ich: „Sie versuchen Zeit zu gewinnen und uns erneut und noch mehr zu äffen. Aber ich will nach Haase und Dittmann sehen."
Ich traf gerade auf Haase und Dittmann, die eben kamen, die jedoch, wie immer, voll Optimismus waren und an eine Velügung von seiten der Ebert, Scheidemann, Landsberg nicht glaubten, da sie ihnen das nicht zutrauen könnten. Haase meinte, daß es ein Uebergriff der Militärs sei, den aber die drei decken wollten.
Die Sitzung begann, und Haase sagte gleich, daß er ohne jede Einschränkung Eberts Worten glaube. Da er annehme, daß völlige Uebereinstimmung herrsche, wolle er gleich den Kriegsminister anklingeln, um ihn zu veranlassen, daß er die nötigen Vefehle sofort gäbe. Er stand auf, um ans Telephon zu gehen. Da sprang Ebert auf, wie von der Tarantel gestochen, und erklärte, daß er selbst dem Kriegsminister televhonieren wolle.
„Bitte," sagte Haase, „das ist mir gleichgültig, wer telephoniert, nur daß in dem Sinne telephoniert wird. Daraus kommt es mir an."
Ebert suchte Verbindung, und als er den Kriegsminister hatte, gab es folgendes Gespräch
Ebert: „Guten Morgen, Eczellenz. Hier Ebert. Es wird uns eben die Mitteilung, daß auf das Schloß und den Marstall ein Angriff der G. K. Sch. D. stattfände. Da uns von der Angelegenheit nichts bekannt ist, möchte ich Sie doch im Auftrage des gesamten Kabinetts dringend bitten, umgehend zu veranlassen, daß weiteres Blutvergießen unterbleibt."
– – –
„Ia, es ist einstimmiger Beschluß des Kabinetts, und wir bitten, daß sofort die Feindseligkeiten eingestellt und verhandelt wird."
– – –
Ebert: „Ich danke."
Es kam nun Tost-vom 53er-Ausschuß der Marine, der um Ausstellung einer Vescheinigung oder Vollmacht bat, um zwischen beiden Parteien verhandeln zu können. Nach anfänglichem Widerstand Landsbergs bekam er sie. Dann kamen Cohen als Vorsitzender des Zentralrates und Richard Müller als Vorsitzender des Berliner Vollzugsrates und baten ebenfalls um Vollmachten zum Verhandeln. Auch sie bekamen sie.
Darauf kamen drei Mitglieder vom 53er-Ausschus; vom Iade-, Elbeund Kieler Gebiet, um Auskunft zu holen, wie das kam und wer die Schuld trägt, damit sie, die Matrosen, von Milhelmsbafen, kehrte, Hamburg und Kiel zum Schutze ihrer Kameraden aufrufen Könnten.
Allen erklärte Ebert, genau wie uns, daß er selbst völlig überrascht sei und keine Auskunft geben könne, aber auf schnellste Aufklärung dringen würde.
Gegen 1/2 12 Uhr kamen Cohen und Müller und berichteten, daß eine Verständigung erzielt sei, indem die Matrosen sofort das Schloß räumten, bis 1. Januar sich auf 800 Mann reduzieren und sich unter den Stadtkommandanten stellten.
Da sagte Landsberg zähneknirschend: „Was soll denn das? Mit Rebellen verhandelt man nicht, die schlägt man nieder."
Ich gab ihm hierauf die verdiente Antwort, die er sich sicherlich nicht hinter den Spiegel steckte.
Um 1 Uhr vertagten wir uns auf 4 Uhr.
с) Vom 24. bis 28. Dezember
Um 4 Uhr traf uns eine neue Ueberraschung.
Zur Sitzung warеn Vertreter des A. A., des K. M. und von Ober-Ost erschienen. Ebert erklärte bei Eröffnung, die herren vom Auswärtigen Amt, vom Kriegs-Ministertum und von Ober-Ost seien in einer ausserordentlich wichtigen, weittragenden und dringenden Angelegenheit hier, und er bedauere lebhaft, das Landsberg bereits abgereist sei. Aber auch er sei der Auffassung, das dem wunsche der herren der drei Reichsbehörden Rechnung getragen werden müsse. Am besten sei es wohl, wenn ein herr vom A. A. die Materie vortrage.
Ein Geheimrat vom A. A. (leider habe ich die Notiz mit dem Namen verloren) trug uns nun folgendes vor: „Wir erhalten soeben durch Ober-Ost ein auf 24 Stunden befristetes Ultimatum der Polen, in dem sie die fofortige Auslieferung von 10000 Gewehren und 500 Maschinengewehren von der Wilnafront zur Bekämpfung der Bolschewisten verlangen. Ausserdem die sofortige Räumung und Uebergabe Wilnas, mit allem Kriegsgerät, Kanonen, Ulinenwerfern, Maschinengewehren und Munition. Wir vom A. A., das K. M. und O. O. sind der Auffassung, das diesem Ultimatum sofort entsprochen werden muss." Er sowohl als die Vertreter des K. M. und von O. O. begründeten dies eingehend mit den widersprechendsten und fadenscheinigsten Gründen.
Ebert und Scheidemann — letzterer mit der sich schon seit dem 9. November immer wiederholenden Belegung der Bolschewiften mit den Kosenamen Räuber-, Verbrecher und Mörderbande — unterstützten mit noch schwächeren Behauptungen und Thesen dies Verlangen.
Wir drei andern waren uns in dieser Frage völlig einig und erklärten, das wir sowohl aus prinzipiellen wie taktischen Gründen dagegen wären. Prinzipiell aus drei Gründen: 1. Weil wir auf alle Fälle mit allen Nationen Frieden wollten und die Bewilligung dieses Ultimatums den Krieg mit Rusland bedeute. 2. Weil wir es ablehen müßten, gegen das sozialistische Rusland auch nur das allergeringste zu tun.
Aus taktischen Gründen: 1. Weil selbst, wenn Rusland nicht sozialistisch, fondern kapitalistisch, imperialistisch wäre, es ein Verbrechen am deutschen Volke im allgemeinen, der Armеe im Often im befonderen wäre, mit dem, nach Angabe unserer Militärs, bestorganisierten und bestdisziplinierten Heer, das auf 200 Kilometer Front unsern truppen gegenüberstebt, Krieg zu beginnen. 2. Weil es ganz besonders nach der vom A. A. dem K. M. und O. O. betriebenen Provokationspolitik gegenüber den Polen, alle Tage möglich werden kdnne, daß die von uns gelieferten Waffen gegen unsere eigenen Brüder gerichtet werden.
Ebert und Scheidemann, das A.A., das K.M. und O.G. erklärten hierauf, daß sie dann alle Verantwortung für die Vorkommnisse im Osten ablehnen müßten.
Mir einigten uns auf Vertagung zum 26. Dezember unter Hinzuziehung der S. R. der Ostfront und beschlossen dann noch die Einberufung des Zentralrates zum 27. Dezember. Zum Schluß erklarten Ebert und Scheidemann erneut, daß sie ebenso wie wir nach Aufklärung der Vorkommnisse am Morgen strebten.
Am 26. Dezember fand die Sitzung statt. Anwesend waren wieder die Vertreter des A. A., des K. M., O. O., die S. R. der Ostfront und — zwar ungeladen, aber fröhlich glänzend — Herr Erzberger, als Vertreter der Waffenstillstandskommission. Nicht anwesend waren die Ebert, Scheidemann und Landsberg, die an diesem Tage — streikten.
Haase eröffnete und leitete die Sitzung und gab den S. R. und Erzberger eine resümierende Darstellung der Sitzung vom 24. Die Vertreter der drei Reichsstellen fuhren schwerstes Geschütz auf, um uns einzuschüchtern. Wir legten erneut eingehend unsere Stellung dar und wurden hierbei von den S. R. und — Erzberger auf das Kräftigste unterstützt. Das A. A. legte zugleich ein Gesuch Winnigs vor, in dem er beantragte, daß er vom Reichskommissar zum Gesandten ernannt werde, um im Falle unvorhergesehener Ereignisse die Exterritorialität zu besitzen. Dagegen wandten wir uns ebenfalls auf das Entschiedenste, indem wir auf schnellster Räumung des Baltikums bestanden. Ganz besonders unterstützte uns hierin Erzberger, der das Verlangen als gegen den Waffenstillstandsvertrag verstoßend bezeichnete und prinzipiell lebhaft dagegen protestierte, daß das A.A. sich in offensichtliche Angelegenheiten der W. K. (Waffenstillstands-Kommission) mische. Die Herren vom A.A. waren ob Erzbergers Vorstoß platt.
Doch das ließ die Herren vom K. M. und vom O. O. nicht verdrießen. Sie machten einen erneuten Vorstoß, indem sie beantragten, daß wir die Ermächtigung zum Abschluß bereits schwebender Verhandlungen zwischen Minnig und einem englischen General in Niga geben sollten,in welchen gemeinsames militärisches Vorgehen gegen Rußland festgelegt werden sollte. Da ging denn selbst der immer ruhige Haase aus der Wolle. Wir sagten den Herren nicht nur unverblümt die Meinung, beschuldigten sie nicht nur des Verbrechens, freventlich mit dem Leben der Soldaten an der Ostfront, vom Kaukasus bis zur Ostsee zu spielen, deren Rückkehr durch derartige Verbrechen in Frage gestellt sei, sondern verlangten auch, daß sofort die notwendigen Akten eingefordert würden, um evtl. Winnig, die Vertreter des A. A. und O. O. aus dem Baltikum abzuberufen und zur Verantwortung zu ziehen. Wiederum unterstützten uns die S. R. der Ostfront und Erzberger, der die ganze Tätigkeit Winnigs und der übrigen Herren im Baltikum für ein schädliches Gegenarbeiten gegen die W. K. erklärte und, wenn keine völlige Aenderung und Klärung der Verhältnisse geschaffen würden, mit dem Rücktritt der gesamten W. K. drahte.
Doch auch das irritierte die Herren nicht! Sie kamen mit noch schwererem Geschütz. Die Herren vom O. O. erklärten, daß die englische Leitung im Baltikum verlange, daß wir gegen die Russen kämpfen, da wir nach dem W. V. dazu verpflichtet seien, die von uns noch nicht geräumten Gebiete zu schützen.
Wir, und ganz besonders auch Erzberger, legten den Herren klar, daß wir nicht verpflichtet seien, diese Gebiete gegen Angriffe von außen zu schützen, sondern nur die Aufgabe hätten, im besetzten Gebiet für Ruhe und Ordnung zu sorgen, woran wir ja wegen eines geregelten und schnell vor sich gehenden Rückzuges am meisten interessiert seien. Wir erklärten den Herren weiter, daß wir jeden, der angreifende Operationen gegen die Russen befehle oder ausführe, wegen gemeinen Mordes belangen würden, da wir nicht wegen des Verbrechens eines einzelnen oder einzelner das Leben von Hunderttausenden gefährden lassen wollten.
Doch die Herren waren zäh! Sie erklärten nun übereinstimmend, die vom A. A., vom K. M. und von O. O., daß sie sich zur Verteidigung des Baltikums moralisch verpflichtet fühlten, da ja bis jetzt von Deutschland den Letten und Litauern die Lildung eines eigenen Heeres verboten worden sei und sie die Letten und Litauer nun nicht schutzlos den Bolschewisten preisgeben könnten. Auch hierauf bekamen sie von Erzberger, den S. R. und uns die notwendige Antwort.
Wir beschlossen die Ablehnung des polnischen Ultimatums und das Verbot, irgend etwas im Baltikum ohne unsere Zustimmung zu unternehmen und erklärten weiter, daß wir uns alle übrigen Maßnahmen vorbehalten.
Hierauf erklärten die Vertreter des A. A., des K. M. und O. O. erneut, daß sie dann alle Verantwortung für das, was im Osten komme, ablehnen müßten.
Schluß unserer Sitzung um 3/4 2 Uhr.
Am nächsten Morgen waren bei Eröffnung der Sitzung die Herren vom A. A., vom K. M. und von O. O. wieder anwesend. Mir stieg die Galle hoch.
Doch o Schreck! Als Ebert die Sitzung eröffnete, sagte er, daß die Herren wieder anwesend seien wegen einer allerdings noch viel wichtigeren Angelegenheit. Er glaube, es sei wohl das beste, wenn die Herren vom A. A. die Sache vortragen.
Ein Herr vom A. A. sprach also:
„Meine Herren! Gestern Mittag um 1/2 2 Uhr kam es nach dem Einzug Paderewskis in Posen wegen der Hissung englischer, französischer und polnischer Flaggen, die der Kommandant nicht dulden konnte, bei deren Entfernung zu Zusammenstößen zwischen Deutschen und Polen. Die deutschen Eruppen wurden aus Posen hinausgedrängt. Dieses Veispiel in der Stlldt Posen wird wahrscheinlich Nachahmung finden. Wir glauben es dem deutschen Namen und der deutschen Ehre schuldig zU sein, dem Nate der Volksbeauftragien zu empfehlen, sofort an Polen den Krieg zu erklären und alle Machtmittel gegen Polen aufzubieten."
Landsberg schilderte nun mit seiner ganzen BeredsamKeit die Verworfenheit der Polen und die durch sie uns angetane Schmüch, die nur durch Mut weggewaschen werden könne. Er flehte uns an, an Polen den Krieg zu erklären.
Wir sprachen unsere Verwunderung ob dieser widerspruchsvollen Zickzack-Politik aus. Gestern lehnten sie jede Verantwortung im Osten ob unserer Ablehnung des polnischen Ultimatums ab, und heute verlangten sie gegen die Polen, denen sie gestern die Waffen liefern wollten, den Krieg. Noch mehr! Sie glaubten heute wieder jede Verantwortung im Osten ablehnen zu müssen, wenn ihrem Antrage nicht stattgegeben wird. Wir würden eine Kriegserklärung an Polen für ein Verbrechen halten. Die ganzen Osttruppen wären zum Untergang verurteilt, unsere Kartoffelund Vrotversorgung rvürde zusammenbrechen, und Gberschlesien wäre sofort für uns verloren. Aber mehr! Polen ist ein Teil der Entente. Ein Krieg gegen Polen wäre Aufhebung des Waffenstillstandes, wäre die Vesetzung des Nuhrbeckens, wäre die völlige Erdrosselung Deutschlands. Das lehnen wir rundweg ab.
Stundenlang versuchten die Ebert, Scheidemann und Landsberg mit ihren Trabanten uns zu bekehren. Vei der Abstimmung wurde die Kriegserklärung mit drei gegen drei Stimmen abgelehnt.
Ich fragte nun, ob schon festgestellt sei, wer die Schießerei am 24. Dezember verursacht habe.
Ebert verneinte, die Untersuchung sei noch im Gange. Der Zentralrat sei noch nicht zusammen, darum könne die Sitzung erst morgen stattfinden.
Zur selben Zeit war eine lange Erklärung und Rechtfertigung schon druckreif im „Vorwärts", eine Erklärung der Drei, die vom ersten Worte bis zum letzten der Wahrheit widersprach.
Um jedoch jedem die ganze Wesensart der Ebert, Scheidemann und Landsberg vor Augen zu führen, soll das „Dokument" folgen:
„Was hat sich am 23. und 24. Dezember in Berlin abgespielt?
Auf wen fällt die Schuld an Gewalttat, Straßenkampf und Bruderkrieg?
War es die Regierung, die mit den Mitteln einer „verbrecherischen Gewaltherrschaft" Blut zu vergießen befahl?
War es die Löhnungsforderung der Volksmarine-Division, die das blutige Weihnachtsfest heraufbeschwor? Nein, nicht die Matrosen und nicht die. Regierung haben die Schuld!
Urteilt selbst, Genossen!
Folgendermaßen haben sich die Vorgänge abgespielt: Schon am 18. Dezember war ein Uebereinkommen zwischen der Regierung und der Volksmarine-Division zustande gekommen, wonach die Matrosen gegen andere Zugeständnisse das Schloß räumen und ihren Mannschaftsbestand heruntersetzen sollten.
Am 23. Dezember vormittags verhandelte der Volksbeauftragte Genosse Ebеrt aufs neue mit dem Genossen Tolt und zwei Vertretern bes hauptausschusses der Marine in Wilhelmshaven. Dabei ist auch die Differenz mit der Volksmarine-Division besprochen worden. Das Ergebnis war die Verabredung, alle Differenzpunkte am 27. Dezember in gemeinsamer Sitzung durchzuberaten und bis dorthin alles zu tun, um die Ruhe aufrecht zu erbalten.
Matrosen und Regierung waren sich also einig. Dennoch erschienen am Nachmittag bewaffnete Matrosen bei den Genossen Ebert und Landsberg und teilten ihnen die bekannten Befehle mit: das Reichskanzlerhaus zu sperren und die Telephonzentrale zu besetzen! Die Reichsregierung als Gefangene ihrer eigenen Wache! Die wichtigsten Regierungsgeschäfte, darunter unausschiebbare der Waffenstillstandskommission, verzögert! Warum? Die Matrosen, die den Befehl ausführten, wutzten selbst keinen Grund anzugeben. Sie beriefen sich nur auf den Befehl ihres Führers Dorenbach! Der hatte den Mut gehabt, die deutsche Regierung vor der ganzen Welt unheilbar zu kompromittieren, indem er sie festsetzte.
Warum? Darauf wutzte auch der Führer der Wache im Reichskanzlerhaus, Kamerad Junge, keine Antwort, als er vom Schloss zurückkam und die Bescherung oorfand. „Wäre ich dagewesen", so sagte er, „dann wäre der Befehl nicht ausgeführt worden".
Aber die Drahtzieher und Verhetzer trieben ihr frevelhaftes Spiel weiter. Die Sperre über das Reichskanzlerhaus war keine Stunde aufgehoben, als sie von derselben Stelle, von Dorenbach, aufs neue verfügt wurde. Ober damit nicht genug: der herr veranlaste auch die Verhaftung des Stadtkommandanten Wels und seiner Adjutanten.
Neue Verbhandlungen begannen, wieder waren sich alle vernünftigen Elemente darin einig, das jedes Blutvergiessen zu vermeiden sei. Genosse Tost vom Vollzugsausschuss bemühte sich um eine Verftändigung. Güsten von der Matrosendivision sagte, die Regierung habe recht, er sehe ein, das Wels, Fischer und Bongartz freigelassen werden müssten, sonst käme es zu Blutvergiessen, ja vielleicht zum Sturz der Regierung und damit zum Einmarsch der Entente.
Die Regierung, obwohl aufs ungeheuerlichfte vergewaltigt, und durch die eigenen Volksgenossen blotgestellt, kam den von dunklen Elementen missbrauchten Matrosen in jeder Weise entgegen und war zu jeder Verständigung bereit, wenn nur Blutvergiessen vermieden werde. Den auf die Republik vereidigten Gruppen, die zum Schutz der Regierung herbeigeholt waren, ward jede gewaltsame handlung verboten. Schliesslich kam es am späten Abend noch einmal zu einer Einigung: die Matrosen verplichlteten fich zur Freilassung Wels und seiner Adjutanten und zur Räumung des Schlosses, in dem, nach dem Bericht des unabhängigen Finanzministers Simon, seit der Besetzung durch die Marine ausserordentliche des Volksvermögens vernichtet wurden und verschwunden sind.
Die Regierung hatte getan, was sie tun konnte. ll1er verhinderte nun auf der anderen Seite die Ausführung des Uebereinkommens?
Um 11 Uhr, um 12 Uhr, um 1 Uhr nachts wurde mit Schloß und Marstall telephoniert. Immer noch war Wels nicht freigelassen. Die Regierung wartete: Truppen, die aus Potsdam im Anzuge waren, wurden zurückgeschickt, überall wurde zur Rutze gemahnt. Um 1 Uhr morgens kam von einem Führer der Volksmarinedivision aus dem Schloß die telephonische Meldung:
„Ich kann für das Leben von Wels nicht mehr garantieren!"
Auf diese Nachricht hin, daß ein Mann, den die Regierung auf den schwersten Posten gestellt hatte, von feigem Meuchelmord bedroht sei, daß die besonnenen Führer und Kameraden von der Marine nicht mehr die Herrschaft hätten über die, welche auch vor einem verbrecherischen Totschlag nicht zurückschrecken, gaben die drei allein noch anwesenden Volksueauftragten Ebert, Scheidemann und Landsberg die Weisung an die zuständige militärische Kommandostelle, das Nötige zu veranlassen, um das Leben des Genossen Wels zu retten und ihn zu befreien.
Der Terror hatte, trotz der Vesonnenheit der Männer von der Marine, mit denen die Regierung verhandelt hatte, gesiegt! Wenn die Volksregierüng nicht schimpflich ihre Pflicht vernachlässigen und die Republik in der ganzen Welt dem Gespürt und der Verachtung preisgeben wollte, mußte eingegriffen werden.
Zwei Tatsachen stehen fest:
Die Volksbeauftragten wollten, wie immer, jedes bewaffnete Vorgehen vermeiden. Das ist ihnen ja oft genug, nicht nur aus weitesten Kreisen der Arbeiter, vorgeworfen worden.
Die Führer der Volksmarinedivision, die mit der Regierung verhandelten, wollten die Einigkeit herstellen und haben das nach dem Straßenkampf aufs neue durch die Zusicherung bewiesen, sich an keinerlei Aktion gegen die Regierung mehr zu beteiligen.
Trotzdem die Mißhandlungen, die Todesdrohungen, ja das Todesurteil gegen Wels! Trotzdem die neuen Verhetzungen gegen die Männer der Mehrheitspartei in der Regierung, die Lügen und. Verleumdungen!
Welcher Teufel hat dies blutige Unkraut in den Weizen gesät? Wer — so fragen wir an der Hand dieser authentischen Darstellung nochmals —, wer will es nicht zu Frieden und Zusammenarbeit kommen lassen? Wer hat es verstanden, jeden Vertrag zu einem Vlatt Papier zu machen?
Die sind es, und die klagen wir an, welche Tag für Tag unsern Genossen in der Regierung alle Verbrechen angedichtet haben. Die kein anderes Wort mehr kennen als „Bluthund" und selbst im Mut waten! Die angeblich für die Revolution kämpfen und nichts anoeres wollen als Vernichtung, Anarchie, Terror! Denen die russische Wüste und ihr verhungernde s Volk noch nicht genug sind, die noch «ine Wüste anstreben: Deutschland! Die Weltrevolution predigen und nur eines erreichen werden: Weltuntergang!
Genossen! Hier habt Ihr den Bericht über die Handlungen Eurer Vertrauensmänner in der Regierung. Ihr müßt das Urteil sprechen, denn durch Euer Vertrauen heißen nur Volksbeauftragte! Wenn Ihr uns Entlastung erteilt, müßt Ihr aber noch ein weiteres tun: Ihr müßt uns die wacht schaffen!
Es gibt keine Regierung ohne Macht! Ohne wacht können wir Euren Auftrag nicht ausführen! Ohne wacht sind wir jedem preisgegeben, der verbrecherisch genug ist, für den eigenen jämmerlichen Ehrgeiz seine Kameraden und ihre Waffen zu mißbrauchen!
Wollt Ihr die deutsche sozialistische Republik? Wollt Ihr, daß Eure Parteigenossen in Eurem Auftrag die Regierung führen?
Wollt Ihr daß wir für Euch so schnell wie möglich Frieden schließen und für die Lebensmittelzufuhr sorgen? Dann helft uns, der Regierung eine Volksmacht zu schaffen, daß sie ihre Würde, ihre Entschlußfreiheit ihre Tätigkeit gegen Anschläge und Putsche schützen kann.
Der 24. Dezember hat uns ungeheure Werte an Volksvermögen und Volksansehen gekostet.
Noch ein solcher Tag, und wir verlieren den Rang eines Staates, mit dem man verhandelt und Frieden schließt!
Eine Regierung, so sagte Genosse Ebert zu den Vertretern der Volksmarinedivision, die sich nicht durchsetzen kann, hat auch kein Recht auf Existenz!
Helft Ihr dies Recht verteidigen!
Jeder Mann ein Kampfer für dies Recht!"
Heute sehe ich ja klarer als damals. Der Krieg gegen Rußland oder Polen oder noch besser gegen beide sollte die Offentlichkeit von ihrem Tun ablenken. Doch auch hierbei hinter unserem Rücken zu handeln, das haben sie doch nicht gewagt.
Am nächsten Tage eröffnete Ebert die gemeinsame Sitzung der V. B. und des Z. R. mit der wörtlichen Wiedergabe des vorstehenden Verichtes. Ich schilderte hierauf eingehend die tatsachlichen VerHältnisse, so wie oben. Daran anschließend, gab ich eine Schilderung der Vorgänge im Marstall, die in Eberts Darstellung genau so mit der Wahrheit kollidierte wie in den übrigen Punkten. Ich erklarte, daß ich von der Verhaftung von Wels kein Wort erfahren hatte bis zum andern Morgen, daß ich, wenn mir Ebert ein Wort davon gesagt hätte, in den Marstall gegangen wäre und Wels herausgeholt hätte. Aber auch völlig anders hatte sich dort olles abgespielt. Wels sei verhaftet worden wegen des Verdachtes, daß er den Vefehl zum Schießen gegeben und infolgedessen die Verantwortung für die Erschießung der beiden Matrosen trage. Um 10 Uhr sei festgestellt worden, daß er tatsächlich den Befehl nickt gegeben. Er sollte nun mit Fischer entlassen werden. Während Fischer ging, sollte Wels — auf seinen Wunsch — bis zum andern Morgen in Schutzhaft bleiben. Um 12 Uhr — wohlgemerkt, nachdem ich gegangen war — wurde von der Reichskanzlei im Marstall wegen Wels angefragt. Da na n nun wahrheitsgemäß die Antwort, daß Wels auf seinen Wunsch in Schutzhaft sei, da bei einer Entlassung auf den völlig unbeleuchteten Straßen keine Garantie für seine Sicherheit übernommen werden konnte. Daraus macht nun Ebert das Gegenteil und ruft den Kriegsminister, gibt ihm eine Blankovollmacht zum militärischen Angriff. Um 9 Uhr findet unsere Kabinettsitzung statt, um 8 Uhr aber erfolgt der Angriff mit Kanonen, Minenwerfern und Gasgranaten. Konnte man diese Stunde nicht warten? Ebert sagt, um 12 Uhr sei das Leben von Wels in Gefahr gewesen: hätte er dann früh um 8 Uhr noch gelebt? Und wenn er um 8 Uhr noch gelebt hatte, hätte, wenn es sich so verhielt, nicht der erste Schuß ihm sein Teben kosten müssen? Nein, das sind die Gründe nicht gewesen! „Um sich vor den Entscheidungen über Ihre Veschlüsse zu drücken, der Kommandogewalt, der Sozialisierung und der Demobilisation, darum hat man hinter unserm Rücken den Befehl zum Angriff gegeben und hat uns drei Tage getäuscht, indem man sagte, daß man nichts davon wisse." Haase und Dittmann führten ebenfalls eine scharfe Sprache. Haase war, ob soviel Gewissenlosigkeit, ganz aufgebracht. Zeugen zu vernehmen, lehnte der Zentralrat ab. Abends um 8 Uhr zogen wir uns, nachdem wir folgende Fragen an den Z. R. zur Entscheidung vorgelegt hatten zurück.
Die Fragen lauteten:
1. Billigt es der Zentralrat, daß die Kabinettmitglieder Ebert, Scheidemann und Landsberg in der Uacht vom 23. zum 24. Dezember dem Kriegsminister den in keiner Weise begrenzten Auftrag erteilten, mit militärischer Gewalt gegen die Volksmarinedivision in Schloß und Marstall vorzugehen?
2. Billigt der Zentralrat, das am Morgen des 24. Dezember von den Truppen des Generalkommandos Leams mit nur 10 Minuten befristete Ultimatum, sowie die Artilleriebeschießung von Schloß und Marstall?
3. Erklärt sich der Zentralrat für die sofortige, strikte Durchführung der vom Kongreß der A.-und S-Räte geplanten Veschlüsse über die Abschaffung der Rangabzeichen_ und das Untersagen des Waffentragens außerhalb des Dienstes für die Offiziere im Heimatheer?
4. Billigt es der Zentralrat, daß die Oberste Heeresleitung in einem vertraulichen Telegramm an die Heeresgruppe Ober-Ost erKlärt, sie erkenne diese Beschlüsse der A.- und S-Räte nicht an?
5. Billigt der Zentralrat die von den Kabinettsmitgliedern Ebert, Scheidemann und Landsberg befürwortete Verlegung der Neichsregierung von Berlin nach Weimar oder einem anderen Orte Mitteldeutschlands?
6. Billigt der Zentralrat, daß statt der völligen Demobilmachung. des stehenden Heeres nur eine Reduzierung desselben auf den Friedensstand unter Zurückhaltung und eventuellen Auffüllung der: beiden IahreskIassen 1897 und 98 stattfindet?
7. Steht der Zentralrat mit uns auf dem Standpunkt, daß die Regierung der sozialistischen Republik sich militärisch nicht stützen kann und darf auf die Generalität und die Reste des auf dem Kadavergehorsam aufgebauten, alten, stehenden Heeres, sondern nur auf eine nach demokratischen Grundsätzen aus Freiwilligen zu bildende Volkswehr?
8. Ist der Zentralrat dafür, daß die Sozialtsierung der dafür reifen Industrien durch gesetzgeberische Akte sofort in Angiff genommen wird?
Um 11 Uhr brachte uns der Zentralrat seine Antwort und bat uns um die Veantwortung der von ihm formulierten Fragen. Auf die von unseren Genossen formulierten Fragen hat der Zentralrat folgendermaßen geantwortet:
1. Die Volksbeauftragten haben lediglich den Auftrag erteilt, das Nötige zur Vefreiung des Genossen Wels zu veranlassen. Dasist aber auch erst geschehen, nachdem den drei Volksbeauftragten von dem Führer der Volksmarine-Division telephonisch mitgeteilt worden ist, daß er für das Leben des Genossen Wels nicht mehr garantieren könne. Das billigt der Zentralrat.
2. Die zweite Frage beantwortet der Zentralrat mit: Nein.
3. Der Zentralrat steht auf dem Standpunkt, daß die auf dem Kongreß gefaßten Veschlüsse durchzuführen sind. Der Rat der Volksbeauftragten wird aufgefordert, die Ausführungsbestimmungen alsbald vorzulegen.
4. Die vierte Frage wird mit nein beantwortet.
In den Fragen 5, 6 und 7: der Zentralrat kann diese Fragen ohne vorherige eingehende Erörterung mit dem Rat der Volksbeauftragten nicht beanworten.
8. Der Zentralrat wünscht in allernächster 2eit von der für die Vorbereitung der Sozialisierung eingetretenen Rommission einen Vortrag über den Stand ihrer Arbeiten zu hören. Er ist der Meinung, daß die Sozialisierungskommission in Ausführung der Veschlüsse des Kongresses der Aund S.-Rate so schnell wie möglich positive Vorschläge über die Sozialisierung der dazu reifen Betriebe (insbesondere des Bergbaues) macht.
Ferner stellte der Zentralrat noch folgende Anfrage an die Volksbeauftragten:
„Sind die Volksbeauftragten bereit, die öffentliche Ruhe und Sicherheit, insbesondere auch das private und öffentliche Eigentum gegen gewaltsame Eingriffe zu schützen?
Sind sie mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln auch bereit, ihre eigene Arbeitsmöglichkeit und die ihrer Organe gegen Gewalttätigkeiten, ganz gleich, von welcher Seite sie erfolgen sollten, zu gewährleisten?"
Bei Wiedereröffnung der Sitzung gab Haase für uns folgende Erklärung ab:
Wir treten aus der Regierung aus und begründen diesen Schritt in folgender Weise:
1. Das Blutbad vom 24. Dezember 1918 ist dadurch verschuldet, daß die Volksbeauftragten Ebert, Scheidemann, Landsberg dem Rriegsminister den unbegrenzten Auftrag zu militärischer Gewalt anwendung gegeben haben. Zur Befreiung des Stadtkommandanten Wels war ein folcher Auftrag weder nötig noch zweckdienlich. Das Leben von Wels wurde gerade durch eine Kanonade auf das Gebände, in dem er sich selbst befand, auf das höchste gefährdet. Der militärische Angriff erfolgte außerdem erst ? Stunden, nachdem dem Kriegsminister der Auftrag erteilt worden war, also zu einer Zeit, wo, wenn Wels' Leben wirklich bedroht war, mit seiner Unversehrtheit kaum noch gerechnet werden konnte.
Die Volksbeauftragten Ebert, Scheidemann und Landsberg haben während dieser ganzen Zeit keinen Schritt getan, um die Ausführung ihres Auftrage, der einer Blankovollmacht gleichkam, zu überwachen.
Wir können es nicht verantworten, daß einem Vertreter des alten E>ewaltsystems die Verfügung über das Leben der Mitmenschen nach seinem Velieben übertragen wird. Der Weg der Verhandlungen, der schließlich zum Ziel geführt bat, hätte in keinem Stadium der Angelegenheit verlassen werden dürfen.
Im Gegensatz zu dieser unserer Auffassung hat der Zentralrat das Verhalten von Ebert, Scheidemann und Landsberg in dieser Frage gebilligt.
2. Wie gefährlich der dem Kriegsminister erteilte Auftrag gewesen ist, ergibt sich schon daraus, daß der Zentralrat die Art der Ausführung des Auftrages selbst in Veantwortung der Frage 2 ausdrücklich hat mißbilligen müssen.
3. Die Antwort auf die Frage I befriedigt uns ebenfalls nicht, da sie nicht die sofortige und strikte Durchführung der vom Kongreß der A.und S.-Räte gefaßten Veschlüsse verlangt, sondern lediglich die Aufforderung zur alsbaldigen Vorlage von Ausführungsbestimmungen enthält.
4. Unsere Fragen zu 5, 6 und 7 sind von entscheidender Vedeutung für die Führung der inneren und auswärtigen Politik im Geiste der Revolution. Da der Zentralrat in Veantwortung dieser grundlegenden Fragen trotz der eingehenden Erörterung, die sie in der Verhandlung gefunden haben, hinausschiebt, so werden die Errungenschaften der Revolution nach unserer Ueberzeugung auch hierourch gefährdet.
5. Die Beantwortung der Frage wegen der vom Kongreß der A.- und S.-Räte geforderten sofortigen Sokalisierung der dazu reifen Industrien sichert durchaus nicht die Verwirklichung der Kosichten des Kongresses.
6. Da wir hiermit aus der Regierung ausscheiden, haben wir die an uns als Volksbeauftragte gestellte Frage nicht mehr zu beantworten.
Nach einigen Worten Haases an den S. R. verließen wir die Sitzung. Eine ernste, arbeitsreiche und aufreibende Tätigkeit hatte ihr Ende erreicht. Die Intrige hatte gesiegt.
Am nächsten Morgen — wir mußten doch noch einige Tage zur Erledigung unserer Arbeiten nach der Reichskanzlei — standen Landsberg, Vaake und Scheuch auf dem Treppenflur, als Dittmann vorbeiging, und er hörte, daß sich Scheuch in der entschiedensten Weise verbat, daß in diesem Zusammenhange sein Name genannt würde.
Wir sprachen darüber, und ich erklärte gleich, daß da wieder eine neue Täuschung der drei Herren vorliege. Ich erinnerte, daß ja Ebert eigentlich am Dienstag, als er Haase vom telephonieren abhielt, Scheuch indirekt zum Lilgen gezwungen habe und daß er ihn jedenfalls nun erneut zu seinem Mitschuldigen machen wollte, indem er ihn vor vollendete Tatsachen stellte.
Der Zufall wollte es nun, daß beim Verlassen des Hauses Dittmann ihn erneut traf. Scheuch sagte: „Nun, die Herren sind aus der Negierung ausgeschieden? Ich habe heute ebenfalls endgültig mein Nmt niedergelegt." Darauf meinte Dittmann, daß er sich aber einen schlechten Abgang gewählt habe, und auf die erstaunte Ärage. wieso, erklärte ihm DittmanA, daß er doch, indem er auf ein Haus mit Kanonen schießen lasse, um einen in demselben sich befindlichen Mann zu befreien, seine ganze autoritative militärische Stellung und seinen Namen lächerlich gemacht habe.
Darauf erklärte Scheuch ganz erregt: „Ich muß dagegen ganz entschieden protestieren! Einen derartigen unsinnigen Auftrag habe ich weder erhalten, noch gegeben. Hätte ich einen solchen Ruftrag erhalten, so hätte ich ihn ob seiner Unsinnigkeit und Zweckwidrigkeit rundweg abgelehnt! Mein Auftrag war, mit allen verfügbaren Mannschaften und technischen Hilfsmitteln die Matrosen zu Paaren zu treiben und zur bedingungslosen Uebergabe zu zwingen."
Die Handlungsweise der Ebert, Scheidemann und Landsberg — immer unter der Leitung und Negie des letzteren — die drei Tage ihre Kollegen getäuscht haben, um dann am 4. Tage sie erneut,. den Zentralrat und das gesamte deutsche Volk zu täuschen, möge jeder selbst beurteilen .
Zum Schlusse seien hier noch unsere und der neuen Regierung und des Zentralrats Erklärungen beigefügt. Die Erklärung der U.S.P. lautet:
„Die Regierungskrise, die jetzt zur Lösung gekommen ist, degann, tiefer gesehen, schon an dem Tage des Regierungsanfanges. Unter dem Zwang der revolutionären Ereignisse waren die Vertreter grundverschiedener Anschauungen zu gemeinsamer Arbeit zusammengeschmiedet worden. Alle Veteiligten hatten das Vestreben, die ihnen zugewiesene Aufgabe zu erfüllen und zu diesem Zweck alle persönlichen Reibungen zu vermeiden. Es ist auch geglückt, das Zusammenarbeiten von dem erbitternden Moment persönlicher Vorwürfe frei zu halten. Aber die sachlichen Gegensätze mußten ausgetragen werden und hemmten, je länger, desto mehr den Regierungsorganismus.
Als am 6. Dezember in der Thausseestraße die Maschinengewehre der Stadtkommandantur auf friedliche Demonstranten feuerten, als ein Trupp Soldaten den Vollzugsrat der Arbeiter- und Soldatenräte festnahm und der Versuch gemacht wurde, Ebert zum Präsidenten der Republik auszurufen, war die Situation kritisch geworden. Da aber der Stadtkommandant Wels nicht nur sofort seine Unschuld beteuerte, sondern auch der Beweis, daß er an den Anordnungen, die zum Vlutvergießen geführt hatten, beteiligt gewesen sei, nicht erbracht werden konnte, und da ferner Ebert mit Nachdruck versicherte und glaubhaft machte, daß er von den: Putsch völlig überrascht sei und ihn mißbillige: so war für die unabhängigen Mitglieder des Kabinette damals keine politische Situation gegeben, die ein Ausscheiden aus dem Rat der Volksbeauftragten gerechtfertigt hätte und die den Massen verständlich gewesen wäre.
Die Meinungsverschiedenheiten in wichtigen Fragen der inneren und äußeren Politik steigerten sich aber seitdem. Die Vertrauensseligkeit der Mehrheitssozialisten gegenüber der Obersten Heeresleitung führte sie dazu,. die von dieser Seite kommenden vorschläge meist unbesehen anzunehmen. Dazu wurde die Macht der alten Militärgewalt von neuem gestärkt. Der Grenzschutz im Westen, der aus militärischen Gründen nicht zu erklären ist, mußte den Gedanken nahelegen, daß es darauf abgesehen sei, Truppen, die dem politischen Leben ferngehalten werden, fest in der Hand ihrer Offiziere zu behalten, um sie bei geeigneter Gelegenheit für konterrevolutionäre Zwecke zu verwenden.
Diese Auffassung erhielt neue Nahrung, als plötzlich am 22. Dezember eine Demobilmachungsorder vorbereitet wurde, die die Zurückhaltung und Auffüllung der beiden Jahresklassen 1897 und 1898 vorsieht. Da die Oberste Heeresleitung gleichzeitig gegen die Veschlüsse des Kongresse s der A.und S.-Räte über Abschaffung der Rangabzeichen und das Verbot des Waffentrager außerhalb des Dienstes heftig frondierte, so drängte die Frage zur Entscheidung, ob das Kabinett diese Nebenregierung, die sich noch verhängnisvoller jetzt betätigte, als unter dem alten Regime, gewähren lassen oder den Kampf mit ihr aufnehmen wolle. Das Zögern der Mehrheitssozialisten bewirkte, daß die Oberste Heeresleitung immer kühner in ihrem Angriff wurde, und die gesamten Offiziere gegen die Beschlüsse des Kongresses der A.- und S.-Räte, denen die Regierung zugestimmt hatte, und damit auch gegen die Regierung aufputschte.
Unvermeidlich wurde eine klare Tntscheidung zwischen Mehrheitssozialisten und Unabhängigen, als am 24. Dezember Schloß und Marstall bombardiert wurden und neue Vlutopfer fielen. Den Unabhängigen war damit ihre Haltung klar vorgezeichnet. Da der Zentralrat aber von seinen eigenen Freunden als die oberste Gewalt bezeichnet war, so verstand es sich für ihn von selbst, daß er seine Entschließungen nicht fassen wollte, bevor er über alle Vorgänge unterrichtet und sein Urteil abzugeben in der Lage war.
Der Zentralrat, in den auf dem Kongreß die Unabhängigen Keine Vertreter entsandt haben, hat am Sonnabend, den 28. Dezember auf die Fragen, die die Unabhängigen ihm vorlegten, in völlig unbefriedigender Weise geantwortet und hat namentlich Ebert,Zcheidemann und Landsberg gedeckt, obwohl diese selbst zur lieberraschung ihrer unabhängigen Kollegen zugestanden, daß sie in der Nacht zum. 24. Dezember um 1 Uhr früh dem Kriegsminister den unbegrenzten Auftrag gegeben haben, alles zu tun, um Wels zu retten und damit die ungeheuerliche Kanonade gegen Schloß und Marstall sowie das Blutvergießen verschuldet haben. Damit war der politische Moment gekommen, in dem die Unabhängigen das Kabinett verlassen mußten.
Die Unabhängigen standen kurz vorher vor der Frage, ob sie ullein die Regierung übernehmen wollten. Dazu wären sie nur in der Lage gewesen, wenn sie sich auf einen Zentralrat hätten stützen können, der ihre Anschauungen in allen wesentlichen politischen Fragen teilte, denn jeder Regierung fehlte die Existenzgrundlage, wenn die Gewalt, von der sie selbst ihre Macht herleitet, die sie jederzeit abberufen kann, in den Grundanschauungen anders denkt wie sie selbst. Die weitere Entwicklung der inneren und äußeren Politik wird die vorhandenen Schwierigkeiten für die neue Regierung sicherlich vermehren. Läßt sie sich dazu verleiten, die Rolle des starken Mannen die sie so unglücklich begonnen bat, weiter fortzuführen, so wird das zu Kämpfen mit unabsehbaren Folgen innerhalb des Volkes führen.
Die Unabhängigen sind aus der Regierung mit dem Vewußtsein ausgeschieden, daß sie nach dem allgemeinen Zusammenbruch unter den denkbar schwierigsten Umständen in die. Regierung eingetreten sind, jederzeit bestrebt, die Revolution zu sichern und zu fördern. Sie mußten aber ausscheiden in dem Augenblick, wo sie nicht mehr in der Lage waren, die Gefährdung der Revolution durch die Politik der Mehrheitssozialisten zu verhindern."
Dagegen veröffentlichten Zentralrat und Regierung folgende Erklärung:
„Arbeiter, Bürger, Soldaten!
Die Regierungskrise hat die Lösung gefunden, die das deutsche Volk erwartet hat. Die Unabhängigen sind ausgeschieden, die Reichsregierung wird aus den Reihen der Mehrheitssozialisten ergänzt und, von inneren Hemmungen frei, an die Lösung ihrer großen Aufgaben gehen: die Wahlen zur Nationalversammlung und den Frieden vorzubereiten und bis dahin die Aufrechterhaltung einer freiheitlichen Ordnung sicherzustellen.
Die Vertreter der Unabhängigen sind ausgetreten, weil der Zentralrat der deutschen sozialistischen Republik gegen sie entschieden hat. Der Zentralrat hat erklärt:
„Die Volksbeauftragten Ebert, Landsberg und Scheidemann haben lediglich den Auftrag erteilt, das Nötige zur Befreiung des Genossen Wels zu veranlassen. Das ist aber auch erst geschehen, nachdem den drei Volksbeauftragten von dem Führer der Volksmarine-Division telephonisch mitgeteilt worden ist, daß er für das Leben des Genossen Wels nicht mehr garantieren könne. Das billigt der Zentralrat."
Nach diesem Schiedsspruch von der höchsten Instanz, von den Vertrauensleuten sämtlicher Arbeiterund Soldatenräte Deutschlands, sind die Unabhängigen aus der Regierung geschieden» Sie haben sie in einem Augenblick verlassen, wo alles in Frage gestellt ist: Waffenstillstand, Frieden, Ernährung, Bestand des Reiches! Wo zum ersten Male vom französischen Vevollmächtigten General Soch die unzweideutige Neuerung vorliegt: „Mit einer bolschewistischen Regierung verhandeln wir nicht!"
Obwohl viele Stunden lang die Berechtigung der Notwehr bewiesen wurde, in der Ebert, Landsberg und Scheidemann gehandelt haben, und diese vom Zentralrat anerkannt wurde, haben die Unabhängigen ihren Austritt wieder mit der angeblichen „Schuld" der sozialdemokratischen Volksbeauftragten begründet.
Auf die Frage des Zentralrates, ob die Volksbeauftragten bereit seien, die öffentliche Ruhe und Sicherheit insbesondere auch das private Leben und öffentliche Eigentum gegen gewaltsame Eingriffe zu schützen, und mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln ihre eigene Arbeitsmöglichkeit und die ihrer Organe gegen GewalttätigKeiten, ganz gleich von welcher Seite, zu gewährleisten — auf diese Frage haben die Unabhängigen geschwiegen!
Vor der Beantwortung dieser Lebensfrage des deutschen Volkes haben sie sich gedrückt! Damit haben sie bewiesen, daß sie die erste Pflicht jeder Regierung nicht erfüllen wollen: Die Sicherheit innerhalb des Staates zu gewährleisten!
Indem die Unabhängigen die Mittel zur staatlichen Sicherung ablehnten, haben sie sich als regierungsunfähig erwiesen.
Für uns ist die Revolution keine Parteiparole, sondern das kostbarste Gut des ganzen schaffenden Volkes.
Wir übernehmen ihre Aufgabe als Beauftragte des Volkes mit dem Schwur: Alles für die Revolution, alles durch die Revolution! Aber auch mit der festesten Absicht, jedem unerbittlich entgegenzutreten, der aus der Revolution des Volkes den Terror einer Minüerheit machen will.
Hunderttausende demonstrierten heute für die neue Regierung, um den skrupellosen Mißbrauchern der Straße zu beweisen, 100 die Mehrheit steht. Aus ihrer Solidarität beruht unser Auftrag und unser Amt. Die Massen sind unsere Rechtfertigung, ihr Wille gibt uns die Kraft zu der Riesenaufgabe!
Keine unfruchtbare Varteizänkerei mehr, sondern einheitliche Arbeit in Eurem Sinn, im republikanischen, sozalistischen, demokratischen Sinn!
Soldaten!
Der Zentralrat der deutschen sozialistischen Republik, der vom Kongreß aller A.und S.-Räte rechtmäßig gewählt ist, hat die Volksbeauftragten Ebert, Scheidemann und Landsberg in ihren gemtern bestätigt. Er hat ferner die drei Genossen Noske, Loebe und Wissel zu Mitgliedern der Reichsregierung ernannt.
Die neue Reichsregierung muß die freiheitliche Ordnung unserer jungen Volksrepublik festigen, die Wahlen zur Nationalversammlung, die nach dem Veschluß des Kongresses der Kund S.-Räte am 19. Januar vorzunehmen sind, sichern und die unteressen des deutschen Volkes nach außen wahrnehmen.
Reichsregierung und Zentralrat der A.- und S-Räte stehen zu diesem Zweck geschlossen zusammen.
Soldaten, Ihr müßt uns helfen!
Wir kennen nur den freiwilligen Gehorsam freier Männer. Wer unserer Sache nicht aus Ueberzeugung dienen Kann, der mag gehen.
Wer aber Soldat bleibt, der muß wissen, daß die neue Reichsregierung die höchste Vehörde der deutschen Republik ist und daß jedermann, der Waffen trägt, ihr als der obersten Kommandogewalt Treue schuldet.
Die Regierung will nichts als die Freiheit und Wohlfahrt des Volkes. Die sollt Ihr schützen helfen! Wenn Ihr entschlossen seid, die freiheitliche Ordnung der Republik nach allen Seiten zu schützen, wird sie niemand anzutasten wagen. Darum seid der großen Sache, der deutschen Volksrepublik treu! Vefolgt die Anordnungen ihrer höchsten Vehörden! Wer Waffen gebraucht, um die freiheitliche Ordnung zu stören, oder wer Euch auffordert, dies zu tun, der begeht ein Verbrechen an unserem Volk. Soldaten! Wenn wir nicht Ordnung halten, müssen wir verhungern! Rettet durch selbstgewollte Disziplin die Errungenschaft der Revolution und unser Volk vor dem drohenden Untergang!"
- 1Joffe bemerkt in diesem Telegramm, das er dem V. B. Barth mehrere Hunderttausend Mark und Waffen zur Vorbereitung der Revolution gegeben habe.
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