6. Vom Dezember 1918 bis März 1919.
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Am 28. Dezember war ich ans der Regierung ausgeschieden, und ich glaubte es nun der Revolution und mir schuldig zu sein, dort, wo ich den Hebel der Revolution sah, bei den revolutionären Obleuten, meine Kraft zur Verfügung zu stellen, um dahin zu wirken, daß die illegale Organisation organisatorisch, technisch und taktisch über Deutschland ausgebaut würde.
Ich glaubte, daß es trotzdem und alledem meinem Einfluß gelänge, diese Organisation vom Dilletantismus der Revolution wegzureißen, um sie zum gewaltigen, alle Widerstände brechenden Hebel der Revolution zu machen. Doch als ich am 31. Dezember in eine Sitzung der Obleute kam, wurde ich hinausgewiesen, ohne daß mir die Möglichkeit gegeben wurde, eine sachliche Auseinandersetzung herbeizuführen. Ich ging mit der Erklärung, daß ich das wohl ertragen könne, daß aber mir bewußt sei, daß in kurzer Frist der Dilettantismus ihres geistigen Führers, der sicher in jede gestellte Falle hineintappe, sie und die Revolution qualvoll zu Tode martern werde. Es wäre mir bedeutend lieber, ich hätte so unrechd gehabt, wie ich leider in wenigen Tagen recht bekommen sollte.
Vom 29. bis 31. Dezember tagte der Spartakistenkongreß, der die Gründung der kommunistischen Partei brachte. Die Veschlüsse dieses Kongresses, die über das, was Liebknecht, logisches und Rosa Luxemburg wollten, weit hinausgingen, verhüteten die damals auf des Messers Schneide stehende Zertrümmerung der U. S. P., die Aufsaugung der revolutionären Obleute, ihre Degradierung zu einem Anhängsel der K. P. und die Loslösung jedweden vernünftigen Gedankens und Tuns der Arbeiterräte wie auch die sofortige Zertrümmerung derselben. Es war noch einmal ein Glück für die Revolution, daß in diesen Tagen das Sprichwort' allzu scharf macht schartig, seine Gültigkeit bewies.
Wenn ich sage, daß zum Glück die scharfen Beschlüsse des Spartakuskongresses die Aufsaugung der rev. Obleute verhütete, so war es auf der andern Seite ein großer Schaden, daß nunmehr zwei Körperschaften bestanden, die sich gegenseitig versuchten den Rang abzulaufen an revolutionär-romantischen, nach außen hin effektvoll wirkenden, dem Stande der Revolution nicht entsprechenden und ihr darum schädlichen Experimenten. Es war und ist der Fluch der deutschen Revolution, daß sie zuviel Generäle besaß, die nicht danach sahen, „was", sondern „wer" etwas macht und voll Neid und Scheelsucht sofort unterminierend wirkten, wenn glicht sie selbst die Macher waren.
Nach der Gründung der K. P. lag es nun folgendermaßen: Abgesehen von der prinzipiellen Vefürwortung der revolutionären Gymnastik, hatte schon diese Gründung an sich das Vestreben, die Notwendigkeit und eigene Tüchtigkeit, Energie und eigenen Wagemut zu beweisen. Vor allem wollten Liebknecht und seine Freunde eine revolutionäre Aktion, ganz gleich aus welcher Veranlassung, zu unternehmen versuchen, um ihren revolutionären Glorienschein sich zu erhalten. Um so mehr mußten sie das, da sie bestrebt sein mußten, die wirkliche Macht in der Berliner Arbeiterschaft, die revolutionären Obleute, zu verhindern, ohne sie etwas zu unternehmen.
Die revolutionären Obleute aber, die ebenfalls um ihr Prestige bangten, mußten wiederum bestrebt sein, etwaige Aktionen maglichst allein, oder doch mindestens, die Führung sich sichernd, mit der K. P. zusammen durchzuführen, aber auf keinen Fall die K. P. allein eine Aktion machen zu lassen.
Halb zog sie ihn, halb sank er hin, so ging es in diesem Falle beiden, den rev. Obleuten und der K. P., und es bedurfte nur des geringsten Anlasses, um beide Körperschaften, in wildem Nettstreit, in eine, selbst die verworrenste, verwegenste und aussichtsloseste Veweaung zu stürzen.
Ich selbst fuhr am 3. Januar auf eine Agitationstur und kam am 27. Januar zurück, nachdem ich in 24 Orten 26 Versammlungen abgehalten hatte. Darum sind meine Ausführungen über die Januarbewegung nicht als die eines Augenzeugen und Mitbeteiligten, sondern eines historisch Prüfenden zu betrachten.
Der Kampf begann bereits am 9. November, zwischen drei Gegnern, den die Revolution Vorwärtstreibenden, den sie Hemmenden und der Reaktion, wobei von der ersten Stunde an die beiden letzten gemeinsame Sachen machten, wogegen die ersteren von eben dieser Stunde ab desorganisiert und zersplittert auf den Kampfplatz traten.
Am 9. November erscholl auf einmal der alles in seinen Vann ziehende Ruf: Nationalversammlung!
Auf der Straße und in Versammlungen, in der Presse und in Flugblättern, man hörte und las nur: Nationalversammlung.
Die Arbeiter- und Soldatenräte übten die Macht aus, fühlten sich in ihrer Macht, die andern respektierten ihre Macht, sie waren geradezu die Verkörperung der Revolution, sie kamen beratend,»beschießend und Gesetze verkündend in den Städten, Provinzen, Limdern und im Reiche zusammen und sie, die Revolution repräsentierenden und die Staatsmacht in sich verkörpernden A.-und S.-Räte riefen: Nationalversammlung!
In den ersten Tagen, als die Parolen: „Nationalversammlung" und „alle Macht den Räten" erschollen, da war die Orientierung noch nicht so einseitig, aber von Tag zu Tag gewann die eine Parole und die andere verlor. Und warum?
Die Voraussetzung der Durchführung dieses Verrats war, die Revolution in den ersten Tagen von sozialistischen Maßnahmen abzuhalten, Zeit zu gewinnen. Der Ruf nach der Nationalversammlung hieß die Hinderung von diktatorischen Maßnahmen der Revolution. Er bezweckte und erreichte auch außerdem die Verschiebung der Kampffront und der Kampfforderung. Die Kampffront verschob sich hierdurch in sofern, als er eine Einigung von der S. P. bis zur äußersten Rechten herbeiführte und außerdem Verwirrung in das gegnerische Lager trug. Die Kampfforderung verschob dieser Ruf insofern, als er die revolutionär vorwärtstreibenden Kräfte an Formalien ihre Kräfte vergeuden ließ, wodurch die sichere Gewinnung breiter Massen aus dem gegnerischen Lager, die bei sachlichen Kämpfen diesem sicher gewesen wäre, verhütet wurde.
Räte oder N. V. ist — und wenn einzelne Fanatiker noch so sehr dagegen toben — keine prinzipielle, noch nicht einmal eine taktische, sondern eine rein formale Frage, hinter die die Anhänger der N.V. ihr Nichts-tun-wollen und die andern ihr Nicht-wissenwas-sie-wollen versteckten. Iene sagten: nur die N. V. kann uns Frieden bringen, kann uns Vrot geben, kann die Rohmaterialien für die Produktion verschaffen. Sie allein kann Ruhe und Ordnung bringen. Und diese? Wollten sie einheitlich den Frieden? Wollten sie all das andere? Sie schwankten haltlos wie das Rohr im Schilfe hin und her, sich untereinander bekämpfend, nur in der Ueberzeugung sich einig, daß die Revolution, der Sozialismus verraten und rings von Feinden umgeben sei. Durch falsche Parolen hatte sich die Massenpsyche für die Gegenrevolution entschieden, ein kaum überwindlicher Schlag für die Revolution. Die Gegenrevolution organisierte und rüstete mit allen Kräften, zäh und energisch den kleinsten Vorteil nutzend, weder Lilge, Heuchelei, Verleumdung noch Vrutalität scheuend.
Es kam der R.-Kongreß mit der Boykottierung des Zentralrates und dem wilden Schrei nach dem Ausscheiden der drei V.B., dieser Boykott war der zweite, die Revolution tödlich treffende Schlag.
Die Gegenrevolutionäre organisierten besser als am 6. Dezember am 24. Dezember das blutige Kesseltreiben gegen die Revolution, mit dem Ergebnis, daß sie die gesamten Machtmittel des Staates in den Dienst der Gegenrevolution stellen konnten. Nunmehr war ihr Streben, möglichst schnell und umfassend, den letzten Schlag zu führen, den verhaßten Gegner zu vernichten und sich selbst ob der Größe, Stärke und Umsicht zu beweihräuchern, um am 19. Januar in der „Wahlschlacht" den Dank des Volkes entgegenzunehmen.
Wollte man aber den Dank und nicht den Fluch des Volkes ernten, so mußte man die Sache so schieben, daß man als Retter gegenüber dem skrupellos über Leichen schreitenden, Recht und Gerechtigkeit mit Füßen tretenden, rückhaltslos alles seinem Machtkitzel opfernden „Bolschewismus" auftrat.
Beim Tragischen liegt immer das Komische. Eichhorn, der Berliner Polizeipräsident, sollte der Held und die Ursache des blutigen Kampfe? werden, der beiden Seiten zur ewigen Schande gereichen wird.
Landsberg und Liebknecht rüsteten zum entscheidenden Schlage. Der Erstere Kalt wägend, mit strategischer Systematik, der Letztere rein gefühlsmäßig. Iener die Massen — nicht in Berlin, sondern im Reiche — zu sich hinüberziehend, dieser sie abstoßend. Die wochenlange, systematische, an Verlogenheit kaum noch zu überbietende Polenhetze, mußte bei einem Vorgehen gegen dieselben die Volksstimmung hinter sich haben, und darum erfolgte nun der deutsch-polnische Krieg. Die Besudlung der Sowjet-Republik bedingte, daß man auch ihr gegenüber den starken Mann spielte. Die Massen sind Erfolgsanbeter. Landsberg, dieser Gewaltsmensch, der nicht nur dies wußte, sondern seiner Glorifizierung in der ganzen bürgerlichen Presse ob dieser Schandtat sicher war und außerdem auf die energischste Unterstützung seiner Partei und der Gewerkschaftsbonzen bauen durfte, suchte erst diese Frage als das Kampfobjekt aus. Aber durch die Spartakustagung kam diese Auslösung nicht, die seiner Partei auch noch die patriotische Drapierung für die Wahlen gebracht hätte. Nun griff er nach dem Mittel, das ihm Hessen sollte. Er sorgte für die Entlassung des Berliner Polizeipräsidenten Eichhorn. Diese Entlassung war für ihn eine zweifache Notwendigkeit. 1. rechnete er bestimmt auf den dadurch ausgelösten Kampf, und 2. mußte er die letzte, ihm nicht bedingungslos zur Verfügung stehende Machiposition der Revolution beseitigen, sie in seine Hände bringen. Hätte er dies ohne seine absichtliche Provokation, ohne das Vlutvergießen getan, so würde ich ohne wenn und aber sagen: mit Recht' denn es ist für beide Teile eineSelbstverständlichkeit, die ihnen zukommenden und zustehenden Machtmittel in die Hand zu nehmen. So verständlich nun dies für Landsberg, nach meinem Dafürhalten war, fo unverständlich ist es von der Gegenseite, diese Frage zum Kampfobjekt zu wählen.
Liebknecht und seine Freunde hatten seit Wochen nach unserm Ausscheiden als Volksbeauftragte gerufen nach dem Ausscheiden unserer Staatsund Unterstaatssekretäre und Minister, sie haben den Vovkott oder besser die Abstinenz beim Zentralrat durchgesetzt und hier bei einem, gegenüber den eben genannten, doch untergeordeten Posten, riefen sie zum Kampfe. Das hieß doch alle Logik auf den Kopf stellen. Es war aber auch der Gipfel der Leichtfertigkeit, eine Parole zum Kampfe zu wählen, die außerhalb Berlins keinen Hund hinter dem Osen hervorlockte.
Wie der Kampf auf eine breite Basis gestellt werden konnte, wie die Kampfparole gewählt werden mutzte, wenn man schon in dieser völlig ungeeigneten Zeit losschlagen wollte, das habe ich damals in allen Versammlungen erklärt, indem ich sagte, daß es nicht die Person Eichhorns oder der Berliner Polizeipräsident sei, um die die Berliner Arbeiterschaft sich erhob, sondern um der gewaltsamen Entwaffnung des Proletariats und der Bewaffnung der Bourgoisie willen, d. h. wegen der Entwaffnung der Revolution und Vewaffnung der Gegenrevolution.
Am 5. Januar tagten die Obleute, und da wurde ihnen erklärt, daß zehntausende Soldaten mit tausenden Geschützen und Maschinengewehren in Berlin und seiner weiteren Umgebung marschbereit stünden, die ob mit oder ohne die Arbeiterschaft marschieren und handeln würden, und als der Tanz begann, da Kam nicht ein Mann.
Doch hiermit leider noch nicht genug. So gewissenloS diese „Information", um den Veschluß herbeizuführen, noch tausendmal gewissenloser war der Kampf organisiert, der völlig ohne Führung war. In Berlin wurde Verschwörerin gespielt, daß man dreist und tollpatschig spielte, spielte mit Menschenleben und mit der Revolution, das zeigte sich schnell. Nieder mit Ebert, Scheidemann, Landsberg hatten sie wochenlang gerufen, und jetzt schritten diese Rufer — deren Rufe nicht die Mauern von Jericho erschütterten — zur Aktion, um mit dieser Regierung zu handeln? O nein! So war das nicht gemeint! Es ist ja nur Theaterdonner: denn wir wollen mit der Regierung nicht handeln, sondern ———verhandeln!
O du heilige Einfalt!
Einer der besten, mutigsten und überzeugtesten Revolutionäre wurde als Parlamentär des Vorwärts gemordet: Artur Schöttler. Wer, lieber Freund, weiß deine Verdienste?
Ueber die grauenvolle Ermordung Liebknechts und Rosa Luxemburgs ist ja viel geschrieben. Daß ich bei aller sachlichen Differenz, als Kampfgenosse immerdar zu ihnen stehe, das zu bemerken halte ich für notwendig, es noch einmal beweisen zu können, das ist mein Wunsch.
Die Januarbewegung ist die Geburtsstunde der Freiwilligenkorps, der Einwohnerwehren, der Antibolschewistenliga, mit ihren die Städte verschandelnden Plakaten, der wilden Hetze zu Iudenpogromen, der Restauration des Heeres und des Herr-im-Hause-Standpunktes der Schlotbarone, der lähmenden und gewalttätigen Auseinandersetzung innerhalb des Proletariats.
Diese Freiwilligenkorps mit dem alten Drill und Plunder und neuen, unglaublich hohen Löhnen, mußten mit einem instinktiven Haß erfüllt sein gegen jene, in der Revolution geborenen, mit Soldatenräten beglückten Formationen: Republikanische Soldatenwehr und Matrosendivision.
Am 6. März kam es zwischen beiden zum offenen blutigen Kampfe, nachdem es schon vorher in Vremen, Mel, Hamburg und Berlin Plündereien gegeben hatte. Doch hiervon später.
Auf der Konferenz der Armeekorps-S.-R. in Berlin und auf dem Marinekongreß in Hamburg hatte ich Referate gehalten, im Anschluß an letzteren in Kiel und Hamburg in Versammlungen gesprochen. Unter anderem auch in einer öffentlichen Versammlung der aktiven Deckund Unteroffiziere in Kiel, der eigenartigsten Versammlung, die ich je erlebt. Es waren ungefähr 1200 Mann anniesend, von denen ostentativ einige Hundert ihre Vrownings entsicherten. Als ich fünf Minuten gesprochen Hatte, ertönten, auf das Zeichen des die Anwesenden führenden Oberfeuerwerkers, plötzlich einige Hundert Vootspfeifen. Mir tut heute noch die große Fußzehe weh, wenn ich daran denke. Ich rektifizierte sie ungeschminkt und konnte dann zwei Stunden ungestört sprechen und unter stürmischem Veifall schließen.
Am 18. Februar brach im Ruhrbecken der Bergarbeiterftreik aus, der schnell wieder erlosch, der aber der Regierung die notmendigen Vorwände bot, um im ganzen Rheinland ein Schreckensregiment zu errichten.
Am 21. Februar erfolgte die Ermordung Eisners in München. Wie ein Mann erhob sich das bayrische Proletariat, um dem Rategedanken eine neue Vedeutung zu verleihen. Als ich am 23. im Auftrage des V. R. nach München kam, da war es eine Lust, diese Stimmung zu finden, diese wunderbare Stimmung der Masse, der aus den scheelsüchtig hadernden „Führern" kein Führer entstand. Es waren nach meiner Auffassung drei Genossen mit Führerqualitäten vorhanden, Landauer, Sauber und llickisch, denen auch ein gut Teil tüchtiger Genossen zur Verfügung gestanden hatten, wie Toller, Unterleitner und andere, Aber der Fluch, der in Berlin dauernd über der Bewegung waltete, er erstickte sie auch hier. Daß reden Blech und handeln Gold ist, offenbarte sich noch nirgends so klar, als damals in München. Das Gold lag zum Greifen da, aber man ließ es liegen und schmiedete Blech.
Die Münchner revolutionären Obleute, unter Führung Levins und Mühsams, die im Gegensatz zu den Berlinern nicht in den Verrieben wurzelten, die eben, weil dies schön klang, sich so benamsten, verfügten über Säcke voll Phrasen und revolutionäre Verantwortungslosigkeit, die sie bei der Arbeiterschaft und besonders den Arbeitslosen kunterbunt durcheinander würfelten, damit aber die Vernunft und die Einigkeit und jedwede Aktionsfähigkeit erdrosselten. Und doch! Eisner konnte nicht nur, sondern mußte der Simson der deutschen Revolution werden, der tote Eisner hätte die Säulen des Bestehenden gestürzt, wenn ja, wenn die Talente der Revolution nicht vergeudet wären.
Man denke, die Volksbeauftragten wären bis zur Bildung des Kabinetts durch die N. V. in demselben geblieben, nachdem der Z. R. aus ebenfalls halb S. P. halb U. S. P.-Genossen gebildet war. Trotz aller ränkevoller Intrigen wäre dann die Bildung der FreiwilIigenkorps nicht erfolgt, wären die Einwohnerwehren nicht geschaffen, wäre das Proletariat nicht entwaffnet worden.
In den völlig vertrödelten ersten 14 Tagen ihrer Tagung hatte die N. V. den stärksten Katzenjammer erzeugt. Wenn jetzt die Organisation der Revolution vorhanden gewesen wäre, dann hätte dieser Mord das Signal zur endgültig sozialistischen Revolution gegeben. Wenn!
Aber so waren die Kräfte in Berlin, im Ruhrbecken und an der Wasserkante verpufft, und was bedeutend schlimmer mar, fichrerund steuerlos trieb das Revolutionsschiff.
Räte, K.P., U. S. P., wollten führen, stritten sich immer, wenn sie zum Handeln verpflichtet, um die Führung, um Kompetenzen. In jedem Vezirk dasselbe, Einigkeit herrschte nur insoweit, daß man sich von Berlin aus nicht hineinreden lassen wollte. So war es auch in jedem Orte, die sich alle für souverän erklärten. Und dann erst in den einzelnen Parteien?
Also, die große politische Ausnutzung von Eisners Tod für die Revolution, für die er doch fiel, war nicht möglich, aber möglich war sie für Vayern und im Anschlusse daran für Süddeutschland, wenn der Zusammenschluß der sozialistischen Parteien, unter Ausschlich der kompromittierten S. P.-Führer, sofort erfolgte, und er wäre erfolgt, wenn die Kommunisten Männer der Tat gewesen wären. In einer Nachtsitzung habe ich bei ihnen in diesem Sinne gewirkt, doch vergebene Von der Sitzung selbst darf ich wegen. der späteren, mir nach dieser Sitzung nicht überraschend gekommenen Ereignisse nichts sagen. Nur soviel: es herrschte dorr hoch gelehrter, wissenschaftlicher Doktrinarismus, der ostentativ alle Realitäten des Lebens beiseite schob.
Am 24. Februar begann in Mitteldeutschland der Generalstreik, der am 3. März wiederum im Blute erstickt wurde.
Am 4. März brach dann in Berlin der doch von vornherein zur Niederlage verdammte Generalstreik aus, der am 7. März, unter dem Donner der Geschütze und Minenwerfer, abgebrochen wurde.
Vom 2. bis 7. März tagte auch der Parteitag der U. S. P., auf dem äußerst radikale Reden geredet und Beschlüsse gefaßt wurden, stand er doch im Zeichen des generalstreikenden und dem vom 2chlachtgetöse der Weißgardisten gegen die Rotgardisten widerhallenden Berlin.
Die wildverhetzte und. blindwütende, um ihre Brotstelle baugende Soldateska feierte Vlutorgien, und das kam so:
Am 5. säuberten auf Befehl der Kommandantur die Matrosen den Alexanderplatz, und als sie an das Polizeipräsidium herankamen, wurden sie von den dort liegenden Freiwilligen mit Maschinengewehren beschossen. Darauf entspann sich der Kampf zwischen den Matrosen und der republikanischen Soldatenwehr auf der einen, der G. K. Sch. D. auf der anderen Seite. Dieselben, die im Januar gemeinsam gegen die Arbeiter kämpften, bekriegten sich jetzt. Das wußte die Landsberg-Regierung zwar genau, aber trotzdem ließ sie von einem Spartakistenputsch berichten.
Am 9. März fuhr ich nach Oberschlesien, um eine seit Wochen festgelegte Agitationstur zu machen. Am 8. war dort der Generalstreik ausgebrochen.
Als ich früh am 10. in Hindenburg ankam, erschrak ich ob des Elendes. Buchstäblich in Lumpen gehüllt, barfuß, hohlwangig, liefen die Kinder, die alten und die schwangeren Frauen, trotz des scharfen Frostes, umher, die wildeste Erregung ist bei einer derartigen Not verständlich.
Am Nachmittag kam es zu einer Schießerei, doch dem Genossen Lichtenstein und mir gelang es, daß die Truppen zurückgezogen und der Sicherheitsdienst wieder von der Polizei übernommen wurde. Zum Abend ließ ich eine Versammlung der Vertrauensleute der Bergwerke und Hütten einberufen, in der ich den Genossen die Zwecklosigkeit ihres Generalstreik auseinandersetzte, da, nachdem im Ruhrrevier in Mitteldeutschland und in Berlin die Streiks nacheinander ausbrachen und unterdrückt wurden, sie allein nicht in der Lage seien, ihre politischen Forderungen durchzusetzen. Nach anfänglichen, stürmischen Unterbrechungen konnte ich, öfter von Veifall unterbrochen, meine Ausführungen zu Ende führen, und es wurde dann ziemlich einstimmig meine Resolution, in der die Arbeitsaufnahme und die Vertagung bis zum allgemeinen, ganz Deutschland umfassenden Generalstreik ausgesprochen wurde, angenommen.
Zu dieser Versammlung mußte ich wegen des Belagerungszustandes die Genehmigung des Hauptmanns der Grenzschutztruppen einholen, die ich auch erhielt. Er hatte seinen Adjutanten in die Versammlung geschickt und telephonierte nach derselben an, seine Freude wegen des Abbruchs des Streiks aussprechend.
Um 1/2 1 Uhr nachts schrillt auf einmal das Telephon bei dem Genossen Lichtenstein, bei dem ich noch saß, und eben dieser Hauptmann fragte an, ob ich noch da sei und erklärte, nachdem bejaht war, er käme sofort. Ich sagte sofort zu Lichtenstein, ich würde ausgewiesen werden, auf Grund des gemeinsamen Wunsches der oberschlesischen Industriellen und der Gewerkschaftsbonzen. Am Nachmittag war ich nämlich schon in Kattowitz gewesen, um die wirtschaftlichen Forderungen der Streikenden beim bergbaulichen Verein durchzusetzen. Als ich nun mit dem Bergrat — Knochenhauer heißt der gute Mann — verhandelte, erklärte er, daß für die Bergwerks und übrigen Werksbesitzer der Streik dauern könne, so lange er wolle, denn je schneller der Zusammenbruch käme, um so besser, da man hierdurch allein zu den alten geregelten Zuständen käme. Er bat mich dann in das andere Zimmer, wo katzbuckelnd und in Demut ersterbend die oberschlestschen Gewerkschaftsbonzen saßen. Also der Hauptmann kam, entschuldigte sich ob der späten Störung und ob des ihm außerordentlich peinlichen, ihm sein ganzes Rechtsempfinden vergewaltigenden Auftrages. Kurz, er brachte die Ausweisung. Wir sprachen nun mit der Division in Gleiwitz, die die Ausweisung dispensierte bis zur Rücksprache mit dem Generalkommando in Breslau. Am andern Morgen um 8 Uhr kam ein Leutnant und brachte mir die endgültige Ausweisung, mit dem Bemerken, daß sie diese Ausweisung für eine brutale Rechtsvergewaltigung hielten, und daß sie dieselbe, wenn ich nicht freiwillig ihr folge, nicht abführen, sondern ihren Abschied nehmen würden.
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