7. Vom März bis zum Versailler Friedensprotokoll.
7
Ich fuhr ab, nachdem ich nochmals in einer Sitzung dringend gebeten hatte, auch diese Provokation über sich ergehen zu lassen.
Als ich nach Berlin zurückkam, wurde ich von den maßgebenden Personen gebeten, die illegale Organisation, die seit Januar erledigt war, wieder aufzubauen, wozu ich mich, nachdem festgelegt war, daß alle territorialen Bewegungen und Streiks unterbunden würden, bereit erklärte.
In kurzer Zeit waren die Fäden geknüpft, die Organisation über alle Gaue Deutschlands hergestellt, an deren Ausbau nun fieberhaft gearbeitet wurde. Doch leider war in kurzer Zeit nicht zu vermeiden, daß offizielle Führer der U. S. P. in diese Organifation hineingezogen und diese hierdurch in der entscheidenden Stunde zur Untätigkeit verurteilt wurde.
Es spukte damals in vielen, in sehr vielen Köpfen der romantische Gedanke der revolutionären Gymnastik, in Berlin und im ganzen Reiche, und es bedurfte rührigster Arbeit, dem Einhalt zu gebieten. Daß es nicht völlig gelang, daß im Ruhrbecken und in München, in Braunschweig und Oberschlesien trotzdem Bewegungen — überall für das Proletariat katastrophale Bewegungen — ausbrachen, das lag an der Ueberfülle von „Revolutionsgeneralen" und an den gutbezahlten Lockspitzeln der Regierung, der Soldateska und der Schlot- und Börsengewaltigen.
Ganz besonders anfeuernd wirkten auf alle strategischen Genies der Revolution die Vorgänge in Ungarn, eine Bewegung, die man als eine revolutionär-reaktionäre, oder reaktionär-revolutionäre, aber doch auf keinen Fall als eine proletarische Revolution ansehen kann und darf. Ich sage das nicht etwa erst heute, sondern sagte das am ersten Tage der ungarischen „Räte"-Republik. Es liegt mir fern, jenen heute verfolgten Menschep einen Eselstritt zu versetzen, aber ich erachte es für nötig, um den umlaufenden Legenden über meine Stellung, die ich damals einnahm, entgegenzutreten, daß ich kurz diese meine Stellung klarlege. Karolyi konnte nicht weiter und übergab Bela Kuhn die Macht, der nun einen nicht nationalen, sondern nationalistischen, chauvinistischen und imperialistischen Kommunismus errichtete. Das erste dieser Räterepublik, die an Ratlosigkeit und Widersprüchen etwNs noch nie dagewesene darstellte, war der Aufruf zur nationalen Verteidigung gegen Rumänien, Iugoslawien, Tschecho-Slowakei, Polen und Ukraine und im übrigen gegen die gesamte Entente. Abgesehen von dieser, mit größenwahnsinnig gar nicht zu bezeichnenden Ueberhebung, die in einer derartigen Situation den sicheren Untergang bedeutete, war sie eine völlige Diskreditierung des kommunistischen Gedankens, ja geradezu die gewaltsame Strangulierung desselben. Kommunismus und Chauvinismus sind wie Feuer und Wasser. Kommunismus ist Menschlichkeit, Chauvinismüs ist Machtpolitik. Jener bedeutet, daß das Menschenleben alles, das Eigentum nichts ist, und dieser das Umgekehrte. Es blieb also Bela Kuhn und seinen Freunden nur die Wahl, entweder die Macht im Staate zu ülwrnehmen mit der Parole: Friede um jeden Preis, oder sie mußten auf die Uebernahme der Macht verzichten. Waren sie der Auffassung, daß sie die Vevölkerung Ungarns bei dieser Parole nicht für, sondern gegen sich hatten, dann mußten sie verzichten: denn dann waren die Ungarn nicht für die Menschlichkeit, sondern für die Brutalität, d. h. nicht für die Heiligkeit des Menschenleben, sondern für die des Privateigentums. Dann mußte ihnen aber auch klar sein, daß sie, wenn sie trotzdem die Macht übernahmen, den Kriegsmachern und Kriegsverlängerern nachträglich, statt sie zu desavouieren, Indemnität erteilten und sich das Zeugnis der Dummheit oder niederträchtiger Demagogie aufstellten. Ferner mußten sie doch erkennen, daß sie dadurch nur für die Restauration wirkten.
So waren die Konsequenzen für Ungarn. Aber bedeutend vernichtender waren die Konsequenzen ihres Tuns für die Weltrevolution. Abgesehen davon, daß dieser kommunistische Chauvinismus eine beträchtliche Zahl Dummer in Deutschland und auch Oesterreich in seinen Bann zog, war er in den Ententestaaten geradezu vernichtend für die Weltrevolution. Die Ententeregierungen konnten nun — und mit Recht — ihren Völkern erklären, daß der Kommunismus für die Mittelmächte nur der Deckmantel für den wüstesten, chauvinistisch-imperalistischen Nationalismus sei, dessen Gefährlichkeit bedeutend größer als die des altpreußischen Militarismus wäre, da er nicht nur Mitteleuropa, sondern Mittelund Osteuropa umspanne. Die Ententeregierungen hatten es nun verhältnismäßig leicht, dem Kommunismus die ganzen Scheußlichkeiten des preußischen Militarismus in die Schuhe zu schieben und ihm außerdem allen Unsinn von Greueltaten anzudichten. Die Ententevölker, halb voll Kriegsschreck, halb voll Siegesrausch, ließen sich nicht nur betören, indem sie ihren Regierungen bei schärfstem Zufassen zujubelten, sondern haßten nun auch die sozialistischen Bestrebungen in ihren Ländern, was bei dem überall bestehenden Belagerungszustand und der kleinen Zahl sozialistischer Grgane nicht verwunderlich ist. Diese ungarische Räterepublik, dieses widerspruchsvolle und widersinnige Gebilde, das den denkbar schrecklichsten Todeskeim bei seiner Geburt in sich trug, war einer der schwersten Schläge für die Weltrevolution. Sie war das frevelhafteste Spiel mit dem erhabensten Menschheitsgedanken.
In Deutschland führte diese Mischung von Eselei und Verbrechen am Sozialismus zunächst zu einem wilden Rausche der Phrase auf der einen, zu großen Rüstungen und wilden, sich täglich selbst überbietenden Verfolgungen und Füsilierungen auf der anderen Seite. Eine gut inszenierte patriotische und reaktionäre Welle, die man fünf Monate nach der Revolution, unter einer „sozialistischen" Regierung für unmöglich hätte halten sollen, wogte über Deutschland hinweg. Dem Grenzschutz und der Einwohnermehr folgte nun der Handschutz. Während überall das Proletariat entwaffnet wurde, wurden mindestens eine Million Junker, Bourgeois und Bauern, zumeist nach der Monarchie schreiende Elemente, nicht nur unter den Augen der Regierung, sondern von ihr selbst bewaffnet. Die nationalistischen Drohungen gegen die Entente gewannen nach dem Ultimatum derselben wegen des Durchmarsches der Hallertruppen geradezu einen gefährlichen Charakter. Und an der Svitze dieser Bewegung stand die Regierung. Diese Bewegung erzielte auch einen „Erfolg". Die Truppen wurden nicht über Danzig, fondern quer durch Deutschland befördert, d. h. die knappen Transportmittel wurden um das Vielfache den Polen — zur Verfügung gestellt. Vernunft wird Unsinn.
Diese nationalistische Welle erfaßte nicht nur alle Kreise-von westarp bis Scheidemann, sondern auch die Kommunisten und einen Teil der U. S. P. Es bedurfte unseres ganzen Einflusses, um innerhalb der U. S. P. und im Vollzugsrat die Parole: Friede um jeden Preis, zum Durchbruch zu bringen.
Aber nicht nur nach außen, auch nach innen wirkte diese Welle. Belagerungszustand, Standrecht und Schutzhaft wurden in der denkbar rigorosesten Weise angewandt. Kessel müßte sich vor Neid im Grabe umdrehen. Doch es gelang uns in Berlin selbst bei der Verhaftung Däumigs die Provokationen zu parieren.
Nicht so günstig stand es für uns in der Provinz. Per schwerste Schlag traf uns am 1. April durch den Streik im Ruhrrevier. Trotz aller Bemühungen brach dort die territoriale Bergarbeiterbewegung aus, die von kommunistisch-svndikalistischer Seite an dem Feuer der ungarischen Bewegung gekocht wurde. Mit einem Federstrich wurden die alten Bergarbeiter-Organisationen beseitigt, wurde die Bergarbeiter-Organisation gegründet und der Generalstreikbeschluß gefaßt, mit folgenden Forderungen:
1. Sofortige Einführung der Sechsstundenschicht mit Ein- und Ausfahrt für Untertagarbeiter unter Beibehaltung der bisher für längere Schichtdauer gezahlten Löhne.
2. 25 Prozent Lohnerhöhung.
3. Regelung der Rnappschaftsfragen.
4. Anerkennung des Rätesystems.
5. Sofortige Durchführung der Hamburger Punkte (betreffend Kommandogewalt).
6. Sofortige Freilassung der politischen Gefangenen.
7. Sofortige Bildung einer revolutionären Arbeiterwehr.
8. Sofortige Auflösung aller Freiwilligenkorps.
9. Sofortige Anknüpfung aller politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zur russischen Sowjetrepublik.
10. Entwaffnung der Polizei im Ruhrrevier und Reich.
11. Bezahlung der Streikschichten.
Reformistische, radikale und revolutionäre Forderungen in buntem Gemisch. Weder Forderungen, die das Gesamtproletariat zum Handeln gegen die Regierung aufzurufen und es zusammenzuschweißen vermochten, noch Forderungen, die bei der Regierung Verhandlungswillen erzeugten. Keine revolutionäre Enteignung der Grubengewaltigen, nur radikal schillernde Forderungen an dieselben. Nur in einer Frage wird die äußerste Konsequenz gezogen: Nicht nur Veiseiteschiebung der sozialverräterischen Lergarbeiterführer, sondern völlige Zertrümmerung der bisherigen Vergarbeiterorganisationen.
In wenigen Sätzen ausgedrückt hieß das:
1. Brüskierender Verzicht auf die Unterstützung der Gesamtarbeiterschaft.
2. Schärfste Brüskierung der Gewerkschaft, Partei- und Regierungsinstanzen.
Doch um die kunterbunten Forderungen als Seifenblasen zu Kennzeichnen, sandten sie sofort eine Kommission an die Regierung, dieselbe um Verhandlungen bittend.
Doch diese Regierung, deren einziges Können im Bluffen bestand, warf sich in Pose, um der Welt mit Bluff und dem Proletariat mit zynischer Brutalität folgenden, in schreiendem Gegensatz zu ihrer Unfähigkeit und Ohnmacht stehenden Aufruf ins Gesicht zu schleudern:
Aufruf.
Ueber den Kopf der berufenen Arbeitervertretungen hinweg ist eine „Delegiertenkonferenz der revolutionären Vergarbeiter" in den Generalstreik getreten. Die Forderungen, die dabei gestellt werden, würden in ihrer Gesamtheit die deutsche Republik der politischen Anarchie und dem wirtschaftlichen Zusammenbruch ausliefern. Wäre dieser Streik, der den Arbeitern nicht helfen soll, sondern die Allgemeinheit zerstören will, siegreich, so würde das bedeuten: Vernichtung der Kohlenförderung durch Sechsstundenschicht und sinnlose Lohnerhöhungen: Stillegung aller Industrien, die auf RuhrKohle angewiesen sind: Vereitelung der endlich zugesicherten Lebensmittelzufuhr, die mit Industrieprodukten und Kohlenzufuhr bezahlt werden muß. Die Regierung, die solche Forderungen annehmen .würde, wäre die Totengräberin der Republik, des Volkes und der Freiheit. Die Reichsregierung hält nach wie vor fest an den Vereinbarungen, die sie seit Februar mit den Vergarbeitern getroffen Hot: Arbeiterund Vezirksräte, durch die allein die Arbeiterschaft in den Produktionsprozeß hineingeführt und zur gleichberechtigten Mitbestimmung und Mitarbeit hinzugezogen werden kann. Dazu das Sozialisierungsgesetz im Zusammenhang mit der Sozialisterung des Kohlenhandel und schließlich die Einführung der 1 1/2 Stundenschicht. Da keine Politik, keine Verwaltung, keine Ernährung mehr möglich ist, wenn solche grundsätzlichen Einigungen nach wemgen Tagen und Wochen umgeworfen und durch unmögliche und übertriebene Forderungen gegenstandslos gemacht werden, hat die Reichsregierung in Erfüllung ihrer heiligsten Pflicht, Reich und Volk zu retten, zusammen mit der preußischen Regierung folgendes beschlossen:
Die Regierungstruppen rücken in das Revier ein, um die Arbeiter und die Vetriebsanlagen vor dem Terrorismus zu schützen. Der Reichsernährungsminister wird entsprechend den Vrüsseler Forderungen der Alliierten in das Streikgebiet kein Pfund der eingeführten Lebensmittel abliefern lassen. Der Reichsarbeitsminister wird keinerlei Vezahlung für Streikschichten gewähren. Dagegen soll den Arbeitern der Zechen, auf denen nach der 7 1/2-Stundenschicht gefördert wird, eine besondere Schwerstarbeiterzulage, steigend mit dem Förderquantum, bereitgestellt werden. Die Reichsregierung muß unser Volk und Leben erhalten. Sie darf die Republik nicht dem tödlichen Terror durch eine Provinz und einen Stand ausliefern. Alles für den, der arbeitet! Nichts für den, der jetzt streikt! Sonst gibt es für Deutschland keine Rettung mehr.
Die Reichsregierung:
Scheidemann, Schiffer, Vauer, Vell, David, Erzberger, Gothein, Landsberg, Noske, Preuß, Wissell, Koeth, Reinhardt.
Es war wohl selten ein Streik, in dem widersprechendere Tendenzen treibend waren, als in diesem. Sein Ausbruch war die Auslösung der durch die ungarische Räterepublik erzeugten Hypnose, des Glaubens an den von selbst in den Schoß fallenden Sieg. Doch die Interessen und Tendenzen waren sich weltenfern, standen sich schroff gegenüber. Ein Teil der Führer betrachteten ihn als die Geburtsstunde einer neuen Gewerkschaftspfaffokratie, ein Teil als das Ende der gewerkschaftlichen Organisation überhaupt. Ein Teil glaubte, daß dieser Streik die Unterstützung der russischen Sowjetrepublik im Kriege gegen den Ententekapitalismus bringen würde, indem sie auf den militärischen Eingriff derselben hofften, was den Krieg an der Seite Rußlands bedeuten würde, während andere im Gegensatz hierzu an die Vesetzung durch die Entente und die hierdurch herbeigeführte selbständige rheinische Räterepublik glaubten. Wieder andere hofften auf den Anfang der zweiten deutschen Revolution, der sozialistischen, während ihre Antipoden glaubten, daß dieser Streik bewirke, daß die politischen Aktionen und Vestrebungen zugunsten der rein wirtschaftlichen, die zentralen zugunsten der kommunalen erledigt würden. Es fehlte der Bewegung der innere Halt, das einheitliche wollen und der anerkannte Führer, was ihr auch den Todesstoß versetzen sollte.
Ganz anders und einheitlich spekulierten die Herren der Regierung. Die ewig und immer die Revolution verratenden Herren der S. P., die um ihre fetten Pfründe, die Herren vom Zentrum, die um ihren pfäffischen Einfluß, und die Herren Demokraten, die um ihre, die Kriegsgewinne weit in den Schatten stellenden Revolutionsgewinne bangten und zitterten waren alle durch das ungarische „Mene tekel" in Wut versetzt und waren sich einig, die völlig verzigeunerten Freiwilligen zum entscheidenden Einschreiten auf die rheinisch-westfälischen Kumpels loszulassen, um sie für jetzt und immerdar zu „kurieren". Da auch im demokratischen Schwabenländle am 30. März ein Generalstreik ausgebrochen und von dem großen Historiker [Wilhelm] Blos, dem einst sentimental die große französische und die 48/49er Revolution schildernden, württembergschen Ministerpräsidenten, sofort der Belagerungszustand und Standrecht verhängt und Kanonen aufgefahren und abgeprotzt wurden, so hatten sie ja ein berühmtes Vorbild, das zu übertreffen, nun ihr eifrigstes Vestreben war. Sie führten eine Verhandlungkomödie auf, bei der sie den einstigen Gewerkschaftspfaffen Severing, als neugebackenen Staatskommissar für Rheinland-Westfalen, den August spielen ließen, bis sie die notwendige Truppenmacht zusammengezogen hatten.
Nachdem diese Vorbereitungen am 9. April erledigt waren, und nachdem die vier Vergarbeiter-Verbände Mit den Zechengewaltigen über die Köpfe der Arbeiter hinweg verhandelt und kleine Zugeständnisse erreicht hatten, wurde die Streikleitung verhaftet. Die Verhaftung von Streikposten folgte und zugleich der Beginn des Blutbades. Wie im Feindesland hauste die Soldateska. Hunderte Tote und Tausende Verhafteter, und trotzdem ebbte der nun völlig führerlose Streik — der sich allerdings schon vorher um nichts mehr als um die Sechsstundenschicht und die 25 Prozent Lohnerhöhung drehte — sehr langsam ab und zog sich bis Ende des Monats hin, eine ungeheure Erbitterung zurücklassend.
In der Zwischenzeit hatte der frevelnde Uebermut und die gewissenlose Leichtfertigkeit der Kommunisten den Feinden des Proletariats noch zu einigen andern billigen Triumpfen verholfen und diesem selbst vernichtende Niederlagen beigebracht. Wenn auch die Niederlage im Ruhrrevier — dem stärksten Zentrum der proletarischen Macht Deutschlands — schwer war, so wurde nach außen hin die Niederlage der Münchener Räterepublik beinahe katastrophal. Wahrend am 6. April der Gautag der sozialdemokratischen Partei für Nordbavern sich mit 42 gegen 8 Stimmen gegen die Räterepublik erklärte, die Mitgliederversammlung der S. P. in Nürnberg für Neutralität — wenn eine Mehrheit des Volkes für sie sei — aussprach, billigte sie der am gleichen Tage tagende Gautag der S. P. für Südbar>ern mit 240 gegen 13 Stimmen — wenn sich die Unabhängigen und Kommunisten daran beteiligen würden. In der Nacht vom 6. zum 7. April wurde nun die Räterepublik für Vavern proklamiert mit den vorläufigen Mitgliedern der Regierung: Segitz, Nickisch, Frauendorfer und Schneppenhorst (S. P.), Mühlon, Jaffe, Simon, Landauer und Unterleithner (U. S.P.), Steiner (Bauernbund) und Neurath. Das Programm und die dazugehörige Erklärung des Zentralrates war äußerst weitgehend, so daß die Veteiligung der S. P.-Mitglieder tatsächlich als ein Wunder zu betrachten war. Die Degierung Hoffmann erklärte nun gleich am 7. ihr Weiterbestehen, und die U. S. P. erklärte, daß sie überrascht und die Ausrufung ihr als Popularitätshascherei der Ausrufenden erscheine, und stellte noch weitergehende Forderungen auf, die auch von der S. P. und K. p. angenommen wurde. Trotzdem erklärten die Kommunisten, nicht an der Regierung teilnehmen zu wollen. Das war der gesuchte Vorwand der S. P., sich ebenfalls zurückzuziehen. Vei einiger Großzügigkeit, bei geringster Kenntnis politischer Notwendigkeiten, hätte jetzt die Liquiderung der Räterepublik erfolgen müssen, d. h. die U. S. P. mußte sich auch zurückziehen, und dieses Ding wäre zwar an Lächerlichkeit gestorben, aber der revolutionäre Wille wäre ungebrochen geblieben. Es erfolgte aber der Sturz der unabhängigen Regierung und die Vildung einer noch weniger maglichen kommunistischen, während schon rundum die Feinde rüsteten. Der Zusammenbruch mit seinem Schrecken war unvermeidlich, und er kam schnell. Am 2. Mai erfolgte der Einmarsch der gleich Vandalen hausenden Soldateska.
Inmitten Deutschlands war eine, allen Verfolgten Asylrecht gewährende Insel, die allen Dunkelmännern des Reiches längst ein Dorn im Auge war: Braunschweig. Wenn die Kommunisten überall das Recht sich nahmen, Dummheiten zu machen, warum sollten dann die Braunschweigs bescheidener sein? Um so mehr, da in Braunschweig Kommunisten und Unabhängige wirklich etwas zv sagen hatten. Am 9. April waren die Arbeiter Braunschweigs in den Generalstreik getreten mit der Parole: Alle Macht den Räten, um, wie vorauszusehen, dem General Maercker einen billigen Triumpf zu ermöglichen. Er zog denn auch am 16. April in Braunschweig ein und hob alle Räte auf und mit ihnen die Insel des Asylrechts.
Der zweite Rätekongress, der, man soll nie sagen, daß das Unmöglichste nicht Ereignis wird, an Krähwinkelei und Rückwärtserei den ersten noch überbot, hatte vom 8.—12. April in Berlin getagt. Welche Vedeutung er hatte, ging aus der Wertschätzung hervor, die ihm die Regierung zuteil werden ließ, indem sie während seiner Tagung ihrer Gewaltpolitik die Krone aufsetzte durch Verhaftung des Streikkomitees im Ruhrrevier und durch die Erschießungen dort. Nichtsdestoweniger stellte er ihr ein Vertrauensvotum aus.
Ruhrstreik, Württemberg, München und Braunschweig waren weder einzeln, noch zusammen Kampfparolen, die wild begeisternd die Masse zum Tod verachtenden Kampfe aufzurufen vermochten. Sie zusammen waren Erzeugnisse der durch die ungarische Raterepublik hervoroder wieder wachgerufenen Revolutionspsychose, die Minderheiten zu entfachen, aber die große Masse nicht in ihren Bann zu zwingen vermag. Es waren psychologisch verständliche, aber nicht gut zu heißende, die Revolution moralisch und ganz desondern organisatorisch, taktisch und technisch schwer schädigende Bewegungen.
Auf sie traf zu, daß man Revolutionen nicht machen kann, wann man will, sondern daß die psychologischen Voraussetzungen dazu gegeben sein müssen.
Auch in Bremen, in Hamburg und in Oberschlesien gab es kleine Plänkeleien, und in Berlin kam es zu den allerdings anders zu bewertenden Streiks der Bankbeamten und der Angestellten in der Metallindustrie.
Am 18. April kündigte sich die Parole der kommenden Revolution an, das Ereignis, das allein die Parole sein konnte, das Ereignis, das jedem, die Weitertreibung der Revolution Wollenden, die Parole sein mußte. Was die verratene Revolution begonnen, die kommende soziale Revolution mußte es vollenden, weil nur sie die Gewähr der Erfüllung zu bieten vermochte, und weil nur ihr der Ruhm gebührt, das große zu sein: Friedensbringerin.
Sämtliche Auslassungen der Regierung, der Nationalversammlung, des Auswärtigen Amtes, der Waffenstillstandskommission, jeden Führers und jeden Trottels war nach der Melodie gestimmt: ein Rechtsfriede, sonst keinen. Und da die Friedenskonferenz in Paris auch nur einen Rechtsfrieden wollte, und trotzdem hinter verschlossenen Türen tagte, wo sich die drei Gewaltigen, Wilson, Lloyd George und Elemenceau mit ihrem italienischen Geduldeten im Schweiße ihres Angesichts mühten, mußte es doch dem Dümmsten klar sein, daß es ein äußerst liberal ausgelegter Wilsonfriede würde, nur nicht liberal in unserem, in Deutschlands Sinne. Also wer nicht völlig blöde war, mußte einen äußerst schweren Diktatfrieden — ohne Verhandlungen und ohne Aenderungen — erwarten, was nach all den Phrasen und der ganzen innerpolitischen Entwicklung auf eine Ablehnung oder zum mindesten ein Drohen mit der Ablehnung von seiten der Regierung hinauslief.
Und diese Frage des Friedens, des Friedens um jeden Preis, das mußte die Parole der kommenden Aktion sein, die alle in ihreir Bann ziehen konnte.
Am 18. April kam die Einladung zur Friedenskonferenz, die uns gewöhnlichen werblichen am 20. mit der Antwort von Brockdorff-Rantzaus kundgetan wurde in folgender Aufmachung:
Einladung zur Entgegennahme der Friedensbedingungen.
Telegramm der Waffenstillstandskommission in Spaa vom 18. 4. 19 an Reichsminister Erzberger.
General Nudant übersandte am 18. April, 4 Uhr nachmittags, folgende Note: Der Vorsitzende des Conseils telegraphiert am 18. April 1919 was folgt:
Wollen Sie bitte folgende Mitteilung an die deutsche Regierung weiterleiten:
1. Der Oberste Rat der alliierten und assoziierten Mächte hat beschlossen, die mit Vollmachten versehenen deutschen Delegierten für den 25 .April abends nach Versailles einzuladen, um dort den von den alliierten und assoziierten Mächten festgesetzten Text der Friedenspräliminarien in Empfang zu nehmen.
2. Die Deutsche Regierung wird daher gebeten, dringendst Zahl, Namen und Eigenschaft der Delegierten anzugeben, welche sie nach Versailles zu schicken beabsichtigt, ebenso Zahl, Namen und Eigenschaft der Personen, welche sie begleiten. Die deutsche Delegation soll strengstens auf ihre Rolle beschränkt bleiben und nur Personen umfassen, die für ihre besondere Mission bestimmt sind.
gez. Nudant.
Der Reichsminister des Auswärtigen Graf Brockdorff-Rantzau hat dem Vertreter des Auswärtigen Amtes bei der Waffenstillstandskommission in Spaa in Veantwortung der französischen Mitteilung vom 18. April folgende Instruktion erteilt:
„Bitte dortigem französischen Vertreter folgende Mitteilung zur Weitergabe an lne alliierten und assoziierten Mächte zu machen:
Die deutsche Regierung hat die Mitteilung des französischen Ministerpräsidenten und Kriegsministers vom 18. April erhalten.
Sie wird die Herren Gesandten von Haniel, Geheimen Legationsrat von Keller und Wirklichen Legationsrat Ernst Schmitt zum Abend des 25. April nach Versailles entsenden. Die Delegierten sind mit den erforderlichen Vollmachten ausgestattet, den Text des Entwurfs der Friedenspräliminarien entgegenzunehmen, den sie alsbald der deutschen Regierung überbringen werden. Sie werden begleitet sein von zwei Bureaubeamten, Herrn Hofrat Walter Reimker und Diätar Alfred Lüders, sowie von zwei Kanzleidienern, Herren Julius Schmidt und Niedek."
Dieser Ton zog folgende Antwort oder besser Zurechtweisung nach sich:
„Der Vorsitzende des Ministerrats und Kriegsminister telegraphiert am 20. April 1919 unter Nr. 2076:
Ich bitte Sie, der Deutschen Regierung die folgende Antwort der verbündeten und assoziierten Regierungen zu übermitteln: Die alliierten und assoziierten Regierungen können nicht Abgesandte empfangen, die lediglich zur Entgegennahme des Wortlauts der Friedensartikel ermächtigt sind, so wie es die Deutsche Regierung vorschlägt. Die alliierten und assoziierten Regierungen find verpflichtet, von der Deutschen Regierung zu fordern, daß sie vevollmächtigte nach Versailles entsendet, die ebenso vollständig ermächtigt sind, die Gesamtheit der Friedenfragen zu verhaudein wie die Vertreter der alliierten und assoziierten Regierungen.
(gez.) Nudant."
Der Reichsminister des Auswärtigen hat am 21. April nachmittags seinem Vertreter in Spaa telegraphiert:
„Bitte dortigem französischen Vertreter zur Weitergabe an die alliierten und assoziierten Mächte folgendes mitzuteilen:
Nachdem der französische Mnisterprästdent und Kriegsminister der Deutschen Regierung die Aufforderung der alliierten und assoziierten Regierungen übermittelt hat, die deutschen Delegierten mit einer ebenso vollständigen Ermächtigung zu Verhandlungen über die Gesamtheit der Friedensfragen zu versehen wie die vertreter der alliierten und assoziierten Regierungen sie besitzen, hat die Deutsche Regierung in der Voraussetzung, daß im Anschluß an die Uebergabe des Entwurfs der Präliminarien Verhandlungen über deren Inhalt beabsichtigt werden, folgende mit entsprechenden Vollmachten versehene Personen zu Delegierten bestimmt:
Reichsminister des Auswärtigen
Dr. Graf Brockdorff-Rantzau,
Reichsjustizminister Dr. Landsberg,
Reichspostminister Giesberts,
Präsident der Preußischen Landesversammlung Leinert,
Dr. Karl Melchior,
Professor Dr. Schücking.
Als Begleiter der Delegierten sind weitere Personen in Aussicht genommen, deren Namen und Stellung die Deutsche Regierung baldigst in einem zweiten Telegramm bekanntgeben wird.
Die Deutsche Regierung ist bereit, die vorstehend bezeichneten Personen nach Versailles zu entsenden, wenn ihr die Zusicherung gegeben wird, daß den Delegierten und ihren Ngleitern während ihres Aufenthaltes dort Bewegungsfreiheit sowie freie Lenuhung von Telegraph und Telephon zum Verkehr mit der Deutschen Regierung gewährleistet ist. Sie behält sich vor, für einzelne Sriedensfragen nachträglich besondere Sachverständige zu benennen.
Die Abreise der Delegierten und ihrer Vegleiter würde sich jedenfalls um einige Tage verzögern.
(gez.) Brockdorff-Rantzau.
Armes Deutschland, hast du Pech! Bist bei deiner Friedensdelegation nicht auf den Hund gekommen, aber auf den Mephisto der Revolution, Landsberg. Er, der rückständigste Geist in Deutschlands Gauen, der antisozialistischste, chauvinistischste, das Ausland hassende Mensch, wurde weiter der deutschen Friedens delegation, und er, der Verderber der öffentlichen Meinung, wurde der Meinungsmacher der öffentlichen Meinung Deutschlands , in dessen schwersten, entscheidungsvollsten Stunden. Er hüllte das unter Not und Elend seufzende deutsche Volk in den glänzend schillernden, wahrhaft Tod und Verderben bringenden Dunstschleier des Nationalismus.
Er, der starke, furchtbare und grausame Sieger im Innern, der vor, während und nach seiner Abreise in Berlin, Braunschweig, Bremen, Hamburgs Stuttgart, Leipzig, Rheinland-Westphalen, München, kurz in Ost und West, in Süd und Nord, soweit die deutsche Zunge klingt, von einer bis an die Zähne bewaffneten Soldateska Siege über wehrlose Frauen und Kinder, Greise und Krüppel — denen so der Dank des Vaterlandes abgestattet wurde — erfechten ließ, glaubte der Entente gegenüber in der Geste des starken Mannes auftreten zu können. Doch diese Geste des starken Mannes sollte nicht verhüten, daß er, der dem deutschen Volke seine Siebe zeigte, indem er es mit blauen Bohnen fütterte, und seine schützende Hand über die es auswuchernden und aushungernden Bourgeois und Agrarier hielt, in verführerisch — sentimentaler Weise über Aushungerung eben dieses deutschen Volkes durch die Entente lamentterte, die Nichtauslieferung der Gefangenen beklagte und an das Mitleid und die Tränendrüsen appellierte.
Doch der Schlag kam schwer und fürchterlich.
Der „Tiger", nicht der in der Tigerhaut steckende und ihn mimende Landsberg, sondern Clemenceau hob die Tatze zum vernichtenden Schlage. Er erklärte die Helfferich und Bethmann, die Hohenzollern und Wittelsbach, die Moltke und Falkenhayn, die Ludendorff und Tirpitz für Rebellen an der Menschheit. Er stellte seine Bedingungen und erklärte kurz und bündig: Vogel friß oder stirb.
Bitter, gallenbitter traf dieser Schlag das deutsche Volk, das den von ihm erhofften Milliardensegen, statt ihn zu erhalten, nun spenden sollte, das statt Länder zu schlucken, welche zu servieren hatte, das statt Herrenvolk zu werden, Knecht spielen mußte, das statt größter Kohlenund Eisenbesitzer zu sein, um Kohle und Eisen betteln würde müssen, das statt 'Meere zu beherrschen, um fedes Schiff feilschen sollte. Schwere, erdrückende Lasten für das deutsche Volk, die nur ein sozialistisches Deutschland zu tragen vermöchte, und an denen im anderen Falle, die Urenkel unserer Urenkel ebensoschwer tragen werden wie wir selbst.
Und trotzdem! Vlieb etwas anderes übrig, als mit den notwendigen Vorbehalten ,„Ja" zu sagen? Gab es Möglichkeiten Zu einem „Nein"?
Wer nicht völlig blind in der Welt stand, mußte sich sagen, daß an eine Wetterführung des Krieges von deutscher Seite garnicht gedacht werden konnte.
Glaubt vielleicht jemand, daß Deutschland ein zum Kampfe gewilltes Heer hätte aufbringen können? Und, abgesehen vom Heere, woher hätte man denn die für ein Millionenheer notwendigen Rohstoffe, Geschütze und Munition, Schuhe und Vekleidung, woher die Transportmittel nehmen sollen?
Außerdem: Am 1. Kampftage wären die Ententetruppen im Ruhrgebiet, die polnisch-tschechischen Truppen in Oberschlesien einmarschiert, nach 3 Tagen wäre Deutschland ohne Kohle gewesen.
So also lagen die Verhältnisse, und für eine Regierung, die nicht von allen guten Geistern verlassen war, die nur ein Guäntchen Verstand und Verantwortungsgefühl besaß, mußte klar der Weg vorgezeichnet sein. Es mußte nun eine restlose Aufklärung des Volkes in diesem Sinne erfolgen und ein in ruhiger Würde vorgenommener Versuch, eine Vesserung der Vedmgungen zu erhalten und, bei deren Ablehnung, Annahme der Bedingungen mit den notwendigen, rein sachlichen und lediglich deren Ausführung betreffenden Verwahrungen.
Doch wir hatten eben eine Regierung des Unverstandes. Und so mußte kommen, was kamDröhnender Theaterdonner, der im Inland Verserkerwut und Tobsuchtsanfälle auslöste, was uns im Auslande den letzten moralischen und sachlichen Kredit kostete.
Am 6. Mai wurden die Friedensbedingungen übergeben und am 20. Mai sollte die schriftliche Antwort überreicht werden.
Am 8. Mai erschien ein Aufruf der deutschen ltegierung, der die Friedensbedingungen für unerträglich und unerfüllbar erklärte, neuen Haß zwischen den Völkern säete, aus dem neues Morden erwachsen mußte. Er geißelte die Auslieferung der deutschen Arbeiterschaft an den fremden Kapitalismus, dem gegenüber das deutsche Volk mit seiner Regierung fest zusammenstehen werde.
Das war das Signal für die ganze Presse, in wildfanatischer, chauvinistischer Weise für Ablehnung des Friedens einzutreten. Das „Berliner Tageblatt", das, seiner besseren Vergangenheit ins Gesicht schlagend, den Ehor führte, schrieb . . . ablehnen, was da kommen mag!
Am 12. Mai tagte die Uationalversammlung, in der Scheidemann, mit theatralischer Geste, seinen berühmtesten Komikerspatze machte, indem er erklärte, daß ditz Hand verdorren müsse, die diesen Frieden unterzeichne, der preußische Ministerpräsident Hirsch: lieber tot, als Sklave, ausrief: Müller (S. P.) beteuerte: wir lehnen ab, komme, was kommen mag! Groener begnügte sich, den Vankerott an die Wand malend, mit einem Protest: Haußmann sagte: unannehmbar: Dr. Guidde rief dreimal nein, zum Schluss sagte Fehrenbach, daß eine Welle des Hasses und der Rache das Volk erfassen müsse, die Schuld am Kriege trügen unsere Feinde: auch in Zukunft würden deutsche Frauen Kinder gebären, und diese Kinder würden die Sklavenketten brechen und die Schmach abwischen, die unserm deutschen Antlitz zugefügt wurde: um zu schließen mit: Deutschland, Deutschland über Alles!
Nur Haase trat für die Unterzeichnung des Friedens ein, allerdings nicht in der von mir gewünschten Form, — indem er erklären sollte, daß nur ein sozialistisches Deutschland den Vertrag zu erfüllen in der Lage sei — sondern, indem er die UnterZeichnung von den anderen forderte.
Als ich im März mit dem Aufbau der illegalen Organisation begann, da machte ich zur Vedingung und legte fest, daß die Friedensfrage. die Kampfparole werden müsse, da ich sowohl die Friedensbedingungen, die Art der Friedensverhandlung ,als auch den Hurrarummel der völlig in eine Sackgasse verrannten Regierung voraussah und voraussagte. In dieser Frage waren wir uns in der illegalen Organisation denn auch völlig einig. Es war mit Hochdruck gearbeitet worden, sowohl in Berlin, wie auch im Reiche. Verschiedene Vesprechungen mit Genossen vom Reiche hatten stattgefunden, und auch sie waren in allen Fragen völlig mit uns einverstanden und erklärten, daß überall die Parole des Generalstreiks glatt befolgt werden würde.
Ich berief nun zum 12. Mai eine Sitzung namhafter und befähigter Genossen ein, die die Aufgabe hatten, sofort kommissionsweise ein Programm auszuarbeiten, um falls uns die Regierung übertragen würde, fofort mit einem fertigen Programm auftreten zu können. Keiner von ihnen wußte etwas von den eigentlichen Vorgängen und Zusammenhängen.
Am 14. Mai fand eine Konferenz für Deutschland statt, in der ich, nach VeschluK der Berliner Organisation, empfahl, am 19., dem Tage vor der Ueberreichung der Antwortnote, in den Generalstreik zu treten, um den Frieden zu erzwingen, und Deutschland vor dem schreckensvollsten Unglück zu bewahren.
Wiederum waren es Dittmann und Gen., die mit den opportunistischen Gründen dagegen auftraten. Sie glaubten nicht an den Erfolg und wollten nicht die Unterzeichner des Friedens sein. Rich. Müller trat ebenfalls dagegen auf mit der Vegründung, daß erst die Militärdiktatur kommen müsse, ehe wir die Macht übernehmen Könnten. Ich trat alledem entgegen, mit dem Hinweis, daß mir feige Heuchler seien, wenn wir die Annahme des Friedens verlangten, aber Angst vor dem Volkszorn hätten, ihn selbst abzvfchließen. Nein, wir wären schon diese feigen Heuchler, wenn wir nicht alles, selbst das Leben einsetzten, um diesen Frieden zu erzwingen. ?m fortgeschritteneren Stadium sei uns das schwerer möglich, und wenn der Krieg neu entfache, dann habe uns unsere Feigheit mit zu den Mördern all der dann Fallenden gemacht, wir seien Phraseure, vor denen auszuspucken jedermann berechtigt sei. Was sei unser Leben, wenn-wir Hunderttausenden, vielleicht Millionen, das Leben retten, Deutschland vor völliger Zerstörung und Auflösung bewahren und dem Sozialismus zum Siege verhelfen. Wagten wir den Kampf, dann müssen uns die Ententeregierungen anerkennen, müssen wir von ihnen, bei unserm Siege, Lebensmittel und Rohstoffe erhalten, können sie uns bei unsern innerpolitischen Maßnahmen nicht in die Arme fallen. Und die Ententevölker hatten zu uns als Kriegsverhinderer Vertraven, die Sozialisten und Pazifisten und alle menschlich Denkenden würden die durch unser Tun ausgelöste Svmpathie in den Dienst der Friedensbedingungs-Aenderung stellen, und wenn wir hielten, was wir uns selbst und dem deutschen Proletariat versprachen, dann würde unser Beispiel die Weltrevolution gewaltig fördern. Tun wir nichts, und es führe zum Kriege, dann wären wir von all den Kompromittierten die Kompromittiertesten. Würde die Tamtam machende Regierung in letzter Minute umfallen und doch unterzeichnen, dann hätten wir zwar für das deutsche Volk viel getan, aber für den Sozialismus nichts: denn der Friedenskontrahent . wären dann eben die Sozialverräter, und die wären dann der Entente heilig und eine Erhebung gegen sie, selbst bei glattem Siege und.wenn das ganze Volk dahinter stände, nahezu unmöglich. Ich sprach eindringlich, doch vergebens. Die Genossen fielen um bis auf Berlin und drei Bezirke. Ganz besonders Köhnen und Stöcker unterstützten Dittmann. Däumig zeigte sein Interesse, indem er fehlte.
Die Bewegung wurde vertagt bis zur Kriegserklärung. Ich sage jetzt, sie kommt nie wieder, weil die Angst vor der eigenen Courage und dilettantische Popularitätshascherei, die beiden größten Feinde einer Revolution, in der deutschen revolutionären Bewegung alles verhindern und ertöten.
Am 19. Mai erfuhr ich, daß der Garde-KavaIlerie-Schützen-Division von einem in unsern Reihen sich befindenden Lumpen alles verraten sei. Da ich zugleich auch hörte, daß ein Haftbefehl der G.-K.-Sch.-D. gegen alle bekannten Genossen der U. S. P. im ganzen Reiche vorläge, daß ferner eine brüske Provokation der Arbeiterschaft Berlins geplant sei, um ein noch nie gesehenes Blutbad unter ihnen anzurichten, und daß der neue Krieg beschlossene Sache sei, so erklärte ich mich bereit zu einer Besprechung mit Hauptmann Pabst, von dem der oder besser die Vermittler behaupteten; daß er einer der führenden Militärs sei, der gegen den Krieg und für eine Verständigung mit der Arbeiterschaft sei.
Diese Besprechung fand statt und Pabst, der mir gleich zugab, was ich erfahren hatte, erzählte eingehend, was er von uns wußte. Und das war tatsächlich alles, was der größere Kreis unserer vertrautesten Genossen wußte. Außerdem erklärte er, ein völliges Namensverzeichnis zu haben. Wir sprachen einige Stunden und er war bereit, mich bei Einberufung einer Offiziersversammlung, zu der ich auch Noske laden würde, zu unterstützen, riet mir aber erst eine Vesprechung mit General von Oven an. Damit war ich einverstanden.
Wir gingen dann — drei Genossen — zu der Besprechung mit v. Oven. Wie wir die Besprechung auffaßten, das ist daraus zu ersehen, daß wir einigen Genossen erklärten, daß, wenn wir bis 9,30 Uhr nichts von uns hören ließen, sie sofort alle Genossen benachrichtigen müßten, damit keiner zu Hause schliefe, da sie ja alle Adressen hatten und daß, wenn wir verhaftet würden, ihre Verhaftung auch sicher sei. Außerdem verlangten wir, daß dann mit der Vekanntgabe unserer Verhaftung auf die Absicht eines Massakres unter der Berliner Arbeiterschaft hingewiesen und zur Besonnenheit gemahnt werden solle.
Und trotz dieser Umstände kamen nachher die verschiedenen Erklärungen und Abschüttelungen, die ich damals ruhig über mich ergehen ließ. Und doch habe ich die Berliner Arbeiterschaft vor Schlimmem bewahrt und der kriegslüsternen Militärkamarilla nach Innen und Außen das Konzept verdorben, Deutschland vor dem Fürchterlichsten bewahrt.
Die Verhandlungen selbst waren folgendermaßen. Einleitend bemerkte ich:
,,Meine Herren! Offen und frei wollten wir das, was wir uns zu sagen haben, sagen. So grundverschieden unsere politischen Auffassungen sind, in einem Punkte glaube ich, berühren wir uns, nein mehr, setzte ich voraus, wollen wir, wenn auch auf den verschiedensten entgegengesetzten Wegen dasselbe: Das Wohl des deutschen Volkes! In zwei Punkten sind wir bei aller Gegensatzlichkeit die gleich Leidtragenden. Sie sowohl, wie wir, sehen dauernd Ihre wesentlichsten Schritte verraten. Ihre Pläne offengelegt. Und Sie, wie wir, werden wegen ihres Wollens des Hochverrats geziehen. Sie wollen, statt der bürgerlichen Republik, die Monarchie, weil, Ihrer Ueberzeugung gemäß, es die bessere Staatsform ist, d. h. weil sie glauben, daß Ruhe und Ordnung, aber auch Wohlstand und Freude in einem monarchistischen Staatswesen eher gegeben sei, aber auch, weil sie in den glücklichsten und erhabendften Stunde Ihres Lebens, ihrem Monarchen den Eid der Treue aus tiefinnerster Ueberzeugung schwuren. (Lebhaftes sehr gut, wunderbar, des Herrn Oven und der a. H.)
Meine Herren! Diese Ueberzeugung ehre und achte ich, obwohl ich sie nicht nur nicht teile, sondern, da sie nach meiner Ueberzeugung falsch ist, sie bekämpfe, d. h. nicht mit Gewalt — Weltanschauungen lassen sich nie mit Gewalt bekämpfen — sondern mit geistigen Waffen, aber wie gesagt, ich achte sie. Wir wollen stalt der bürgerlichen, die sozialistische Republik, weil wir der lieberzeugung sind, daß sie allein das zu geben vermag, was die Menschheit braucht, Lebensglück und Lebensfreude. Ganz besonders aber, weil die Wunden dieses verheerenden Krieges nur hierdurch geheilt, die Zerstörungen nur so wieder aufgebaut werden können. Wir wollen also auf verschiedenen Wegen und mit verschiedenen Mitteln dasselbe: den Wiederaufbau Deutschlands.
Trennen, scharf trennen tun wir uns in den Mitteln. Sie glauben mit den militärischen Machtmitteln, wir glauben durch des Geistes Macht, des Verstandes Schärfe und die weitgehendste Solidaritat das gesteckte Ziel zu erreichen. Nun liegt es mir völlig fern, Sie etwa zu meiner Auffassung bekehren zu wollen. Was ich will, das ist: Blutvergießen zu vermeiden.
Die Zeiten und die Menschen sind sehr erregt. Die kleinsten Unbesonnenheiten können zu blutigen Zusammenstößen führen, und diese blutigen Zusammenstöße führen todsicher zu unserm Untergang.
Der Friede steht vor der Tür, die Herabsetzung der Armee wird zur Tatsache, 4000 Offiziere und 96 000 Mann dürfen nur bleiben. Seien Sie sich deshalb klar, welche Verantwortung auf Ihnen lastet. Hie wissen, daß der Boykottbeschluß gegenüber den Freiwilligen besteht, Sie wissen also, daß hunderttausende Familienväter schwer, sehr schwer Arbeit finden werden. Dieser Boykottbeschluß muß nach meinem Dafürhalten aufgehoben werden und zwar durch einen freiwilligen Beschluß der Arbeiterschaft. Das geht nur, wenn Sie sich, d. h. das gesamte Militär politisch neutral verhalten, wenn Sie es ablehnen, außer bei Plünderungen, als Volizeimacht einzugreifen. Eine Verhinderung oder eine Auflösung von Versammlungen ist und kann und darf Ihre Aufgabe nicht sein. Ich weiß, Sie bemühen sich, eine derartige Verfügung oder Verordnung zu erhalten, aber das genügt nicht, sondern Sie müssen sich öffentlich dagegen verwehren. Nur dann, wenn Sie das tun und danach handeln. können wir der Arbeiterschaft die Aufhebung des Boykottbeschlusses empfehlen, nur dann sind Sie die große Verantwortung ob Ihrer Zu entlassenden Mannschaften los. Genau so liegt es bei den Offizieren, von denen ein großer Teil durchaus intelligente und pflichtbewußte Menschen sind. Die müssen übergeführt werden in einen bürgerlichen Veruf und zwar muß ihnen während der Ausbildung, die natürlich kostenfrei sein muß, ein Existenzminimum gewährt werden. Hierzu wird die Arbeiterschaft, die doch letzten Endes mit ihrer Hände Arbeit die Rosten aufbringt, nur bereit sein, wenn die Gffiziere politisch neutral sind, wenn die Arbeiterschaft die Gewißheit bat, daß Sie nicht die Schuld bei allen reaktionären Maßnahmen tragen.
Die Zukunft liegt nicht nur grauenvoll, sondern völlig in Nebel gehüllt vor uns, nur soviel ist für jeden klarsehenden Menschen zu erkennen, daß, mag es kommen wie es will, ob die bürgerliche Republik bleibt, ob die Monarchie, oder ob die sozialistische Republik kommt, wenn dem terroristischen Vorgehen der letzten Monate nicht Einhalt geboten wird, wenn über Deutschland eine verstärkte terroristische Welle hinweggeht, wenn der physische Rampf aller gegen alle ausbricht, dann ist Deutschlands Untergang besiegelt, und um das zu verhüten, appelliere ich an unser gemeinsames Wollen: Deutschlands Aufbau."
General Oven erwiderte:
„Meine Herren, ich freue mich außerordentlich, daß ich bei Ihnen in so klarer Weise Verständnis für unser psychologisches Empfinden, als auch für die Notwendigkeiten für Deutschlands Zukunft finde.
Wir haben uns trotz unserer monarchistischen Ueberzeugung in den Novembertagen dem Neuen zur Verfügung gestellt und haben loyal unsere Pflicht erfüllt. Als Militärs ist uns Disziplin ün Fleisch und Vlut übergegangen, und im öffentlichen Leben glauben wir eben, als notwendigstes, um den Zusammenbruch zu verhüten und den Aufbau zu ermöglichen, für Ruhe und Ordnung Morgen zu müssen, nach Anordnung der Regierung. Von dem frieden wollen wir nicht reden, den geben wir auf keinen Fall zu, wir werden bis zum letzten Blutstropfen unsere alten Grenzen im Osten verteidigen und auch Elsaß-Lothringen dem Vaterland zu erhalten wissen. (Auf den Tisch schlagend:) Das Volk wird wie ein Mann zur Verteidigung seiner Ehre aufstehen, und ganz besonders die Armee erkennt den Frieden nicht an.
Was im Innern die Fragen betrifft, wüßte ich nicht, was uns «ngenehmer wäre, als den Gegensatz, der draußen gegen das Offizierkorps besteht, zu beseitigen, und wir wären Ihnen sehr dankbar, wenn Sie in dieser Veziehung etwas täten. Was Sie als Aequivalent verlangen, darin bin ich in der Sache völlig mit Ihnen einverstanden. Seit Monaten stehen wir in einem zähen Rampf mit der Regierung wegen unserer Polizeitätigkeit, gegen die wir uns fortgesetzt wehren. Wir protestieren dauernd dagegen, daß wir fortgesetzt die auch von uns oft für verfehlt und zweckwidrig gehaltenen Unordnungen des Herrn Ernst ausführen müssen, vnd hierdurch einen künstlichen Gegensatz zwischen Volk und Heer schaffen. Die Herren Ernst und Heine verstecken sich hinter uns und machen auf unsere Kosten in Popularität. Aber, meine Herren, in der Form gehen wir weit auseinander. Es bleiben uns nur zwei Wege: entweder wir nehmen unseren Abschied, oder wir versuchen auf dem vorgeschriebenen Dienstwege eine Aenderung herbeizuführen. Im übrigen, wer sagt denn, daß ich. mit den Maßnahmen nicht einverstanden bin, wenn ich die Form nicht billige?
Auf meinen Vorschlag wird jetzt eine starke Polizeitruppe gebildet, dann haben wir mit derartigen Vorgängen nichts mehr zu tun."
Er sprach ziemlich eine Stunde, und es kam dann eine zweistündige Aussprache, an der sich alle beteiligten, und aus der wir entnehmen konnten, daß der Krieg nach außen und nach innen zu erwarten stand. Ia, wir entnahmen, daß der Schlag gegen die Berliner Arbeiterschaft schon zweimal vertagt werden mußte, weil die Provokationen fruchtlos blieben.
Wir wurden uns nun schlüssig, daß über die Köpfe der Parteileitung und der dieser Parole entgegenstehenden Führer der einzelnen Vezirke hinweg die Parole sofort ins Land gehen müsse, daß bei Nichtunterzeichnung des Friedens sofort bei Ablauf des Waffenstillstandes der Generalstreik allerorts auszubrechen habe, und daß ferner in allen Orten die führenden Genossen nicht zu Hause sein dürften, dies um fo mehr, da wir auch entnahmen, daß ein weitverzweigtes Spitzelsystem unseren Gegnern zur Verfügung stand.
Der hochwohllöbliche Parteivorstand der U. S. P. lud mich nun wegen einer Angelegenheit der illegalen Organisation zu einer Sitzung, um mich kalt zu stellen. Ich gab die Erklärung ab, daß ich, wenn sie es wünschen, aus der Partei ausscheiden würde, was sie aber verneinten, ich solle nur erklären, daß ich nirgends als im Auftrage der Partei aufträte. Im Interesse der Sache gab ich diese Erklärung ab und habe bisher und werde auch in Zukunftdanach handeln, bis vielleicht einmal die Zeit kommt, darüber eine Auseinandersetzung herbeizuführen.
Ich legte auch, trotz des Widerspruchs aller Genossen, den vorsitz in der illegalen Organisation nieder, da ich die Sache über die Person stellte, und jenen nicht einen billigen Vorwand geben wollte, um sich bei entscheidenden Maßnahmen auf billige Weise drücken zu Können, war allerdings weiter tätig.
Nun kam der Parteitag der S. P., wo Noske mit seinen ebenso blöden, wie falschen Enthüllungen kam und auch einen billigen Triumph erzielte.
Noske! Erst war er der den Winken seines Herrn — Landsberg — treufolgender Diener, der sich dann, jedes Geistesfunken bar, ob seiner Roheit stolz, zum Portier jedes Uniformierten hergab. Das gnädig herablassende Sob seiner Herren machte ihn glücklich, und bis zur Tollwut erprobte er seine Muskelkraft an jedem nicht gentlemenlike gekleideten Menschen.
Ganz besonders schämte er sich seiner Anverwandten und früheren Vekannten und stürzte sich darum blindlings auf sie. Doch, Vater vergib ihm, denn wer weiß, ob ihm seine Brüder vergeben. Er darf sich nicht wundern, wenn es ihm geht wie Eulenspiegel, der einst jammernd seiner Mutter klagte„Mutter, alle Leute sind mir feind!" „Ei, warum denn, mein Kind?" „Ja, ich mach's Ihnen danach!"
Der Parteitag der S. P. stieß mit großem Tam-tam und Tra-ra in die nationalistische Pauke, schrie sein Unannehmbar, komme, was da wolle, hinaus, um dann einige Tage später – – alles zu schlucken.
– – – –
Ich bin stolz darauf und rechne es mir als eine der größten Taten an. daß durch meine Einwirkung der Krieg nicht neu entflammte, daß die Menschheit vor neuem Massenmord bewahrt und Deutschland vor grauenvollster Zerstörung und seinem völligen Zerfall und Untergang bewahrt wurde. Hierdurch habe ich auch dem Sozialismus, wenn auch nicht so klar erkennbar, einen großen Dienst erwiesen, aus dem für die Menschheit und Menschlichkeit in nicht allzu ferner Zeit Gutes ersprieken wird.
Dank und Anerkennung fordere und wünsche ich hierfür von keinem Menschendenn meine Vefriedigung trage ich so stolz und froh in meinem Herzen, daß mir die Anerkennung der Menschen völlig gleichgültig ist.
Das wilde Geschrei der Alldeutschen ob der Revolution, die öen Waffenstillstand, und ob der zum Kampf bereiten Arbeiterschaft, die den „Schmachfrieden" erzwang, ist mir der beste Beweis, daß ich zweimal in entscheidungsvollsten, weltgeschichtlichen Stunden der Menschlichkeit gegenüber der Gewalt zum Siege verhalf.
Am 16. Juni, abends 1/2 8 Uhr, wurde die auf fünf Tage befristete Antwort der Entente übermittelt, nachts um 1/2 3 Uhr sollte meine und einiger anderer Genossen Verhaftung erfolgen. Doch keiner wurde gefunden, weil keiner zu Hause war, und die Angst vor uns Gesuchten und nicht Gefundenen bewirkte die Friedensunterzeichnung am 23. Juni, 4 1/2 Uhr, kurz vor Ablauf des Ultimatums. Ein glänzender Sieg des revolutionären Willens.
Meine mir vorläufig gestellte Aufgabe war hiermit gelöst. Ich zog mich völlig vom politischen Leben zurück, und ich werde in dieser Zurückgezogenheit verbleiben, bis ich von meinem Worte entbunden bin und wieder geholt werde. Ich habe mich nie jemand aufgedrängt und werde dies auch in Zukunft nicht tun.
Anhang.
An die Mitglieder der Gewerbschaften!
Alle Bemühungen der organisierten Arbeiterschaft, den Frieden aufrecht zu erhalten, den mörderischen Krieg zu bannen, sind vergeblich gewesen.
Der Krieg mit seinen Verwüstungen des wirtschaftlichen Gebens, mit seinen unermeßlichen Opfern an Gut und Blut ist über die Kulturnationen hereingebrochen. Unzählige werden als Opfer auf den Schlachtfeldern bleiben. Schwer wird die Arbeiterklasse diese Last zu tragen haben. Arbeitslosigkeit, Not und Entbehrung wird in nie gekanntem Umfang hereinbrechen.
In dieser ernsten Stunde richtet die Generalkommission der Gewerkschaften Deutschland im Auftrage der heute tagenden Konferenz der Vertreter der Vorstände den Appell an die Mitglieder der Gewerkschaften, ihrer Organisation treu zu bleiben, um die dringend notwendige Fortsetzung der Tätigkeit der Gewerkschaften zu sichern.
Die Gewerkschaften werden alle Mittel in den Dienst ihres Aufgabenkreises stellen. Aber dauernd können sie diese Verpflichtungen nur erfüllen, wenn diejenigen, die in Arbeit stehen, -nach wie vor es als ihre Pflicht betrachten, durch die Beitragsleistung es zu ermöglichen, daß die Unterstützungen an die Hilfsbedürftigen weitergezahlt werden. Die Gewerkschaften werden bestrebt sein, soweit es in ihren Kräften steht, die bitterste Not der Mitglieder und ihrer Angehörigen zu mildern.
Wir erwarten aber auch in dieser schicksalsschweren Stunde, daß nicht diese wirtschaftliche Schwächung der Arbeiterklasse ausgenützt wird, um die Löhne herabzudrücken und unwürdige Anforderungen an die Arbeiterschaft gestellt werden.
Wir hoffen, daß die Arbeiterschaft zu ihren Organisationen steht und sie über eine Zeit der schwersten Prüfung lebensfälng erhält und die Solidarität sich in alter Treue bewährt.
Berlin, den 2. August 1914.
Erklärung der Sozialdemokraten im Deutschen Reichstag am 4. August 1914.
Wir stehen vor einer Schicksalsstunde. Die Folgen der imperialistischen Politik, durch die eine Aera des Wettrüstens herbei geführt würde, und durch die sich der Gegensatz zwischen den Völkern verschärft hat, sind wie eine Sturmflut über ganz Europa hereingebrochen. Die Verantwortung hierfür fallt den Trägern dieser Politik zu, die wir ablehnen.
Die Sozialdemokraten haben diese verhängnisvolle Entwicklung mit allen Kräften bekämpft und noch bis in die letzten Stunden hinein durch machtvolle Kundgebungen in allen Ländern, namentlich in innigem Einklang mit den französischen Brüdern, für die Aufrechterhaltung des Friedens gewirkt. Unsere Anstrengungen sind vergeblich gewesen. Nun stehen wir vor der Tatsache des Krieges, und es drohen die Schrecken einer feindlichen Invasion.
Nicht für oder gegen den Krieg. haben wir heute zu entscheiden, fondern über die Frage, wie für die Verteidigung des Landes die Mittel aufzubringen sind. Nun haben wir zu denken an die Millionen Volksgenossen, die ohne ihr Verschulden in diese Verhältnisse hineingerissen worden sind. Sie werden von den Schrecknissen des Krieges am schwersten betroffen. Unsere heißesten wünsche begleiten unsere zu den Fahnen gerufenen Volksgenossen ohne Unterschied der Partei. (Lebhafter Beifall.)
Wir denken auch an die Mütter, die ihre Söhne hergeben müssen, an die Frauen und Kinder, die ihren Ernährer verlieren, denen zu der Angst um ihr Leben die Schrecken des Hungers drohen. Ihnen werden sich bald Zehntausende verwundeter und verstümme!ter Kämpfer zugesellen. Ihnen allen beizustehen, ihr Schicksal zu lindern, ist unsere allerdringendste Pflicht. (Lebhafter Beifall.)
Für unser Volk und seine freiheitliche Zukunft steht bei einem Krieg mit dem russischen Despotismus, der sich mit dem Mute des eigenen Volkes befleckt hat, viel, wenn nicht alles auf dem Spiele. Es gilt diese Gefahr abzuwehren, die Kultur und die Unabhängige Keit unseres eigenen Landes sicherzusteelln. (Lebhafter Beifall.)
Da machen wir wahr, was wir immer betont haben. Wir lassen in der Stunde der Gefahr das Vaterland nicht im Stich. (Lebhafter, sich wiederholender Beifall.) Wir fühlen uns dabei im Einklang mit der Internationale, die das Recht jedes Volkes auf nationale Selbständigkeit jederzeit anerkannt hat.
Die wir in Uebereinstimmung mit ihr jeden Eroberungskrieg verurteilen, hoffen wir, daß die grausame Schule der Kriegsleiden in neuen Millionen den Abscheu vor dem Kriege wecken und sie für den Sozialismus und Völkerfrieden gewinnen wird.
Wir fordern, daß dem Kriege, sobald das Fiel der Sicherungen erreicht ist, und die Gegner zum Frieden geneigt sind, ein Ende gemacht werde durch einen Frieden, der das freundnachbarliche Verhältnis der Völker zueinander ermöglicht, nicht nur im Interesse der von uns stets verfochtenen internationalen Solidarität, sondern auch im Interesse des deutschen Volkes .
Von diesen Grundsätzen geleitet, bewilligen wir die Kredite. (Vielfaches Bravo.)
Comments