5. Der Vollzugsrat, die revolutionären Obleute und ich.
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Vom 10. November bis zum 28. Dezember war ich so ziemlich täglich im Vollzugsrat. In der Sitzung der revolutionären Obleute war ich zweimal.
Es liegt mir völlig fern, eine Kritik an den beiden Körperschaften zu üben. Ich kenne beider Schwierigkeiten, weiß die Strömungen bei den Obleuten zu würdigen, weiß ganz besonders, wie aufreibend die Tätigkeit im V. R. für unsere Genossen war.
Der Vollzugsrat, der am 10. November im Zirkus Lusch halb aus Soldaten und halb aus Arbeitern zusammengesetzt wurde, war eigentlich eine totgeborene Körperschaft. Daß sie nicht starb, daran tragen die Verhältnisse, nicht die Mitglieder des Voilzugsrats die Schuld: denn von einigen ehrlichen Menschen abgesehen, waren die ganzen soldatischen Mitglieder des Vollzugsrats solche, die von anderen vorgeschoben, nur das eine Interesse hatten: die Arbeitsmöglichkeit des Vollzugsrats zu unterbinden und ihn nach außen fortgesetzt zu diskreditieren.
Am 10. November im Zirkus Busch, nachdem die Wels, Cohen und Genossen in so und so viel Kasernen und in zwei Versammlungen für „Soldatenräte" gesorgt hatten, mit denen sie dann die Versammlung terrorisierten, gab es nur zwei Möglichkeiten. entweder den sofortigen blutigen Kampf zwischen Arbeiterschaft und Soldaten, oder ein Lavieren bis zur völligen Demobilisation.
Als ich den Vorsitz niederlegte und meinen Paletot angezogen hatte, hatte ich mich für den Kampf gegen die Soldateska und gegen die S. P. entschieden. Als nun aber alle meine Freunde, auch Liebknecht, auf mich einstürmten, da gab ich nach in der Ho.ffnung, daß die straffe Organisation und Schulung des proletarischen Heeres sofort in die Hand genommen würde, um dann schlagfertig in der reifen Stunde die Revolution, wenn sie von der S. P. gehemmt werden sollte, weiterzutreiben. Aber das Nachgeben bedeutete eben die denkbar schlechteste Zusammensetzung des V.R., halb Soldaten und halb Arbeiter, und längeres Lavieren. Und was für Arbeiter waren es denn? Halb U. S. P., halb S. P., d. h. ein Viertel des V.R. war revolutionär und von drei Vierteln wußte man nichts, absolut nichts! Oder gibt es vielleicht einen Menschen, der behaupten will, daß er am 10. November wußte, ob nun in der Revolution die S. P. hemmend oder vorwärtstreibend sein würde, ob die Scheidung der Geister innerhalb derselben nicht schnell erfolgen und die Revisionisten beiseite oder gar aus der Partei hinausgedrückt Würden oder umgekehrt? Möglich war beides.
Also ein Viertel des Vollzugsrates waren unsere Genossen, woraus doch von vornherein die Schlußfolgerung gezogen werden mußte, daß in allen Fragen, in denen die S. P.-Mitglieder dagegen waren und nicht der persönliche Vorteil oder die Vefriedigung des persönlichen Ehrgeizes die soldatischen Mitglieder für unsere Genossen stimmen ließ, sie unterliegen mußten. Daraus folgte weiter, daß es nicht klug war, wenn unsere Genossen im V.R. dauernd Kompetenzstreitigkeiten mit den V. B. herbeiführten.
Diese Kompetenzstreitigkeiten hinderten den V.R., die Revolution zu schützen und vorwärtszutreiben. Als am 12. November die Kompetenzen festgelegt und die Exekutive und Legislative unter der Kontrolle des V. R. uns übertragen war, da hätten statt Kompetenzen reale Sachfragen die Reibungen erzeugen sollen. Z. V. hätte anläßlich des Geheimtelegramms Gröners an O. O. wegen der Verhinderung der Demobilisation, als ich im Kabinett die Enilassung Gröners nicht durchsetzen konnte, der V. R. dies fordern und bei Verneinung durch das Kabinett es zu einer Streitfrage machen sollen. Ebenso in Fragen wie die Lösung der Ostprobleme — Rußland, Polen, Ukraine und Valtikum — in S. R.-Fragen u. a. m., wobei praktisch revolutionär gearbeitet und die S. R.-Mitglieder für uns gewonnen worden wären.
In diesem Sinne habe ich dauernd versucht —bei jeder aufbauchenden Frage — auf unsere Genossen einzuwirken, doch dauernd vergebens. Nur als die Solf-Frage nach der Konferenz am 24. November aufkam, forderte er schleunigst die Entlassung Solfs und Erzbergers und erneuerte diese Forderung am 2. Dezember. Aber dies war gerade die ungeeignetste Frage, um einen Konflikt im Interesse der Revolution zu entfachen. Es war ja keine prinzipielle, Kaum eine sachliche, sondern im wesentlichen eine Personenfrage. Die Geheimerlasse der O. H. L., die S. R.-Fragen und die Sozialisierung sollten sie zum Kampfobjekt machen, sagte ich ihnen, gleich alle drei!
„Ha!" sagte da R. Müller, „da kommt einer, der gerne andere als Prügeljungen haben möchte! Nein, nein! Ihr tragt die Verantwortung und die nehmen wir Euch nicht ab."
Meine Antwort will ich mir hier ersparen. Ist eine Sicherung der Revolution, eine Weiterführung derselben denkbar, wenn derartige Popularitätshascherei mit maßgebend ist? Es ist eben viel einfacher, dauernd Kompetenzstreitigkeiten zu erheben, als in praktischen Fragen den entscheidenden Kampf zu wagen. Es ist leichter, sich eine Pose zu geben, in der man so recht schön in blendender Rüstung dasteht ohne etwas zu tun, als wirklich zu wagen und zu handeln. Ich fand beim V. R. keine Unterstützung, nur Anfeindung, wobei ich bei keinem Genossen bösen Willen voraussetze. Wir redeten zwei Sprachen und verstanden uns nicht und deshalb glaubten sie sich berechtigt, überall gegen mich Mißtrauen zu säen. Wenn ich ihnen in Stunden, wo die Sekunden die Vedeutung von Iahren haben, sagte: handelt, laßt doch den Prinzipienschimmel laufen, dann warfen sie mir Verrat an den Kopf.
Es ist ja das Fürchterliche, daß sich das Proletariat in seinem größten Elend mit den plattesten Phrasen willig und billig abspeisen läßt, daß es sich noch daran berauscht. Im Iahre 1908, als die große Arbeitslosigkeit herrschte, fanden Arbeitslosenversammlungen statt, und die Referenten empfahlen, nach dem Aufgebot aller radikalen Phrasen, eine Resolution für das allgemeine, gleiche. direkte und geheime Wahlrecht in Preußen und in den Gemeinden. Als ich die Unsinnigkeit dieser Forderung für die hungernden und darbenden Arbeitslosen darlegte und zu direkter Aktion aufforderte, da wurde ich auf das Stichwort des Referenten (Emmel-Mühlhausen) hin als Spitzel verprügest, obgleich ich selbst die 27. Woche arbeitslos war.
Aehnlich jetzt, nicht zuletzt bei meinen Freunden vom V. R. Es war nicht das Wahlrecht, es waren die „Rate", das neue Prinzip.
Ich aber pfeife auf alle Prinzipien, wenn sie nicht bestimmend für die Tat sind. Mehr: ich hasse alle Prinzipien, die dauernd im Munde geführt werden, um — die Tatenlosigkeit zu verdecken.
Das gilt für alle Zeiten, für revolutionäre Zeiten gilt es tausendfach. Die meisten Revolutionäre wissen nicht, daß das Wort der Weg, die Tat das Werk ist.
Nur wenigen, sehr wenigen ist es immer nur klar, in welchem Stadium eine Revolution sich befindet. Revolutionäres Gären, revolutionäre Phase und revolutionäre Aktion sind drei sich ergänzende, sich immer wieder ablösende, revolutionäre Perioden mit völlig verschiedenen Aufgaben und somit verschiedenen Mitteln und Methoden, wobei das richtige Mittel für die eine Gift und somit Tod für die andere Periode bedeutet.
Revolutionäres Gären ist alle Entwicklung auf kommerziellem, wirtschaftlichem, sozialem und politischem Gebiet. Diese revolutionäre Epoche der Evolution, die Jahre und lange Iahrzehnte währen kann, ist die Epoche des Wortes, ist die Erfüllung der Geister mit dem heiligen Odem des Sozialismus, ist die laute rührige Agitation, ist die Zeit, wo das Wort, das gesprochene und geschriebene, der Hammer, wo Versammlungssaal, Presse und Parlament die weithinhallenden, singenden und klingenden, von Schmerzen und Qual kündenden, zur Solidarität aller leidenden untereinander und zum Kampf gegen die Vedrücker aufrufenden Ambosse sind.
Die Zeit der revolutionären Phase, das ist die Zeit, die Ruhe und Stille, Friedhofsruhe, täuschende Stille vor dem Sturme fordert, in der die wahren Kräfte der Revolution organisiert, zusammengeballt, gerüstet und gewappnet werden müssen, um die revolutionäre Aktion zu vollbringen. .
Diese revolutionäre Aktion muß, wenn sie siegen will, plötzlich wie ein Blitz aus heiterem Himmel, in der historisch richtigen Stunde, mächtig, kräftig, staunenerregend, furchterweckend, alles faszinierend, mitreißend, zum Staunen und Vewundern zwingend, erfolgen.
Ebbt nun diese revolutionäre Aktion ab, ganz gleich aus was für Umständen oder Widerständen, so tritt an ihre Stelle die revolutionäre Phase, vielleicht ergänzt durch die Mittel der revolutionären Gärung, aber die Revolution wird zum sicheren.Untergang verurteilt, der Sieg der Gegenrevolution wird auf ein sehr schwer wieder zu zerstörendes Fundament gestellt, wenn Mittel der revolutionären Aktion in dieser Periode verwendet oder besser gesagt, dilettantisch verhrecherisch vergeudet werden. Wehe dem Proletariat, wenn kurzsichtige Dilettanten in dieser Periode seine Führer find, dann ist es zur grauenvollen Niederlage verdammt, ganz gleich, ob Fanatismus, Ehrgeiz oder Kurzsichtigkeit die Führer bestimmen.
Der beinahe kampflose Sieg vom 9. November war die Hemmung des Sozialismus, war deren Auslieferung an ihre Verräter. Das gewaltige Heer, das bei einem Kampfe um den Sozialtsmus sicher auf Seiten der Sozialverräter gestanden hätte, bedingte, wenn der Kampf nicht sofort erfolgte, die Einstellung der revolutionären Aktion, bedingte die revolutionäre Phase bis zur Demobilisation.
Nach wenigen Tagen mußte es jedem, der glaubte, „Führer" zu sein, klar sein, daß bei dem alle erfassenden Nationalversammlungsfimmel die Zeit der revolutionären Phase dauern müsse bis , mindestens vierzehn Tage nach Einberufung der Nationalversammlung, d. h. bis zu deren Selbstdiskreditierung beim ganzen Volke.
Von diesem Gesichtspunkte aus war mein Wirken überall oiktiert, ganz besonders bei meinen Freunden im V. R. und bei den revolutionären Obleuten. Ober da kam ich schön an. „Nur über meine deiche geht der Weg der N. V." „Alle Macht den A.- und S.-Räten" „Rücktritt der U. S. P. Mitglieder im Rate der V. B." das waren die Schlagworte, die sich zur rechten Zeit dem Revolutionsdilettantismus boten. Meine positive Erklärung, daß meiner Ueberzeugung nach — wofür ich allerdings nur Anzeichen und Dermutungen, aber keine Veweise hatte — sofort nach unserm Nücktritt die blutige Diktatur Landsbergs herrschen würde, wurde mit Hohn und Spott und mit der Erklärung, daß sie dann über den Haufen gerannt würden, abgetan. Meine weitere Erklärung, daß mir vor diesen Arbeiter- und ganz besonders vor diesen Soldatenräten — nicht wegen meiner — sondern wegen der Revolution graue, wurde mir als Verrat untergeschoben. Meine Behauptung, daß wir gegenwärtig nicht die Macht besäßen, um den Kampf aufzunehmen, da die Massenpsvche uns entgegenstände, wurde verlacht, und ich wurde der Feigheit geziehen. Mein Verlangen, die illegale Organisation ruhig und still, aber energisch, großzügig und gut bewaffnet über ganz Deutschland auszubauen, als Revolutionsromantik verspottet. Wegen meines Vestrebens, den wirtschaftlichen Streiks, soweit sie auf überspannten Forderungen basierten, entgegenzuwirken, wurde ich als Kapitalsknecht erklärt. Meine Warnung, daß diese Streiks uns die Möglichkeit nehmen, die Massen um der Revolution und des Sozialismus willen auf die Straße zu holen, wurde mir als riesige Dummheit angerechnet.
Ganz besonders verübelt und verargt wurde es mir, daß ich mich gegen die Straßendemonstrationen und Demonstratiönchen wandte, gegen die, die Reaktion stärkende und die revolutionäre Kraft des Proletariats zermürbende, das Berliner Proletariat lächerlich machende revolutionäre Gymnastik, diese Gymnastik, die der Revolution totstcher das Genick umdrehen werde.
Um Entstellungen vorzubeugen, will ich schon hier bemerken: Die Räte müssen die Exekutivorgane im sozialistischen Staate sein, im Reich, in den Provinzen« und Gemeinden, im kommerziellen und wirtschaftlichen Leben. Sie müssen diese Träger nicht nur während der Dauer der Diktatur des Proletariats, sondern dauernd sein. Immer unter der Kontrolle des Proletariats und immer abberufbar. Sie müssen ferner die Legislative bilden. Aber die Diktatur des Proletariats heißt doch letzten Endes nicht mehr und nicht minder als das im Sinne' des Sozialismus handelnde Proletariat Welche Aufgabe die Räte nach der Diktatur haben werden, das weiß ich nicht. Aber das eine weiß ich: Entweder gibt es eine Diktatur des Proletariats mit einer, dieDiktatur ausübenden Spitze, deren Anordnungen zu befolgen sind, so wie in Rußland, oder es gibt keine Diktatur des Proletariats. Gs geht eben einfach nicht, daß jeder einzelne den Diktator spielt, und daß jede Dummheit als Revolutionsrecht für berechtigt erklärt wird. Kann sich das auf dem Boden der Diktatur stehende Proletariat nicht auf einen oder einige führende Köpfe einigen, wie in Rußland, deren Willen 8efehl ist, dann gibt es nie etwas Derartiges in Deutschland. Also: nicht „alle Macht den Räten", sondern die Diktatur des Proletariat in dem angeführten Sinne und die Räte als deren Organe.
Auf Einzelheiten einzugehen, glaube ich, mir ersparen zu können. Nur das sei bemerkt, daß der Veschluß des V.R. vom 15. November, die Gewerkschaften betreffend, das Unverantwortlichste war, was er überhaupt vollführte. Als ich dann in einer Nachtsitzung dessen Inhibierung durchsetzte, war es zu spät, die Arbeitsgemeinschaften waren abgeschlossen.
Die revolutionäre Gymnastik — einmal da und einmal dort ein bischen Generalstreik, ein bischen Demonstration und auch ein bischen «nallerei — also die Mittel einer Aktion, in theatralischer Ausführung, das ist eben Revolutionsverrat.
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