From the Workshop of the Revolution (pp. 158, Berlin, 1919). A person of world-historical importance, Emil Barth (1879–1941) was the leader of the revolutionary shop stewards (revolutionäre Obleute) and the Council of the People's Deputies' most radical member. Barth recounts his bitter experience, providing an unflattering picture of the German Revolution's (mis)leadership.
Aus der Werkstatt der deutschen Revolution - Emil Barth
Table of contents:
Vorwort des Verlages. 4
Vorwort des Verfassers. 4
1. Revolutionen werden gemacht. 5
2. Der Weltkrieg als Keimbett der Revolution. (Die Entwicklung bis zum Januar 1918.) 8
3. Die Revolutionswerkstatt. (Vom Februar bis zum November 1918.) 24
4. Meine Tätigkeit als Volksbeauftragter der deutschen sozialistischen Republik. (Vom 10. November bis 28. Dezember 1918.) 64
а) Vom 10. November bis 20. Dezember 1918. 64
b) Vom 20. bis 24. Dezember. 93
с) Vom 24. bis 28. Dezember. 108
5. Der Vollzugsrat, die revolutionären Obleute und ich. 123
6. Vom Dezember 1918 bis März 1919. 128
7. Vom März bis zum Versailler Friedensprotokoll. 137
Anhang. 156
The final chapter gives a little-known background to the signing of the Treaty of Versailles, which Barth counts as his one of his accomplishments. From the book it also appears that the worst figure was Otto Landsberg, Ebert and Scheidemann playing second fiddle.
A couple of passages from Barth's book were put in a novel, translated in English (here).
The present book is available (in Fraktur) at: https://archive.org/details/ausderwerkstattd00bartuoft The text was copy-pasted from: https://catalog.hathitrust.org/Record/006062971 The OCR-quality still necessitated correction (so remaining errors possible).
1
Vorwort des Verlages.
Vorwort des Verfassers.
1. Revolutionen werden gemacht.
Vorwort des Verlages.
Für die sachliche Festlegung von Ereignissen weltgeschichtlicher Bedeutung ist es von hohem Wert, wenn Schilderungen des Tatsachenstoffes von den führenden Persönlichkeiten vorliegen.
Die deutsche Revolution vom November 1918 ist in erster Linie von dem Verfasser dieser Arbeit vorbereitet worden. Obwohl wir uns weder die Einzelheiten des vorliegenden Werkes, das die erste Vearbeitung durch einen Beteiligten an der Hand von schriftlichen Aufzeichnungen bringt, noch die Kennzeichnung der verschiedenen Persönlichkeiten völlig zu eigen machen, und obwohl wir un klar sind, daß eine einwandfreie, sachliche Feststellung des geschichtlichen Geschehen erst aus der Bearbeitung von Schilderungen de verschiedenen Beteiligten sowie der urteilsfähigen Beobachte möglich ist, fo halten wir es dennoch für angebracht, die Darstellung Emil Barths der breitesten Offentlichkeit und dem Urteil der Geschichte vorzulegen. Denn wir sind überzeugt, daß sie zum mindester einen wertvollen Beitrag zur Geschichte der revolutionären Bewegung der neuesten Zeit liefert, der für die Geschichtsforschung und für das Urteil eines jeden unentbehrlich ist, welcher sich am revolutionären und sozialistischen Entwicklungsgange unserer Tage irgendwie beteiligt fühlt. Und wir sind weiter überzeugt, daß Barths Darstellung allein als psychologisches Dokument einer Persönlichkeit, welche an einem Tage höchster weltgeschichtlicher Bedeutung von unabsehbarer Wirkung dem Schwungrade der Geschichte maßgebend in die Speichen griff, nicht übersehen werden kann.
Vorwort des Verfassers.
Von den verschiedenen Parteien von links und rechts verfehmt, ist es mir ein dringendes Vedürfnis, das niederzuschreiben, was mir notwendig erscheint, um zu verhüten, daß ich später in der Geschichte als Bluthund, als Streber oder als Esel behandelt werde.
In meinen Darstellungen werde ich keinen Namen nennen, der nicht schon in dem Zusammenhange erwähnt ist, um zu verhüten, daß weitere Opfer fallen.
Doch allen denjenigen, die mir treue Mitarbeiter waren, ob sie mich heute noch lieben oder hassen, sowie ganz besonders denen, die mir heute noch die Treue bewahren, sei hiermit meine Achtung bezeugt und mein Dank abgestattet.
Berlin, im Juli 1919.
Emil Barth.
1. Revolutionen werden gemacht.
Revolutionen werden nicht gemacht!
Wie stolz auf ihre Weisheit sind alle jene Theoretiker des Sozialismus, die weltenfern vom wirklichen Leben, an ihrem Schreibtisch sitzend, die Weltgeschichte, wie der Anatom die Leiche, sezieren. Haargenau weisen sie noch, daß es nur so, wie es kam, hat kommen können, weil eben die gegebenen Voraussetzungen gar keine anderen Wirkungen entstehen lassen konnten. Sie weisen historisch nach, daß es so und nicht anders kommen mußte und daß die Entwicklung die Gestaltung der Dinge in Zukunft so und nicht anders bringen wird und bringen darf.
Mit Verlaub — und bei aller Hochachtung vor den in diesen Nachweisen steckenden wissenschaftlichen Leistungen — sei gesagt: All' dies ist nur eine wissenschaftlich garnierte Lebensfremdheit: denn bei Richte besehen ist dies weiter nichts als die Lehre des Fatalismus, es widerspricht jeder Wirklichkeit. Das Gegenteil ist die Wahrheit:
Revolutionen werden gemacht!
Sie werden gemacht, genau so wie die Gegenrevolutionen.
Sie werden gemacht, sie müssen gemacht werden, wenn sie sein sollen, aber sie können nicht jederzeit gemacht werden, ebenso sehr und ebenso wenig, wie nach erfolgter Revolution die Gegenrevolution.
Die Voraussetzung jeder Revolution ist die Evolution. Es heißt also nicht Evolution oder Revolution, sondern Evolution und Revolution.
Also, höre ich die Herren sozialistischen Stubengelehrten sagen, wir haben doch vollkommen recht, Revolutionen werden nicht gemacht, sondern sie kommen elementar.
Ich sage: nein! Ohne Evolution keine Revolution. Aber was ist denn Evolution? Es ist die Entwicklung auf allen Gebieten. Und, daß ohne Entwicklung in kultureller, wirtschaftlicher und somit auch in sozialer Beziehung keine Revolution, sondern Degeneration und Zerfall eintritt, das ist selbstverständlich.
Wann ist nun die Evolution auf dem Punkte angelangt, datz die Revolution kommen kann, nicht kommen muß?
Dann, wenn die Herrschenden und Besitzenden die Evolution, getrieben von Herrschsucht und Habsucht, durch eine Reaktion unterbinden, dann, wie gesagt kann sie kommen. Und sind in einem solchen Falle proletarische Organisationen mit Willens-, Tat- und Schlagkraft vorhanden, dann wird sie gemacht. Fehlen aber diese Voraussetzungen, dann wird, trotzdem die Evolution auf allen Gebieten dieselbe Entwicklungsstufe erreicht hat, das Proletariat auf Iahre zurückgeworfen.
Die Revolutionsmöglichkeit ist also eine Aktivitätsmöglichkeitsfrage des Proletariats, und diese wiederum eine Organisationsfrage. Iedoch nicht eine Organisationsfrage schlechthin, sondern eine Organisation von Einzelnen, vorc denen jeder erfüllt ist von Willensstärke und Tatkraft, von Klassenkampfgeist und Solidarität. Von jener Solidarität, die verankert ist nicht nur im Gehirne, sondern auch im Herzen, erfüllt von jener Solidarität, die allein berechtigt, sich Sozialist zu nennen, die ihn bewußt und mit freudiger Vegeisterung weit über den Fundamentalsatz des Urchristentums: „Nebe Deinen Nächsten wie dich selbst", hinaustreibt, die ihn zwingt zu dem Grundsatz: „Nebe deinen Nächsten mehr als dich selbst". Eine Organisation erfüllt von diesem Geiste, aber auch nur eine solche ist die Aktivität des Proletariats.
Alle andern Organisationen sind dies nicht nur nicht, sondern sie verdammen das Proletariat zur Inaktivität, zur Ohnmacht undzur Sklaverei.
Wenn die Organisationen des Proletariats an sich genügten, nicht deren Inhalt und Geist, dann wäre dem dummen deutschen Michel schon lange geholfen: denn über riesige Organisationen verfügt er, die ihm aber in seinem Befreiungskampfe, wie einem Schwimmer ein Mühlstein, am Halse hängen, da in all diesen Organisationen die ersten Diener derselben sich zu ihren Herren machten, erfüllt sind von dem einen Streben, das Proletariat zur Ruhe, zur Zufriedenheit und zur Vewunderung ihrer eigenen Person zu erziehen. So in Partei, Gewerkschaft, Genossenschaft, Krankenkassen usw., und ich möchte laut und dringend mahnen, wachsam zu sein, denn schon zeigen sich in der U. S. P. dieselben Fäulniserscheinungen.
Sind nun diese, von solchem Geiste erfüllten Organisationen vorhanden, dann ist notwendig, daß sie eine Leitung haben, welche klar sieht. Ebenso gefährlich, wie verpaßte Gelegenheiten, sind Bewegungen, die zu früh einsetzen. Die richtige Stunde, und dann aber auch die richtige Methode, das sind neben dem Kampfesmut der Massen die Hauptvoraussetzungen zum Gelingen.
Revolutionen werden gemacht! Aber wer sie macht, soll sich der Verantwortung bewußt sein, die auf ihm lastet. Eine niedergeschlagene Lewegung kostet Blut und Tränen im Uebermaß. Wer die Stunde, wer die Stärke des Gegners und die eigene Stärke nicht M iverten vermag, der soll Holz spalten, aber keine Revolution machen. Wer hierbei wägt und immer wieder wägt, bei wem persönlicher Vorteil oder Ehrgeiz in Frage steht, der soll die Hände aus dem Spiele lassen. Wer warnt und wieder warnt und beim Erfolg sich mit dem Lorbeer schmückt, beim Mißerfolg Zeter und Mordio schreit, der soll im Interesse der Sache verschwinden.
Comments
2
2. Der Weltkrieg als Keimbett der Revolution. (Die Entwicklung bis zum Januar 1918.)
Als der Novembersturm über Deutschland hinwegbrauste, den Krieg, die Throne, die Macht der Militärkamarilla, der Junker und Pfaffen, eine Unmenge Moder und Fäulnis hinwegfegte und die Macht in die Hände der aus dem Erdboden gewachsenen Arbeiterund Solbatenräte legte, da glaubten viele, die Revolution sei uns als überreife Frucht, ohne jedwedes Zutun, als Folge des Kriegselends, in den Schoß gefallen. Andere behaupteten, es handle sich um eine Militärrevolte ohne eigentlichen politischen und sozialen Hintergrund.
Mit Unrecht! Nicht von ungefähr kam die Novemberrevolurion, sie ist felbst nur ein Glied in der gewaltig schreitenden Weltrevolution, und diese ist ein Zwillingsbruder des Weltkrieges.
Die große, gewaltige industrielle, kommerzielle, kulturelle und foziale Evolution ist die Mutter dieser beiden Zwillingsbrüder. Sie, die Evolution, schuf die Dampfmaschine, die ungeheure Merke treibt. Sie ist es, die kaum geahnte Warenmengen produziert, in Tausenden von Riesenschiffen die Ozeane durchfurcht, Entfernungen beseitigt, die Völker des Erdballs zusammenführt, große Nationalstaaten bildet. Sie scheidet alle Einzelvölker in Massen, macht Völker und Kontinente andern Völkern tributpflichtig, setzt den Mammon zum Herrn der Welt ein, bildet Riesenheere und Mesenflotten, erfüllt die gesamte Menschheit mit Hak und Neid und wiederum mit Kulturgemeinschaft und Idealen.
Während der eine Zwillingsbruder, der Weltkrieg, kraftstrotzend und kerngesund, jeden Tag draller und fetter werdend, die Welt tyrannifierte, Städte und Länder verwüstete, Menschen zu Millionen verstümmelte und mordete, Frauen in das mordende Arbeitsjoch spannte, Greise und Kinder massenweis qualvollem Tode überlieferte, lag der andere, die Weltrevolution, krank und siech, nur bellhörigen ilerzten Leben zeigend, darnieder.
Doch das alte Sprichwort: der Soche (Sieche) überlebt den Poche (Pochenden), fällte sich hier wieder einmal glänzend bewahrheiten. So wie der Weltkrieg, im Uebermaß Kräfte vergeudend, abmagerte, Krank und siech wurde, so erholte sich dieser, wurde kräftig und ist nunmehr im Legriffe, seinerseits den Siegeszug anzutreten, allerdings ein Siegeszug von völlig anderer Art' denn kam sein Bruder mit Feuer und Schwert, um zu zerstören und morden, so kommt er mit dem Oelzweig, um Schmerzen zu lindern, Wunden zu heilen, zerstörte Städte und Dörfer aufzubauen.
Doch man ist nicht ungestraft der Bruder eines blutdürstigen Tyrannen. Alle, ganz besonders diejenige, die die treusten und blutrünstigsten Diener seines Bruders waren, klagen ihn jetzt all der Missetaten und des Elendes an, die jener erzeugte, und nur in unermüdlicher, hingebungsvoller, sich weder Rast noch Ruhe gönnender Arbeit gelingt es ihm, die große Masse von seinen edelmütigen Absichten zu überzeugen.
Als am Abend des 1. August 1914 die Mobilmachung angeschlagen wurde, als noch nicht die Bomben über Nürnberg abgeworfen, die Brunnen vergiftet, die Rheinbrücken gesprengt, tausend deutschen Soldaten die Augen ausgestochen, als ganz besonders die sozialistische Presse noch nicht die „warmen patriotischen" Töne gefunden, der Verrat der sozialistischen Grundsätze durch die Verbandsvorstände und die Reichstagsfraktion noch nicht bekannt waren, da war noch Entrüstung und Wut über die Kriegserklärung, revolutionäre Entschlossenheit und Kampfeswille bei den sozialistischen Proletariern. Da konnte es noch scheinen, daß der gewaltige und freche Schlag der Reaktion gegen die soziale Evolution und somit auch gegen die Revolution, revolutionäre Akte auslösen Könne.
Aber als am 3. früh der Beschluß der Vorständekonferenz, am tlbend der Veschluß der Fraktion bekannt wurde1 , als am 4. — trotz der Erklärung Lethmanns über Belgien, die am Tage zuvor verfaßte Veschlußfassung verlesen und den Krediten zugestimmt wurde, die Tartarennachrichten über die Gegner und die Siegesnachrichten unseres glorreichen Heeres einliefen, da schwenkte auch das Proletariat in die Reihen det Kriegsund Siegestrunkenen so ziemlich restlos ein.
Lüge, Heuchelei und Demagogie, brutalste Reaktion, Burgfriede, Velagerungszustand und Schutzhaft lasteten auf Land und Volk, jedweden freiheitlichen Geist völlig erstickend.
Die patriotische Begeisterung schlug Purzelbäume, täglich wurden neue Siege gefeiert — Niederlagen, selbst katastrophale Niederlagen, wurden völlig verschwiegen — niemand gedachte der Mutströme und Leichenhaufen. Die Arbeitslosigkeit, der einzige Wermutstropfen im Freudenrausch, verstärkte nicht nur die Depression unter dem Proletariat, sondern bewirkte durch die unglaubliche Zahl der sich freiwillig Meldenden den patriotischen Taumel, erzeugte geradezu eine Panik der Angst, daß der Krieg zu Ende gehe, ohne daß man dabei gewesen sei und nachher nicht an dem Milliardensegen und an dem Ruhme teilnehmen dürfe. In jenen Tagen wurde das Fundament für die nachher jedes andere Gefühl verschlingende, skrupellos über Leichen schreitende Habsucht gelegt.
Nur wenig, allzuwenig Menschen in allen Schichten hatten sich ihr klares Denken bewahrt. Nur wenige Sozialisten waren in jenen Tagen dem Sozialismus treu geblieben und zwar nur solche vom äußersten linken Flügel. Iene, seit Iahren mit größtem Eifer innerhalb der Partei Vekämpften waren die einzigen, die trotz ihrer angeblichen Verschrobenheit und Himmelsstürmerei die reale Erkenntnis für Ehre und Tatsachen besaßen.
Ich selbst erklärte am Abend des 5. August, als die Kriegserklärung Englands bekannt wurde: Der Krieg heißt, wenn er sehr schnell geht, der europäische Krieg von 1914—16, wenn er schnell geht, bis 1917, und wenn er normal verläuft bis 1918. Er endigt nur, entweder mit der deutschen Niederlage oder der deutschen Revolution, sehr wahrscheinlich mit beiden, da die erstere die letztere erzeugen und im Gefolge haben wird. Ich begründete dies mit der Geschichte und Statistik, sagte die Vrotund Fleischkarten, das Hungerund Materialelend und die Unmöglichkeit, den Krieg ohne den Kapitalismus zu liquidieren, an demselben Abend voraus. Daß ich deshalb für verrückt erklärt und beinahe, im Laufe der nächsten Monate öfter wirklich, verprügelt wurde, von „Genossen", die zum größten Teile heute so radikal sind, wie sie damals patriotisch waren —, dies nur nebenbei.
Die Reaktion triumphierte. Hatte sie das Spiel auch mit Hoffnung auf Gewinn begonnen, daß er aber so leicht und so restlos eingeheimst würde, das hatte sie denn doch nicht geglaubt. Völlig zertrümmert, nein mehr, beinahe restlos vertilgt, war die revolutionäre Bewegung.
Nach einigen Wochen, angeregt durch die „Berner Tagwacht", stellte Karl Liebknecht seine freiwillige Tätigkeit beim Sanitätsdienst ein, und es erschienen nun die Spartakusbriefe. Es fanden auch theoretisierende und diskutierende Zusammenkünfte statt, die glaubten, daß mit Flugblättern etwas zu machen sei. Ich selbst nahm, da ich wegen der mir notwendiger erscheinenden Verlammlungstätigkeit in der Gewerkschaft keine Zeit hatte, nicht an ihnen teil. Ich erklärte auch, daß nur eine Macht in der Lage sei, den Proletariermassen, trotz ihrer Belügung durch Parteiund Gewerkfchaftspresse, die klare Erkenntnis dessen, was ist, beizubringen, und diese Macht seien die Tatsachen. Erst dann, frühestens nach zwei Iahren, sei der Boden, um ihn beackern zu können, von den schlimmsten Steinen gereinigt. Diese Arbeit kann nicht durch Flugblätter, sondern nur von Mund zu Mund in den Vetrieben gemacht werden, und hierzu wiederum ist das Theoretisteren nicht nur nicht Voraussetzung, sondern schädlich. Erst dann ist es am Platz, wenn, trotz des Burgfriedens, der Wille zum wirtschaftlichen Kampfe wieder wachgerufen und, trotz Schützengrabendrohung, zur allgemein selbstverständlichen Tat geworden ist.
Als im Oktober 1914 in einer Sitzung der mittleren Verwaltung — wo ich bis dahin als einziger Opponent saß — der Levollmächtigte Cohen freudestrahlend erklärte, daß, wenn der Krieg nicht gekommen wäre, die zu erwartende ungeheuerliche ArbeitslosigKeit des kommenden Winters sehr wahrscheinlich die finanzielle Katastrophe für die Organisation geworden wäre, der Krieg also außer, daß er nun endlich den Gewerkschaften die staatliche Anerkennung gebracht habe, für die Organisation die Rettung gewesen sei, da gelang es mir, Richard Müller 2 zu gewinnen, indem ich ihm auseinandersetzte, daß es geradezu ein Verbrechen sei, wenn wir nicht alles aufböten, um die Berliner Metallarbeiter von diesem Vevollmächtigten zu befreien und rücksichtslos die Metallarbeiter wieder in den wirtschaftlichen Kampf zu führen.
Richard Müller war ein tüchtiger, radikaler, von gesundem proletarischen Instinkt geleiteter, doch völlig unpolitischer Gewerkschaftler. Ein kluger Kopf, der mit einem bewunderungswürdigen diplomatischen Geschick auf ein einmal erkanntes und erstrebtes Ziel hinarbeitete und, unverdrossen alle Hindernisse vorsichtig beseitigend, mit zäher Energie aushielt. Er war Branchenleiter der Dreher, der fortgeschrittensten und bestorganistertesten Berufsgruppe, und hatte nicht nur vorzüglich verstanden, das Vertrauen der gesamten Dreher völlig zu erwerben, sondern hatte mit ganz besonderem Geschick eine völlig homogene Branchenkommission um sich gesammelt und benutzte dies nun beides, um überall, in allen wesentlichen Betrieben Berlins, Lohnbewegungen einzuleiten und die Forderungen gegen die hartnäckige Ablehnung der Unternehmer mittels wilder Streiks durchzuführen.
Die Unternehmer tobten ob der Störung des Burgfriedens, d. h. der ungestörten und ungehemmten Profitmacher, die Militärbehörden drohten mit verschärftem Belagerungszustand und Schließung der Gewerkschaften, und die Herren Gewerkschaftsführer zitterten vor den Drohungen der Industrieund Militärgewältigen in tausend Aengsten, das Wohlwollen der Staatsbehörden wieder zu verlieren, an allen Gliedern schlotternd ob ihrer Reklamation. — Nicht etwa weil sie fürchteten, reklamiert zu werden und ihren patriotischen Durchhaltestandpunkt nicht durch todesmutigen Heroismus bezeugen zu können, nein, dieser Vorzug durfte nach ihrem Dafürhalten nur vaterlandslosen, rebellischen Gesellen Zuteil werden. Sie drohten mit Ausschluß, wetterten in den Sitzungen und Versammlungen und erreichten wider Willen, als ein Teil von jener Kraft, die das Böse will und das Gute schafft, eine Streikepidemiea Als kein Drohen, kein Schimpfen — daß der Streik Landesverrat sei, Mord an unsern Brüdern draußen und an unserer Zukunft, konnte man schon damals hören — und Kein Denunzieren etwas half, verfielen die Herren auf die Idee, für Lohnforderungen die Zanktionsbewilligung zu fordern, auf das Streikrecht aber zu verzichten, da dies gegen die Abmachungen vom 2. August sei.
Alles dies löste das Gegenteil aus. Die Verwaltung verlor in der Mitgliedschaft jedweden Kredit. Indem die Unternehmer bei den Verhandlungen den bösen, undankbaren Arbeitern die einsichtige Verwaltung gegenüberstellten, gegen sie ausspielten, steigerte sich diese Kreditlosigkeit bis zum Haß und zur Verachtung. Allgemein wurde schon damals — ob mit Recht oder Unrecht, war, da diese ükten im Oberkommando verbrannt wurden, nicht mehr festzustellen — jede Denunziation und was sonst vorkam, der Leitung in die Schuhe geschoben.
Als nun die Vorsig und die Tohen keinen andern Ausweg aus der Profitminderung und der Einziehungsdrohung mehr sahen, gaben sie der Berliner Arbeiterschaft den Schlichtungsausschuß. Doch wenn sie geglaubt hatten, dadurch Ruhe zu bekommen, so waren sie im Irrtum.
So wie die Metallindustrie die Industrie überhaupt geworden war, so die Metallarbeiter die Arbeiterschaft. Die paar Zehntausend, die sonst in Berlin beschäftigt waren, fielen wenig ins Gewicht und wurden außerdem in die Streikwelle mit hineingezogen. Es ist also so, daß in Berlin die gesamte Arbeiterschaft bereits im Frühjahr 1915 den Vurgfrieden für wirtschaftliche Fragen hinweggefegt hatte, daß die Erkenntnis bereits wieder Allgemeingut war, daß Nationalismus und Patriotismus die sozialen Gegensätze nicht zu beseitigen vermögen, und daß, wenn auch der politische Kampf im Innern, solange außen der Feind steht, möglichst zu beseitigen, zumindest aber burgfriedlich auszutragen sei, doch beim wirtschaftlichen Kampfe alle Mittel berechtigt seien.
Das war ein gewaltiger revolutionärer Fortschritt. Nicht nur, daß hierdurch die soziale Evolution laut und deutlich ihr Nochdasein bewies, sondern dieses Nochdasein oder Mederdasein äußerte sich ganz im Gegensatz zu dem Willen der Führer der politischen und gewerkschaftlichen Organisationen, trotz deren schärfstem Dagegenarbeiten. So etwas hatte es in Deutschland nie gegeben, es war der erste Pulsschlag der Revolution.
Diese Welle flutete über das ganze Reich. Nicht stürmisch, sondern langsam, vorsichtig den Riesen Proletariat aus dem Schlafe weckend.
Die Reaktion, die sich dieser Bewegung erst mit aller Gewalt entgegenwarf, erkannte noch nicht die Tiefe und Gefährlichkeit derselben, wähnte, sie in ihre Dienste stellen zu können: sie änderte schnell ihre Stellung, trieb die Bewegung vorwärts, um vom Militärfiskus wegen der Lohnerhöhungen höhere Preise mit neuen, festen Profiten herauszuholen, hierbei mit der Arbeiterschaft um jeden Pfennig feilschend. So gestaltete sich diese Bewegung zu einer Schraube ohne Ende.
Zur selben Zeit kam nun, nachdem die volkswirtschaftlich und kriegstechnisch so dumme Verschleuderung des Fleisches aus den Massenschlachtungen in der Vevölkerung den Glauben erweckt hatte, daß Krieg billige und reichliche Lebensmittel bedeute, die Einführung der Vrot-, Vutterund Fleischkarten, kam die höherhängung des Vrotkorbes und die Geburtsstunde des alles degenerierenden und letzten Endes gewaltig revolutionierenden Schleichhandels.
Frühjahr und noch kein Ende? Lieben Monate — wo man kaum an sieben Wochen geglaubt hatte — Krieg, noch weniger Ausficht, zum Ende zu kommen, Sieg auf Sieg und trotzdem der Milliardensegen in himmlischer Ferne, — das regte denn doch hin und wieder zum Denken an. Die Masse besteht aus Erfolgsanbetern, das heißt, sie ist wetterwendisch, unberechenbar und vor allem kein Sels, auf den zu bauen ist. Kamen Siege, dann strahlten die Äugen, der Mund lief über, von wessen das patriotische Herz so voll war. Kam neue Teuerung, neue Nahrungsbeschneidung, dann zogen sich die Augenbrauen zusammen, und der Mund lief über, wessen der Magen begehrte. Kam ein Streik mit einer Lohnerhöhung, dann ballte sich die Faust, das Auge sprühte, und der Mund lies über, wessen man fähig wäre, wenn man wollte, wenn man täte, wenn — — — wenn — — —. Kam der Endtermin der Reklamation oder gar die Order, dann lief der Mund über, wie man wohl brav sein wollte, wenn — — — wenn — — —.
Das war die Masse! Doch innerhalb dieser Masse wuchs die Anzahl derer, die erkannten, was ist, die wußten, was sie wollten, und die ihren Kollegen als Lehrer und Rückenstärkung dienten.
Zu all diesen unmittelbaren Wirkungen auf die Masse kam die Kreditablehnung Liebknechts, dann die der Haase, Ledebour usw., die erst erzeugt wurde durch die revolutionäre Welle und nun wieder befruchtend, belehrend und belebend zurückwirkte.
Die wirtschaftlichen Bewegungen wurden größer. Politisch wirkten sie, da sie entgegen dem Willen und trotz der Bekämpfung der Gewerkschaftsführer, welche auch tonangebend im Kampfe gegen die Arbeitsgemeinschaft waren, wohl radikalisierend, doch noch nicht revolutionierend.
Zur politischen Klärung und Aufklärung trug der Aufruf von Haase und Kautsky, die Bildung der Arbeitsgemeinschaft, die Bildung der U. S. P., der Raub der Leitungen u. a. m. sehr viel bei.
So kam der 1. Mai 1916. Mit ihm beginnen, wenn auch zunächst nur als eine Art Karrikatur, die bewußten Massenaktionen gegen den Krieg.
Diese Bewegung, die aus den persönlichen politischen Verhallnissen Karl Liebknechts geboren war und die Realitäten der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse völlig außer Acht ließ, war lediglich auf die ideale Begeisterung der Massen fundiert und darum von vornherein zum Mißlingen verurteilt.
Ich sprach mit ihm zwei Tage zuvor und setzte ihm folgendes auseinander:
Die Bewegung kann nicht nur nichts werden, sondern wird lächerlich wirken, weil höchstenfalls tausend Menschen kommen und von diesen sich wiederum höchstens ein Dutzend aktiv beteiligen werden. Und warum?
Die Mass ist wohl durch die Lange des Krieges, durch die Hungerkur, durch die Knebelung des Velagerungszustandes, durch die rücksichtslose Ausbeutung, der langen Arbeitszeit wegen und noch aus tausend anderen Gründen unzufrieden, meinethalben auck rebellisch, aber auf keinen Fall revolutionär. Sie ist trotz aller Unzufriedenheit feige, bodenlos feige. Vei aller Kriegsmüdigkeit unternimmt sie gegen den Krieg vorläufig nichts, weil sie immer noch fürchtet, sich die Siegesbeute, die sie für alle Entbehrungen reichlich entschädigen soll, zu verscherzen.
Die Demonstration sollte meine Voraussage noch übertreffen. Ist die Masse an sich schon feige, so kennt die Feigheit keine Grenze, wenn es gilt, sich vom Schützengraben zu drücken. Und jeder weiß, daß er, wenn er auch nur der Teilnahme denunziert wird, in den Schützengraben wandert.
Weiterhin sagte ich, glaubt die Masse, die an ihrer Kraft verzweifelt, nicht an die Möglichkeit einer Massenaktion. Der Glaube an ihre Kraft und Stärke, an ihre unwiderstehliche Macht muß ihr erst beigebracht, ihre schlummernde Solidarität erst geweckt werden. Dies kann man nicht, indem man sie zum letzten Schritt zuerst aufruft, zur insurrektionellen Aktion, wozu allen der Mut und heute noch dem größten Teile der Wille fehlt. Hietzu müssen große, über den Rahmen des Vetriebes hinausgehende, mindestens den Ort umfassende, rein wirtschaftliche Bewegungen vorausgehen. Ist erst durch eine solche Bewegung wegen einer reinen Magenfrage einmal die lIktionsfähigkeit bewiesen, dann erwacht das proletarische Machtbewußtsein, der proletarische revolutionäre Instinkt, und dann ist bei einer von der Reaktion begangenen, die gesamte Arbeiterschaft aufpeitschenden Tat die Stunde für eine aufs Ganze gehende 8ewegung gekommen, wenn,, und dieses Nenn empfahl ich dringend zu beachten, sie von einem namhaften Führer aufgefordert wird.
„Ohne Revolution dauert der Krieg noch sicher 2 1/2 oder auch 3 1/2 Iahre. Nenn Sie also jetzt in leichtfertiger Weise ins, Zuchthaus wandern, dann begehen Sie ein Verbrechen an sich und Ihrer Familie, ein größeres an der Internationale und ein vielleicht katastrophales an der Weltrevolution! Denn, wenn die Stunde Kommt, dann müssen Sie da sein, dann müssen Sie rufen . . . ."
Er antwortete mir:
„Selbst die unbestreitbare Richtigkeit Ihrer Auffassung zugegeben, könnte ich nun nicht mehr zurück, wenn ich mich nicht der Lächerlichkeit preisgeben wollte. Aber selbst wenn ich es könnte, wollte ich es nicht. Sehen Sie sich meine Lage an. Nach meinem Auftreten im Reichsund Landtag kann ich unmöglich zu meinem Truppenteil zurück. Ich müßte entweder desertieren — was für mich politischer Selbstmord wäre — oder ich muß mich weigern, wieder hinzugehen und muß diese Weigerung mit meiner politischen Ueberzeugung begründen. Ich werde vor ein Kriegsgericht gestellt und wie aus diesem Grunde schon mehrere, zu mehreren Iahren Zuchthaus verurteilt. Ich wage es also halb gezwungen, halb, weil ich glaube, daß Sie sich irren, weil ich vielmehr glaube, daß Zehntausende demonstrieren, ihre Kriegsgegnerschaft öffentlich dokumentieren und weitere Zehntausende zum politischen Streik mitreißen werden. So werde ich ein Echo an den Fronten, wo die Kriegsüberdrüssigkeit einen außerordentlich hohen. kaum zu überwindenden Grad erreicht hat, erwecken, da nur der Funke fehlt — den ich schaffen werde —, um das Pulverfaß zu sprengen und die Friede und Sozialismus bringende Revolution zu erzeugen. Kommt es nicht so, sondern so, wie Sie glauben, dann wandere ich wohl ins Zuchthaus, aber mit dem stolzen Bewußtsein: Ich hab's gewagt!"
Es half kein Reden, um an dem Entschluß etwas zu ändern. Ich ging nach meinem Lazarett und mußte zu meinem Bedauern nachher feststellen, daß ich die Masse richtig eingeschätzt hatte.
Trotzdem sollte diese Demonstration den Ausgangspunkt der revolutionären Aktionen bilden, allerdings in völlig anderer Weise als Karl Liebknecht es gedacht hatte.
Eine andere, im großen revolutionären Geschehen bedeutungsvolle Ursache, sollte den Folgen dieser Demonstration die Auswirkungsmöglichkeit geben.
Ich sagte schon, daß man mit ltecht behaupten kann, daß wichrend des Krieges Metallarbeiter und Arbeiterschaft eigentlich zwei völlig gleiche Begriffe waren. Die Leitung der Berliner Metallarbeiter hatte immer noch Herr Cohen, der sich mit großem Geschick am Ruder hielt, trotzdem er sich immer selbst von einer Generalversammlung zur andern Lügen strafen mußte. Immer die auflösung der Organisation an die wand malend, schilderte er die Ohnmacht der Arbeiter in den düstersten Farben, sang von den Machtmitteln der Arbeitgeber und ihrer Vereitschaft zu Verhandlungen und Zugeständnissen übertriebene Lobgesänge. Richard Müller, von der Schädlichkeit dieser Leitung völlig überzeugt, hatte nun mit einigen Obleuten von namhaften Großbetrieben Vesprechungen und war mit ihnen übereingekommen, — einen eintägigen Generalstreik an dem Tage, da das Kriegsgericht gegen Liebknecht verhandelte, zu veranstalten. Da die gesamten Organisationsleitungen, die der Metallarbeiter an der Spitze, eine Parole gegen den Streik herausgegeben hatten und nachher mit allen Mitteln gegen die Streikenden vorzugehen versuchen würden, sollte der Arbeiterschaft endlich die Rückständigkeit und reaktionäre Liebedienerei der Führer vor Augen gestellt werden.
Der Streik kam, 55 000 Arbeiter und Arbeiterinnen hatten die Hrbeit niedergelegt. Der Bann war gebrochen, die Aktionsmöglichkeit und -fähigkeit des Proletariats , nicht nur ohne, sondern selbst gegen die Führer, war erbracht.
Und das war Richard Müllers Verdienst, dem sich später weitere anreihten. Waren auch seine Veweggründe nicht konsequent und klar auf die Revolution gerichtet, seine Caten, waren es um so mehr, — und diese sind ja letzten Endes entscheidend, — und mit ihnen wuchs seine politische Erkenntnis.
Der Streik forderte seltsamer Weise beinahe gar keine Opfer. Die Reaktion erkannte die Vedeutung desselben ebensowenig, wie die Gegenseite die der Augusttage erkannt hatte. Die Vourgeoisie, sich den Teufel um Politik scherend, in wildem Galopp hinter dem Mammon her, atmete auf, daß sie der Spaß absolut nichts gekostet hatte. Die Militärkamarilla, im sicheren Vewußtsein ihrer Machtmittel, sah dies als einen bedeutungslosen, dummen Streich an, ganz besonders, da die Industriellen, die bei der kleinsten Lohnbewegung mit einer Liste Mißliebiger aufwarteten, diesmal keine Wünsche dieser Art äußerten. Die Partei und Gewerkschaftsführer,' denen ein gewaltiger Schreck in die Glieder gefahren war ob der elementaren, wuchtigen Bewegung und ob ihrer völligen Einflußlosigkeit, verkleinerten die Bewegung ebenfalls und versprachen, Vorsorge zu treffen, daß ähnliches nicht wieder vorkäme.
So war der Lenz der Revolution erwacht, weder von Freund noch von Feind erkannt, hatte die Eisdecke der Reaktion gesprengt und die gewaltige Masse gelockert, um sie bei dem nächsten warmen Strahl vorwärts, der Freiheit und dem Leben zuzuführen.
Doch „mit des Geschickes Mächten ist kein ew'ger Bund zu flechten": Als das Revisionsverfahren Liebknechts vor dem Reichsmilitärgericht stattfand und wiederum ein eintägiger Proteststreik stattfinden sollte, da fiel er kläglich ins Wnsser. Die Reaktion jubelte und triumphierte.
Was war geschehen?
Neben den Drohungen der Militärkamarilla, die den verschärften Velagerungszustand, Standrecht und Militarisierung der Vetriebe ankündigte, war an dem Proletariat eine schmähliche Hrreführung von seinen Führern begangen worden.
Sie ließen über eine Million Flugblätter — von bezahlten Verteilern, nachdem die Vertrauensleute abgelehnt hatten — vor den Fabriktoren, unter dem Schutze der Polizei und Gendarmerie oerteilen, in denen es von Hoch- und Landesverrat, von Mord an unseren Brüdern draußen, von gewissenlosen Hetzern usw. nur so wimmelte.
Diese Drohungen und diese Beeinflussungen vernichteten die junge Knospe der revolutionären Energie in der Berliner Arbeiterschaft.
„...... und das Unglück schreitet schnell!"
Löste die Verschärfung des Urteils von 2 1/2 wahren Gefängnis ohne, auf 4 1/2 Jahre Zuchthaus mit Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte allgemein Entsetzen und Wut aus, fo bei dem Berliner Proletariat unermeßlichen Haß und tiefe Verachtung gegen die Führer, denen ganz allein die Schuld an der Verschärfung beigemessen wurde. Hierdurch wurde das ängstlich tastende, mehr wägende, als wagende revolutionäre Empfinden zu den Anfang«;stadien des entschieden revolutionären Vewußtseins vorwärtsgetrieben.
Trotz dieser nunmehr erzeugten Stimmung konnte und durfte keine Aktion erfolgen, sondern es mußte ein neuer Reifungsprozeß bis zu einem der Explosion nahekommenden Grade abgewartet werden.
Neue Siege im Osten und Südosten ließen der Militärkamarilla den Kamm mächtig schwellen, die ungeheuren Opfer vor Verdun und an der Somme ließen sie erzittern und veranlagten sie, im Verein mit den Nutznießern des Schlachtfeldes, denen die Massen von Menschenkadavern ungeheure Profite einbrachten und die bangten, daß diese herrliche Zeit enden könne, das Hilfsdienstgesetz zu schaffen.
Bei diesem, jeden Eigenwillen erstickenden Sklavengesetz hatten die Partei- und Gewerkschaftspfaffen nicht nur Pate gestanden, sondern sie hatten sogar an seine Herstellung lebhaften Anteil genommen. Als seine Apostel reisten sie herum und spendierten ihm ihren Segen, sodaß sofort die Unternehmer ihren brüskesten Standpunkt herauskehrten. In den Eingeweiden der Arbeiter rumorte wütender Hunger, zu dessen Linderung wohl Versprechen auf Versprechen gegeben wurde, weiter aber nichts geschah. Allmählich reifte die Erkenntnis, daß das Kriegsende nach bald dreijährigem Kriege noch nicht abzusehen war, und daß trotz alledem die Organisationsleitung bei ihrer Beschönigung der Verhältnisse verblieb. Das stärkte die Opposition gewaltig und ließ sie eine neue Bewegung vorbereiten im April 1917.
Da wurde Rich. Müller zwei Tage vor ihrem Beginn eingezogen, und die Herren Eohen, Siering und Karsten, überzeugt, daß die 8ewegung abzuwürgen sei, warfen sich zu deren Führer auf. Es streikten in Berlin 200 000 Arbeiter und Arbeiterinnen, und schon am ersten Tage wurde verhandelt, Versprechungen wurden gegeben, und am anderen Tage wäre gearbeitet worden? wenn die Arbeiter nicht die Entlassung Rich. Müllers verlangt hätten. Am nächsten Tage wurde erneut verhandelt, die Entlassung Rich. Müllers versprachen, der Streik abgebrochen. Aber einige Großbetriebe in Berlin streikten, indem sie politische Forderungen aufstellten, weiter. Die Forderungen waren äußerst bescheiden, doch es erfolgte, unter dem Veifall der Gewerkschaftspfaffen, ja, auf deren Verlangen, die Verhaftung der Kommission und einiger anderer Genossen. Es zeigte sich sofort tiefe Niedergeschlagenheit in der Arbeiterschaft, die durch die systematische Hetze des „Vorwärts" und der Gewerkschaftsblätter noch gesteigert wurde. Doch so groß auch die Niedergeschlagenheit, größer war die Erbitterung gegenüber der Reichsleitüng, der Militärkamarilla und ganz besonders der vfaffokratie der Partei und Gewerkschaften, am meisten gegen die Vevollmächtigten des Metallarbeiter-Verbandes. Im Mai hatte die Neuwahl Cohens zu erfolgen. Seine Wiederwahl wäre vollständig ausgeschlossen gewesen, doch vom Oberkommando der Marken wurde die Neuwahl verboten. Dies kostete jedoch Cohen den letzten Rest des Vertrauens bei der Berliner Arbeiterschaft und brachte eine heillose Verbitterung. Alle Einziehungen oppositioneller Kollegen wurden ihm nunmehr in die Schuhe geschoben, und die Opposition erfaßte bald die ganze Arbeiterschaft, so daß sich dieselbe Verhältnismäßig sehr schnell von ihrer Depression erholte.
Der Aderlaß und die Hetze kamen jedoch noch nicht zur Auswirkung. Die befruchtende Wirkung der russischen Revolution setzte eist ein. Hoffen und Sehnen zog gewaltiger denn je durch die Gemüter. Nikolaus und Wilhelm, Nikolajewitsch und Hindenburg-Ludendorff, forderten sie nicht allzusehr zum Vergleich heraus? Und was jenen geschah, — Konnte das nicht auch diesen passieren? Hoffen? Sehnen? ja! — Willensstärke? Tatkraft? nein!
Es kam die russische Novemberrevolution! Die Devolution der „verruchten und verfluchten" Volschewiks! Cs kam deren Funkspruch: An Alle!
Eine Kundgebung an alle kriegführenden Völker:
„Die durch die Revolution am 6. und 7. November geschaffene Regierung der Arbeiter und Vauern, die sich auf den Arbeiterund Soldatenrat stützt, schlägt allen Regierungen der Kriegführenden vor, alsbald Vesprechungen über einen gerechten demokratischen Frieden zu beginnen. Die Regierung ist der Ansicht, daß ein gerechter demokratischer Frieden, der von der Mehrheit der Arbeiterklassen aller kriegführenden Länder erstrebt wird, die durch den Krieg erschöpft und ruiniert sind, ein Frieden, den die russischen Arbeiter und Vauern nach dem Sturz der Monarchie forderten, ein sofortiger Frieden ohne Annexionen, das heißt ohne widerrechtliche Aneignung fremden Gebietes und ohne gewaltsame Eroberung fremder Nationalitäten, und ein Frieden ohne Kontributionen sein muß. Die russische Regierung schlägt allen Kriegführenden vor, sogleich einen solchen Frieden zu schließen, und sich bereit zu erKlären, unverzüglich alle energischen Schritte zur endgültigen Villigung aller Vedingungen dieses Friedens durch die Vevollmächtigten aller Länder und Nationen zu tun. Unter Annexion oder widerrechtlicher Gebietsaneignung versteht die Regierung nach dem Nechtsbewußtsein der Demokratie im allgemeinen und der Arbeiterklassen im besonderen jede Annexion einer kleinen schwachen Nationalität ohne Zustimmung dieser Nationalität und unabhängig von dem Grade ihrer Zivilisation und ihrer geographischen Lage in Europa oder in jenseits des Ozeans gelegenen Ländern. Wenn irgendeine Vevölkerung von irgend einem Staate gewaltsam festgehalten wird und wenn ihr gegen ihren Willen, wie er in der Presse oder in den nationalen Versammlungen oder Parteibeschlüssen oder durch Auflehnungen oder Erhebungen gegen den Unterdrücker zum Ausdruck gelangt, das Recht zu allgemeiner Abstimmung verweigert wird, wenn man sich ferner weigert, die Vesatzungstruppen zurückzuziehen und der Vevölkerung nicht das Recht zugesteht, ihre politische Regierungsform einzurichten, so ist ein solcher Zustand Annexion oder widerrechtliche Aneignung. Die Regierung ist der Ansicht, daß eine Fortsetzung des Krieges zu dem Zweck, die schwachen besiegten Nationalitäten unter den reichen, mächtigen Nationen zu teilen, ein großes Verbrechen gegen die Menschheit ist. Daher verkündet die Regierung feierlich ihren. Entschluß, einen Frieden zu unterzeichnen, der unter den erwähnten, für alle Nationalitäten gerechten Vedingungen diesem Kriege ein Ende machen wird.
Gleichzeitig erklärt die Regierung, daß die erwähnten Ledingungen nicht als endgültig betrachtet werden sollen, das heißt, die Regierung ist damit einverstanden, alle anderen Friedensbedingungen zu prüfen, wobei sie nur darauf besteht, daß diese Vedingungen so bald wie möglich von jedem Kriegführenden vorgelegt werden, und daß diese Vedingungen durchaus klar, ohne die geringste Zweideutigkeit und ohne jeden geheimen Charakter seien.
Ihrerseits unterdrückt die Regierung jede Geheimdiplomatie und bekräftigt ihren festen Entschluß, die Friedensbesprechungen offen vor der ganzen Welt fortzusetzen und zur Veröffentlichung aller geheimen Verträge zu schreiten, die von der Regierung der Großgrundbesitzer und der Kapitalisten seit Februar bis zum 7. November 1917 gebilligt oder geschlossen worden sind. Die Regierung erklärt den Inhalt dieser Geheimverträge für null und nichtig, soweit sie, wie es in der Mehrzahl der Fälle geschieht, alle Arten von Vegünstigungen und Vorrechten den Großgrundbesitzern und KaPitalisten zuzugestehen suchen, indem sie die von den Großrussen gemachten Annexionen aufrecht erhalten oder vermehren.
Indem die Regierung alle Völker einlädt, sogleich FriedensVorverhandlungen zu beginnen, erklärt sie sich ihrerseits bereit, diese Vorverhandlungen durch schriftliche oder telegraphische MitTeilungen sowie durch Vesprechungen zwischen Vertretern der verschiedenen Länder oder durch Konferenzen aus den genannten Vertretern zu verwirklichen. Um diese Vorverhandlungen zu erleichtern, wird die Regierung Vevollmächtigte in den neutralen Ländern ernennen.
Die Regierung schlägt den Regierungen aller kriegführenden Länder vor, sogleich einen Waffenstillstand zu schließen: sie glaubt ihrerseits, daß dieser Waffenstillstand für drei Monate geschlossen werden muß, welche Zeit genügen würde, um die Verhandlungen zu einem guten Ende zu führen: sie schlägt ferner vor, daß Vertreter aller Nationalitäten oder Nationen, die in den Krieg hineingezogen sind, oder ihn über sich ergehen lassen mußten, an den Friedensbesprechungen teilnehmen, und daß eine Konferenz aus Vertretern aller Nationen der Welt zur endgültigen Mlligung der ausgearbeiteten Friedensbedingungen zusammenberufen werde.
Indem die vorläufige Regierung der russischen Arbeiter und Bauern diese Friedensvorschläge den Regierungen aller kriegführenden Länder macht, wendet sie sich insbesondere an die Arbeiter der drei zivilisiertesten und am tätigsten am gegenwärtigen Kriege teilnehmenden Nationen, nämlich Englands, Frankreichs und Deutschlands. Die Arbeiter dieser drei Länder haben der Sache des Fortschritts und des Sozialismus die größsten Dienste erwiesen, nämlich durch Einrichtung der Charten in England, die großen Revolutionen des französischen Proletariats und den heldenhaften Kampf der deutschen Arbeiter für ihre Organisation. Alle diese Beispiele geben die Gewähr, daß die Arbeiter dieser Länder die Probleme begreifen, die sich vor ihnen erheben, Probleme der Vefreiung der Menschheit von den Schrecken des Krieges, und daß diese Arbeiter durch ihre mächtige Tatkraft voller Selbstverleugnung uns helfen werden, das Werk des Friedens zu Ende zu bringen und alle Arbeiterklassen von Ausbeutung zu befreien."
Nun, da war nichts von verrucht und verflucht zu hören. Wie der leibhaftige Herrgott, wenn er vom Himmel stiege, so wurden die Bolschewiks gefeiert, verherrlicht, wurde ihnen gedankt! denn Frieden, wirklichen, den Mord beendenden, den Aufbau beginnenden Frieden wollten sie der Menschheit bringen.
Der Januarstreik 1918 wäre auch ohnedies, aber weder in der Form, noch mit seinen Forderungen gekommen.
Schon im November hatten Richard Müller, Paul Blumenthal und Paul Eckert mit der Parteileitung der U. S. P. Verhandlungen wegen der, von den Arbeitern geradezu geforderten Bewegung. Doch die Parteileitung und auch die Fraktion, mit Ausnahme von Ledebour und Herzfeld, wurden nicht warm. Ia, wenn man wüßte!
Es kamen die Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk, der Faustschlag Hoffmanns, der Abbruch, der Generalstreik in Wien und am 28. Januar der Streik in Deutschland.
Es waren Richard Müller, Paul Eckert und dann nach und nach noch einige andere Genossen, oder bester gesagt Kollegen aus der mittleren Verwaltung des Metallarbeiter Verbandes (Bezeichnung des erweiterten Vorstandes), welche die Vorbereitungen zu dem Streik getroffen haben. Sie waren mehr aus Gefühl, als aus Erkenntnis, daß eine erneute Bewegung unbedingt von großen politischen Gesichtspunkten geleitet werden müsse, mit dem Parteivorstand der U. S. P., wie schon gesagt, in Verbandlung getreten, um ihn zu veranlassen, durch einen mit seiner UnterIchrift gezeichneten Aufruf zu einer allgemeinen Massenaktion aufzufordern.
Wäre nun dieser Parteivorstand nur ein Bruchteil dessen gewesen, was er vorgab und sich den Anschein gab, zu sein, öcmn hätte er die Bewegung beflügelt, sich an ihre Spitze gestellt, sie über ihr Ziel weit hinausgeschoben und hinausgetrieben, sie aus einer demonstrativen zu einer revolutionären Aktion gestaltet. Wenn — — ja, wenn die Angst vor der eigenen Courage nicht gewesen wäre. Nein zu sagen, um dann bei einer trotzdem kommenden Bewegung, falls sie gelingt, sich nicht mit dem Lorbeer schmücken zu können, nein — — das ging nicht. Aber das Verlangen zu erfüllen, um bei einem Mißlingen die geheiligte, teure Person in Gefahr zu bringen, das ging auch nicht. Und so verfiel die hohe Körperschaft auf den „genialen" Ausweg, die Sache der Fraktion zuzuschieben, die durch ihre Immunität geschützt sei. Die Fraktion, innerlich die Kerle verfluchend, die mit direkten, Gefahren in sich tragenden Aktionen kamen, zeigte ihre revolutionäre Energie und ihren Mannesmut, indem sie sich auf einen lendenlahmen Aufruf einigte.
Die Bewegung selbst wurde so vorbereitet, daß in hierzu am Sonntag, den 27. Januar, einberufenen Branchenkonferenzen und Branchenversammlungen der Streik zum andern Morgen beschlossen wurde und das Flugblatt selbst am Montag früh erst verteilt wurde. Mittwochs hatte nun eine Vorbesprechung stattgefunden, an der auch ein Spartakist teilgenommen hatte, und schon am Freitag wurde von den Spartakisten ein Flugblatt mit der Aufforderung zum Generalstreik am Montag verteilt. Das war frevelhafte, an Verrat grenzende Leichtfertigkeit, die von dem Vestreben diktiert war, sich die Urheberschaft zuschreiben zu können. Hätte das OberKommando, hierdurch gewarnt, den verschärften BelagerungszuKand verhängt, die Verriebe militarisiert, Landgerichte errichtet, dann wäre die Bewegung erledigt gewesen. voch glücklicherweise kam dies nicht.
Am Montag früh begann der Streik, die Vetriebe wählten Arbeiterräte, und die im Gewerkschaftshaus tagende ArbeiterratsVersammlung wählte einen AktionsausschuK: 10 Kollegen, 3 Parteileitungsmitglieder der U. S. P. und 3 der S. P. D.
Die Versammlung stellte folgende Forderungen auf:
1. Schleunige Herbeiführung des Friedens ohne Annexion, ohne Kriegsentschädigung, auf Grund des Selbstbestimmungsrechtes der Völker, entsprechend den Ausführungsvestimmungen, die dafür von den russischen Volksbeauftragten in Brest-Litowsk formuliert wurden.
2. Zuziehung von Arbeitervertretern aller Länder zu den Friedensverhandlungen.
Besonders für Deutschland wird gefordert:
3. Ausgiebigere Nahrungsversorgung durch Erfassung der Lebensmittelbestande in den Produktionsbetrieben wie in den Handelslagern zwecks gleichmäßiger Zuführung an alle Bevölkerungskreise.
4. Der Belagerungszustand ist sofort aufzuheben. Das Vereinsrecht tritt vollständig wieder in Kraft, ebenso das Recht der freien Meinungsäußerung in der Presse und in Versammlungen. Die Schutzgesetze für Arbeiterinnen und Jugendliche sind schleunigst wieder in Kraft zu setzen, Alle Eingriffe der Militärverwaltung in die gewerkschaftliche Tätigkeit sind rückgängig zu machen und neue zu verhindern.
5. Die Militarisierung der Betriebe ist gleichfalls aufzuheben.
6. Alle wegen politischer Handlungen Verurteilten und Verhafteten sind sofort freizulassen.
7. Durchgreifende Demokratisierung der gesamten Staatseinrichtungen in Deutschland, und zwar zunächst die Einführung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts für alle Männer und Frauen im Alter von mehr als 20 Iahren für den preußischen Landtag.
Ferner nahm die Versammlung folgende Entschließung an:
„Da nur unbedingte Solidarität Erfolg verheißt, geloben wir, jede Maßregelung unserer Führer, Vertreter und Veauftragten mir aller Macht abzuwehren. Wir richten aber auch an die Proletarier Deutschlands wie der anderen kriegführenden Länder insgesamt die dringende Aufforderung, wie schon die Arbeitskollegen Oesterreich-Ungarns erfolgreich uns vorangegangen sind, so nunmehr gleichfalls in Massenstreiks einzutreten, denn erst der gemeinsame internationale Klassenkampf schafft uns endgültig Frieden, Freiheit und Brot."
Sodann beauftragte die Versammlung den Aktionsausschuß, mit der Regierung zu verhandeln. Aber mit diesem Veschluß war der Bewegung das Genick gebrochen. Denn so war sie, trotz der radikalen Forderungen, aus einer politischen zu einer gewerkschaftlichen geworden, und trotz ihrer Größe und Ausdehnung aus einer revolutionären zu einer demonstrativen herabgestiegen.
Sie zu einer solchen zu gestalten, war allerdings auch das Streben der dem Aktionsausschuß angehörenden Parlamentarier — mit Ausnahme Ledebours — die natürlich ihre UnentbehrlichKeit, Unersetzlichkeit und ihren überragenden, dem Proletariat auch bei direkten Aktionen alleinhelfenden Geist zeigen und leuchten lassen wollten, um in Zukunft derartig unliebsame, ihre Eitelkeit verletzende, ihre Führerschaft bedrohende Bewegungen zu unterbinden. Aber auch den übrigen Mitgliedern kam es mehr oder minder auf einen unter Ausschaltung der Gewerkschaftsleitung errungenen Erfolg an, auch sie dachten nur an Reform, nicht an Revolution.
Die Verhandlungen zerschlugen sich an Formalitäten, da die Regierung es ablehnte, mit den nichtparlamentarischen Mitgliedern zu verhandeln, während diese darauf bestanden.
Es kam ein Versammlungsverbot. Da die S. P. D. und die Gewerkschaften die Bewegung sabotierten, außerdem durch systematisch verbreitete, falsche Nachrichten die Einigkeit der Streikenden unterwühlten, so bröckelte der Streik, an dem allein in Berlin 600 000 Arbeiter teilgenommen hatten, ab, nachdem am Donnerstag genialtige Demonstrationen an mehreren Stellen zu Vlutvergießen geführt hatten und am gleichen Tage der verschärfte VeläaerungLzustand verhängt worden war.
Als ich am Sonnabend, aus dem Lazarett entlassen, in Derlin ankam, wohnte ich abends einer Sitzung der Obleute der wesentlichsten Großbetriebe, bei, in der die Anschauungen scharf aufeinanderplatzten. Alle Anwesenden wußten, daß, obwohl der Antrag zum Abbruch des Streiks aufzufordern, beinahe einstimmig abgelehnt worden war, der Streik in den nächsten Tagen erlöschen würde.
So grenzenlos die Wut der Herrschenden und Besitzenden über den Streik gewesen war, der ihnen das Grollen in der Tiefe und erneut die Geburtswehen der Revolution angezeigt hatte — denn nicht nur in Berlin, sondern in allen wesentlichen Industriestädten des Reiches hatte die Berliner Bewegung gewaltige Streikbewegungen entfacht — so roh und brutal war nunmehr ihre Rache. Unter dem Standrecht waren über 200 Streikende zu über 130 Jahren Zuchthaus und Gefängnis verurteilt worden, und ungefähr 40—50 000 wurden eingezogen.
Die Militärkamarilla hatte geglaubt, der revolutionären Bewegung den Todesstoß versetzt zu haben. Sie hatte sich getäuscht, gründlich getäuscht. Sie sollte bald erkennen, daß ihre Gewalt im Innern für sie ebenso brüchige Verhältnisse schuf, wie ihre Gewalt nach außen.
Comments
3
3. Die Revolutionswerkstatt. (Vom Februar bis zum November 1918.)
Am Mittwoch, den 6. Februar, abends, erhielt ich einen Rohrpostbrief von Richard Müller, ich solle ihn am andern Morgen in seiner Wohnung auf alle Fälle besuchen. Ich fuhr hin. Er und Paul Blumenthal, der mitanwesend war, erklärten mir, daß Müller die Order habe, und daß ich unbedingt die Leitung. der illegalen Bewegung übernehmen müsse. Es sei ein Trümmerfeld, das nur mit zähester Energie wieder bestellt werden könne, da so ziemlich alle unsere Vertrauensleute eingezogen seien, und ich sei der Einzige, der die Führung übernehmen könnet Ich sagte zu, unter der Vedingung, daß die noch anwesenden Mitglieder des Aktionsausschusses mit einverstanden seien.
Am Sonnabend, den 9. Februar, fand dann im Norden Berlins eine Sitzung aller noch in Berlin befindlichen oppositionellen Obleute statt. Es waren 18 Kollegen anwesend. Nollege Vlumenthal leitete die Sitzung, gab einen kurzen Rückblick, erklärte, daß neben andern Mitgliedern des Aktionsausschusses auch R. Müller eingezogen sei und deshalb an seiner Stelle ein Vorsitzender gewählt werden müsse. Er schlage in Müllers Auftrag und in seinem Namen den llollegen Barth vor. Es sprachen verschiedene Rollegen in Zustimmendem Sinne, nur Roll. Heinrich Maltzahn wandte sich lebhaft dagegen und schlug Vlumenthal vor, der jedoch ganz entschieden ablehnte. Ich nahm nunmehr daz Wort und führte folgendes aus:
Werte Genossen!
Wir befinden uns inmitten einer revolutionärenPhase, die durch die Evolution erzeugt ist, und es kommt nur darauf an, wie schnell, wie wuchtig, wie organisiert und wie ausgerüstet die revolutionären Aktionen sich folgen. Seien Sie sich bewußt, daß hierbei klarer Vlick und revolutionäre Vegeisterung, daß sichere s Erkennen und Wägen mit tatbereitem Wollen und Wagen, daß persönliche Initiative mit organisatorischer Disziplin gepaart sein müssen. Seien Sie sich klar, daß in diesem Kampfe der Menschlichkeit gegen die Gewalt nicht die Theorie, sondern die Organisation, nicht das Wort, fondern die Tat, nicht Fäuste, sondern Waffen entscheiden werden. Darum gestatten Sie mir, daß ich Ihnen meine Vedingungen stelle, unter denen ich bereit bin, den Vorsitz zu übernehmen.
Vor allem lehne ich es ab, den Vorsitz der gewerkschaftlichen Opposition zu übernehmen, lehne es ab, meine und anderer Kraft und Zeit zu vergeuden, um neuen Leilungen in den Gewerkschaften die Wege zu ebnen, neuen Leilungen mit altem Geiste, ich lehne ab, demonstrative Bewegungen vorzubereiten und durchzuführen, ich lehne ab, den fünfzig Iahre betriebenen Vetrug der Massen fortzuführen, indem ich so tue, als ob ich etwas täte.
Ich bin nur bereit, den Vorsitz zu übernehmen, wenn es vorbei ist mit kleinen, enggesteckte Ziele verfolgenden Bewegungen, wenn Sie geloben, mit mir Ihr ganzes Ich selbstlos einzusetzen für eine ausgesprochen revolutionäre Bewegung, revolutionär in ihrem Ziele, ihrer Organisation und ihren Kampfmitteln.
Das Ziel ist der proletarische Friede, d. h. der vom Proletariat erzwungene Friede, das ist Sozialismus, das ist die Diktatur des Proletariats.
Dieses Ziel ist nur zu erreichen, wenn Sie bewußt und konsequent jede Stunde bereit sind, Ihr Leben für die große, gewaltige Idee in die Schanze zu schlagen, wenn Sie erkennen und danach handeln, daß in diesem gewaltigen Kampfe der Menschheit gegen die grausamste Lestie, die Vestie Mensch, nur rücksichtsloseste Rücksichtlosigkeit zum Siege zu führen vermag. Nur wenn Sie klar erkennen, daß Sie alle Vrücken hinter sich abzubrechen haben, daß Sie jedwedes patriotische Gefühl nicht nur aus dem Herzen zu reißen, sondern auch mit Ihrem Hasse zu verfolgen haben. Denn, dieses teuflischste aller Gifte sät nicht nur Haß und Zwietracht unter die aufeinander angewiesenen Völker, sondern auch Mord und Hungersnot, Verwüstung und Vrandschatzung, und es bewirkt dauernd die Ausbeutung der arbeitenden Massen.
Um das Ziel der Diktatur des Proletariats zu erreichen, müssen Gedanken, nicht Gefühle auf ein einheitliches Ziel gerichtet ?ein. Dieses Glück ist die zerstörende, ausrottende, vernichtende und dann aufbauende, Glück und Freiheit, Friede und Wohlfahrt spendende Revolution. Der Patriotismus hat Europa mit Vlut gedüngt, mit Menschenblut und Menschenleibern, sein Pesthauch hat die Seelen vergiftet, der Odem der Menschen, der Verge, der Täler, der Felder und Wälder ist Habgier und Grausamkeit. Mies, alles ist vergiftet und tanzt einen wilden, fanatischen Tanz um-, goldene Kalb. kille sind der Erfolgsanbetung anheimgefallen. Heil Hindenburg! Heil Ludendorff! Heil goldenes Kalb!
In diesen Strudel der Habsucht und der Verkommenheit ist bald alles hineingezogen. Die „Führer" des Proletariats so ziemlich restlos und auch weite Kreise des Proletariats selbst. Hiergegen und gegen die dem Sozialismus ungetreuen Führer den Kampf aufzunehmen, das ist unsere Aufgabe. ,
Wollen Sie die Revolution, wollen Sie selbst das Revolutionskomitee sein? Dann bin ich bereit, den Vorsitz zu übernehmen, alles zu tun, um möglichst bald in der Lage zu sein, mit der Regierung nicht zu verhandeln, sondern gegen sie zu handeln.
Aber Freunde! Das ist das Gewollte! Vom Wollen und Wünschen allein wird nichts erzeugt, sondern durch die Tat. Die Tat in unserem Falle ist die Organisation!
Nicht die Organisation, die Selbstzweck ist, sondern nur, aber auch nur Mittel zum Zweck. Eine illegale Organisation, die mehrere gewaltige Aufgaben zu erledigen hat. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, ihre Existenz geheim zn halten. Solange Sie unbekannt sind, wird sie nicht behelligt, nicht verfolgt, und solange ist sie aktionsfähig.
Die Aktionsfähigkeit der illegalen Organisation ist etwas wesentlich anderes, als die einer legalen. Wirkt letztere neben der Propaganda schon durch die wacht ihres Daseins, durch ihre Größe, durch Vluffs, so erstere einzig und allein durch die Tat. Daraus erfolgt und muß erfolgen, daß nicht die Phrase, daß nicht das Verbreiten von Flugblättern, sondern ein guter Ausbau zur mündlichen Agitation Zeugnis von der Güte der illegalen Organisation ablegt. Individuell betrachtet, ist der Fels der illegalen Organifation das gegenseitige Vertrauen. Sieht also jeder einzelne seine Hauptaufgabe darin, verschwiegen zu sein, so wird restloses Vertrauen herrschen, und die Organisation wird in kurzer Frist eine Macht darstellen. Die Organisation muß gegliedert sein in dw verschiedensten Organisationen, von denen jedoch gegenwärtig nur von der Massenorganisation gesprochen werden soll und darf, da von den übrigen Organisationen für Geld und Waffenbeschaffung, Veschaffung von Papieren, Vesorgung von Nachrichten der Polizei, des Militärs, der Scheidemänner, der Gewerkschaften, Ueberwachung der eigenen Genossen, Organisierung der Stoßund Kampftrupps usw. natürlich immer nur die direkt Veteiligten mit dem allernotwendigsten informiert werden dürfen.
Also hier in diesem Kreise darf für ein und allemal nur von der Organisation für den die Voraussetzung für alles andere bildenden Generalstreik gesprochen werden. Die Organisation bildet das Rückgrat von allem und muß folgendermaßen gestaltet werden:
An der Spitze ein Diktator mit unbeschränkten Machtbefugnissen. Seinen Vefehlen oder Anordnungen hat sich jeder zu fügen. Ieder hat auszuführen, was ihm aufgetragen wird, ohne zu fragen, warum und weshalb. Dieser an der Spitze stehende hat allein das Recht, Aufträge zu erteilen, so daß alles, was geschieht, einheitlich ist.
Dieser ergänzt sich, indem er einige Genossen zu seiner. Unterstützung sich auswählt, um mit ihnen nach Vedarf zusammen zukommen, um zu beraten und zu taten. Kein Mensch soll erfahren, wer die Genossen sind, so daß bei einem Verrat nicht der ganze Kopf verloren geht.
Dieser Kopf ruht auf dem Rumpfe, den Sie bilden. In diesem Dumpfe muß jeder Großbetrieb mit einem Kollegen vertreten sein, der in seinem Verriebe als unser Obmann fungiert. Ist der eigentliche Obmann des Vetriebes unser Mann, dann um so besser, ist derselbe kein Kerl, dann suchen wir uns einen geeigneten Genossen. Doch das sei gesagt: lieber keinen, als einen nicht absolut zuverlässigen, verstehen Sie? Absolut zuverlässigen.
Dieser Obmann ist verpflichtet, sich aus allen Abteilungen seines Werkes je einen Vertrauensmann zu suchen, wobei dieselben Bedingungen wie bei dem Obmann selbst zu stellen sind. Mit diesen Vertrauensleuten kommt er wöchentlich zusammen, um ihnen das hier gehorte zu übermitteln, ihnen revolutionären Willen, Energie und Entschlossenheit beizubringen.
Jeder Vertrauensmann hat die Aufgabe, in seiner Abteilung die zuverlässigen Genossen um sich zu scharen, um ihnen wöchentlich dasselbe zu übermitteln, was ihm übermittelt wird.
Keiner von Ihnen hat das Recht, auch nur zu einem seiner Vertrauensleute, auch nicht seinem besten Freunde, etwas von unseren Zusammenkünften zu sagen.
Außer den Obleuten gebrauchen wir hier noch Mitglieder der mittleren Verwaltung des Metallarbeiter-Verbandes, sowie Vertreter der übrigen Organisationen, die die Mittelbetriebe so behandeln, wie die Obleute ihre Abteilungen.
So muß diese Organisation, ungenannt und ungenannt, bis in die äußerste Peripherie reichen, und so muß sie gestaltet sein, nicht nur hier, sondern über das ganze Neich, an allen Fronten.
Das waren kurz skizziert Ziel und Organisation, und nun gestatten Sie noch einige Worte zu den Mitteln, mit denen der Kampf zu führen sein wird.
Der Generalstreik ist die Fanfare. Von seiner Größe, seiner Ausdehnung hängt, wenn auch nicht alles, so doch sehr viel ab. Ie gewaltiger, je wuchtiger, je umfassender er ist, um so wirkungsvoller ist seine Suggestivkraft. Und diese Suggestivkraft wird das Ausschlaggebende sein. Wir brauchen die Suggestion der Masse auf die Masse selbst, um ihren Mut, ihre Energie zu heben, um sie zur Tat zu begeistern. Zur Tat sage ich, und damit komme ich zum entscheidenden Mittel. Wir brauchen Waffen, und wir brauchen disziplinierte Trupps, die diese Waffen zu gebrauchen wissen.
Seien Sie sich klar, daß wir nicht etwa Waffen, in solcher Anzahl haben können, daß wir den Kampf gegen die SoldatesKa aufzunehmen vermögen. Das ist aber das mindeste, daß wir so viel Waffen und so viel beherzte Waffenträger haben müssen, daß wir in einer Stunde Herren der Straßen Berlins gegenüber den Schutzleuten sind, um dann durch die Masse und durch diesen Sieg auf die gegen uns nunmehr aufgebotenen Soldaten eine faszinierende Suggestion auLzuüben und sie zu uns herüberzuziehen. Das kann Menschenleben kosten! Aber ich frage Sie: nachdem Millionen für ihre Ketten gestorben oder verstümmelt sind, können da nicht lausende für ihre Freiheit das Leben opfern? Diese Frage stellen, heißt sie bejahen!
Aber, und nun komme ich zu den andern Mitteln, diese Opfer sind nur dann vor dem eigenen Gewissen zu verantworten, wenn man sich dazu innerlich vollständig dem großen, gewaltigen und heiligen Ideal des Sozialismus verschrieben hat. Hie Sozialismus und Menschlichkeit, hie Nationalismus und Vestialität. tzie selbstlose Aufopferung, um Millionen das Leben zu retten, hie Mord und Massenmord, um des Patriotismus willen, d. h. um Länderraub, Völkerunterjochung und ewige Ausbeutung des arbeitenden Menschen.
Nur der, der gewillt ist, für andere sich zu opfern, hat das Recht, Opfer zu verlangen. Aber mehr! Wer Devolution, wer Sozialismus will, der musz für dieses Ideal mehr als das Leben zu geben gewillt sein. Der muß die bürgerliche Moral an den Nagel hangen, der muß für sein großes Ideal alle Mittel zur Verwirklichung benutzen, niemand, aber auch niemand als seinem eigenen Gewissen Rechenschaft schuldend.
Sie sehen, schreitet man von der demonstrativen zur revolutionären Bewegung fort, so muß man gewillt sein, aus einer Welt in die andere zu gehen, so muß man gewillt sein, Vater und Mutter, Bruder und Schwester, Frau und Kinder freudig zu opfern.
Sind Sie zu alledem und vielem, vielem andern gewillt, sind Sie damit einverstanden, daß jeder, der irgendwem, der diesem tlreise nicht angehört, je ein Wort von unserer Existenz sagt, als — verräter gilt, und — daß — Verrat — mit — dem — Tode — zu sühnen — ist, dann, aber auch nur dann bin ich bereit, den Vorsitz mit diktatorischen Vefugnissen zu übernehmen, falls ich in geheimer Abstimmung einstimmig gewählt werden sollte."
Schweigen, Totenstille! Alles wischte sich den Schweiß von der Stirne, alles war sprachlos . Wir saßen im Nebenzimmer, dicht an der Tür des Lokal, führten die Unterhaltung halblaut, ich selbst glühte vor Begeisterung und hatte mehr oder minder alle angesteckt.
Blumenthal teilte Stimmzettel aus und das Resultat war 17 Stimmen für Barth, 1 Zettel weiß. H. Maltzahn ließ sich in unserem Kreise nicht wieder sehen.
Es begann nun eine ungemein schwere, aufreibende, Tag und Nacht erfordernde Tätigkeit. Mir war am Abend des 9. Sebruar die Schwere der Aufgabe wohl klar, ich hatte jedoch keine Klarheit, wie ich meinen Willen in die Praxis umsetzen könne und müsse. . ,
In den folgenden Sitzungen war bei allen eine ungeheure Niedergeschlagenheit. Ein jeder berichtete von den Einziehungen in seinem Verriebe und von dem blassen Schrecken, der in den Vetrieben wegen der Einziehungen, der Verhaftungen und des schändlichen Wittens der außerordentlichen Kriegsgerichte herrsche.
Es hielt sehr schwer, den Mut zu beleben. Eine ungemein starke Fluktuation herrschte in unserem Kreise, viele wurden eingezogen, und so mancher, der sich in der Maienblütezeit der Revolution so ganz besonders laut hervortat, hatte vorher gekniffen. Von der Stärke der Fluktuation wurde ich fast zur Verzweiflung getrieben, ganz besonders, wenn auch die letzten Freunde, von der Nutzlosigkeit des Veginnens sprechend, den Wunsch aussprachen, sich zurückzuziehen.
Es fiel mir ungeheuer schwer, den Genossen auseinanderzusetzen, daß sie im Irrtum seien, wenn sie annehmen, daß diese Einziehungen uns schädigen. Im Gegenteil, erklärte ich, das ist ja unsere Stärke, unsre Hoffnung. Lüdendorff stranguliert sich selbst, indem er den revolutionären Sauerteig in alle Zellen seines schon völlig zerfallenden Organismus aufnimmt. Im übrigen ist die Laschheit unter den Genossen kein Schaden: denn hierdurch wird ein Verzetteln der Kräfte verhütet, nutzloses Aufbegehren unterbleibt, die Organisation wird ausgebaut und gefestigt und alles mit dem Glauben auf einen einzigen, unverhofft geführten Hauptschlag erfüllt.
Ich selbst fuhr unter den verschiedensten Namen nach den verschiedenen Großstädten und Industriezentren, immer nur mit einem Genossen Fühlung suchend, die Vildung der Organisation in den Vezirken und Orten bewirkend und die Verbindung über das Reich herstellend.
Ver schwierigste Stand war gegenüber den Spartakisten und Linksradikalen. Sie glaubten, daß revolutionäres Empfinden, Wollen und Tun durch Flugblätter und revolutionäre Gymnastik erzeugt wird. Die ganze Zähigkeit und Energie aufzuwenden für eine Arbeit, die nicht täglich berauschende Phrasen in Masse erzeugt, eine Tätigkeit, die völlig im Verborgenen spielt, das lag ihnen nicht.
Lag es den ehrlichen Genossen nicht, so den in ihren Kreisen weilenden Spitzeln natürlich noch viel weniger. Diese trieben dauernd zu Putschen, denen dann gewöhnlich die besten Genossen zum Opfer fielen.
Ein besonders interessanter Fall sei hier geschildert.
In Hamburg hatten wir eine Einigung zwischen U. S. P. und Linksradikalen herbeigeführt, die in ihrer illegalen Organisation zu den glänzendsten Hoffnungen berechtigte.
Beim Abzug von Flugblättern wurde ein Teil ausgehoben und Zu langjähriger Zuchthausstrafe verurteilt.
Ich hatte nun einen Mann im Verdacht, Spitzel zu sein, und bewirkte eine Sitzung in Hamburg, um ihn zu überführen. Ein ganz ausgesiebter Kreis war zusammen, die Ueberführung war so ziemlich geglückt und bei einer, wegen dieser Sitzung erfolgten Vernehmung wurde den Hamburger Genossen eine Photographie unserer Sitzung vorgelegt. In Hamburg sah nun jeder den andern für einen Spitzel an und die illegale Bewegung war so ziemlich tot.
In Berlin gelang es mir leider nicht, eine Einigung herbeizuführen. In mindestens 10 Zusammenkünften mit Iogisches, dem leitenden Kopfe, einem Mann mit phänomenalem Wissen, unbeugsamem Willen, unerschütterlichem Charakter und festgefügter sozialistischer Ueberzeugung kamen wir nicht nur nicht zusammen, sonoern leider immer mehr auseinander. Es mangelte ihm völlig die Fähigkeit, sich in die Psyche des deutschen Arbeiters hinetnzuversetzen. Er war der Verfechter der revolutionären Gymnastik in Person. Nur im Kampfe, im blutigen Kampfe wird die revolutionäre Energie erzeugt, wird das Proletariat gestählt. Jede Niederlage, jeder Tote, jeder im Zuchthaus Schmachtende bildet einen Baustein an dem zu errichtenden Gebäude des Sozialismus. Erhebung von tausend und blutige Niederlage bringt die Erhebung von zehntausend, wieder Niederlage: Erbitterung, Haß, Kampfeswille hüben, Abscheu vor den eigenen Taten, Zweifel, Umfall drüben. Neue Erhebung von hunderttausend usw., bis zum endgültigen Siege.
Meine Einwendungen, daß die Niederlage monatelange Deprimierung, aber keinen revolutionären Elan erzeuge, daß allein der Erfolg entscheidend sei, und daß dieser nach Lage der Sache nur in einem großangelegten, an allen Orten einheitlich geführten Schlag erfolgen könne, verwarf er als utopistisch, und letzten Endes wurden seine Angriffe im „Spartakus" noch gehässiger.
Ich bedauerte dies Ergebnis ungemein: denn ein großer Teil überzeugter, opferfreudiger und wagemutiger Genossen ging vorläufig verloren, mußte auf Umwegen herangeholt werden. Ich bedauerte dies um fo mehr, als meine Verhandlungen mit dem Parteivorstand der U. S. P. mich nicht mit allzuviel Hoffnung beseelten.
Mit Ausnahme von Ledebour, der trotz seinem gebleichten Haare ein jugendlich feuriges Herz sich bewaijrt, der jedoch glaubte, daß die vretter des Parlaments die Welt bedeuten, und Laukant, der unserm Kreise nachher angehörte, der sich keiner Aufgabe entzoa, waren dort bei jedem zwei tränende Augen: Ia, ja, aber die Organisation! Und erst später, als mein Freund Ernst Däumig, der fast zur selben Zeit in unsern Kreis kam, wie zum Parteivorstand, in dieser Körperschaft etwas bohrte, tat man dort so, als ob man täte.
Im Uebrigen war uns das ziemlich gleichgültig. Wenn wir glaubten, mit dem P. V. etwas erledigen zu müssen, dann haben wir ihn geladen und mit ihm verhandelt, wie Großmacht und Macht, und da beim Gelingen der Sache man doch mit dabei sein wollte und beim Mißlingen man auf die Verschwiegenheit glaubte bauen Zu können, so war das Verhältnis immer ein leidliches.
Ludendorff, unser Schutzpatron. hatte uns nicht nur durch die Einziehungen zum Heere gedient, sondern noch mehr durch die Inhaftierung und Verurteilung von zirka 140 Genossen zu insgesamt 120 Jahren Zuchthaus und Gefängnis, hatte er die Erbitterung aufs höchste gesteigert. In dem wochenlang geführten, zuerst völlig verloren scheinenden Kampfe um die Vereinheitlichung und Leitung der Unterstützung für die Inhaftierten, siegten wir schließlich! ich selbst wurde Vorsitzender, und es gelang uns, die Sammlung so ausyiebig zu gestalten, daß wir den Familien eine Unterstützung von wöchentlich 25 Mark, für jedes Kind 5 Mark und für die Miete die zu 20 Mark zahlen konnten. Das war eine bis dahin nie geahnte Unterstützung.
Die illegale Organisation wuchs, der Mille stählte sich, der Ramvfesmut hob sich, so daß im April wieder ein Geist vorhanden umr, der ermutigend wirkte. Einige Genossen glaubten, daß es Seit sei, einmal etwas zu unternehmen. Dagegen wandte ich mich mit aller Entschiedenheit, da dies keine revolutionäre, sondern eine rein demonstrative VeweHung geworden wäre. Ich legte damals programmatisch die von mir gewünschte Taktik fest, indem ich ausführte:
„Das Elend, die Not und die brutale Unterdrückung sowie die ungeheuren Vlutopfer an der Front erzeugen eine Stimmung voll Resignation, Verzweiflung und Unzufriedenheit, weit über die Kreise des Proletariats hinaus. Das gesamte Vürgertum, mit Ausnahme der Kriegsinteressenten, der Bauern und der Beamten, sind des grausigen Spiels überdrüssig. Sie sind unzufrieden, sie sind rebellisch, aber sie sind bei weitem nicht revolutionär. Sie möchten ein Ende des Gemetzels, des Entsagens und Entbehrens, aber sie möchten das siegreiche Ende. Die Oberste Heeresleitung und alle Einsichtigen wissen, daß ein siegreiches Ende nicht kommen kann. Aber sie wissen, daß dies Eingeständnis ihre Götterdämmerung bedeutet, und so spielen sie das Vabanquespiel, immer noch auf ein unerwartetes Ereignis, ein Wunder hoffend, weiter. Sie setzen Menschen ein, führen Millionen zur Schlachtbank, obwohl sie deren Untergang vor Augen sehen, obwohl sie wissen, daß der Gegner nicht nur an Menschenmaterial täglich uns ungeheuer überflügelt, sondern auch technisch uns weit überlegen ist.
Wir stehen nun vor ungeheuren Entscheidungen, die ruhige und Klare Ueberlegung fordern. Wir sehen, wie die Herrschenden, nach dem Strohhalm eines Wunders greifend, ihre Landeskinder skurvellos zu Millionen auf die Schlachtbank führen, und wir wissen, daß es unsere Pflicht wäre, dem zwecklosen Gemetzel sofort Einhalt zu gebieten. Es blutet uns das Herz, wenn wir sehen, daß wir diese niordenden, Zwecklos, selbst von ihrem Standpunkt aus, mordenden Unmenschen nicht zu beseitigen vermögen. Doch sehen wir klar!
Wenn nicht alles trügt, dann schleppt sich ohne endgültige Entscheidung das Metzeln bis zum Winter hin. Und dann im Februar, wenn vielleicht fünf Millionen Amerikaner auf französischem Vooen stehen, wenn auch dem Dümmsten die Hoffnung auf Sieg genommen,. wenn durch Kälte und Hunger die Disziplin gelockert ist, dann ist es unsere Aufgabe, vor dem Veginn des gewaltigen Frühjahrsangriffs, gegen die Gewaltherrscher anzugehen.
Sollte aber schon vorher die Niederlage erfolgen, dann ist es unsere Aufgabe, sofort loszuschlagen, um Deutschland vor völliger Verwüstung zu retten. Denn erfolgt erst die entscheidende Niederlage, dann ist der Kampfesgeist gebrochen, die Disziplin gelockert, aller Widerstandsgeist aufgehoben. Die hungernden deutschen Soldatenmassen fluten aufgelöst über das eigene Land zurück, jeder nur von dem einen Gedanken, rette sich wer kann, beseelt, requiriereno, stehlend, plündernd' der Feind hinterher, nicht Waffenstillstand gewährend, bis das alte System beseeitigt ist. Das zu verhüten ist für uns doppelt notwendig: erstens weil wir als Menschen und Sozialisten ein Interesse daran haben, die Menschheit vor diesem Elend und diesen Greueln zu bewahren. und zweitens, weil wir uns klar sein müssen, daß die für uns jetzt und in den Tagen des Kampfes sekundären Fragen der Ernährung und Arbeitsbeschaffung ohnehin uns vor kaum lösbare Probleme stellen werden. Ich will darauf nicht eingehen, fondern nur bemerken: Wenn wir die Macht ergreifen, möge das im Oktober, November oder im Februar, März erfolgen, dann können wir nicht Milch und Honig aus der Erde stampfen, sondern nur den Grund und Voden und die Produktionsmittel in den Besitz der Allgemeinheit überführen, aber die dann alles besitzende Masse muß Entsagungsund Arbeitsfreudigkeit in gewaltigem Maße aufbringen.
Ich resümiere also: Wir müssen mit doppeltem Eifer für die Entscheidungsschlacht arbeiten, jedoch das Datum der Schlacht bestimmen nicht wir, sondern das wird entschieden auf den blutgetränkten Feldern Frankreichs."
Däumig trat mir scharf entgegen, erklärte meine Auffassung für utopistisch, da niemals die Niederlage der deutschen Armee erfolgen würde. Allerdings stimmte er darin mit mir überein, daß augenblicklich nicht der gegebene Zeitpunkt sei.
Die Frühjahrsoffensive, die, abgesehen von der bei allen deutschen Spießern — und dazu zählte das Gros der Arbeiterschaft mit — erneut erzeugten Kriegsund Siegestrunkenheit nichts erreichte, war im Mute erstickt.
***
Es war wohl daschwerste Stück Arbeit gewesen, Verbindungen ausfindig zu machen, um die notwendigen Vrownings, Munition und Handgranaten zu erhalten. Aber es gelang schließlich doch. Einen Teil bekamen wir völlig umsonst, einen Teil zu normalen und einen Teil zu unverschämten Wucherpreisen. Als wir nun soweit waren, .die Waffen zu erhalten, hatte sich eine erste und eine zweite Gelegenheit, Geld zu erhalten, zerschlagen. Endlich, nach ungeheuer mühevollen Bemühungen — den Freunden, die hierbei so viel gewagt, sei besonderer Dank hier abgestattet — erhielt ich von einigen Genossen ausreichend Geld, immer soviel ich benötigte. Die Tage, die Wochen verflogen und noch immer war die Veschaffung von Handgranaten nicht geglückt. Doch endlich hatten wir mit ungeheurem Wagemut selbst welche hergestellt, hatten sie in vielen D-Zugfahrten, trotz Zugkontrolle, hierher geschafft und so war auch diese Sorge erledigt. — Euch, Freunde, gebührt für revolutionäres Wagen die Palme! Dank Freunde! Tausend Dank!
Jetzt begann das Gefährlichste! Die Bildung der Stoßtrupps. Es mußte in jedem Großbetriebe ein Führer derselben gefunden werden, der dann innerhalb. seines Vetriebes seine Leute aussuchte. Ein einziger Fehlgriff, und die Sache war verraten. Ein einziger Lump, und alle standen an der Wand: denn darüber mußte sich jeder klar sein: Pardon hätte es nicht gegeben. Auch das mußte jedem klar sein, daß, wenn die Mehrheitssozialisten Wind bekamen, die Sache verloren war.
Es mußte jeder Stoßtruppführer genau mit den Waffen informiert sein, fo daß er sie ausprobierte und jedem Einzelnen wiederum klarlegte. Die einzelnen Leute mußten verschwiegen sein, mußten die Waffe kennen und mußten auch die Kerle sein, sie zu benutzen. Doch es ging, es ging nicht nur besser, als ich dachte, sondern gerade diese Führer, die ich alle selbst einweihte, nachdem sie nach reiflicher Prüfung an mich verwiesen waren, gaben mir neuen Mut und neue Energie. Ich fand todesmutige Helden, soviel ich benötigte, und ich sehe sie jetzt vor meinem geistigen tluge, alle ohne Ausnahme voll fanatischer Begeisterung. Dank Euch!
Anfang August, also nach der Niederlage an der Marne, wurden die ersten Stoßtrupps gebildet. In den Sitzungen mit den Obleuten und bei den Führern legte ich klar, daß nunmehr alle Tage die Kriegslage uns zwingen könne, loszuschlagen. Ludendorff war wiederum unser Helfer. Seine verlogenen Verichte, die die Stimmung vor dem Zusammenbruch bewahren sollten, bereiteten, nachdem sie anfangs zu seinen Gunsten wirkten, das Gegenteil.
Alles hatte fich entwickelt, wie ich es vorausgesagt! Ietzt galt es, die richtige Stunde zum Kampfe zu wählen, die richtige Stunde und die äußerste Kraftanstrengung, den einheitlichen Schlag im ganzen Lande. Kuriere gingen ab. Die Stimmung war überall gut, die Vorbereitungen überall fest im Gange. Ueberall die strikte Anweisung, nur auf meine Parole loszuschlagen.
Am 22. Oktober wurde der Reichstag eröffnet, eine Vagatelle, die nicht eines Blickes würdig sein sollte. Da drohte an dieser Lagatelle die ganze Aktion zu zerschellen. Die Spartakisten, nicht die opferfreudigen, todesmutigen und kampfbereiten, denn die waren alle in unsern Stoßtrupps, fondern jene Dillettanten, denen es nicht darauf ankommt, daß überhaupt etwas gemacht werde, sonoern wer etwas macht, und die befürchteten, daß ihnen eine Gelegenheit, so zu tun, als ob sie etwas täten, entgehe, riefen durch Flugblätter zur Demonstration vor dem Reichstage auf. Wir hatten Sonnabend beschlossen, daß es unter unserer Würde sei, uns um die Reichsquasselbude zu kümmern. Ietzt tobte die ganze bürgerliche Presse und, so sahen wir Führer uns veranlaßt, in letzter Stunde noch einigen Vetrieben zu schicken mit der Weisung, um S Uhr Feierabend zu machen und zu demonstrieren. Doch die Veteiligung war Kläglich. Höchstens 8—10 000 Mann vor dem in weitem Vogen abgesperrten Reichstag. Däumig und ich suchten vergebens nach einem der Führer der Spartakisten. Nicht einen fanden wir. Wir gaben dann, um nicht völlig der Lächerlichkeit zu verfallen, die Parole Durchs Brandenburger Tor bis zur Friedrichstrasse und dann auflösen. Veim zweiten Anprall gaben die Schutzleute das Tor frei und etwa vier bis fünftausend Menschen zogen nun die Anden entlang. Vor der russischen Lotschaft wurde von berittenen Schutzleuten wieder gesperrt. wir drängten durch: doch wurde nun die Parole: an der Friedrichstraße auflösen!, nicht befolgt und an der Charlottenstraße gab es dann eine Schutzmannsattacke mit Verwundeten und verhafteten.
Am nächsten Tage wurde Karl Liebknecht entlassen.
Ich bekam wieder erst in letzter Stunde Nachricht. Trotzdem war es noch möglich 15—20 000 Menschen am Abend auf die Veine zu bringen. Nachdem der Zug mehrmals durch Schutzmannsketten ailseinandergerissen war, fuhren wir zuletzt auf einem Rollwagen, von zirka 1000 Menschen begleitet, unter den binden entlang, als am yotel Adlon ein Trupp berittener Schutzleute ankam. Sie hatten blank gezogen und im Nu war alles verschwunden. Ich stand mit Frau Liebknecht zuletzt allein auf dem Wagen und bewunderte Hermann Dunker, der vom Wagen herunter dem Brandenburger Tor zulief mit einer Behendigkeit, daß ich staunte, daß man fo lange Satze so schnell hintereinander machen kann. Wir gingen dann ganz allein, Frau Liebknecht, ich, Karl Liebknecht und Peters, die Pferdeköpfe über unsern Köpfen, während die Schutzleute schimpften und die Säbel schwangen, zum Brandenburger Tor, wo dann die Menge stand, fuhren mit einem Mietsauto zu dreien nach dem Potsdamer Bahnhof und von da mit der Vahn nach Friedenau. Auf dem Wege von da nach Steglitz erklärte Liebknecht: Solch eine Menschenmenge hat Berlin noch nicht gesehen! Ich werde ihnen eins aufspielen! In 14 Tagen bin ich wieder im Zuchthaus. Dch erklärte ihm, daß er im ersten Punkte im Irrtum sei, und daß, wenn das Letztere der Fall sein würde, ich ihn für den dümmsten und feigsten Trottel halten würdedenn, um ins Zuchthaus zu Kommen, dazu gehöre nichts, aber nicht hineinzukommen und trotzdem das ganze System zu stürzen, dazu gehöre etwas. Doch wir wollen alles zu Hause in Ruhe besprechen. Er meinte hierauf: Recht haben Sie! Zu Hause setzte ich ihm alles auseinander über die Vorbereitungen und über die taktischen Pläne. Ie weiter ich in meinen Ausführungen kam, um so länger wurde sein Gesicht und zum Schlusse erklärte er: „Es ist ja ganz gut, das; Ihr nicht geschlafen habt, aber jetzt bin ich ja wieder da, und ich werde nun schon die ganze Sache richtig gestalten. Ich erklärte ihm, daß es mich ungeheuer freuen würde, wenn er kräftig mitarbeiten würde, aber planmäßig und vorsichtig. Vorsicht und Planmäßigkeit allein Kann zum Gelingen führen, Tollpatschigkeit und Revolutionsromantik verurteilt uns zur Niederlage, ersäuft die revolutionäre Bewegung im reaktionären Vlutbad. Ich bat ihn eindringlich, da er die Möglichkeit habe, auf Ioggisches, Maier und Dunker einzuwirken, daß er dies tun solle. „Ich kann mich nicht binden, ich muß mir erst alles überlegen", waren seine letzten Worte in dieser Unterhaltung, denn Lucharin und Karski kamen in dem Augenblick ins Zimmer. Ich unterhielt mich noch kurze Zeit mit Theodor Nebknecht und ging mit dem Bewußtsein, daß bittere Tage für die revolutionäre Bewegung angebrochen seien.
Am andern Morgen besprach ich die ganze Situation eingehend mit Ernst Däumig, der ganz meiner Auffassung war. Ich drang in väumig, daß er mit Haase und Ledebour ein ernstes Wort reden solle, damit wir uns endlich zusammensetzen könnten, um das eingehend zu besprechen, was am Tage nach der Revolution zu geschehen habe, es soweit wie möglich organisatorisch zu gestalten und prinzipiell festzulegen. Seit vier Monaten drang ich auf diese Sitzungen. Trst hatte sich Däumig ablehnend verhalten, dann hatte er mich aber seit drei Monaten äußerst lebhaft unterstützt. Aber immer vergeblich. Haase erklärte einfach, vorher ließe sich das gar nicht festlegen. Es war die Angst vor der eigenen Tourage, die Angst, daß bei einem Mißlingen ihm etwa eine positive Veteiligung nachgewiesen werden könnte. Diese Sitzung kam auch nie zustande. Alles war gut, so gut es unter den obwaltenden Umständen eigentlich wohl kaum erwartet werden konnte, vorbereitet, bis zum Tage der Revolution, dann triumphierte der parlamentarische Kretinismus, dann war nicht Revolution, sondern Pfiffigkeit Trumpf. Für diese Sitzung war keine Zeit, weil man keine haben wollte, aber Freitags war eine Parteivorstandssitzung mit Liebknecht, in der ihm angeboten wurde, in den Parteivorstand einzutreten. Er lehnte nicht ab, aber stellte in seiner Weltfremdheit die Vedingung, daß sofort ein Parteitag einberufen werden solle, und wenn sich dieser seine prinzipielle und taktische Anschauung und Methode zu eigen mache, dann sei er bereit.
Als ich das von Däumig erfuhr, schlug ich die Hände über dem Kopfe zusammen. In der denkbar bewegtesten Zeit, wo zwingend jede Stunde praktisches Handeln erfordern konnte, tragt sich jemand, der sich Revolutionär dünkt, mit dem Gedanken, theoretische Auseinandersetzungen und Haarspaltereien herbeizuführen. Däumig war nun genau so pessimistisch gestimmt wie ich und befürchtete ebenfalls das Schlimmste für die Bewegung. Ich werde diese Stunde, eine der erhabensten meines Lebens, nie vergessen. Ver Vesprechung der ganzen so ernsten, tragischen und gefahrvollen Situation, die jede Stunde das bringen konnte, wofür wir beide, jeder auf seine Art, unser ganzes Leben gearbeitet hatten, die aber auch anders werden konnte, rollten uns beiden die Tränen aus den Augen und wir sanken uns in die Arme. Vir hatten gewagt, Menschenleben eingesetzt, um Menschenleben zu retten. Sollte in letzter Minute unser Vagen zur Frivolität werden? Nein!, gelobten wir vns, wir wollen Revolution, aber auf keinen Fall foll Verschwörerlos gespielt werden.
Zu der Sitzung der Obleute am folgenden Abend hatte ich Liebknecht geladen. Wir waren uns klar, daß an dem Abend die Probe auf den Wert oder Unwert der Obleute gemacht würde. Es war dies überhaupt ein Tag kritischer Ereignisse. Am Morgen bekam ich einen Kassiber von einem seit einem Vierteljahr mit wichtiger Mission beauftragt gewesenen, verschollenen Genossen. Ich atmete freudig auf, daß er noch am Leben war und bangte zugleich, daß er irgend etwas bei sich haben konnte oder eine UnvorsichtigKeil begehen könnte, die uns alle Kopf und Kragen kosten könne. Noch im Laufe des Vormittags kam eine Genossin, die mehr als alle Obleute wußte und schon mehrmals unglaublichen Mut bewiesen hatte, und teilte mir mit, daß sie in Sachen eben dieses Genossen vorgeladen sei. Ich band ihr dringend aufs Herz, ja vorsichtig zn sein, sich im Kreuzverhör nicht fangen zu lassen, da bei einer unvorsichtigen Aeußerung — es war das erste Mal, daß sie vernommen wurde — ihr und unser aller Schicksal besiegelt sei. Am Nachmittag erschienen zwei Genossen aus dem Orte, von wo wir unsere „Eier" bezogen, die mir ihre Befürchtung Mitteilten, daß von ihren Lieferungen etwas verpfiffen sei. Um das Maß vollzumachen, kam nun noch die Nachricht, daß einer von den Stoßtruppführern verhaftet werden follte, der aber noch rechtzeitig türmen konnte. Warum wußte der Hiobsbote nicht. Warum? War er unvorsichtig gewesen bei Waffenverteilungen oder war es wegen Militärsachen.' Wenn ich es nur wüßte. Und alles, aber auch alles mußte ich, um m keinem die Stimmung zu verderben, für mich behalten. Ich halts nur eine Sehnsucht: Wenn doch möglichst bald die Entscheidung erfolgte! Ich war mir aber auch klarer denn je: Nur keine Dummheit machen, nicht zu früh und nicht zu spät.
Am Abend eröffnete ich, nachdem wir in der Leitung uns eingehend über die ganze Situation ausgesprochen hatten, die Sitzung den Obleute, indem ich mitteilte, ich habe Liebknecht eingeladen und hoffe, daß niemand etwas dagegen habe und erwarte, daß sie, die sich seit Monaten nicht mit Phrasen, sondern mit wirklich revolutionären Tun befaßt hätten, sich bei seinem Erscheinen als Männer Zeigen würden. Däumig erhielt nun, wie seit Wochen, das Wort, um die politische Lage zu erörtern. Als er gerade begonnen, kam Liebknecht — und zwar trotz meiner ausdrücklichen Erklärung, daß er nicht das Recht habe, noch jemand mitzubringen, — mit noch 4 Spartakusgenossen. Er meldete sich zum Wort und führte aus:
„Parteigenossen! Ich habe durch Erzählungen gehört von Ihrer Existenz, von der Existenz einer revolutionären, illegalen Organisalion. Aber ich muß Ihnen schon sagen, daß ich enttäuscht, bitter enttäuscht bin von Ihren Taten. Sie sind ein revolutionäres Veilchen, das seinen Stolz dareinsetzt, im Verborgenen zu blühen. Ich muß sagen, daß ich mir das Tun und das Tempo anders vorstelle. Am Mittwoch kam ich, und es fand jene gewaltige Demonstration statt, wie Berlin mit gleichem Elan noch keine gesehen, nachdem um Tage zuvor eine von derselben Vegeisterung getragene Demonstration vor dem Reichstag und Unter den Linden stattgefunden hatte. Und seit drei Tagen bin ich nun schon hier, und noch hat keine erneute Demonstration stattgefunden. Das ist unglaublich, das ist unverantwortlich! Aber unglaublicher und unfaßbarer ist mir, daß Sie heute hier beisammen sitzen und nicht beraten, wie die morgige . und die im Laufe der nächsten Woche stattfindenden Demonstrationen zu gestalten sind, sondern daß Sie, eine revolutionäre Körperschaft, bestrebt sind, Demonstrationen zu unterbinden. Wie wird denn revolutionäre Energie, revolutionärer Tatendrang erzeugt? Glauben Sie etwa durch Ihre mündliche Propaganda in so und so viel verschwiegenen Zusammenkünften? Glauben Sie vielleicht durch die Bewaffnung von einigen Tausend wohl energischer, das Leben mit freudiger Begeisterung wagender Genossen, denen man die Waffen in die Hand drückt, aber mit der Anweisung, dieselben uur zu gebrauchen, wenn es ihnen durch Sie befohlen wird?
Nein! Nein! Und tausendmal Nein!
Dadurch wird der revolutionäre Elan, die Begeisterung, die Todesverachtung wieder im Keime erstickt von denen, die glauben, ste gepflanzt zu haben. Ieder einzelne muß zu einem Feldherrn, selbst entscheidenden und selbstwagenden Feldherrn gemacht werden. Es ist eine Utopie, wenn man glaubt, mit einem einzigen großen Schlag die siegreiche Revolution zu machen! Es ist eine Utopie, nein, es ist mehr, es ist ein Verbrechen, derartiges zu glauben und zu propagieren! Die revolutionäre Energie, der revolutionäre Trutz und die revolutionäre Tatkraft wird nur im revolutionären Kampfe erzeugt, geboren, gestärkt und gehoben. Der revolutionäre Kampf, das sind revolutionäre Aktionen, sind Straßendemonstrationen, sind Generalstreiks!
Darum sage ich Ihnen und fordere von Ihnen, daß Sie heute beschließen, daß morgen im Anschluß an die stattfindenden Versammlungen Straßendemonstrationen stattfinden! Und nicht nur Ltraßendemonstrationen, sondern Straßendemonstrationen mit der Parole der allgemeinen Vewaffnung! Es wird zu Zusammenstößen mit der Polizei kommen, es wird Blut fließen, es werden Verhaftungen erfolgen! Dies wird Proteststreiks auslösen! Die Soldateska, die Ludendorffs und Scheidemänner werden sie zu unterdrücken suchen! Neues Vlutvergießen und neue Verhaftungen, neue Solidaritätskundgebungen, größere Streiks, Streiks in neuen Orten, neue Demonstrationen, brutalere Unterdrückung, gewaltigere Ausdehnung des Kampfes, Anschwellung der revolutionären Eneraie, der revolutionären Tatkraft, revolutionärer Straßenkampf, Desorganisation im Heere und zuletzt Revolution! So und nur so allein erfolgt revolutionäre Schulung, erfolgt der revolutionäre Sieg.
In diesem Kampfe, aber auch nur in diesem, erfolgt die Einigung und Revolutionierung des Proletariats, erfolgt die Demaskierung der Sozialverräter, erfolgt die Klassenscheidung und erfolgt die ltevolutionierung des Heeres. Truppen, die heute blindlings dem Vefehle ihrer Vorgesetzten folgend, ihre Brüder morden, werden morgen von Zweifeln zernagt und gehen übermorgen zu ihren Brüdern über, mit ihnen gemeinsam den Kampf für Friede, Freiheit, für den Sozialismus wagend und durchführend.
Ich bitte Sie, prüfen Sie meine Vorschläge, meine Forderungen und entscheiden Sie in meinem Sinne.
Vorbei mutz sein die Zeit des Wägens, die Stunde gebietet zu wagen, nicht zu wagen den entscheidenden Endkampf, das ist Utopie, sondern zu wagen den Leginn der Kämpfe, der wahrhaft revolutionären Kämpfe, den ersten Kampf, der die andern sich immer steigernden, den Sieg verbürgenden im Schoße trägt!
Mit uns das Volk, mit uns der Sieg!"
Sich an seinen Worten selbst berauschend, immer feuriger und wilder sprechend, hatte er nun auch einen Teil der Obleute mitgegerissen.
Ich sprach nach ihm und führte folgendes aus:
„Wenn man es so hört, dann könnte es leidlich richtig erscheinen! Und wenn wir hier alle aus zweieinhalbjähriger, schwerer, verbitternder, den klaren Blick für die so reale und nüchterne Wirklichkeit trübender Haft kämen, selbst alle erfüllt mit revolutionärem Willen und revolutionärer Tatkraft, dann würden wir vielleicht auch, berauscht von dem Empfang und getrieben von unserm Hasse, so reden und ich würde dann auch verstehen, daß man derartigen Ausführungen Veifall spendet und sie in die Tat umzusetzen versuchen würde.
Aber so verstehe ich Ihren Beifall nicht. Und da wir eine ungeheure Verantwortung für das Gelingen der Revolution zu tragen haben, muß ich mich ganz entschieden und scharf dagegen wenden.
Wir sind diese berauschenden Ideen der revolutionären Gymnastik nicht neu! Ich habe ihnen einmal selbst gehuldigt, als ich die Menschen so in Rechnung stellte, wie ich sie mir wünschte. Ich habe diese Theorie im Laufe dieses Iahres öfter gehört im Verkehr mit Spartakisten, und ich glaube, diese heutigen Ausführungen Liebknechts vor einigen Wochen schon einmal genau so gehört zu haben, mit einer Menge praktischer Beispiele — die bei näherer Prüfung alle hinken aus Rußland belegt, von dem Genossen Bucharin. Da mehr als alle Theorien, die ja immer mehr oder minder grau sind, das Veisviel aus dem praktischen Leben zu überzeugen vermag, so gestatten Sie mir, daß ich kurz resümierend die revolütionare Geschichte des Krieges skizziere, ganz besonders zur Information des Genossen Liebknecht.
Im Juli 1914 alle Schleusen der Beredsamkeit, alle Druckerschwärze im Kampfe gegen den Krieg. In den Massen — ach diese wankelmütige Masse — einmütig die Auffassung: wehe, wenn sie es wagen! Sie wagten, die Führer fielen um, die Massen fielen nach, und es dauerte drei bis vier Monate, bis es nur möglich war, die Masse zu gewerkschaftlichen Bewegungen zu gewinnen, in kleinen wilden Merkstattstreiks. 1916 war es dann anläßlich der Verurteilung Liebknechts das erste mal möglich, Massen — 55 000 — zum politischen Streik zu bewegen. Einige Verhaftungen und Einziehungen hatten bewirkt, daß es bei der Revisionsverhandlung unmöglich war, die Massen wieder auf die Beine zu bringen. Es wurde April 1917, bis es wieder möglich war — aber nicht um politischer Forderungen, sondern um ein paar Gramm Brot — die Massen heraufzuholen. Von einer revolutionären Gymnastik zur andern — abgeschwächten — war eine Atempause von 8 Monaten notwendig. Mehr Verhaftungen, mehr Einziehungen, Militaristerung vieler Verriebe, rücksichtslosere Schutzhaftverhaftunaen, die Brutalität im Niederhalten jeder freiheitlichen Regung überbot sich, das Elend stieg, der Wucher und das Schiebertum wuchsen wie Pilze aus der Erde, und es dauerte zehn Monate, bis das schimpfende, fluchende und ob der geistigen und materiellen Vedrückung bald verzweifelnde Proletariat sich wieder demonstrativ zu regen wagte.
Und nach dem Januar? Hatte die sich täglich steigernde Neaktion eine Auslösung der revolutionären Willens und Tatkraft zur Solge? Mit nichten! Die Niedergeschlagenheit, der Schrecken, die Furcht und Angst, die Sveichelleckerei der Masse wuchs und wuchs. Hatte die Einziehung von 50—60 000 Berliner Metallarbeitern, darunter etwa 5000 Vertrauensleuten, hatte das Müten der außerordentlichen Kriegsgerichte, hatte das Verhängen von etwa 130 Jahren Zuchthaus und Gefängnis, hatte der Tod von einigen Genossen die Depression der Massen nicht ins Unglaubliche gesteigert? Waren wir nicht ob diesem Mangel revolutionären Elans bald selbst verzweifelt? Und abgesehen von der Masse, wie war es denn hier in diesem Kreise? Sind nicht ungefähr 200 Genossen durch den Kreis gegangen? Mußten nicht viele immer wieder herangeholt werden? War es nicht selbst hier, bei dem grünsten vom grünen Holze so, daß man an der ?agd verzweifeln konnte, weil man das Empfinden hatte, daß man seine besten Hunde zum Ilagen tragen müsse? Glauben Sie mir sicher, ich war oft, ohne daß Sie eine Ahnung davon hatten und ohne daß ich auch nur einen Einzigen von Ihyen etwas merken ließ, am Rande der Verzweiflung, ob der ganzen Erbärmlichkeit der Masse. Wagnisse sind unternommen worden, wovon immer nur die daran Veteiligten etwas wußten, die, wenn Sie es geahnt hätten, noch manchen aus diesem Kreis herausgetrieben hätten. Es sind Verhaftungen erfolgt, es sind einige verschollen, vielleicht tot, und die Verschollenheit bedeutete für mich oft wochenlang schlaflose Nächte: denn in solchen leiten bangte ich mich um Euch, um die ganze Revolution, trotz aller Vorsichtsmaßnahmen.
Aber abgesehen von alledem, was Sie nicht wissen und auch vorläufig nicht erfahren, welche Gefahren lagen nur in Ihrer Tätigkeit, wieviel Arbeit, wieviel schlaflose Nächte? Wer von Euch hatte geglaubt, daß es möglich sein würde, tausende von bewaffneten Genossen, unter den Augen der Ludendorff- und Scheidemannkreaturen, zusammenzufassen, in taktischen Einheiten zu formieren? Keiner! Welche Vedenken wurden mir von jedem einzelnen geäußert, solange die Frage theoretisch behandelt wurde und in Vorbereitung war? Aber ich weiß auch besser wie jeder andere, mit wieviel lachender, wonniger Begeisterung sich in den einzelnen Vetrieben die weiter der Stoßtrupps fanden. Wie deren Augen leuchteten, wie sie mit Energie an ihre gefahrvolle Arbeit gingen.
Wir haben gewagt in dem Bewußtsein, daß alles Wagen wemger denn nichts sei gegenüber dem gewaltigen, herrlichen und heiligen Ziele. War es nicht unser aller größter Stolz, in äußerster Selbstlosigkeit das Leben einzusetzen und es andern zu retten?
Aber seien Sie sich Klar, Freunde, so nah das Lächerliche beim Erhabenen liegt, noch viel näher liegen sich Heroismus und Dilettantismus, zwei Ismen, die sich nur darin scheiden, daß ersterer nach klarem Wägen in mutigem Wagen die Tat vollbringt, während letzterer bramarbasierend auf Wägen und Wagen pfeifend, in glanzvoller Pose so tut, als ob er täte. Und ich warne Sie vor dem größ ten Verbrechen, vor dem Dilettantismus, der gleißnerisch Sie umstrickt und in dessen Netze sich zu verlieren um so leichter ist, je mehr man sich vom Gefühl allein leiten läßt. Geist ohne Gefühl ist eitel, kühl berechnend, immer wägend, niemals wagend, ist kalt, herzlos, Vorteil und immer nur Vorteil suchend. Gefühl ist, sobald es zum bestimmenden Faktor allein wird, wildstürmend, blindvertrauend, siegestrunken, Erfüllung und nur Erfüllung suchend. In beiden Fällen ist, wenn es sich um revolutionäre Taten handelt, der Mißerfolg gewiß. Im ersten Falle, weil im Wagen um des Vorteils willen die Stunde des Handelns verpaßt wird, im letzteren, weil die Stunde nicht erwartet, dem Gegner die Möglichkeit de? Niederschlagens in die Hand gespielt wird.
Nun bilde sich nicht etwa einer ein, ich wolle ein Loblied auf den goldenen Mittelweg — die Zusammenfassung von spekulativer Niedertracht und Feigheit — singen. Nein! kleinen Mittelweg, sondern Vereinigung von Geist und Gefühl, von Herz und Hirn. Mares Erkennen und Vegeisterung müssen gepaart sein. Man muß die physische und psychische Macht und Kraft des Gegners und die eigene erkennen. Man muß zu erkennen und zu berechnen vermögen, wie sich die Kräfte entwickeln, die gegnerischen und die eigenen, und wenn man dies kann und dann Mut und Entschlossenheit benützt, dann findet man die Stunde. Wie ist nun die beiderseitige Stärke, wie wird sie sich entwickeln, und wann kommt aller Vornussetzung nach die entscheidende Stunde?
Wenn ich nun diese Ausführungen mache, setze ich voraus, daß die Frage der revolutionären Gymnastik hier in diesem Kreise nur dieses eine Mal besprochen wird, daß dieser Kreis nicht zu einem Diskutierklub herabgewürdigt, sondern seiner ureigensten Tätigkeit wieder zugeführt wird.
Im Frühjahr, als ich die Ansicht vertrat, daß die Möglichkeit unseres Handelns von den Ereignissen auf dem Kriegsschauplatze in erster Linie abhänge, stand ich allein. Heute wird wohl niemand mehr anderer Auffassung sein. Sie haben gesehen, wie die Stimmung der Truppen und der Massen mit den Siegen und strategischen Rückzügen aufund niederwogte, und dieses Auf- und Niederwogen ist bestimmend für das Stärkeverhältnis der reaktionären und revoluttonären Kräfte. Und warum? Eine kleine Zahl ist hüben und drüben mit klarem, festem Wollen. Dort skurpelloseste Opferung von Millionen und Abermillionen, um Aufrechterhaltung und Vergrößerung der monarchistischen, militaristischen und kapitalistischen Herrlichkeit willen. Hier der Wille zum Sturz alles dessen, um der Menschheit Lebensglück zu geben. In der Mitte der große Haufen, der im revolutionären Kampfe letzten Endes entscheiden wird, und dessen psychologisches Erkenntnisvermögen ihn auf die eine oder andere Seite wirft. Iene unseligen Machthaber haben in dem Kampfe der rohen Gewalt gegen die Menschlichkeit nicht nur Milliontzn Menschen sinnlos geopfert, fondern sie haben auch die Hoffnungen auf klingende Entschädigung bei dem großen Haufen erweckt. Die Hoffnung auf den Milliardensegen, die im August 1914 mehr als alles andere die Siegesgewißheit auslöste und den Geist des Durchhaltens wachhielt, diese Hoffnung, die heute noch in großen Kreisen lebendig ist, die muß beseitigt werden, und in dem Augenblick, in dem dies geschehen, ist für uns die Stunde des Losschlagens gekommen. Und diese Stunde kann alle Tage kommen, sie muß im Laufe der nächsten Wochen kommen.
Iedem hier ist es klar, daß die Westfront zusammenbrechen muß. Aber draußen der große Haufe glaubt den verbrecherisch verlogenen Berichten Ludendorffs und wird die Wahrheit erst erkennen, wenn die best ausgebaute Stellung, dieSiegfriedstellung, geräumt werden muß. Dann bricht die Hoffnung auf den Milliardensegen zusammen, und dann muß elementar und so wuchtig wie maglich an allen Orten und an den Fronten an einem Tage die revolutionäre Erhebung erfolgen, um die rote Fahne, die Fahne des Friedens und der Freiheit von allen Gebäuden wehen zu lassen.
Unsere nächsten Aufgaben werden dann sein: Den Waffenstillstand abzuschließen, den bedingungslosen Frieden anzubieten, wirtschaftliche Veziehungen im Westen und ganz besonder s im Osten anzubahnen, das Heer zu demobilisieren und zu einer roten Armee zu reorganisieren, Grund und Boden und Produktionsmittel in den Besitz der Allgemeinheit zu überführen, die Verwaltung von Reich und Kommunen, fowie der Vetriebe umzuwandeln, die Techniker, Kaufleute und Veamten durch klare Erlasse und weitgehendes Entgegenkommen für den Aufbau der sozialistischen Wirtschaft zu gewinnen, den kommunistischen und kollektivistischen Ackerbau zu bewerkstelligen und anderes mehr.
Es ist nach meinem Dafürhalten einige Minuten vor Zwölf und wäre wahnwitziger Dilettantismus, wollten wir jetzt dem Gegner unsere Vorbereitungen verraten, ihm die Möglichkeit, uns niederzuschlagen, geben, unsere Aktionsmöglichkeit vergeuden, um in der Stunde, da es zu handeln gilt, gefesselt am Voden zu liegen.
Nun noch ein Wort zu den Waffen. Es wäre hirnverbrannt, wollten wir uns? einbilden, damit die Revolution durchführen zu können. Wir können sie nur beginnen. Die Waffen sollen und müssen bewirken, daß alle Verriebe mit denselben herausgeholt und in den Demonstrationszügen zusammengehalten werden, so daß die Suggestion der Masse in Wirkung gesetzt und daß ferner die Polizei besiegt wird, fo daß das Militär zu uns herübergezogen wird.
Doch nun genug! Ich resümiere und sage:
Wir brauchen Heroismus und keinen Dilettantismus, wir brauchen einen Feldherrn mit Soldaten und nicht Feldherrn ohne Soldaten, wir brauchen revolutionäre Disziplin und keine chaotischen Freischärler, wir brauchen keine RomaNtik, sondern Realität, wir brauchen keine Phrasen, sondern die zielklare, planvoll organisierte, begeisternde, alles, was im Wege steht, hinwegfegende ttevolution. Wir alle hier müssen der Geist und das Schwert der Revolution sein. Wir sind nicht ein Verschwörerklub, sondern das Revolutionskomitee, das von sich sagt, sich sagen muß: Die Sterne kann vom Himmel reißen das eine Wort: ich will!"
Die Beifallsbezeugungen während und nach den Ausführungen bewiesen, daß wir bleiben wollten, was wir waren.
Nack mir sprach Dr. Ernst Maier. Er sprach im Sinne Liebknechts und stützte seine Argumentation auf die russische Revolution, schon damals betonend, daß wir vereint mit Rußland am Rhein kämpfen müßten, um die Revolution nach Frankreich und England zu tragen.
Ernst Däumig, der dann das Wort nahm, ging scharf mit ihm ins Gericht. Er schilderte die russische Revolution kurz und prägnant. Er legte ganz besonders die Novemberrevolution klar und nahm Stellung zu der Phrase der gemeinsamen. Rheinfront, zum Schluß erklärte er, daß er mit mir völlig übereinstimme. Die Sitzung wurde auf Montag vertagt.
In den am Sonntag, den 27. Oktober stattgefundenen fünf Wahlversammlungen sprach überall Liebknecht und glaubte nun, wegen des ihm zuteil gewordenen Veifalls, das Recht zu haben, am Montag erneut für seine revolutionäre Methode Propaganda machen zu müssen und schlug erneut Straßendemanstrationen vor.
Zu dieser Sitzuag, die diesmal in unserm sichersten Lokal stattfand, in Reinickendorf, fuhr ich von einer andern Sitzung mit Lieb-. knecht gemeinsam. Ich sagte ihm, daß er alles tun müsse, um nicht erkannt zu werden, er solle den Kragen hochstellen und den Hut ins Gesicht ziehen und sich in die Ecke des Perrons, mit dem Gesicht nach außen, stellen. Kaum waren wir drei Haltestellen gefahren, war er schon mit einem Manne im Gespräch und der ganze Perron wußte, wer er war. Wir stiegen ab und ich erklärte ihm, daß, wenn er nicht sich so verhalte, wie ich sagte, ich ihn einfach versetzen würde. Wir gingen auf Umwegen, um eine mögliche Verfolgung festzustellen, nach einer andern Haltestelle und fuhren weiter.
Um die Debatte zum Abschluß zu bringen und dann wenigstens das Wichtigste der technischen und organisatorischen Maßnahmen besprechen zu können, schlug ich vor, daß die am Mittwoch tagende Vorstandssitzung der U. S. P. von Groß-Berlin darüber entscheiden solle, ob im Anschluß an die, am kommenden Sonntag stattfindenden Versammlungen Demonstrationen stattfinden sollten.
Wir fuhren um 12 Uhr von Reinickendorf nach Hause, und ich bat Liebknecht dringend, doch ja die größte Vorsicht in der Elektrischen walten zu lassen, damit ihn niemand erkenne. Auch Däumig legte ihm das dringend ans Herz. Die Elektrische kam vollbesetzt von Tegel. Wir drängten noch hinein und waren kaum drin, als Liebknecht ——— mitten im Wagen stehend, Zuchthauserlebnisse erzählte. Wie ein Lauffeuer ging es durch den Wagen: Liebknecht! Liebknecht! Mit solch sträflicher Leichtfertigkeit handelte der Mann dauernd. Die Cluittung hierfür hätten wir zehn Tage später beinahe erhalten.
Mittwochs in der Zentralvorstandssitzung sprach er als erster und trat mit aller Leidenschaftlichkeit für eine Demonstration ein, ausdrücklich für eine bewaffnete Demonstration, sprach von revolutionären Obleuten und bewaffneten Stoßtrupps, wie der Straßenhändler von seinen Streichhölzern. Dies alles in einer Körperschaft, ^ie von alledem, was vorging, zum größten Teil gar keine Ahnung hatte.
Ich sprach nach ihm, schilderte die politische Situation, fragte, wo es revolutionäre Obleute und Stoßtrupps gäbe, und erklärte, ich wüßte lediglich etwas von der gewerkschaftlichen Opposition und bewaffnete Stoßtrupps seien etwas legendenhaftes. Ich bat, da wir am Sonntag bei den paar Versammlungen höchstens 20 000 Mann auf die beine bringen und uns nur lächerlich machen würden, von jeder Demonstration abzusehen.
Nachdem ich gesprochen, ging ich zu Liebknecht, und es entspann sich folgender Dialog:
„Sie wissen, daß ich eine Demonstration nicht nur bekämpfe, fondern für ein Verbrechen halte. Sollte aber die Demonstration beschlossen werden, dann verlange ich von Ihnen, daß Sie mir sagen, wo ich Sie am Sonntag treffe, zusammen mit Maier und Dunker. Ich bringe 4 Vrownings mit je 100 Schuß mit, und wir stellen uns dann an die Spitze des Zuges und —"
„Aber Genosse Barth, Sie sind ja wahnsinnig!"
„O nein, lieber Freund! Nur konsequent! tllso wir gehen an der Spitze des Zuges und wenn wir an die 2chutzmannskette herankommen, dann 1, 2, 2 piff, paff!"
„Aber Genosse Barth, Sie sind ja völlig wahnsinnig!" sagte er nun schneebleich.
„Hören Sie doch weiter, bis ich fertig bin: Und sollte hierbei einer von Euch dreien versagen oder Reißaus nehmen wollen, dann Knalle ich ihn nieder, so wahr ich hier sitze!
„Aber Barth, aus Ihnen spricht buchstäblich der Wahnsinn!."
„Nein, nein!. Nur die Konsequenz! Aber aus Ihnen die Feigheit und der Größenwahn! Sie behaupten, das durch die Säbelhiebe der Schutzleute vergossene Blut erzeuge revolutionären Elan und revolutionäre Tatkraft. Ich nehme an, daß Sie nicht so demogogisch sind, daß dieser Grundsatz für alle mit Ausnahme von Ihnen Gültigkeit habe. Ich sage: wenn ich von dem Proletariat revolutionäre Taten verlange, dann muß ich nicht nur mit gutem, fondern mit dem denkbar bestem Beispiel vorangehen. Und nun passen Sie auf: Wird die Demonstration beschlossen und Sie oder Maier oder Dunker kommen nicht und zwar so wie eben gesagt, dann knalle ich Euch wegen Feigheit und Schurkerei nieder wie Hunde."
„Sie sind wahnsinnig!"
Ich brauchte mein Wort nicht wahr zu machen, der Zentralvorstand lehnte die Demonstration ab.
Von dieser Stunde ab war ich bei Liebknecht der bestgehaßte Mensch, gegen den zu kämpfen ihm jede Gelegenheit und jedes Mittel recht war. von demselben Gefühl war Dunker gegen mich beherrscht, dem ich in dieser Sitzung wegen seiner Feigheit den Marsch blies. Und das Kam so:
Am Sonntag zuvor, am 20. Oktober, fand ein Parteitag der Jugend statt. Dort verleitete er die Iugendlichen» zu einer Demonstration, wobei Vlut floß, er selbst aber hatte den bessern Teil der Tapferkeit erwählt und war ausgerissen. Ietzt dagegen trat er für die bewaffnete Demonstration ein mit derselben Vegründung wie Liebknecht.
Am Donnerstag, den 31. Oktober fand zu Ehren Liebknechts ein Empfangsabend in der russischen Votschaft statt. Es war mir — Mchard Müller und ich waren zusammen hingegangen — das erstemal vergönnt, die geistigen Spitzen und Träger der deutschen Revolution zusammen zu sehen. Da machte ich die Erfahrung, daß man, um zu bvzantinern, weder in Byzanz, noch im Sonnenstrahl eines huldvollen Cäsaren zu weilen braucht. Dieses gegenseitige Verveihräuchern und Anhimmeln war geradezu widerlich. Ich staunte über all die aufgezählten Verdienste, und Richard Müller, den ich an diesem Abend zum ersten Mal wütend fluchen hörte, sagte zu mir, ich solle nun auch eine Tischrede halten, aber eine zünftige. Ich tat dies, und zwar gründlich! Ie verblüffter die Gesichter murden — und so verblüffte Gesichter hatte ich in meWem Leben nie gesehen —, um so ungeschminkter sagte ich meine Meinung. Ich tadelte den Byzantinismus und gedachte der ungezählten Ungenannten und Unbekannten, die mit freudiger Vegeisterung, ohne jede Verechnung, ihr Leben geopfert hatten und weiterhin zu opfern bereit waren.
Im Laufe des Abends sprach ich einige Worte mit Joffe, die einzigen, die ich mit ihm überhaupt wechselte, und ich muß sagen, daß mein Eindruck derartig war, daß ich mich später über seine beiden Funksprüche nicht im geringsten wunderte.
Mitte Oktober erklärte Ledebour den Genossen Däumig, Müller und mir, daß ein Oberleutnant bei ihm gewesen sei, um sich der Lewegung zur Verfügung zu stellen, wir sollten den andern Abend zu ihm in die Wohnung kommen, um uns den Mann selbst anzusehen und zu entscheiden, ob wir ihn verwenden oder nicht, auf ihn habe er einen sehr guten Eindruck gemacht. Es war bei allen unseren militärischen Veratungen immer der wunde Punkt, daß wir keinen technisch geschulten Offizier hatten, und unser Plan war immer gewesen, daß, wenn es foweit sei, wir Veerfelde befreien wollteZ, mit List oder Gewalt. Aber es war natürlich zu begrüßen, wenn wir von vornherein einen zuverlässigen Offizier bei den Vorbereitungen gutachtlich hören konnten, und fo willigten wir ein. Am andern Abend waren wir mit noch zwei Genossen bei Ledebour. Dieser hatte dem Offizier, der sich als Lindner vorstellte — Ledebour hatte er seinen richtigen Namen, Walz, gesagt — alles erzählt, was er wußte. Das war allerdings nicht allzu viel. Aber auch wir hatten allesamt bald jeden Argwohn und jedes Mißtrauen abgelegt und da die Sache eilte, so besprachen wir allgemein den etwaigen Aufmarsch und beauftragten ihn, bis Montag Kartenmaterial zu besorgen um dann eingehend den Operationsplan zu besprechen und festzulegen. In zwei weiteren Sitzungen legten wir nun den Aufmarschplan fest, wobei wir leider feststellen konnten, daß die Hinzuziehung und Einweihung des Walz vollständig überflüssig war. Doch es war geschehen, ein Zurück gab es nicht, ohne zu brilskieren, und am Tage oder besser den Tagen des Kampfes konnte sich der Nutzen erweisen.
Wohl war uns allerdings bei der ganzen Sache nicht. War dieser Offizier ein gut instruierter, für die Rettung des Vaterlandes zum Sterben bereiter Iünger Ludendorffs, dann konnte uns unversehens die rächende, d. h. die uns an die Wand stellende Nemesis erreichen, die Revolution, wenn auch nicht für immer, fo doch für unabsehbare Zeit erdrosselt werden. Ganz besonder s mißtrauisch war Richard Müller. Als er wegen der Niederbarnimer Reichstagswahl beurlaubt worden war, erklärte er mir an einem der ersten Abende: „Ich bin ja eigentlich ganz gegen meinen Willen in die ganze Bewegung hineingekommen. Ich wollte nur die gewerkschaftliche Opposition, und den Burgfrieden zu beseitigen. Es zog immer weitere und tiefere Kreise, bis ich eben, da das Wirtschaftliche ja eng mit der Politik zusammenhängt, völlig in der Politik drin stand. Aber — Deine ganze waghalsige Art, ich weiß nicht, mir grauts davor. Ich weiß nicht, wo ein Mensch den Mut hernimmt zu alledem, was Du machst. Ein einziger Vlaupfeifer, und wir alle, die Revolution, die U. S. P., kurz, alles ist erledigt."
„Na," sagte ich, „wenn du der Auffassung bist, warum trittst du nicht dagegen auf?"
„Nein," erwiderte er, „wenn die Sache dann schief ginge, weil eine derartige Organisation fehlte, dann hätte ich die Verantwortung. Außerdem ist ja alles viel zu weit fortgeschritten, und auch Deiner ganzen Argumentation kann ich mich nicht verschließen."
Aber dann tauchte bei ihm wieder starker Pessimismus auf. Rich. Müller mußte nämlich ein Hauptquartier suchen, von dem aus es möglich war, die Revolutionsschlacht acht Tage zu leiten. Für acht Tage Proviant für etwa acht Mann und einigermaßen Liegegelegenheit sollte vorhanden sein. Er fand es und bestand mir gegenüber darauf, daß Walz dies nicht erfahre. Damit war ich einverstanden und walz erfuhr nichts.
Wir hatten am 1. November dort unsere erste Sitzung, wozu vom Parteivorstand Haase und Ledebour, vom Spartakusbund Liebknecht und Piek zugezogen waren, yaase war jedoch nicht erschienen. An diesem Abend schlug ich vor, wir sollten Sonnabend den Obleuten empfehlen, am Montag, den 4. November loszuschlagen. Nachdem ich diesen Vorschlag begründet hatte, wurde er ohne Diskussion angenommen. Wir besichtigten dann eingehend die Räume, prüften die Verteidigungsund Fluchtmöglichkeiten, besprachen die Vestimmung der einzelnen Zimmer, die Verproviantierung und die Munitionsfrage. Es war an diesem Abend wirklich eine Stimmung, wie sie bei solch ernsten Angelegenheiten immer sein müßte: es wurde wenig, aber um so vernünftiger geredet.
Die Kuriere, die im Laufe der Woche von allen Provinzzentralen zurückgekommen waren, berichteten übereinstimmend guten Geist und Tatentschlossenheit, und ferner brachten alle die Zusicherung, daß nicht ohne unsere Anweisung, dann aber auch sofort, gehandelt würde. Die Berichte von der Front, wie auch die der Obleute der berliner Regimenter, ganz besonders aber von der weiteren Umgebung Berlins waren sehr gut.
Ich erledigte nun alle Angelegenheiten der Unterstützungskommission. Dies war nicht so ganz einfach, denn das Geld war von der Dank abgehoben und an sicherer stelle untergebracht, damit es der Staatsanwaltschaft bei einem etwaigen Zufassen nicht in die ljände fallen sollte. Das hatte ich gemacht, ohne jemand zu fragen, und erst bei der Revision hatte ich es erklärt. Die Revisoren weigerten sich, zu entlasten, und so mußte ich einem von ihnen sagen, wo es liegt.
Es war nun schwer, jemanden zu finden, dem man indirekt etwas sagen konnte, der nicht bei einem Mißlingen über die Klinge springen oder flüchten müßte und trotzdem verschwiegen war. Auch das wurde erledigt.
Am Sonnabend, den 2. November, kamen wir vormittags in Neukölln zusammen: Barth, Brühl, Däumig, Eckert, Franke, Haase, Ledebour, Liebknecht, Neuendorf, Piek und Walz. Wir besprachen eingehend unsern strategischen Aufmarschplan, an Hand der in die Karten eingezeichneten Lage der Großbetriebe, der Kasernen, der Kommandanturen, der Polizeireviere und der öffentlichen Gebäude. Ich hatte bereits die Kuriere für die einzelnen Züge — insgesamt 11 — bestimmt, und wir konnten mit gutem Gewissen feststellen, daß alles, was nach menschlicher Voraussicht getan werden konnte, getan war und daß wir, wenn überhaupt, sehr wohl die Verantwortung für die Empfehlung des Losschlagens mit allen seinen Solgen übernehmen konnten.
Walz erklärte am Abend, dienstlich verhindert zu sein, und ich verabredete mit ihm eine Zusammenkunft am andern Morgen um 8 Uhr. Am Abend fand nun die Sitzung der Obleute statt, zu der das erste Mal der Parteivorstand und einige Genossen der Spartakusleitung hinzugezogen waren. Ich eröffnete die Sitzung und führte folgendes aus:
Werte Genossen!
Zu folgenschwerer, weltgeschichtlich bedeutungsvoller Entscheidung sind wir heute zusammengekommen. Um es vorweg zu nehmen: Wir vom Kopfe empfehlen Ihnen zu beschließen, am Montag loszuschlagen. Das Vertrauen müßte ja nun eigentlich so weit gehen, oajj, wenn wir Ihnen einen derartigen, weitgehenden und verantwortungsvollen Vorschlag unterbreiten, Sie ihn ohne Begründung annehmen müßten. Wir sind jedoch einmütig der Auffassung, daß von Ihrer Willensstärke und Ihrer Tatkraft ein wesentlicher Teil des Erfolges abhängt und daß bei einem Mißlingen auch auf Sie — nicht etwa die Strafe, denn darauf pfeifen wir — aber ein Teil der Verfluchungen der Masse entfällt. Darum, sage ich, sind wir einmütig der Auffassung, daß Sie so weit wie möglich über alles unterrichtet werden müssen, um Ihre Entscheidung treffen zu können.
Die Stunde ist da, in der wir eine geschichtliche Aufgabe zu erfüllen haben, im Interesse des Sozialismus, der Menschheit und des gesamten deutschen Volkes. Und es. wäre mehr als verbrecherisch gehandelt, wenn wir zu kurzsichtig, zu schwachmütig, oder gar zu feige wären, wenn wir diesen Schritt, der allen, ohne Ausnahme, nützen soll, nicht unternehmen würden.
Warum ist nun diese Stunde die allein richtige? Warum ist das Handeln zwingendes Gebot selbst auf die Gefahr einer Niederlage hin? Warum bietet diese Stunde die höchste Wahrscheinlichkeit des Gelingens? Und warum dient es gerade jetzt dem ganzen Volke, der Menschheit und dem Sozialismus?
Massenbewegungen beruhen auf Massensuggestion, und von tausend solcher Massensuggestionen sind 999 erzeugt durch die Lüge, Demagogie und Niedertracht, und nur eine durch Wahrheit! Diese durch Wahrheit erzeugte kann nur in einem bestimmten Augenblick erzeugt werden, weil sie im nächsten Augenblicke schon wieder durch die Lüge erdrückt ist. Die Wahrheit zeigt sich elementar, bitter, schreckenerregend, und weil sie jedem Schausvieler — das sind 999 von 1000 Menschen — die Maske herunterzureißen droht, darum wird die Wahrheit verabscheut, verfolgt, gehaßt, und willig folgt man der alles verschönernden, in Glorienschein gehüllten Lüge.
Doch jetzt, gerade jetzt suggeriert die Wahrheit gewaltig, elementar. Die Kriegs- und Siegestrunkenheit ist augenblicklich einem ernüchternden Katzenjammer gewichen. Die Hoffnung auf den Milliardensegen ist auch bei dem Dümmsten begraben, die Gottähnlichkeit der Hohenzollern und Ludendorffs ist in die Vrüche gegangen. Der Hunger, der Kummer, das Elend, die Sorge haben den Schrei nach Friede und mehr, den Schrei nach Rache gegen die Schuldigen in jedem herzen entfacht.
Darum ist diese Stunde die richtige, weil die Stimmung der Massen uns günstig ist.
Zwingendes Gebot ist es, jetzt zu handeln, weil wir allein und nur wir, eineil Waffenstillstand von der Entente erhalten können, und weil, wenn dieser Waffenstillstand nicht schnell erfolgt, Hunderttausende unserer besten und kräftigsten Brüder und Genossen, die bei dem Kampfe und noch viel mehr nachher bei dem ungeheuer schwierigen wirtschaftlichen Aufbau so notwendig gebraucht werden, auf dem an Schrecken und Verwüstung alles bisherige weit übertreffenden Rückzuge rettungslos verloren sind. Unsere Feigheit wäre ihr Morder, unsere Erbärmlichkeit wäre schuld an der Verwüstung fast aller deutschen Gaue.
Sie ist auch zwingend wegen des sicheren Erfolges! Der Erfolg ist verbürgt durch die Massenstimmung nicht nur des Proletariats, fondern all derer, die an Kriegsprofiten nicht interessiert sind, vor allem auch durch die infolge der Niederlage erzeugte Depression der militärischen Kamarilla. Und deren Sturz allein Kann das gesamte Volk vor dem nrausigsten Elend und dem völligen Untergang erretten.
Wir dienen aber mit unserm Handeln auch der gesamten Menschheit, weil es den Krieg beendigt, und alle Mütter, deren Sölme noch nicht gemordet sind, erleichtert aufatmen läßt.
Wir sind die Friedensbringer! Und Friedensbringer zu sein, das ist unsere erste und heiligste Pflicht, weil wir durch nichts eine gleich gewaltige moralische Eroberung für den Sozialismus zu machen vermögen, weil wir hierdurch die Sympathie der Entente-Völker im Sturme erobern, und weil die Ententeregierungen keine Repressalien gegen die Sriedensbringer verhängen können aus Furcht vor innerpolitischen Widerständen.
Seien Sie sich klar, daß beides für uns Notwendigkeiten sind: Die Sympathie der Ententevölker ist für uns Brot, aber die freundichaftliche Haltung der Ententeregierungen ist uns Licht und Luft.
Wollen wir den Sozialismus, die Expropriation der Expropriateure, dann müssen wir handeln, handeln am Montag. Mit unsern Stoßtrupps holen wir alle Vetriebe bis auf den letzten Mann heraus, mit ihnen werden wir der Polizei Herr. Mit dieser Masse und diesem Siege, fo wird mir von unsern Vertrauensleuten bei den hiesigen Regimentern versichert, holen wir ohne schwere Kämpfe die Soldaten zu uns herüber. Aber auch bei hartem und schwerem Kampfe stehen einige Regimenter hier und in der weiteren Umgebung Berlins mit Kavallerie und Artillerie auf unserer Seite.
Sie wissen, ich habe immer und immer mich dagegen verwahrt, um des Scheins willen etwas zu unternehmen. Heute aber sage iches geht um das Sein! Nicht eine Demonstration, fondern die Revolution, die sozialistische Revolution foll am Montag marschieren, jeden erfüllend mit dem Geiste des Worts:
Lieber im Sturme stehn, als bitten und betteln müssen,
Lieber zugrunde gehn, als andern die Füße küssen!
Ich bitte nun, da wir noch ungemein viel organisatorische und technifche Arbeiten zu erledigen haben, daß nur solche Genossen ums Wort bitten, die anderer Auffassung sind, und nur die Obleute.
Wünscht nun jemand das Wort?"
Es meldete sich erst der Genosse Richter von der Firma C. P. Görz. Er sprach dagegen, da in seinem Verriebe die Kollegen noch nicht so weit wären. Nach ihm sprachen noch drei mit derselben Argumentation. (Sie sind heute alle stramme Kommunisten!)
Nun wurde allgemeine Diskussion beschlossen.
'Als erster sprach Däumig, ganz in meinem Sinne und mit seiner ganzen Wärme und Leidenschaft.
Dann sprach Dittmann:
„Nutzloses Beginnen, sträflicher Leichtsinn, Revolutionspielerei, ein Verbrechen, jetzt von Revolution zu reden, da deren blutige Niederschlagung sicher. Ueberhaupt, erst muß der Friede geschlossen sein, ehe von Revolution die Rede sein Kann, ich warne und lehne jede Verantwortung ab."
Dann sprach Liebknecht, trotzdem er am Tage mit dabei gewesen war, scharf dagegen, daß man hier von dem Kampfe rede, es sei ein Kampf, kurz, warf in dieser Stunde Theorien auf, Haarspaltereien. Er schlug tägliche Demonstrationen vor und andere Lächerlichkeiten.
Piek plätcherte in demselben Wasser.
Haase, der ebenfalls am Tage mit dabei gewesen war, ohne ein Wort gesagt zu haben, trat nun ganz auf den Standpunkt des von ihm instruierten Dittmann, warnte, malte schwarz in schwarz und warnte, nicht nur für heute, sondern überhaupt bis für die Zeit nach dem Frieden.
Ledebour mit seinem grauen Haar und seinem jugendlich feurigen Herzen ging darauf, sich völlig auf meinen Standpunkt stellend, mit Liebknecht, Dittmann und Haase scharf ins Gericht.
Rich. Müller sprach ebenfalls mit wenn und aber, mit einerseits anderseits, zwar nicht für völlige Vertagung, aber für eine Vertagung auf acht Tage.
Däumig, der innerlich kochte, ging gegen Müller, Haase, Dittmann und Liebknecht los.
Es sprachen noch einige Genossen.
In meinem Schlußwort bedauerte ich nur, daß wir überhaupt die nichts wollenden, nichts wissenden, nichts könnenden und darum immer verwirrten und andere verwirrenden Generale in unseren Kreis zugezogen hätten. Ich erklärte: Wenn ich auch Liebknechts verkehrte Methode bekämpfe, die Folge seiner Weltfremdheit ist, w könnte ich sie doch verstehen. Aber Dittmann, der ebenfalls hinter Gefängnismauern saß, empfehle ich, sich eine Zipfelmütze zu kaufen, sich hinter den Ofen zu setzen und Politik Politik sein zu lassen, sonst muß ich annehmen, daß er zu den von Däumig gekennzeichneten Parasiten gehört, die zitternd und bebend auf dem Sprunge stehen, um nicht mitzutaten, die aber beim Gelingen die Ersten sind, wenn es gilt, sich im Glorienschein zu zeigen. Eine Abstimmung habe nun nur noch informatorischen oder auch vielleicht historischen Wert: denn eine solche Aktion, ohne einheitlichen Willen unternommen, ist verdammt zur Niederlage.
Es stimmten 19 Obleute — nur diese hatten Stimmrecht — für, 21 gegen eine Aktion am Montag, den 4. November. Dann wurde einstimmig beschlossen, die Vorbereitungen weiter zu treiben, um möglichst am 11. loszuschlagen.
Der erste Leichenzug der deutschen Revolution, mit dem revolutionär-sozialistischen Geiste im Sarge, pilgerte an diesem Abend durch Berlin. Die Haase, Liebknecht, Müller, Piek und Dittmann triumphierten, die Pfiffigkeit und Aengstlichkeit hatte dem Weitblick und der revolutionären Entschlossenheit ein Vein gestellt. Die Evolution. erdrosselte die Revolution.
Am Sonntag früh traf ich mich mit Walz. Er war bei meinem Vericht ganz niedergeschlagen. Wir besprachen das nächste und verabredeten eine Zusammenkunft für Montag nachmittags. Ich sah dann einige militärische Obleute, die ganz verzweifelt waren, da sie nicht wußten, ob sie die bereits getroffenen Maßnahmen wieder rückgängig machen könnten. Es war Sonntag und Montag eine Hetzjagd. Hinzu kam, daß meine beiden Söhne von 17 und 16 Iahren schwer krank an der Grippe lagen. Doch ich selbst hatte ja die Parole gegeben: Und wenn Vater und Mutter, Bruder und Schwester, ja selbst Frau und Kinder auf dem Totenbette liegen, jeder hat beim Nufe zu erscheinen Vitter sollte sich das an mir erfüllen. Am Montag, mittags zur verabredeten Zeit, kam Walz nicht. Ich hatte eine Vorahnung. Ich ging nach seiner Wohnung und hörte von seiner Wirtin, daß er verhaftet und bei ihm HausBuchung nach politischen Schriften gewesen sei. Sofort wurden alle ihm bekannten Genossen gewarnt. Meine Frau wurde benachrichtigt, daß ich nicht nach Hause kommen könne. Armes, liebes Weib! Am Aliend starb mein sechzehnjähriger Sohn.
Mittwoch Vormittag hatten wir eine Sitzung in Reinickendorf, wo wir mit den Obleuten und Stoßtruppführern den Aufmarsch der einzelnen Betriebe mit all ihren Aufgaben und ihren Zielen festlegten. Plötzlich Kam die Nachricht, draußen sind Spitzel. Ich hob sofort die Sitzung auf und drängte auf schnelles Verlassen, erneut einschärfend, bei Verhaftungen jede Aussage zu verweigern. Plötzlich fuhr ein Auto mit Polizeioffizieren und auf drei Lastautos etwa 200 Schutzleuten mit Karabinern vor. Ich ging die Treppe hinauf, und als die Schutzleute ins Haus stürzten, ging ich pfeifend runter und auf meine Frage, was da los sei, brüllte mich ein. Leutnant an: Scheren Sie sich weg oder ich lasse Sie arretieren. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und verschwand.
Ich fuhr nun nach Hause, um meine Frau von dritter Person holen zu lassen. Ich wollte andere Kleidung anziehen. Als ich an der Haltestelle ausstieg, rief mein 3 jähriger Junge: Papa! Papa! Meine Frau kam aus einem Sarggeschäft heraus, wir traten in die Haustüre und ich erriet sofort' der Ih jährige Sohn war Montag nacht5 gestorben. „Um 6 Uhr jetzt wird er eingesargt, du kommst gerade recht. Am Freitag ist die Veerdigung."
„Liebe Frau! Ich kann nicht nach Hause! Hole mir die und die Kleidungsstücke, so und so!" Eine gallenbittere, schwere Stunde, ganz besonders für meine treue Frau.
Sie holte mir das Gewünschte, sie schied von mir unter Crimen, nachdem ich ihr gesagt: Kopf hoch, wie es auch kommen mag! In den nächsten Tagen fällt die Entscheidung. Fällt sie wider uns, wider mich und. sie hängen mich, so Komme im weißen Kleide, lache, spotte ihrer und impfe dem Hellmut deinen und meinen Haß ein, erziehe ihn zu meinem Rächer!"
Fieberhafte Tätigkeit allerorts war notwendig.
Paul Eckert, der treue Eckehard, half hinten und vorn und überall, wie vom ersten Tage ab, bis zur letzten Stunde. Km Freitag früh sollte eine Sitzung stattfinden.
Haase war glücklicherweise weggefahren nach Kiel. Dort war zum großen Schaden der Revolution, zum Teil durch meine Venachrichtigung, zum Teil durch die in der Oeffentlichkeit bekannten Voraünge, nicht die Revolution, aber eine Revolte ausgebrochen.
Durch die tölpelhafte Vespitzelung des Schiffbauerdammes, des Parteibüros, wußten alle, daß Dir bespitzelt wurden. Daher wurde die Sitzung, die in der Nähe stattfinden sollte, sofort unterlassen.
Müller und Liebknecht hatte ich nach einem andern Lokal bestellt. Ich wartete dort und wartete bis 1/2 1 Uhr, dann rief ich im Parteibüro an und frug nach Däumig, wo mir die Antwort wurde, Däumig sei vor dem Hause verhaftet worden und wahrscheinlich auch Müller und Liebknecht.
Hallo! Die Würfel waren gefallen! Schnelles Handeln ist doppeltes Handeln. Ich machte mich sofort auf die Veine, um zum Abend die Obleute, Stoßtruppführer und Kuriere zusammenzurufen. Es gelang! Hab Dank, hab tausend Dank, die du mir Herbei so große Hilfe geleistet!
Abends um 8 Uhr betrat ich, nachdem ich die ganze Umgebung genau kontrolliert hatte, das Lokal und eröffnete sofort die Sitzung wie folgt!
„Genossen! Unsere Sitzung ist eröffnet!
Däumig, Müller und Liebknecht sind verhaftet!
Ich beantrage nunmehr, daß mir diktatorische Vollmacht gegeben wird!
Wünscht hierzu jemand das Wort? Das geschieht nicht, dann kommen wir zur Abstimmung. Wer dafür ist, ersuche ich, die Hand zu erheben! Danke! Gegenprobe! ich konstatiere einstimmige Annahme.
Ich diktiere nun: Morgen früh geht es los!
Ich diktiere weiter: Heute geht von euch keiner nach Hau je!
Ich diktiere ferner: Es darf keiner vor morgen früh um 6 Uhr allein gehen, sondern immer nur zu zweien, damit dauernd jeder überwacht ist. Das ist kein Mißtrauen, das ist Vorsicht.
Nun ist die Sitzung solange vertagt, bis Ich den morgen zu verteilenden Aufruf, geschrieben habe
Ich schrieb nun folgende Zeilen, unter lautloser Stille der Versammelten:
Arbeiter, Soldaten, Genossen!
Die Entscheidungsstuncle ist da! Es gilt der historischenen Aufgabe gerecht zu werden.
Wärend an der Wasserkante die Arbeiter- und Soldatenräte die Gewallt in Händen haben, werden hier rücksichtslos Verhaftungen vorgenommen. Däumig uncl Liebknecht sind verhaftet.
Das ist der Anfang der Militärdiktatur, das ist der Auftakt zu nutzlosem Gemetzel.
Wir fordern nicht Abdankung einer Person, sondern Republik!
Die sozialitische Republik
mit Allen ihren Konsequenzen.
Auf zum Kampf für Friede, Freiheit und Brot.
Heraus aus den Betrieben,
Heraus aus den Kasernen!
Reicht Euch die Hände,
Es lebe die sozialistische Republik.
Der Vollzugsausschuss des Arbeiter- und Soldatenrates.
Barth, Brühl, Eckert, Franke, Haase, Ledebour, Liebknecht, Neuendorf, Piek, Wegmann.
-
Anwesend von den Unterzeichneten waren nur Eckert und ich — — da es gut ging, hat nicht einer auch nicht einmal ein Wort darüber verloren. wenn es aber schief gegangen wäre, wie wäre ich abgeschüttelt und gesteinigt worden. Erfolgsanbeter oder Nutznießer des Erfolgs!
Ich gab nun einem Genossen den Auftrag, hiervon soviel drucken zu lassen, wie es geht, mindestens aber 20 000, so daß in jeder Fabrik mindestens doch 100 Zettel herumgehen könnten.
Er erklärte, das ginge jetzt nicht mehr.
Ich erwiderte ihm, du mußt! Und morgen früh um 1/2 5 Uhr bist du mit den Aufrufen da und da, im Auto. Er ging und erledigte prompt seine Aufgabe.
„Nun, Genossen, kommen wir zu einer außerordentlich wichtigen Frage. Erschrecken Sie nicht! Seit Sonntag ist der Oberleutnant, von dem ich andeutungsweise sprach, verhaftet, und er scheint den mit ihm zusammen ausgearbeiteten Plan verraten zu habendenn gestern bekamen wir den nagelneuen Aufmarschplan des Oberkommandos. wir müssen nun ebenfalls unseren ganzen Plan ändern. Aber das eine sei vorausgesagt keine Notizen! Jeder hat das ihn angehende sich genau zu merken."
Wir stellten nun den am andern Tage dann auch eingehaltelien Marschplan der 11 Züge auf. In drei Stunden war diese Arbeit erIedigt.
Ich gab sodann folgende Anweisung zur allgemeinen Befolgung: „Unser Streben und Ziel ist. Sturz der Machthaber und Ergreisung der Macht. Kostet dieser Kampf Opfer, so ist dies ein bedauerlicher Begleitumstand, bei dem jede Sentimentalität auszuscheiden hat. Aber ebensowenig, wie Sentimentalität, darf Brutalität irgendwo treibender Faktor werden. Sie müssen bestrebt sein, darauf hinzuwirken, daß möglichst wenig Blut fließt, ganz besonders darf nicht ein Tropfen nach der Kampfhandlung vergossen werden. Dies ist das Prinzipielle für den morgigen Tag.
Taktisch wird allgemein folgendermaßen verfahren: Wer in Ihren eigenen Vetrieben, sich weigern sollte, herauszugehen, dem halten Sie einen Vrowning unter die Nase, dann wird schon alles laufen. Tritt einer provokatorisch, aktiv gegenwirkend auf, dann heißt es handeln, ein Exempel statuieren; denn seien Sie sich immer Klar: die Masse muß es sein. Dann haben Sie den Zug so an. zuordnen, daß ein Drittel Ihres Trupps, verstärkt durch die Handgranatenkolonne, an der Spitze, ein Drittel am Ende und ein Drittel als Begleitung des Zuges links und rechts marschiert, die auch das Abbröckeln zu verhüten haben.
In den Betrieben, die Sie herauszuholen haben, verfahren Sie ebenso. Fabriktore nehmen Sie, falls sie verschlossen sind, mit Gewalt! Soldaten, die Sie treffen, reihen Sie, falls sie bewaffnet sind, an der Spitze des Zuges, wenn unbewaffnet, hinter den Stosstrupps ein. Kommt der Zug an eine Schutzmannskette, dann muh schnell gehandelt werden. Es heißt da! entweder — oder! Eniweder sind sie gegen Euch, dann müssen sie für die Sache der Menschlichkeit fallen oder sie müssen den Kampfplatz räumen. Kommt Ihr an eine Kaserne, dann beginnt das Fraternisieren. Eine Deputation geht in die Kaserne, um zu verhandeln. Aber energisch oder gar nicht und auf Keinen Sall provozierend! Sind die Soldaten zu gewinnen, so werden die Offiziere abgesetzt und erhalten zu ihrem eigenen Schutz Kasernenarrest.
Das weitere, ob der Kampf schnell oder langsam geht, das ist heute nicht zu sagen. Doch wie es auch Kommt, strenge revolutionäre Disziplin verlange und erwarte ich von Euch! Der Einzelne von Euch kann und muß seine Lage, seine Sellung, seine Situation überschauen, aber er kann nicht das ganze Schlachtfeld übersehen. Darum strikte Vefolgung der vor mir kommenden Anweisungen.
Folgende Möglichkeiten gibt es:
1. Schlagartiger Erfolg und Sieg auf der ganzen Linie.
2. Schlagartige Niederlage.
3. Mehrtägiger Kampf mit Erfolg.
4. Mehrtägiger Kampf mit Niederlage.
5. Wechselvoller, zäher, lange Zeit dauernder, blutiger Kampf.
Prophezeihen wie es kommt, wäre müßig, wir sagen: Sieg auf alle Fätle, Sieg oder Tod!
Um dies zu ermöglichen, ist ein guter Kurierdienst die Hauptsache. Ieder Kurier des Zuges hat für einen Ersatzmann zu sorgen und der hat wieder einen für sich zu beschaffen, so daß die Meldungen stündlich einlaufen.
In diesen Meldungen ist anzugeben:
1. In den Vetrieben Veschäftigte, 2. Herausgegangene, 3. am Zuge Teilnehmende, 4. Zusammenstöße mit der Polizei, hierbei Tote, Verletzte, 5. Zusammenstöße mit Militär, wieviel zu uns übergegangen, 6. gegenwärtiger Aufenthalt, 7. wo in einer Stunde. Die letzten beiden Fragen sind sehr wichtig, da hiervon die ganze DisPositionsmöglichkeit abhängt. Der erste Kurier geht von allen Zügen um 9 Uhr ab, sodann stündlich. Der zweite Kurier wartet schon auf Befehle, so daß von ungefähr 12 Uhr ab alle Fäden in meiner Hand zusammenlaufen, der Angriff planmäßig erfolgt. Was genommen wird, hängt dann von unserer Stärke ab: OberKommando, Präsidium, Wilhelmstraße, Reichstag usw."
„Wohin bringen wir nun die Nachrichten?"
Ich schlug — Patrioten, erschreckt nicht! — den Alten Fritzen im Friedrichshain vor. »Der, der dort stehen wird, hat einen weißen Taschentuchzipfel aus der linken Paletottasche hängen, und die, die Kommen, aus der rechten. Keine langen Erzählungen, sondern alles Kurz auf ein Stück Papier.
Hiermit wären wir so ziemlich am Ende. Doch eins, was mich bedrückt, möchte ich noch sagen:
Es ist bitter, aber wahr! Seit Monaten drängte ich darauf, planvoll alles vorzubereiten, für den Taa nach dem Kampfe, einen Plan und die dazu notwendige Organisation. Es rächt sich vielleicht bitter, daß wir in der Stunde der Handelsnotwendigkeit die Zeit vertrödeln müssen mit Diskussionen. In den ersten Tagen muß sich entscheiden, ob die an die Spitze zu stellenden Männer die Größe ihrer Stunde erreichen. Ob sie im In- und Ausland einen Jubelruf auszulösen vermögen, oder ob sie um des i-Punktes willen tausend Möglichkeiten zertrümmern. Ob sie die Ernährungs-, Arbeitsbeschaffungs-, Waffenstillstands-, Friedens und Demobilisations und Mobilisationsfragen zu lösen verstehen. Wer und was die Männer sind. Nichts, absolut nichts ist geprüft, organisiert. Doch lassen wir die Sorgen des Morgen, heute haben wir genug mit dein Heutigen, mit dem Kampfe.
Sie alle treffen sich um 2 Uhr am .... platz, aber nicht auf einem Haufen, von da werden Sie dahingeholt, wo Sie die Handgranaten mitnehmen. Ieder besorgt sich einen Sack, Korb oder Kiste, von wo ist gleichgültig. Ich werde nun noch jedem 50 MK geben, damit Ihr essen könnt und fahren."
Der Genosse, bei dem die Eier lagen, suchte sich einige Genossen aus, die er gleich mitnahm, um die Vorarbeiten zu erledigen. Auch. ihm sei hier als einem der Allerbesten gedankt.
Um 1/2 1 Uhr wurde die Sitzung geschlossen.
Am Alexanderplatz wurde ich dann beinahe noch verhaftet. Iedoch in die dunkle Seitengasse wagten sich die Greifer nicht nach Dank euch Freunde, die ihr mich gerettet.
Wir gingen noch 1 1/2 Stunden, dann legte ich mich todmüde bis 6 Uhr ins Vett. Auch dir, treue Seele, die heute der Rasen deckt, die du monatelang alles gewagt und den Abend mich gesättigt hast, auch dir sei Dank.
Um 6 Uhr standen Paul Eckert, der bei mir war, und ich auf und fuhren nach Schöneberg, wo einige Genossen sein sollten, die am Abend zuvor, wie ich später hörte, im Reichstag zusammen gewesen waren, um zu – – – diskutieren.
Wir fanden Keinen Menschen und fuhren nach Berlin zurück Ich ging nach einem Lokal, wo ich das Hauptquartier, dargestellt durch einen Stadtplan, den ich auf dem Tisch auslegte, aufschlug. Das Revolutionskomitee bildete ich mutterseelenallein, Eckert stand am Alten Fritzen.
Um 10 Uhr kamen die ersten Berichte: Schwartzkopf-Scheringstrake, Konsum-Lichtenberg, Riebe-Weissensee. Alle Berichte über Erwarten gut. In eigenen sowohl wie in den herauszuholenden Betrieben alles heraus und alle im Zuge und an jeden Zug schon einige tausend Soldaten angeschlossen. Ich jubelte.
Die weiteren Meldungen entsprachen völlig den ersten.
Den zweiten Kurieren wurde die allgemeine Parole nach dein Stadtinnern gegeben, mit der Maßgabe, die öffentlichen Gebäude zu nehmen, jedem Zuge ein bestimmter Aüftrag.
Um 3/1 12 Uhr kam Rich. Müller zu mir. Ich begrüßte ihnn „Gott seis getrommelt und gepfiffen, daß endlich einer kommt, damit wir uns über die nächsten Maßnahmen besprechen Wo kommst du denn jetzt her?" „Ich komme jetzt von Zuhause! Jetzt gehe ich erst etwas essen, und dann will ich mal ein bißchen Revolution ansehen," erwiderte er mir und verschwand. Das war für mich ein Dämpfer!
Um 1/2 12 Uhr kamen Jäckel und Dittmann-Hamburg, und erklärten mir, es seien schon Verhandlungen mit Scheidemann und Ebert gewesen, wegen gemeinsamer Uebernahme der Regierung „Was?" sagte ich, „gemeinsame Regierung mit den Verrätern? Ausgeschlossen!" Da erklärte mir Dittmann, daß sie in Hamburg von der Masse zur Einigkeit gezwungen worden seien, und daß es uns hier ebenso gehen würde. Darum sollten wir nur gleich darauf eingehen.
Ich fuhr nun mit nach dem Reichstag. Da saßen nun im Zimmer 18 die Leuchten und Größen der U. S. P., so unbeholfen und zerfahren, wie eine vom Marder umkreiste Hühnerschar. Alles schrie Haase, wenn nur Haase da wäre, als ob von ihm das Heil der Welt abhinge. Der eine schrie hü der andere hott. Die Kretinierung des Parlamentarismus zeugte potenzierte Hilflosigkeit.
Während die Demagogen der S. P. in jedem Zimmer des Hauses eine andere Soldatenversammlung abhielten, gegen die U. S. P hetzend, ebenso in allen Kasernen. saß ein Teil der U. S. P.-Führer zusammen, um sich gegenseitig die Lösung des Welträtsels vorzudeklamieren, während die andere ßälfte auf den Straßen Reden schwang, auf der Straße, statt in den Kasernen, bei den uns sichern Arbeitern, statt bei den Soldaten.
Ich selbst sorgte nun dafür, daß unsere Genossen, so gut und so schlecht es eben ging, ebenfalls in die Sitzungen und in die Kasernen gingen. Leider ging es schlecht. Die Programmlosigkeit und die Organisationslosigkeit rächten sich jetzt bitter. Die Debatte — die, wenn wir ein vorher festgelegtes klares Programm gehabt hätten, unmöglich gewesen wäre – zog sich stundenlang hin. Während dieser Zeit kam zweimal Scheidemann, um zu fragen, ob wir uns entschieden hätten. Doch immer tauchten neue Meinungen auf, und immer gab es neue Störungen, Deputationen der verschiedenen Regimenter erfolgten, die immer dringlicher die Einigkeit forderten.
Gegen Abend kamen Scheidemann, Ebert und David und stellten uns folgende Alternativen Entweder sollten wir die Regierung allein übernehmen, und sie verpflichteten sich zur wohlwollenden Neutralität, oder umgekehrt, oder aber gemeinsam eine rein sozialiftische Regierung mit 6 Volksbeauftragteu an der Spitze und bürgerlichen Fachleuten als Ressortministern, in welchem Falle dann von jeder Seite ein Unterstaatssekretär zu stellen sei. Wenn von einer Seite ein Staatssekretär gestellt würde, dann solle die andere Seite den Unterstaatssekretär stellen. Haase, der nun endlich zurück war, sawie die Abgeordneten erklärten alle, daß wir allein die Regierung nicht übernehmen könnten, da es uns an Leuten fehledoch zur Besetzung der Staatsund Unterstaatssekretäre waren sie dann da.
Eins wurde mir an diesem Abend klar: den Leuten fehlte sedweder Rebellentrotz, es fehlte der von Liebe und Haß gepeitschte Wille. Weder um der Liebe zur Masse, zum hungernden, stöhnenden, den ewigen Golgathaweg keuchenden Proletariat, noch um des Hasses gegen deren Peiniger, Schächer und Schlächter willen, taten sie etwas, was dem eigenen Ich gefährlich werden konnte. Es waren Männer der Theorie, die die Interessen einer der Masse dienenden Idee mit ihren eigenen Interessen identifizierten. Es waren Männer, denen das urwüchsige und elementare proletarische Empfinden fehlte, da sie selbst wenig materielle Not je empfunden und, wenn dies einmal der Sall gewesen, es längst vergessen hatten.
Wer eben nicht diesen Trotz, aus Liebe und Haß geschmiedet, besitzt, der wird in revolutionären Zeiten nie treibend, immer nur verwirrend, hemmend, auflösend und zerstörend wirken, weil ihm dauernd der Wille zur Macht und somit zur Tat fehlt. Das geht nicht!, ist ihre dauernde Redensart, die Angst vor der eigenen Courage ihre größte Stärke. In solchen Zeiten, wo Sekunden die Bedeutung von Jahrhunderten haben, da reden sie, statt zu handeln. do wagen sie, statt zu wagen, da haben sie immer die schon vorgestern notwendige Auffassung über die Dinge und die Menschen, d. h. sie humpeln dauernd den Ereignissen nach, markieren den Führer, wo sie dauernd Nachläufer der Masse sind, über die sie toben und schimpfen, weil sie wagt, anders, besser und schneller zu handeln, als sie, die vom Glorienschein umstrahlten Führer.
Haase, Ledebour und Liebknecht waren gegen die Veteiligung an der Regierung. Cohn, Dittmann, Wurm u. a. traten für die Leteiligung ein. Haase war gegen die Veteiligung und gegen die alleinige Uebernahme, weil die schwache Organisation, uns von vornherein ins Hintertreffen bringe. Also keine prinzipielle, sondern eine taktische Verneinung und zwar nicht um der Revolution, sondern um der Partei willen. Ledebour war gegen eine Veteiligung, weil er sich mit den Leuten im allgemeinen und mit Ebert und Scheidemann im besonderen nicht an einen Tisch, viel weniger in eine Regierung setzen würde. Keine prinzipielle, sondern eine rein persönliche Gegnerschaft. Gegen die alleinige Uebernahme war er wegen desselben Bedenkens wie Haase. Liebknecht war dagegen, weil man die Revolution weiter treiben müsse. Das am Abend des 9. November, wo noch kein Mensch wissen konnte, wie weit die Nevolution sich überhaupt selbst treiben würde. Aber für drei Tage sei er bereit, um den Waffenstillstand abzuschließen. Gegen die alleinige Uebernahme war er auch.
So verschieden wie die Gründe für Ablehnung waren die für die Annahme. Ich trat entschieden für die alleinige Regierungsbildung ein, indem ich erklärte, daß die Versonenfrage für mich nicht so schwierig sei, da ich doch als selbstverständlich annehme, daß wir für Preußen keine Ministerien mehr brauchten, sondern hier mit dem unitaren Deutschland beginnen müßten. „Sollten Sie jedoch," sagte ich, „ der Auffassung sein, daß dies eine Unmöglichkeit sei, dann muß ich mich aber doch ganz entschieden auf den Ztandvunkt stellen, daß wir auf keinen Fall AbstinenzpolitiK treiben dürfen. Seit bald einem Ila.hr arbeiten wir bewußt auf den Sturz des Vestehenden hin, und jetzt, wo unsere gefährliche Arbeit Erfolg zeitigte, zu erklären: Bitte schön, machen Sie es, wir sind zu dumm, so kann und so darf es nicht gehen. Heute früh schrieb der „Vorwärts" im Auftrage des Parteivorstandes der S. P., und in hünderttausenden von Flugblättern stand dasselbe: Arbeiter, laßt euch nicht provozieren! Hochverrat, Landesverrat, Mord an unsern Vrüdern draußen, unverantwortliche Hetzer usw. Als dann nicht nur das Berliner Proletariat marschierte, sondern auch die Garnison zu ihm überging, da kommt dieser Parteivorstand, d. h. der Reichskanzler Ebert und Staatssekretär Scheidemann, und mimen die Revolutionäre, bieten uns Verhandlungen an zur Bildung einer gemeinsamen Regierung, und nun wollen Sie sagen:. nein, macht ihr es allein!
Wen betrügen nun die Ebert-Scheidemänner? Vetrügen sie diejenigen, die ihnen bis heute vertrauten, oder betrügen sie uns? Eins von beiden gibt es doch nur: Entweder, sie haben bisher geheuchelt, um den jetzigen Zustand langsam, aber sicher herbeizuführen, oder sie heucheln jetzt, um die Revolution zusammen zu verraten, zu erschlagen. Aber ganz gleich, ob so oder so, gerade Wege gehen sie nicht, und darum müssen sie von uns, wenn nicht auf die Seite oder an die Wand gedrückt, zu mindest scharf beobachtet werden. Ich sage also, wir müssen die Macht allein in die Hand nehmen: fehlt Ihnen dazu der Mut, dann gemeinsam, aber auf keinen Fall dürfen wir Abstinenz üben, d. h. die Revolution ihren Feinden ausliefern."
Nach meinen Ausführungen wurde nur noch debattiert, ob allein oder zusammen, und mit Ausnahme von Ledebour — der allerdings an seinen Gründen nichts geändert hatte — waren alle für die Koalition. Liebknecht stellte aber folgende Forderungen: 1. die Aund S.-Räte haben die legislative und exekutive Macht: 2. die Koalition ist für drei Tage, bis zum Abschluß des Waffenstillstandes: 3. die Volksbeauftragten müfsen von der Vollversammlung der A. und S.-Räte Berlins bestätigt werden.
Vorgeschlagen wurden nun Haase, Liebknecht und Barth, die alle drei annahmen. Es wurden dann einige bestimmt, ich weiß nicht mehr wer, um mit der Gegenseite zu verhandeln. Ich selbst wurde nach den im Hause tagenden, in denkbar demagogischer Weise von den Vertretern der S. P. belogenen und gegen uns aufgehetzten Soldatenversammlungen geholt. Ganz besonders bunt ging es in der Versammlung her, in der Cohen sich in Uniform aufhielt.
Nachts um drei waren wir glücklich soweit, daß so ungefähr 5 oder 6 Vollzugsausschüsse der Soldatenräte vorhanden waren. In jedem war ein Neichstagsmitglied der S. P. — trotz der Revolution mimten sie immer noch die Abgeordneten.
Wir tagten und verhandelten nun die ganze Nacht, um am Sonntag vormittag auch so weit zu sein, einen Ausschuß der Soldatenräte zusammenzuhaben und ihn in einer Soldatenratsversammlung im Plenarsitzungssaal empfehlen und zur Annahme bringen zu können. Leider kümmerte sich von unserer Partei kein Mensch sonst um die Soldaten, wobei allerdings zu bemerken ist, daß am Sonntag vormittags in allen Verrieben. Versammlungen mit Arbeiterratswahlen stattfanden.
Um 10 Uhr waren wir wieder im Zimmer 18 zusammengetreten Liebknecht erklärte, daß er nach Rücksprache mit seinen Freunden ablehne, in die Regierung einzutreten. Ebert und David kamen mit dem Waffenstillstandsangebot und boten uns, von der Härte desselben völlig niedergeschlagen, erneut an, die Geschäfte allein zu übernehmen. . Nun war natürlich gar nicht mehr daran zu denken, daß der Mut zur alleinigen Regierungsübernahme aufgebracht würde. An Stelle Liebknechts wurde Dittmann vorgeschlagen und er nahm freudestrahlend an.
Es sei mir hier eine Einschaltung gestattet: Däumig war am Freitag verhaftet worden. Am Sonnabend, nachdem das Präsidium genommen war, frug ich, ob Däumig entlassen sei, was bejaht wurde. Es wurde spät abends. Ich frug erneut mehrmals nach ihm, und immer wurde mir erklärt, er sei gleich nach Hause gegangen. Ich wartete und wartete, denn et war doch der einzige Mensch, mit dem ich mich über alles hätte aussprechen können. Er kam so ziemlich am Schlusse unserer Sitzung ganz verbittert an Ich ging auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen, er wies sie ab. Gleich darauf wurde ich geholt nach den S.-R.-Sitzungen Am Sonntag kam er erst gegen Mittag. Ich hatte ihn an Dittmanns Stelle vorgeschlagen, aber er war nicht da.
Wir hatten dann eine kurze Besprechung mit Ebert, Scheidemann und Landsberg, in der wir kurz die Erledigung der Vollversammlung der A.- und S.-Räte Groß-Berlins besprachen.
Um 5 Uhr fand dann die erste Vollversammlung der Arbeiterund Soldatenräte Groß-Berlins statt. Eine derartige Versammlung hatte es noch nicht gegeben und gibt es vielleicht auch nie wieder. Es war natürlich unmöglich, gedruckte Legitimationen. regelrecht geprüft, für die Räte, die vorschriftsmäßig gewählten Räte, auszustellen. Jeder Betrieb und jede Formation sollte auf woo Arbeiter oder Soldaten einen Rät wählen. Schmählich wurde von der S. P. gegen Treu und Glauben verstoßen. Sie brachten Hunderte ohne Berechtigung in den Zirkus.
Ich eröffnete die Versammlung durch eine kurze, der historijchen Vedeutung der Stunde gerechtwerdende Ansprache.
Bei der Bürowahl wurde ich als erster, Walz als zweiter Vorsitzender gewählt, Müller und Molkenbuhr als Schriftführer.
Als Tagesordnung schlug ich vor:
1. Vestätigung der Volksbeauftragten.
2. Wahl des Vollzugsausschusses der Berliner A.- und S.-Räte und zugleich des provisorischen Zentralrats.
Die Tagesordnung wurde angenommen.
Nachdem Ebert und Haase ebenfalls ganz Kurze Ansprachen gehalten hatten, wurde folgende Resolution eingebracht und angenommen:
An das werktätige Volk!
Das alte Deutschland ist nicht mehr. Das deutsche Volk hat erkannt, daß es jahrelang in Lug und Trug gehüllt war. Her vielgerühmte, der ganzen Welt zur Nachahmung empfohlene Militarismus ist zusammengebrochen. Die Revolution hat von Kiel ihren Siegesmarsch angetreten und hat sich siegreich durchgesetzt Die Dynastien haben ihre Existenz verwirkt. Die Träger der Krone sind ihrer Macht entkleidet. Deutschland ist Republik gemorden, eine sozialistische Republik. Sofort haben sich die Gefängnis-, Arrest und Zuchthausmauern für die wegen politischer und militärischer verbrechen Verurteilten und Verhafteten geöffnet. Die Träger der politischen Macht sind jetzt die Arbeiter- und Soldatenräte. Iln allen Garnisonen, in denen keine Arbeiter- und Soldatenräte bestehen, wird sich die Bildung solcher Räte rasch vollziehen. Auf dem flachen Lande werden sich Bauernräte zu demselben Zwecke bilden.
Die Aufgabe der provisorischen Regierung, die von dem Arbeiterund Soldatenrat Berlin bestätigt ist, wird in erster Linie sein, den Waffenstillstand abzuschließen und dem blutigen Gemetzel ein Ende zu machen. Sofortiger Friede ist die Parole der Revolution. Wie auch der Friede aussehen wird, er ist besser, als die Fortsetzung des ungeheuren Massenschlachtens.
Die rasche und konsequente Vergesellschaftung der kapitalistischen Produktionsmittel ist nach der sozialen Struktur Deutschlands und dem Reifegrad seiner wirtschaftlichen und politischen Organisation ohne starke Erschütterung durchführbar. Sie ist notwendig, um die wirtschaftliche Versklavung der Volksmassen, den Untergang der Kultur zu verhüten.
Alle Arbeiter, Kopfund Handarbeiter, welche von diesem Ideal erfüllt sind, welche aufrichtig für seine Verwirklichung eintreten, sind zu seiner Mitarbeit berufen.
Der Arbeiter- und Soldatenrat ist von der Ueberzeugvng durchdrungen, daß in der ganzen Welt sich eine Umwälzung in der gleichen Richtung vorbereitet. Er erwartet mit Zuversicht, daß das Proletariat der anderen Länder seine ganze Kraft einsetzen wird, um eine Vergewaltigung des deutschen Volkes bei Abschluß des Krieges zu verhindern.
Er gedenkt mit Vewunderung der russischen Arbeiter und Soldaten, die auf dem Wege der Revolution vorangeschritten sind. er ist stolz, daß die deutschen Arbeiter und Soldaten ihnen gefolgt sind, und damit den alten Ruhm, Vorkämpfer der Internationale zu sein, wahren. Er sendet der rusfischen Arbeiterund Soldatenvereinigung seine brüderlichen Grüße.
Er beschließt, daß die deutsche republikanische Regierung sofort die völkerrechtlichen Beziehungen zu der russischen Regierung aufnimmt, und erwartet die Vertretung dieser Regierung in Berlin. Durch den entsetzlichen, über vier Iahre währenden Krieg ist Deutschland auf das fürchterlichste verwüstet. Unersetzliche materielle und moralische Tüter sind vernichtet. Aus diesen Verwüstungen und Zerstörungen neues Leben hervorzulufen, ist eine Riesenaufgabe.
Der Arbeiter- und Soldatenrat ist sich dessen bewußt, daß die revolutionäre Macht Verbrechen und Fehler des alten Regimes und der besitzenden Klassen nicht mit einem Schlage gutmachen, daß sie den Massen nicht sofort eine glänzende Tage verschaffen kann. Aber diese revolutionäre Macht ist die einzige, die noch retten kann, was zu retten ist. Die sozialistische Republik ist allein imstande, die Kräfte des internationalen Sozialismus zur Herbeiführung eines demokratischen Dauerfriedens auszulösen.
Es lebe die deutsche, sozialistische Republik."
Die sechs Volksbeauftragten wurden bestätigt.
Ich gab nun einen kurzen Vericht über unsere Tätigkeit als Aktionsausschuß der Berliner Obleute und der revolutionären Zentrale Deutschlands und schlug die neun Genossen, die bisher diesen Aktionsausschuß gebildet hatten, als Vollzugsausschuß vor.
Büchel schlug nun 9 Mann von der S. P. vor.
Ich wandte mich dagegen, da wir es ablehnen müßten, die revolutionäre Körperschaft mit denen gemeinsam zu bilden, die solange die Revolution bekämpft und denunziert hätten.
Die von der S. P. in der Nacht und am heutigen Tage bearbeiteten Soldaten schrien nun Parität, Parität! Ein mörderischer SpektaKel setzte ein.
Ich sagte nun zu Ebert: Das ist der Kampf! der blutige Kampf!
Ebert kam dann zu mir hin und erklärte, sie seien damit einverstanden, daß 9 und 2 und ebenfalls 11 Soldaten den Vollzugsausschuß bilden.
Ich sagte nein! 9 und 9 Soldaten, von euch Keiner!
Ebert erklärte sich auch damit einverstanden.
Ich gab ihm das Wort. Er schrie sich heiser, ich schrie mich heiser, aber kaum, daß wir verstandlich gemacht hatten, daß wir und wie wir uns geeinigt, da setzte der Spektakel, das Gebrüll' Einigkeit, Parität, von neuem ein.
Nun legte ich den Vorsitz nieder und zog meinen Ueberzieher an Alle meine Freunde stürmten auf mich ein, auch Liebknecht, der mir wörtlich sagten Ich verstehe Sie nicht! Die Berliner Revolution, die deutsche Revolution und die Weltrevolution stehbn durch Uhr Verhalten auf dem Spiel! Sie müssen die Parität anerkennen! Oder wollen Sie morgen den blutigen Kampf? — Ja, den will ich, ehe ich hier nachgebe! – Das dürfen Sie nicht! Sie müssen nachgeben. — Alle drangen in mich und zwangen mich, bis ich nachgab. Ich mußte! Ich stand allein!
Wir einigten uns auf je fünf, mit der Vedingung, daß wir die Vorgeschlagenen der S. P. aussuchten. Sieben, die sie nun nacheinander vorschlugen, lehnten wir ab.
Ich eröffnete nun die Versammlung wieder und die Wahl wurde vorgenommen.
Liebknecht, sowie auch Ledebour, die zu sprechen versuchten, wurden einfach, ohne ein Wort anzuhören, niedergebrüllt.
Comments
4
4. Meine Tätigkeit als Volksbeauftragter der deutschen sozialistischen Republik.
а) Vom 10. November bis 20. Dezember 1918.
Wir hatten als Volksbeauftragte unsere erste Sitzung in ber Reichskanzlei. Ebert und Haase wurden als Vorsitzende mit gleichen Rechten bestimmt.
Wir schickten gleich die Vollmachten telegraphisch an Erzbеrger, den Waffenstillstand zu den gegebenen Bedingungen, an denen – darüber waren wir uns alle klar — nichts zu ändern war, abzuschlieseen. Ich wurde beauftragt, die Vermittlung zwichen Volksbeauftragten und Vollzugsausschuse, der sich nun Vollzugsrat nannte, zu übernehmen. Es war dies eine ebenso schwere, als undankbare Aufgabe. Vor allem war es mein Bestreben, eine Aussprache unter unseren Genossen, soweit sie als Vollzugsrat, Volksbeauftragte, Staatssekretäre und Unterstaatssekratäre in Frage kamen, herbeizuführen, um uns prinzipiell und taktisch im Interesse der vorwärtszutreibenden Revolution festzulegen. Das erwies sich als unmöglich.
Haase erklärte mir jedesmal: das geht nicht! Er glaubte immer, eine Anpassungsmdglichkeit zu verscherzen, er musste immer lavieren. Müller, Ledebour und Däumig sagten: „Wir sind Volksugsrat und legen uns nicht fest, wir treiben die Revolution vorwärts."
Dabei muse man bedenken, dass wir als Volksbeauftragte drei zu drei und im Vollzugsrat sieben zu vierzehn standen. Wie sollte denn da, ohne klares Ziel und immer vorgezeichneten Weg, ein handinhand-Arbeiten möglich sein. Jeder wollte das Beste, aber es ist bitter auszusprechen — keiner wollte den Rat des andern. Die Gegenseite arbeitete mit Routine und Geschick. Sie waren skrupellos und — konterrevolutionär, aber sie waren einig, wohingegen wir soviel Meinungen wie Personen darstellten.
Am Montag und Dienstag waren eine Unmenge dringender Angelegenbeiten, ganz besonders die Besetzung der Posten der Staats- und Unterstaatssekretärе zu erledigen. Die Ebert, Scheidemann und Landsberg drangen darauf, es mit allen möglichen und unmöglichen Argumenten als unbedingt notwendig nachweisend, daß die Demokraten, das Zentrum und möglichst auch die Nationalliberalen durch Uebernahme von Ministerien an der Regierung beteiligt wenden müßten, um die Verantwortung für den Waffenstillstand der Sozialdemokratie nicht allein aufzuladen, um Leruhigung in die bürgerlichen Kreise zu tragen, um die Landwirtschaft zur Anerkennung der Verhältnisse und dadurch zur freiwilligen Relieferung von Lebensmitteln zu bewegen, um das Wirtschaftsleben schnell in Gang zu bringen, um die Einheit des Reiches zu wahren, um eine Militärrevolte zu verhüten, um die Räumung des linken Nheinufers zu ermöglichen, um der Demobilisation willen, um noch eine Menge anderer Dinge willen.
Ich wandte mich dagegen, daß aus diesen Gründen auch nur ein Bürgerlicher in die Regierung käme. Ich sagte, daß wir die denkbar tüchtigsten Fachleute mit den Posten betrauen sollten, ganz gleich, wie ihre politische Anschauung sei, wenn sie sich nur restlos, ohne Vorbehalt, zur Verfügung stellen. Ich wandte mich weiter ganz entschieden gegen die von Landsberg vertretene, durch Ebert und Scheidemann unterstützte Auffassung, daß wir dem Wunsche der Obersten Heeresleitung (O. H. L.) und dem Kriegsministerium in bezug auf die Offiziere Rechnung tragen dürften. Ich bestritt uns überhaupt das Recht, daß wir den Soldaten im Kleinen verbieten dürften, daß sie, was wir im Großen im Proletariat getan, gelten ließen und ausübten. Kraft revolutionären Rechtes fegte das Proletariat die Potentaten und ihre Lakaien weg und setzte uns an deren Stelle, um die Revolution zu schützen und weiter zu führen, und mit demselben Rechte jagen die Soldaten ihre Führer zum Teufel, um an deren Stelle Leute ihres Vertrauens zu setzen. „Verhindern Sie das, dann machen Sie einen Strangulterungsv ersuch an der Revolution, dann üben Sie Verrat. Der S. R. bei der O. H. L. ist in Gemeinschaft mit den Armee-, Divisions- und Regiments-S. R. nach meinein Dafürhalten besser in der Lage, für Ordnung und. strengste Disziplin zu sorgen, als das Offizierkorps, und unsere Aufgabe ist, die technischen Offiziere durch Verordnung zu zwingen, ihre Kräfte nach wie vor Zur Verfügung zu stellen. Verfahren wir so, dann ist die Revolution durch das revolutionierte Heer gesichert, ist jeder Gegenrevolution das Genick gebrochen. Hierzu ist natürlich die Ersetzung Scheuchs durch Däumig notwendig."
Mit fünf gegen eine Stimme wurde jedoch folgender Aufruf an das Heer beschlossen:
Die Zurückführung in die deutsche Heimat.
Telegramm der Volksregierung an die Oberste Heeresleitung.
Die Volksregierung ist von dem Wunsche beseelt, daß jeder unserer Soldaten nach den unsäglichen Leiden und den unerhörten Entbehrungen in kürzester Zeit nach der Heimat zurückkehrt. Dieses Ziel ist aber nur zu erreichen, wenn die Demobilisierung nach einem geordneten Plane vor sich geht. Falls einzelne Trupps willkürlich zurückfluten, so gefährden sie sich selbst, ihre Kameraden und die Heimat aufs schwerste. Ein Chaos mit Hunger und Not müßte die Folge sein. Die Volksregierung erwartet von Euch strengste Selbstzucht, um unermeßlichen Schaden zu verhüten. Wir ersuchen die Oberste Heeresleitung, das Feldheer von vorstehender Erklärung der Volksregierung in Kenntnis zu setzen und folgendes anzuordnen:
1. Das Verhältnis zwischen Offizier und Mann hat sich auf gegenseitigem Vertrauen aufzubauen. Willige Unterart»nung des Mannes unter den Offizier und kameradschaftliche Vehandlung des Mannes durch den Vorgesetzten sind hierzu Vorbedingungen.
2. Das Vorgesetztenverhältnis des Offiziers bleibt bestehen. Unbedingter Gehorsam im Dienste ist von entscheidender Bedeutung für das Gelingen der Zurückführung in die deutsche Heimat. Militärische Disziplin und Ordnung im Heere müssen deshalb unter allen Umständen aufrecht erhalten werden.
3. Die Soldatenräte haben zur Aufrechterhaltung des Vertrauens zwischen Offizier und Mann beratende Stimme in Fragen der Verpflegung, des Urlaubs, der Verhängung von Disziplinarstrafen. Ihre oberste Pflicht ist es, auf die Verhinderung von Unordnung und Meuterei hinzuwirken.
4. Gleiche Ernährung für Offiziere, Beamte und Mannschaften.
5. Gleiche Zuschüsse zu den Löhnungen. Gleiche Feldzulage für Offiziere und Mannschaften. Von der Waffe gegen Angehörige des eigenen Volkes ist nur in der Notwehr oder zur , Verhinderung von Plünderungen Gebrauch zu machen.
Berlin, den 12. November 1918.
Ebert. Haase. Scheidemann. Dittmann. Landsberg. Barth.
Ich bestand nun ganz entschieden darauf, daß das Staatssekretariat des Innern mit einem Sozialisten besetzt würde. Iedoch wieder vergebens. Alle fünf waren sie für die Berufung von Dr. Preuß. Um nun wenigstens etwas für die Masse der Bevölkerung zu tun, wurde ein Aufruf an das Volk beschlossen, in dem man so tat, als ob man etwas täte.
Er lautete:
Der Rat der Volksbeauftragten veröffentlicht folgenden Aufruf:
An das deutsche Volk!
Die aus der Revolution hervorgegangene Regierung, deren politische Leitung rein sozialistisch ist, setzt sich die Aufgabe, das sozialistische Programm zu verwirklichen. Sie verkündet schon letzt mit Gesetzeskraft folgendes:
1. Der Belagerungszustand wird aufgehoben.
2. Das Vereins- und Versammlungsrecht unterliegt keiner Beschränkung, auch nicht für Veamte und Staatsarbeiter.
3. Eine Zensur findet nicht statt. Die Theaterzensur wird aufgehoben.
4. Meinungsäußerung in Wort und Schrift ist frei.
5. Die Freiheit der Religionsübung wird gewährleistet. Niemand darf zu einer religiösen Handlung gezwungen werden.
6. Für alle politischen Straftaten wird Amnestie gewahrt. Die wegen solcher Straftaten anhängigen Verfahren werden niedergeschlagen.
7. Das Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst wird aufgehoben, mit Ausnahme der sich auf die Schlichtung von Streitigkeiten beziehenden Bestimmungen.
8. Die Gesindeordnungen werden außer Kraft gesetzt. Ebenso die Ausnahmegesetze gegen die Landarbeiter.
9. Die bei Beginn des Krieges aufgehobenen Arbeiterschutzbestimmungen werden hiermit wieder in Kraft gesetzt.
Weitere sozialpolitische Verordnungen werden binnen Kurzem veröffentlicht werden, spätestens am 1. Januar 1919 wird der achtstündige Maximalarbeitstag in Kraft treten. Die Negierung wird alles tun, um für ausreichende Arbeitsgelegenheit zu sorgen. Eine Verordnung über die Unterstützung von Erwerbslosen ist fertiggestellt. Sie verteilt die Lasten auf Reich, Staat und Gemeinde. — Auf dem Gebiete der Krankenversicherung wird die Versicherungspflicht über die bisherige Grenze von 2500 Mark ausgedehnt werden. — Die Wohnungsnot wird durch Vereitstellungen! von Wohnungen bekämpft werden. — Auf die Sicherung einer gerechten Volksernährung wird hingearbeitet werden. — Die Regierung wird die geordnete Produktion aufrechterhalten, das Eigentum gegen Eingriffe Privater sowie die Freiheit nnd Sicherheit der Person schützen. — Alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften sind fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten, allgemeinen Wahlrecht auf Grund des proportionalen Wahlsystems für alle mindests 20 Iahre alten männlichen und weibwichen Personen zu vollziehen. — Auch für die
konstituierende Versammlung,
über die nähere Vestimmung noch erfolgen wird, gilt dieses Wahlrecht.
Berlin, den 12. November 1918.
Ebert. Haase. Scheidemann. Landsberg. Dittmann. Barth.
Es war mir auch hierbei nicht möglich, auch nur das Geringste durchzusetzen, weil ich immer auf den geschlossenen Widerstand meiner fünf Kollegen stieß. Ich wollte wenigstens unter 10. eine Verordnung, die die gesamten Bodenschätze, Kohle, Kali, Erze, die Hüttenwerke, die Lokomotiv-, Wagen- und landwirtschaftlichen Maschinenfabriken in den Besitz der Allgemeinheit überführen sollte, wobei die Entschädigungsfrage offen bleiben sollte. Ich verlangte ferner das Recht auf Arbeit und hierzu eine Verfügung, in der Fertigindustrie die Arbeitszeit auf höchstens vier Stunden zu verkürzen, bis zur Hebung des Produktionsprozesses. Ich wollte auch die Streichung des letzten — die Wahlen betreffenden — Absatzes. Alles vergebens.
Es gab nun hierbei eine prinzipielle Auseinandersetzung Aber die Autorität der Regierung, wobei Landsberg den Standpunkt vertrat, eine Regierung habe nur soviel Autorität, wie sie Macht besitze, und darum müsse sofort eine Macht aus dem noch bestehenden Heere für die Rlgicrung gebildet werden, um möglichen bolschewistischen Unruhen entgegentreten zu können. Er halte eine Erhebung von rechts für ausgeschlossen, aber auch hiergegen müsse diese Macht dienen. Ich trat mit aller Entschiedenheit gegen diese Auffassung'auf, und erklärte, daß eine sozialistische Regierung nur eine einzige Macht kennen dürfe, das Vertrauen der Massen, und daß sie sich dieses Vertrauen nur erwerben könne durch sozialistische Taten. Dieser Aufruf aber sei ganz das Gegenteil, er enthalte ein paar völlig altbackene gewerkschaftliche Forderungen und im übrigen sei er diktiert von dem Vestreben, etwas zu scheinen ohne etwas zu sein.
Es nützte alles nichts! Mit fünf gegen eine Stimme wurde er beschlossen, nur wurde die Einsetzung einer Sozialisierungskommission verkündet, die in den nächsten Tagen ernannt werden sollte.
In bezug auf die äußere Politik hatte die Volkversammlung der Berliner A.- und S.-Räte in ihrer Resolution die Wiederaufnahme der freundnachbarlichen Beziehungen zu Rußland gefordert, woran die Volksbeauftragten ja eigentlich gebunden sein sollten, denn ihr Dasein stützte sich doch letzten Endes auf eben diese Versammlung. Aber weit gefehlt! Die Herren Landsberg, Ebert und Scheidemann hatten ihren Solf schon für das Notwendige sorgen lassen und so kamen sie mit einem Funkspruch von Radek, in dem er den gemeinsamen Kampf am Rhein gegen die Kapitalistische Entente ankündigte. Eine große Eselei und die denkbar schwerste Schädigung der Weltrevolution bedeutete diese blöde Phrase. Sie kamen ferner mit einer Note des deutschen Gesandten im Haag, in der er erklärte, „daß die Zulassung des russischen Botschafters für die Entente die Bestätigung des Radekschen Funkspruche s sei, d. h. die Vestätigung des deutsch-russischen Offensivbündnisses und deshalb die sofortige Aufhebung des Waffenstillstandes zur Folge haben würde."
Unter diesen Umständen war es natürlich unmöglich, Votschafier herüberzuholen und hinüberzuschicken, aber möglich nicht nur, sondern nach meinem Dafürhalten zwingende Pflicht war es, alles zu tun, um mit den gesamten Ostvölkern zu einem freundnachbarlichen Verhältnis zu kommen. Ich beantragte deshalb folgendes:
Zu den Völkern des Baltikums, nach Moskau, nach Warschau und Kiew sind sofort Kommissionen, bestehend lediglich aus Sozialisten zu entsenden, um den dortigen Regierungen zu erklären, daß ein neues Deutschland, ein Deutschland der Gerechtigkeit, der Vertragstreue und der Friedensliebe erstanden sei, das die an den baltischen, polnischen, russischen und ukrainischen Völkern verübten Gewalttaten und Verwüstungen genau so verabscheut und bedauert habe wie sie selbst und das bereit sei, soweit es in seinen Kräften steht, alles wieder gut zu machen. Viese Kommissionen haben sofort dafür zu sorgen, daß mit jenen Staaten gemeinsam der Rücktransport unseres Ostheeres mit seinem ungeheuren Material geregelt und begonnen wird. Es muß jenen Ländern 2 bis 3 Millionen Tonnen Kohle hierfür als Ausgleich angeboten werden. Hierdurch haben wir dann die freundschaftlichen und Handelsbeziehungen mit den osteuropäischen Völkern angebahnt, und der mindestens ein Iahr dauernde Waffenstillstand würde dann, selbst wenn die Blockade bis zum Ende dauerte, uns nicht mehr allzu viel niederhalten können. Wir hätten dann Handel und Wandel im Osten, die Möglichkeit, uns von dort Lebensmittel und Rohstoffe zu verschaffen. Von dort, wo unsere, nun nach der Niederlage katastrophal stürzende Valuta immer noch gleichwertig stehe.
„Wo bliebe denn da unsere nationale Ehre, wenn wzr jedem Slowakenvolk im Osten nachlaufen?" donnerte nun händeringend und bartzausend Landsberg los. „Das geht nicht, das dürfen wir nicht!" Nationale Ehre, Prestige und derartiges mehr waren seine Argumente. Ebert, Scheidemann, Haase und Dittmann sprachen in demselben und ähnlichem Sinne, der Antrag wurde mit 5 gegen 1 Stimme abgelehnt.
Polen! Polen war eine Frage für sich. Hierzu sprach ich darauf, um wenigstens das Notwendigste zu retten. Ich erklärte folgendes: ln Posen, West- und Ostpreußen lagern noch 40 Proz. unserer Kartoffeln, 20 Proz. unserer Körnerfrüchte, unser zweitwichtigstes Industriegebiet liegt in gemischtsprachigem Gebiet, das nach dem Waffenstillstand entweder ohne weiteres zu Polen kommt, oder aber abstimmendes Gebiet wird. Auf alle Sälle wird Polen das Durchgangsland für unsern Handel mit Rußland, der Ukraine und einem wesentlichen Teile des Valtikume sein. Ein freundnachbarliches Verhältnis mit ihm ist also für uns fo notwendig wie das tägliche Vrot. An den Polen haben wir sehr viel von den Taten und Unterlassungen der letzten hundert, besonders aber der letzten Hier Iahre gut zu machen. Zu diesen Gründen kommt noch die Verpflichtung, vorausschaund für die deutsche Minderheit Polens zu sorgen, so groß oder klein sie auch sei, darum ein schnell zu schließendes Wirtschaftsabkommen zu treffen, der Fels, auf dem die Freundschaft zweier Völker aufzubauen ist. Ich wies ganz besonders lebhaft darauf hin, was es für den gesamten Osten Deutschlands zu bedeuten habe, wenn Oberschlesien zu Polen geschlagen würde, woran wir ja gar nichts andern könnten. Die Industrie Gstelbiens einschließlich Berlins, wäre zum Teil zum Tode, zum Teil zu armseligem Vegetieren verurteilt, da wir in dem Falle auch nicht ein Pfund Kohle von Polen erhalten würden, da wir heute noch die Besitzenden, somit die Gebenden seien, fo seien wir verpflichtet, umgehend mit den Polen ein Abkommen zu treffen, möglichst auf 100 Iahre, wonach ein Drittel oder die Hälfte — das müßten Sachverständige entscheiden — der Bodenschätze Oberschlesiens an Polen, das übrige an Deutschland falle, ganz gleich, wie die Sriedenskonferenz entscheide, und als Gegenleistung solle sich Polen verpflichten, eine — wieder von Sachverständigen festzustellende — gewisse Menge Getreide und Kartoffeln zu liefern.
Meine fünf Kollegen lächelten überlegen, trommelten nervös, brummten versammlungsreden und — lehnten auch den Vorschlag mit 5 gegen 1 Stimme ab.
Nebenbei will ich noch erwähnen, daß auch mein Antrag, Solf durch einen Sozialisten zu ersetzen, mit der gleichen Stimmenzahl abgelehnt wurde.
Das einzige, was mir möglich war, durchzusetzen, war, daß auch die sofortige Rimmung im Osten — das war im Waffenstillstandsvertrag nicht angeordnet — befohlen wurde. Wie der Vefehl ausgeführt wurde, davon später. Nur das eine sei hier bemerkt: wäre der Winter 1918-1919 so früh gewesen, wie er spät, und so strenge, wie er gelinde war, so wären durch Landsbergs nationale Ehre, die von den andern vier Volksbeauftragten dann mitempfunden wurde, Hunderttausende deutscher Familienväter elendiglich verhungert und erfroren, der napoleonische Rückzug wäre an Schrecken, Elend und Toten weit überboten worden.
Das nicht Grundlegende werde ich bei alledem, was ich über diese Zeit schreibe, übergehen.
Am Dienstag kam ich Beerfeldes wegen zum Vollzugsrat. Die Genossen sagten, ich sollte doch einen Augenblick bleiben, da sie gerade die Kompetenzen des Vollzugsrates und der Volksbeauftragten berieten, das solle nämlich heute Abend endgültig geregelt werden. Im Vollzugsrat waren darüber die Meinungen sehr geteilt, und auf direkte Frage meiner Freunde fagte ich, daß ich unmöglich, wenn meine Kollegen nicht dabei seien, darüber meine Meinung sagen könne, aber heute Abend sollen sie dieselbe hören. Nur komisch mutete es mich an, daß sie diese Frage überhaupt aufwarfen.
Am Abend fand die gemeinsame Sitzung der Volksbeauftragten mit dem Vollzugsrat statt. Rich. Müller legte die Auffassung des Vollzugsrates vor, ein Kompromiß, und es entspann sich eine lebhafte Debatte. Als ich zum Worte kam, legte ich dar, daß logischeriveise aus dem revolutionären Rechte, das allein maßgebend sei, die Zouveränität in den Händen der A.- und S.-Räte läge, bezw. in denen des provisorischen Zentralrates, d. h. des Berliner Vollzugsrates. Die Souveränität zerfällt in die exekutive, legislative und juristische Gewalt, welch erstere, die exekutive Gewalt, dem Rate der Volksbeauftragten überwiesen sei, wobei allerdings die A.und S.-Räte nie auf die Exekutive gegenüber konterrevolutionären Veweaungen verzichten könnten. Vei allen andern Fragen seien die Volksbeauftragten vom Vollzugsrat abhängig, der sie auch abberufen könne. Nach längerer Diskussion wurde dann auch meiner Auffassung gemäß beschlossen.
Die Volksbeauftragten für Preußen sollten nun von den Volksbeauftragten und dem Vollzugsrat eingesetzt werden. Dagegen wandte ich mich mit aller Entschiedenheit. Ich führte an, daß es mir unbegreiflich sei, daß jemand, der sich Revolutionär nenne, noch von Preußen reden könne. Die Revolution bedeute für mich das unitare Deutschland und der erste Partikularismus, der zerschlagen werden müsse, sei der preußische, der auch der stärkste und gefährlichste sei. Für Preußen können nicht einmal mehr Minister ernannt werden, viel weniger Volksbeauftragte, sondern nur Kommissare, die bis zur Liquidierung die preußischen Geschäfte leiten. Es wäre ein Hohn, wenn die Revolution 22 Potentaten und Votentätchen zum Teufel gejagt habe, um 26 Präsidenten, 26 Volksbeauftragrenkollegien an ihre Ztelle zu setzen.
Alle, besonders aber Däumig, der mir zurief, was du nicht verstehst, da lasse deine Finger davon, traten mir scharf entgegen und nur gegen meine Stimme wurden die Volksbeauftragten für Preußen eingesetzt, d. h. die junge deutsche Republik zerschlagen, um einige Sinekuren zu schaffen. Es sei hier ausdrücklich bemerkt, daß die Volksbeauftragten vom Vollzugsrat vor eine vollendete Tatsache gestellt waren und daß gerade die preußischen Minister in der Zukunft die stärksten Gegenpole der Revolution darstellten.
Am 13. November abends berichtete der soeben zurückgekehrte Erzberger über seine Waffenstillstandsverhandlungen. Ich sah Erzberger zum ersten Male, und, um es vorweg zu nehmen: bei aller Voreingenommenheit gegen den einstigen Venjamin des Reichstages, gegen den gerissenen Iesuiten, der in allen Sätteln und auf jedem Pferde zu reiten versteht, dem überchauvinistischen Kriegshetzer und angeblichen Geschaftelhuber von 1914-15, dem Friedensmimen von 1917, dem Ludendorffbewunderer von 1918, mein Eindruck von ihm nach seinem Vortrag war kein schlechter. Er war und ist besser als die meisten Parlamentarier, und Staatsmänner, die ich Kennen lernte, er ist eine Persönlichkeit.
Er schilderte, wie die Waffenstillstandskommission im dicht verhängten Wagen nach dem Walde von Eompiögne fuhr, wie dort auf offenem Gelände im Wagen die Verhandlungen stattfanden, er-Mite, wie wenig höflich die Vehandlung durch Marschall Foch gewesen sei, von dem er sagte, er könne wohl ein großer Feldherr sein, sei aber kein großmütigen Mensch, schilderte die ersten, gerade. zu niederschmetternden Eindrücke der Kommission bei Überreichung der Bedingungen und gab dann, nur einige Male in den Vertrag sehend, eine eingehende Schilderung des ersten Entwurfes, ihre Gegenvorschläge und die zugestandenen Abänderungen, die ausnahmslos alle erst am Morgen des 11. November, nach Vestätigung der Umwälzung in Deutschland, erfolgten.
Wir hatten ja alle den Waffenstillstandsvertrag bereite gelesen, und doch waren wir nach dem Vericht, der klar und lebhaft gegeben wurde, erschüttert. Klar war uns allen, daß eine Milderung nicht zu erhoffen sei. Daß ganz besonders in den schärfsten Vestimmungen rücksichtloseste Erfüllung gefordert werden würde. 5000 Lokomotiven, 150 000 Magen, 5000 Automobile, Aufrechterhaltung der Blockade, d. i. Verlängerung des Hungers und die Unmöglichkeit, Erwerbsmöglichkeit für das zurückkommende Millionenheer zu schaffen. Und doch, was war dies alles gegenüber den Räumungsbedingungen des linken Rheinufers? Verspätung hieß Gefangenschaft, Widerstand oder irgendwelche Requisition oder gar Plünderung, irgendwo, von irgend ein paar Unbesonnenen, konnte die Aufhebung des Waffenstillstandes, die Wiederaufnahme des Gemetzels, die Ueberschwemmung des ganzen Reiches mit Kriegsschrecken und Verwüstungen bedeuten.
Landsberg zitterte am ganzen Körper und erging sich in Salbadereien ob der Unmenschlichkeit der Sieger. Die andern vier sekundierten ihm mehr oder minder erregt und erbost. Ich sagte, all dies sei mehr denn bitter, aber es habe keinen Zweck, zu lamentieren, denn jeder Sieger wird im ersten Siegesrausch auf seine Macht pochen, Orgien der Brutalität feiern. Hilfe bringt nur energisches Handeln. Ieder Friede, mag er noch so hart und noch so grausam sein, ist für uns besser als dieser Waffenstillstand, denn jeder Friede gibt uns die Freiheit des Handelns und des Handels. Und da, aller menschlichen Voraussicht nach, uns doch der Friede »on unsern siegreichen Gegnern diktiert werden wird, so beantrage ich, daß sofort eine Delegation, lediglich aus Sozialisten bestehend, zusammengestellt wird, die nach Versailles geht, um den bedingungslosen Frieden anzubieten und zu erbitten. Wenn von diesen Tegnern etwas Erträgliches zu erhoffen ist, dann nur, wenn die Entente-völker für uns Sympathie und Mitleid empfinden und sie mäßigend auf ihre Negierungen einwirken. Solche Sympathie kann aber nur durch den angeregten Schritt erzeugt werden. Nur hierdurch wird der einsetzenden Haßerzeugung in Wort und Bild wirkungsvoll entgegengearbeitet werden. Die alte nationale Ehre, der preußische Kommißstiefel, der uns den Haß und die Verachtung der ganzen Welt und diesen Zusammenbruch eingebracht hat, ist glücklicherweise in Scherben geschlagen. Aber jetzt haben wir es in der Hand, eine neue, nationale Ehre aufzubauen, die auf Vertragstreue und ewigem Friedenswillen beruht. Handeln wir so, dann schlägt der Haß gegen uns in Freundschaft, die Verachtung in Achtung um. Ich beantrage, bedingungslosen Frieden anzubieten. MIe traten entrüstet gegen mich auf, nur — zur Schande meiner beiden Parteigenossen sei es gesagt — Erzberger stellte sich voll und ganz auf meinen Standpunkt. Mit 5 gegen 1 Stimme wurde mein Antrag abgelehnt.
Ich versuchte erneut, die Entlassung von Solf, Scheuch und der O. H. L. und ihre Ersetzung durch Genossen durchzusetzen und ebenso nochmal die Orientierung der Ostpolitik in meinem Sinne. Auch darin stieß ich wieder auf den geeinten Widerstand meiner Kollegen.
In der Kabinetts-Sitzung am 14. November wurden die Staatssekretäre endgültig ernannt. Ich wandte mich von neuem gegen Solf und Scheuch, wie auch gegen Mann, ganz besonders aber gegen Schiffer, indem ich feststellte:
„Wenn Sie erklären, daß die Lourgeoisie sich leichter überzeugen lasse, falls einer der ihren ihr die neuen Steuergesetze und deren Notwendigkeit klarlegt, dann beneide'ich Sie um diesen Glauben. Ich glaube daran nicht, sondern ich bin überzeugt, daß Schiffer, dem an unserm und des Proletariats Vertrauen gar nichts gelegen ist, mit seinen Geheimräten bestrebt sein wird, so zu verfahren, daß er sich das Vertrauen der Bourgeoisie erhält. Mindestens 25 Milliarden werden notwendig sein, um den Etat zu bilanzieren, und die sind nur herauszuholen bei rücksichtslosem Zugreifen. Dieses Zugreifen vermag nur ein Sozialist zu vollbringen. Schiffer wird versuchen, mit indirekten Steuern zu operieren. Wenn Sie das nicht wollen, wird er gehen, und die kostbarste Zeit ist verloren. Millionen fragen heute nicht nach Geld, sondern sie freuen sich, daß ihnen und ihren Ungehörigen durch die Beendigung des Gemetzels das Leben erhalten ist, aber morgen ist diese Erhaltung eine Selbstverständlichkeit, und sie sitzen wieder auf ihrem Gelde. Darum ist heute ein sozialistischer Finanzminister eine Notwendigkeit, die nicht erfüllt zu haben, uns morgen bitter leid tun wird. Vermögenssteuern, die gestaffelt sind bis 100 Proz. bei fünf Millionen, können uns allein helfen und das Vertrauen der Massen zu uns fest verankern, wenn dieses überhaupt anders als durch weitgehendste Sozialisierung zu erwerben ist."
Es half nichts, auch Schiffer blieb.
Ein Vorstoß gegen Köth, der ganz offensichtlich im Interesse der Großindustriellen seines Amtes waltete, war ebenfalls vergeblich. Hierbei erklärte Scheidemann, der im Kabinett verhältnismaßig wenig sprach:
„Was Sie immer haben mit Ihren Massen! Die müssen wollen, wie wir wollen, und das wollen sie auch, wenn es ihnen richrig schmackhaft gemacht wird." Ein Patentdemagoge!
An dem Nachmittag sprach ich mit einigen Freunden und auch mit Liebknecht, Rosa Luxemburg und Dunker, die ich im Abgeordnetenhaus traf, über meinen Austritt aus. der Regierung. Doch mir wurde von allen abgeraten, dies gleich zu tun, sondern sie empfahlen, abzuwarten, bis eine aufpeitschende Gelegenheit käme.
Ich werde auf alle die Verhandlungen, die ich mit den Genossen. des Vollzugsrats, den Soldatenräten, den Arbeiterräten und den revolutionären Obleuten hatte, nachher im Zusammenhang eingehen. Außerdem hatte ich täglich in der Reichskanzlei ein Dutzend und mehr Deputationen abzufertigen von den einzelnen Betrieben, den Arbeitern und Direktoren, den Soldaten der einzelnen Regimenter, der Sicherheitswehr und Matrosendivision, sowie viele Devutationen der rheinisch-westfälischen, der mitteldeutschen und oberschleichen Bergleute und der dortigen Landräte und Regierungspräsidenten. Ebenso sei hier bemerkt, daß der Strom jener speichelleckerischen Subjekte, die um Anstellung bettelten, mir einen Teil der kostbaren Zeit wegstahl. Es ging von morgens acht bis nachts um zwei, öfter die Nacht durch.
Nachdem nun die Staatssekretäre alle ernannt waren, begannen uns die von ihnen ausgearbeiteten Vorlagen zu beschäftigen. Meist Vorlagen, erfüllt von altem Geiste, was bei den alten Männern mit den alten Geheimräten ja auch nicht verwunderlich, sondern selbstverständlich war. Viele dieser Vorlagen wurden heftig umstritten, abgeändert, abgelehnt, viele mit allen gegen meine Stimme angenommen.
Die meiste Zeit bei unsern Veratunge'n beanspruchte die AußenPolitik. Haase als Dezernent verlas Telegramme, machte Vorschläge, immer ohne vorher mit mir darüber Rücksprache zu nehmen, und war ich gegen seine Vorschläge, so wurden sie um so sicherer' angenommen. Hierbei spielte die polnische Frage die Hauptrolle. Neben ihr die ukrainische, die baltische und die russische Frage, wichrend die Ententefragen im Kabinet nur bei Verlängerung des Waffenstillstands besprochen wurden. Hierzu hatte man wieder nur gegen meine Stimme, der Waffenstillstandskommisfton, d. h. Erzberger, dessen rühmenswerte Eigenschaft, unermüdlichen Fleiß, ich gerne anerkenne, weitgehendste Selbständigkeit eingeräumt — nach meiner Meinung zum großen Schaden des deutschen Volkes. Die Vehandlung der polnischen Frage ist ein Schandfleck der deutschen Revolution: denn hierbei wurde so schlimm geschwindelt, wie in den schlimmsten Zeiten des Krieges.
Das Auswärtige Amt (A. A.), Ober-Ost (O. O.), O. H. L. und Kriegsministerium (K. M.) täuschten uns, die Volksbeauftragten, und das deutsche Volk. Aber, und dies ist das schandbarste an diesem Trug, sie täuschten gemeinsam mit einem Teile der Volksbeauftragten, im Verein mit den Ebert, Scheidemann und Landsberg usw. Trotz meiner Opposition, meiner Warnungen und der täglichen Veweise der Lüge fielen Haase und Dittmann dauernd darauf hinein, bis es beim Schlußakt der Tragödie auch ihnen wie Schuppen von den Augen fiel.
Bald berichtete das A. A. über politische Aspirationen, bald das K. M. über gewaltige Truppenzusammenziehungen der Polen, bald die O. H. L. über gewaltsame Unterbindung der Rücktransporte durch dieselben und fast täglich O. O. über einen polnischen Bandeneinfall an irgendeiner Stelle der deutsch-polnischen Grenze.
Die O. H. L. hatte in provokatorischer, hochverräterischer Weise am 16. November, entgegen unseren klaren Vestimmungen und Vefehlen folgenden Geheimbefehl an O. O. gegeben:
Ich weise ernstlich darauf hin, daß eine schnelle Räumung des ganzen Ober-Ostgebietes, vornehmlich der Ukraine und des baltischen Gebietes, keinesfalls im nationalen und wirtschaftlichen Interesse Deutschland liegt. Gelingt es uns, in der Ukraine auch nach Friedensschluß noch Truppen zu haben, so ist das volkswirtschaftlich von großem Werte. Es handelt sich also zunächst nur darum, durch partielle Räumungen Kräfte für etwaigen Bahnschutz in Polen und zuverlässige Detachements für den Heimatschutz freizubekommen. Im übrigen hat die Räumung, wie im Waffenstillstandsvertrag vorgesehen, in einem späteren, mit der Entente zu vereinbarenden Zeitpunkt zu erfolgen. Ich bitte daher, mit aller Schärfe darauf hinzuweisen, daß nach Verfügung der Regierung jeder Heeresangehörige, der eigenmächtig seinen Posten verläßt, sich nicht nur strafbar macht, sondern auch jedes Anspruchs auf Versorgung verlustig geht. Mit Bildung freiwilliger Verbände, nicht nur für Deutschland, sondern auch für wichtige Punkte im Ober-Ostgebiet einverstanden. Vorschläge wegen Vergünstigungen sind an Kriegsministerium weiterzugeben.
(gez.) Gröner.
Als wir dieses Telegramm bekamen, beantragte ich die Absetzung und Verhaftung Gröners wegen Gehorsamsverweigerung, Hochverrats und Rriegsanzettelung sowie wegen des leichtsinnigen und frivolen Spiels mit Hunderttausenden von Menschenleben. Doch ich stand wieder, wie so oft, allein.
Auch bei Rücksprache mit Däumig, den ich geradezu anflehte, doch ins K. M. einzutreten, wurde ich brüsk abgewiesen, mit dem Vemerken: Ich lasse mich nicht im K.M. begraben.
Die Hakatisten, denen der Schmerz über den Verlust der rückfichtslos ausgeübten diktatorischen Gewalt den letzten Funken von Vernunft und Verstand geraubt hatte, tobten ob der polnischen Anmakung und des polnisch-spartakistischen Bündnisses, das darin bestand, daß das westpreußische, posensche und schlesische Proletariat, das bis dahin, wenn auch zähneknirschend, den Stiefel geküßt hatte, der es trat, es wagte, A.- und S.-Räte zu bilden. Grund genug für das nach unten hin immer einige Dreigestirn, Adel, Pfaffen und Großbourgeoisie, um ihre noch in Amt und Würde sitzenden Freunde zu Hilfe zu rufen. Hörte man diese, fo ging in jenen Bezirken alles drunter und drüber. Hörte man aber die meist paritätisch aus Deutschen und Polen zusammengesetzten A.- und S.-Räte, dann war alles in Ordnung. Nichts von Konspiration, nichts von nationalistischem Hasse und nichts, aber auch absolut nichts, von Vandeneinfallen. Unruhen, polnische oder spartakistische, am besten polnisch-spartakistische, waren der Wunsch unserer Hakatisten, und kamen sie nicht, nun dann mußten sie eben gemacht werden. Zu diesem Zwecke kam der Heimatschutz, dann der Grenzschutz. Beides trotz lebhaftem Widerspruch der Polen und trotz ihres immer wiederholten Versprechens der Loyalität gegenüber dem Waffenstillstand. Es nutzte nichts, denn der Hakatismus war, so lächerlich und unglaublich dies auf den ersten Blick klingen mag, der stärkste Faktor im neuen Deutschland. Und das kam so: Der hakatistische Landsberg war der leitende und bestimmende Kopf des Rates der Volksbeauftragten. Ebert und Scheidemann, zwei über wenig Wissen verfügende, aber mit Fuchsschlauheit, mit Sophistik und Streberhaftigkeit bis oben hin vollgefüllte, in der Parteibürokratie ausgebildete Routiniers, waren nur Puppen in der Hand eines Landsberg. Dieser war ein ebenso gescheiter wie gewissensarmer Kopf, ein außerordentlich tüchtiger, gerissener und überzeugend deduzierender Jurist, ein mit allem gesellschaftlichen Firnis übertünchter Weltmann und ein mit dreifachem Haß erfüllter und nur diesem Hasse lebender, ihm skrupellos alles opfernder Mann. Er haßte die Polen als im hakatistischen Sinne erzogener Oberschlesier, er haßte das Proletariat als ausgeprägter Boürgeois, und er haßte die Vorsehung, die ihn einen jüdischen Vater finden ließ, was ihn verdammte, nur Nebenfigur zu sein, wo er im andern Falle nach dem Lorbeer hätte greifen können. Er haßte, er hatte diese stärkste, treibendste Eigenschaft, ohne die in edle Bahnen führende, gleich starke Eigenschaft der Liebe zu besitzen. Hatte er das Proletariat geliebt, wie er es haßte, es sähe um die deutsche Revolution anders aus. Meine Anklagen gegen ihn erhebe ich später.
Diesem geschlossenen Trio, dessen Geschlossenheit, wie bemerkt, in dem Mißverhältnis zwischen Wissen und Strebersinn der Veiden und in der geistigen Ueberlegenheit des Einen bestand, standen wir gespalten gegenüber.
Haase war einer der ehrlichsten Menschen, die ich je kennen gelernt, aber absolut kein Tatmensch. Er war ewig bestrebt, es mit keinem Menschen zu verderben, ein Zauderer, wo schnelle Entschlüsse zwingend sind, ein überzeugter Sozialist aus geistigem Erkennen und Erfassen des historischen Materialismus: dies aber, ohne das nur durch Not und Elend zu erwerbende gesunde, proletarische Empfinden, das allein vermag, falls es nicht durch brutale, das gesunde Rechtsempfinden aufpeitschende persönliche Vergewaltigung erzeugt wird, wahrhaft revolutionäres Empfinden und revolutionäre Tatkraft auszulösen. Er war ein scharfes Extrem zu Landsberg. Er liebte das Proletariat, wie es jener haßte, er war bereit, ulles für den Sozialismus zu opfern, wie jener bereit war, den Sozialismus für seine Haßbefriedigung zu benutzen, er wollte mit Güte und Entgegenkommen die Bourgeoisie für das proletarische Streben gewinnen, ihm fehlte der Haß gegen die Bourgeoisie. Hierbei meine ich nicht den einzelnen Vourgeois, wie ich, um Entstel. lungen vorzubeugen, betone, denn den hasse ich auch nicht, den bekämpfe ich. Er hielt die Bourgeoiste für nicht notwendig, für überflüssig, vielleicht auch für schädlich, aber er haßte sie nicht, und darum hatte er keine Energie zur Durchsetzung seines rein theoretischen Willens. Er sagte nicht: ich will! und weil ich will, darum muß es! Er sagte noch nicht einmal: Ich möchte, wohinter immer noch eine gewisse Energie steht, sonderrn er brachte es nur zu einem: wenn es wäre. Das heißt Ausschaltung aller Energie, heißt lavieren, heißt paktieren, statt niederzwingen. In der eigenen Partei war er anders, da setzte er sich rücksichtslos durch. Hinzu kam nun noch, daß er in den entscheidenden Fragen sich selbst nicht klar war und darum doppelt zauderte. Er stand außen- und innenpolitisch völlig unter dem Einfluß Kautskys, wirtschaftspolitisch unter dem Einfluß Hilferdings. Er huldigte deren Theorien, sah aber, daß er in der Praxis, wenn er nicht in der chauvinistischen, wirtfchaftsfriedlichen, den Sozialismus bekämpfenden Sozialdemokratie aufgehen wollte, anders handeln müsse.
Ein Wort sei hier zu Kautsky und Hilferding bemerkt. Ueber Kaurskys umfangreiches historisches Wissen und gewaltiges Lebenswerk als Historiker ist kein Wort zu verlieren. Aber es ist ein erheblicher Unterschied, ob jemand als Anatom oder als Chirurg auftritt. Er Kann in dem einen Falle Autorität, in dem andern ein Stürnper sein. Ohne daß nun jemand ihm das Recht absprechen dürfte, sich weiter als Autorität in der Anatomie zu betätigen, hat jeder, der es mit ihm und der Menschheit gut und ehrlich meint, die Pflicht, ihm, wenn er erneut einen operativen Eingriff bei einem bebenden machen will, zuzurufen: Hände weg! Ebenso geht es Kautsky. Er ist der erste lebende Anatom des wissenschaftlichen Sozialismus. Er weist historisch, überzeugend und schlagend nach, daß das und das aus den und den Ursachen so und so werden mußte. Aber ob man eine Sache historisch oder gegenwärtig betrachtet, ist ein gewaltiger Unterschied, und ob man es mit dem Glorienschein längst vergangener Zeiten umschmückt oder ob man selbst gestaltend eingreift, ist ebenfalls ein gewaltiger Unterschied. Grundlegende Theorien, die gewaltigsten Felsen des Prinzips , müssen in der Stunde des Handelns oft mit einer einzigen Handbewegung weggewischt werden, um — eben den Theorien, den Prinzipien zum Durchbruch, zum Siege zu verhelfen. Wer die Demokratie will, der muß die proletarische Diktatur wollen, bis zur Kaltstellung und Zertrümmerung der bestehenden Diktatur. Und bis zur Errichtung der sozialen Demokratie, bis zu deren in der Zeit der proletarischen Diktatur erfolgten Fundierung, wird es immer nur Diktatur geben. Ebenso — das gilt für Kautsky und Hilferding — steht es mit der Sozialisterung, die nicht betriebsweise, sondern organisch von der Zentrale aus erfolgen muß, aber nicht organisch in dem Sinne geoeutet, daß organisch langsam und nach und nach heißen muß. wer aber solche Fragen Wissenschaftlich behandelt, der muß sich klar seln, daß er nicht alle paar Wochen ein anderes Programm vertreten darf. Wissenschaftlich eine Frage prüfen und klären heißt alle Möglichkeiten klar und bestimmt ausdenken und hieraus den richügen Weg und die richtige Methode — die allerdings beide nicht nach der wirklichen oder vermeintlichen Stimmung der Masse hinund herschwanken dürfen — theoretisch festlegen, so daß sich die Praktiker danach zu richten vermögen.
Haase stand also, wie gesagt, in deren Bann, und so wie die Gärung in den Massen stieg, so rückten sie langsam nach links. Wäre der Haase vom November und Dezember der vom März gewesen, dann wäre manches ganz anders gekommen. Doch bei aller sachlichen Differenz: Die Motive Haases waren die denkbar ehrlichsten und redlichsten. Er verkannte die Situation, hatte zu großes Dertrauen zu seinen Partnern.
Dittmann war völlig der Schatten und das Sprachrohr Haases, im Kabinett und auch sonst. Auch sein Referat auf dem Rätekongreß hat Haase vorgelegen, so daß also auch dessen damalige Auffassung klar daraus hervorgeht.
Am 25. November fand in der Reichskanzlei eine Reichskonferenz der Freistaaten-Vertreter statt. Ich hatte Haase dringend nahegelegt, daß wir mit unsern Genossen der Konferenz unter Hinzuziehung unserer Genossen des Vollzugsrates, entweder vor, oder wenn die» nicht ginge, doch mindestens nach der Konferenz, eine Sitzung anberaumen follten. Doch er erklärte, das ginge nicht, weil hierdurch das gemeinsame Zusammenarbeiten unter Umständen durch ein infolgedessen entstehendes Mißtrauen unterbunden werden könne. Meine Einwendungen, daß selbst auf diese Gefahr hin wir verpflichtet seien, dahin zu wirken, im ganzen Reiche einheitlich und zielklar zu arbeiten, wehrte er mit der Vemerkung, daß noch alles im Flusse sei und wir uns nicht durch voreilige Veschlüsse binden dürften, ab. Dies rächte sich bitter. Dieses verfluchte Lavieren, diese ewige Angst vor einem Festlegen auf klare Prinzipien und klare taktische Maßnahmen bewirkten eine ewige Zerfahrenheit und Direktionslosigkeit, machten uns dauernd zum Spielball der demagogischen und, wie sich später herausstellte, uns täuschenden Routiniers, die mit ihren Anhängern und im Bunde mit den Solf, Erzberger, Schiffer usw. immer ein klares — konterrevolutionäres — Ziel hatten. Hinzu kam, daß Haase dauernd, na sagen wir, zu bescheiden war, seine Vorsitzendenrechte wahrzunehmen. Auf mein wiederholtes Drängen, er müsse abwechselnd mit Ebert die Kabinett und sonstigen Sitzungen leiten, sagte er stets, beantragen Sie es doch, wogegen ich mich verwahrte, indem ich ihm erklärte, daß ich Eine derartige Selbstverständlichkeit nicht beantrage, da ich das als eine Herabwürdigung für ihn betrachte. Es half nichts.
Auch auf dieser Konferenz hatte Ebert vorund nachmittags die Leitung und da er hierin eine meisterhafte Routine besaß, schob er die Karre so, wie er sie wollte und brauchte. Mit der ihn so vorzüglich kleidenden, salbungsvollen Würde eröffnete er in phrasenreicher Ansprache die Konferenz der „demokratisch-sozialistischen" Republik und schlug als Tagesordnung vor, daß mit Solf und Erzberger beginnend, alle Ressorts einen Vericht geben sollten, woran Kch eine allgemeine Aussprache schließen sollte. Diese Tagesordnung hatten wir nicht im Kabinett festgelegt, sondern nur Ebert und Haase. Tisner wandte sich zur Geschäftsordnung dagegen und schlug eine Dreiteilung vor: 1. Waffenstillstandsund Friedensfrage. 2. Stellung der Gliedstaaten zum Reich und 3. Wirtschaftsfragen. Lipinski unterstützte Eisner und Ulrich Ebert mit dem Resultat, das beschlossen wurde, erst die Referate zu hören und dann die Diskussion Zu gliedern. In Wirklichkeit hatte Eisner Ebert ungewollt in die Hände gearbeitet: denn das wollte Ebert, daß über vergangene Sünden geredet werde, um zu verhüten, daß etwas Praktisches und das Kabinett Bindendes beschlossen wurde. Gewiß war die AuslandsPolitik das Wichtigste und die Frage der bürgerlichen Minister bedurfte dringend der Lösung. Aber diese beiden Fragen konnten im Sinne des Sozialismus und der Revolution nicht gelöst werden, indem man über sie selbst sprach, sondern nur indem man die Wirtschaftsfragen — wozu in diesem Zusammenhang Finanz-, Demobilisations- und Ernährungsfragen gehören — im sozialistischen Stnne entschied, wodurch ganz von selbst entweder ein fluchtartiges Demissionieren von Solf bis Preuß oder die Demaskierung der Rechtssozialisten erfolgt wäre.
Die Konferenz verlief wie das Hornberger Schießen, stärkte die Macht von Landsberg und hinterließ verstärkte Zerrissenheit der U. S. P. Meine erneuten Vemühungen, am Schlusse eine Zusammenkunft unserer Genossen herbeizuführen, scheiterten, da beinahe alle unsere Teilnehmer es ablehnten, insbesondere Haase, Eisner und die auf dem linken Flügel stehenden Genossen aus Gotha und Braunschweig. Es war bald zum Verzweifeln.
Am 27. November hatte ich in der Berliner Vollversammlung der Arbeiterräte ein Referat gehalten, wartn ich unter anderem erklärte: Ein Verräter an der Revolution sei der, der sie zu einer Lohnbewegung degradiere. Ich wandte mich gegen die Streiks und erklärte dann wörtlich: „Ich sage es aber auch laut und deutlich, daß jeder Unternehmer, der das Wirtschaftsleben sabotiert oder auch nur passive Resistenz verübt, rücksichtslos, ohne jedwede Tntschädigung expropriiert wird."
Als ich nun am andern Morgen zur Kabinettsitzung kam, meinte Landsberg: „Koll. Barth. sagen Sie einmal, vorausgesetzt, daß Sie diesen Satz, der übereinstimmend in allen Zeitungen steht, worin Sie die Expropriation androhen, gesagt haben, wer Sie dazu autoristerthat?"
Ich: „Den Satz habe ich gesagt! Und wer mich dazu autoristert hat?"
Landsberg: „Ja, wir haben hierüber, als einer doch außerordentlich weitgehenden Frage, doch keinen Beschluß gefaßt."
Ich: „Nein! Aber hierzu hat mich die Revolution autorisiert, und das, da können Sie versichert sein, wird wahrgemacht! Haben Sie übrigens etwas dagegen, dann bitte sagen Sie es sofort, dann ziehe ich die Konsequenzen und trete zurück!"
Landsberg: „Nein!"
Ich: „Haben Sie etwas dagegen?" frug ich Scheidemann.
Scheidemann: „Nein!"
„Sie?" frug ich Ebert.
Ebert: „Treten wir in die Tagesordnung ein!"
„Also haben auch Sie nichts dagegen, d. h. Sie sind mit meinem Anspruch einverstanden."
Am 29. November beantragte ich im Kabinett, daß ich und ein Volksbeauftragter der S. P. D. nach der am 1. Dezember in Lad Ems stattfindenden Vertreterversammlung der Frontsoldatenräte delegiert würden. Ebert, Scheidemann und Landsberg wandten sich entschieden dagegen, Haase und Dittmann befürworteten es. tluf meine Erklärung, daß ich fahren würde, ob mit oder ohne ihre Zustimmung gaben sie dieselbe, erklärten jedoch, daß sie für sich bereits ihren Vertreter bei der O. H. L. — Giebel — delegiert hätten. Hierauf kam es zwischen mir und den Dreien, denen ich unkollegiales Verhalten, das an Hintergehung und Betrug grenze, vorwarf, zu einem scharfen Zusammenstoß.
Es sei hier bemerkt, daß wir trotz eifrigster Vemühung keinen Genossen fanden, weder zur Vertretung als Unterstaatssekretär im K.-M., noch als Regierungsvertreter bei der O. H. L., d. h. in den beiden wichtigsten Stellen hatten wir keinen Vertreter.
Am Sonnabend fuhr ich nach Köln und am Sonntag früh von da im offnen Auto nach Ems, wo wir um 3/4 12 ankamen.
Meinem Begleiter erkläre ich: „Nach meiner Auffassung gehen wir jetzt in die höhle des Löwen, d. h. in die Zentrale der Gegenrevolution. Werde ich niedergeknallt oder verhaftet, so gib sofort Bericht nach Berlin." Zu meiner größten Genugtuung hatte ich mich getäuscht. Der Vertretertag war allerdings nicht revolutionär, aber auch nicht ausgesprochen gegenrevolutionär. Es war wie bei allen Soldatenräten, eine beinahe jedes politischen Verständnisses bare, von den kleinsten und kleinlichsten Sorgen des Heute erfüllte, völlig im Vanne der Soldatenvsvchose stehende Versammlung, wo, von einigen ausnahmen abgesehen, jeder Einzelne alle Fragen nur in seinem persönlichen Interesse betrachtete, ohne zu wissen, was eigentlich Morgen seine Interessen seien. Der einzige feste Kern in der Versammlung, dem allerdings ihre große Mehrzahl, wenn auch nicht feindlich, so doch ablehnend gegenüberstand, waren die dorthin delegierten Offiziere, die es verstanden, der Versammlung zu suggerieren, daß zwischen ihren und der andern Delegierten Interessen nicht nur keine Gegensätze bestünden, sondern daß ihre Interessen völlig identisch seien. Und daher kam es, daß alle dort gefaßten Beschlüsse lediglich militärischer, die Revolution in ihrem Wesenskern völlig ignorierender Natur waren. Wieviele der damaligen Delegierten haben sich wohl, ob ihrer damaligen Kurzsichtigkeit, seitdem die Haare gerauft?
Als ich den Saal betrat, sprach gerade Giebel, in skrupelloser Weise gegen Spartakus hetzend, von der aus divergierenden Mannern zusammengesetzten Regierung, in der die Vertreter der S. P. das Abrücken zum Bolschewismus verhüten würden, zum Schluß der Versammlung zur treuen Unterstützung der Regierung „Ebert-Scheidemann" auffordernd.
Nach der Mittagspause, die nun eintrat, bekam ich das Wort, mit schwachem Veifall und regem Widerspruch begrüßt, und gab in 1 1/2 stündiger Ausführung ein Bild von den wirklichen Verhältnissen und Zuständen. Ich führte der Versammlung vor Augen, wie es mit dem Heere im Osten und Westen bestellt sei, wie das Verhältnis mit Polen und wie die Wirkungen des Waffenstillstands seien. Dann gab ich ein Vild über unsere Ernährungsverhältnisse, um dann eingehend die wirtschaftlichen und die daraus resultierenden politischen Verhältnisse zu schildern, in die sie allerdings erst hineingezogen würden, wenn sie ihre kleinen soldatischen Sorgen von heute mit den großen Sorgen von morgen vertauschen würden. Zum Schlusse appellierte ich an ihr Solidaritätsgefühl und schloß unter dem stürmischen Veifall der Versammlung.
In der Diskussion fand nun die Spartakushetze keinen Beifall mehr, und auch Giebel schlug, gewarnt, andere Töne an. Was ich in Ems hoffen konnte zu erreichen, nämlich die Unmöglichkeit, die Fronttruppen gegen uns zu mißbrauchen, das hatte ich erreicht. Um sie zu uns herüberzuziehen, dazu war die harte Schule des Lebens nötig.
Am Montag fuhr ich nach Mannheim, um wegen der Erschießung eines französischen Gefangenen im dortigen Gefangenenlager zu verhandeln, doch die Angelegenheit war bei meiner Ankunft schon erledigt.
Nunmehr fuhr ich nach Kassel zur O. H. L. In mehrstündigen Verhandlungen mit Gröner bekam ich ein klares Vild über das Tun und Wollen der O. H. L., das ich dem Major Gareis auf seine Frage nach der Unterredung folgendermaßen formulierte:
„Das, was ich bisher geglaubt, das ist mir heute zur Gewißheit geworden. Hier bei der O. H. L. laufen die Fäden der Gegenrevolution zusammen. Heute und morgen haben wir von Ihnen nichts zu befürchten, aber übermorgen, d. h. sofort nach dem Friedensschluß. Ich billige Ihnen das Recht zu, Gegenrevolution zu machen. Aber lassen Sie sich nicht dabei kriegen, denn dann geht es Auge um Auge."
Diese Worte sprach ich im Beisein einiger Mitglieder des S.-R., und Gareis war derart betroffen, daß er keine Worte der Erwinerung fand.
Am 6. Dezember kam ich nach Berlin zurück. Am Nachmittag war ich zu eine Konferenz im Abgeordnetenhaus. Um 3/4 5 Uhr verließ ich sie, um nach der Kabinettsitzung zu gehen. Als ich auf den Korridor kam, kam mir gerade Paasche entgegen, der mich am Arm faßte und nach dem Seitenausgang ziehen wollte.
„Schnell! Schnell! Genosse Barth! Das ganze Haus ist schon von Soldaten gefüllt! Der Vollzugsrat wurde eben verhaftet. Kommen Sie schnell!"
„So," sagte ich, „dann muß ich schnell sehen, was los ist und mit einem Donnerwetter dazwischenfahren."
„Menschenskind, Sie rennen mit offenen Augen in Ihr Verderben!" rief er und rannte los.
Ich ging nun den Korridor um die Ecke, da wogte es von Soldaten, die schon einige Kuriere des Vollzugsrates verhaftet hatten.
Ich stürmte hin und rief: „Wo ist euer Führer?"
Sie zeigten auf die Treppe, wo mitten im Gewoge ein Feldwebel stand. Ich brüllte nun aus Leibeskräften:
„He, Sie! Feldwebel! Kommen Sie mal herunter! Aber sofort!"
„Was fallt dem Kerl ein! Nehmen Sie ihn fest!" rief er den Soldaten zu, worauf ich den Söldaten und auch ihm zurief:
„Mein Name ist Barth, Volksbeauftragter! Und nun kommen Sie herunter, oder ich lasse Sie von Ihren Leuten sofort festnehmen! Los, hopp, schnell kommen Sie her! Was fällt Ihnen ein? Wissen Sie, daß Sie hier Hochverrat begehen, daß ich Sie mit Ihren ganzen Deuten an die Wand stellen lassen kann?"
„Zu wem steht ihr, Kameraden? Steht ihr zur revolutionären Regierung oder zur Gegenrevolution, zur Monarchie?"
„Wir stehen zur Republik!" riefen nun die Soldaten.
Ich ging nun mit dem Feldwebel Fischer in ein Zimmer, wo er mir erklärte, er komme im Auftrage der Regierung mit der Weisung, die Vollzugsratsmitglieder zu verhaften und jeden Widerstand zu brechen. Den Auftrag selbst habe er von dem Kommandanten der Franzer, Spiero. Ich rief zwei Soldaten und gab ihnen den Befehl, ihn solange festzuhalten, bis ich wiederkäme. Dann ging ich nach dem Beratungszimmer des Vollzugsrates. Die Vollzugsratsmitglieder saßen alle ruhig und still um den Tisch, und der ganze Raum war gefüllt mit Soldaten mit aufgepflanztem Bajonett, die einen ziemlichen Lärm vollführten.
„Ruhe da!" rief ich nun, „Ruhe! Und stillgestanden, wenn zu Ihnen im Dienste ein Mitglied der Regierung tritt!"
Als sie das Wort Regierung in Verbindung mit dem scharfen Tone hörten, trat augenblickliche Ruhe ein.
„Soweit Sie mich nicht kennen, mein Name ist Barth, Volksbeauftragter! Ieder hat sich meinem Vefehle zu fügen! Wer ist euer Führer?"
Der kam in dem Augenblick zur Türe herein und gab, sich erst entschuldigend, auf meine Fragen folgende Auskunft:
„Mein Name ist Schmitt. Ich erhielt von einem Kameraden, den ich kenne, der schon mehr Vefehle überbrncht hat, den Vefehl, von der Regierung unterschrieben und unterstempelt, den Vollzugsrat zu verhaften. Wenn Sie mir nun das Gegenteil erklären, dann sind wir mißbraucht worden. Ich werde sofort mit einigen Leuten gehen, um meine Auftraggeber zu verhaften und sie hierherbringen. Den von Ihnen unterschriebenen Vefehl geben Sie mir aber bitte mit."
Es kam noch eine dritte Kolonne. Ich sprach nochmal mit den drei Führern, die alle drei durch falsche Vefehle mißbraucht waren.
Als die Soldaten nun aus dem Zimmer waren, beriet der Vollzugsrat, was für energische Maßnahmen zu unternehmen seien. Ich sagte, redet nicht lange, sondern geht nach allen Kasernen, und sorgt für Aufklärung. Aber da war nichts zu machen, sie redeten.
Ich fuhr nach der Franzerkaserne, wo ich Spiero, der in der Zwischenzeit den dicken Ebert zum Präsidenten ausgerufen hatte, inmitten des S.-R. der Franzer vernahm. Spiero erklärte sich bereit zu dem von mir verhängten Kasernenarrest, der S.-R. der Franzer verpflichtete sich, Tollin Roß, Fellichner und Metternich zu verhaften, und am andern Morgen wurde die Vernehmung vorgenommen. Vei der Vernehmung stellte sich heraus: Fellichner, Krebs, Collin Roß und Metternich, die sich ihre Werkzeuge weiter unten besorgten, standen im Dienste von Hauptmann Lorenz vom K.M., dem Freiherrn von Stumm im A. A. und dem Geheimrat Simons in der Reichskanzlei sowie Moser, dem Sekretär Landsbergs. Die Sache wurde "dann einer Kommission zur Erledigung überwiesen, deren Endresultat mir nicht bekannt ist.
Am Abend kam es aber in der Invalidenstraße noch zu einer Schießerei. Schuld an dieser Schießerei trug neben den schon oben genannten Personen noch ein Krebs, S.-R. beim G. P., der wiederum im Auftrage des Stadkommandanten Wels handelte. Aufklarung wurde bis heute noch nicht gegeben.
Nach meinen Erfahrungen am 2S. und 24. Dezember vermute ich heute, daß die ganze Sache im Auftrage Landsbergs gemacht war, daß aber die Ausführenden die Sache verpfuscht haben, indem sie die zeitliche Reihenfolge umwarfen. Landsberg wollte damals kurz vor dem Rätekongreß, vollendete Tatsachen schaffen, wie er bestrebt war, dasselbe im Osten gegenüber den Polen zu tun und am 2S. und 24. Dezember. Doch hier wie dort fiel er, weil er bei seiner glänzenden Strategie zu dumme Unterführer hatte, hinein. Es sollte also folgendermaßen von statten gehen:
Erst sollte die Demonstration in der Invaliden—Chausseestrasse im Blute ersäuft, die Soldateska durch den Widerstand der Demonstranten in die. höchste Ekstase versetzt-, dann von dieser wütenden Meute der Vollzugsrat verhaftet und beim geringsten Widerstand gemeuchelt, dann Ebert zum Präsidenten ausgerufen, hierauf der Belagerungszustand verhängt und jeder Widerstand niedergeschlagen werden. W. T. B. sollte dann in so verlogener Weise, wie zu Weihnachten in Spartakistenhetze machen, der Präsident unddas U. S. P.-reine Ministerium hätten sofort den Wahltermin für die Nationalversammlung verkündet, und das ganze Volk hätteaus Dankbarkeit für die Errettung aus der von ihm noch nicht einmal geahnten Gefahr auf dem Vauche gelegen. Hei, das wäre nicht nur eine Wahlparole zur Nationalversammlung gewesen, sondern auch der hellste Glorienschein ob des Geschickes, das Gras wachsen zu hören, und ob der Entschlossenheit und Tatkraft, das Uebel an der Wurzel zu fassen.
In der Kabinettsttzung am 7. Dezember nachmittags forderte ich, indem ich zugleich meine Eindrücke von Ems und Wilhelmshöhe mitverwertete, wahrheitsgemäße Angaben, die Verhaftung von Simons, von Stumm und Lorenz, die sofortige Einsetzung einer Untersuchungskommission und weiterhin die Ausfegung des K. M. und des A. A. und die Entlassung von Wels. Die Einsetzung einer Kommission wurde beschlossen, alle weiteren Anträge mit 5 Stimmen abgelehnt.
Ich schwankte hin und her, ob ich aus dem Kabinett ausscheiden sollte oder nicht. Beweise für die Mitschuld der S. P. hatte ich nicht. Waren sie unschuldig, dann durfte keine Abstinenzvolitik geübt werden, waren sie schuldig, dann bezweckte ihr Tun, uns zu entfernen, dann durfte ich erst recht nicht niederlegen, sondern mußte bestrebt sein, Material zu sammeln, um auf dem Rätekongreß mit ihnen abzurechnen.
Am Sonntag, den 8. Dezember, hatten wir abends eine recht lebhafte Auseinandersetzung im Kabinett. Am Morgen in der S.-R.-Versammlung hatte der Vorsitzende des Potsdamer S.-R., Heyne, mitgeteilt, daß das Generalkommando Lequis mit starken und bewaffneten Truppenmassen, in denen es keine S-R. gäbe, zwischen Potsdam, wo sie die roten Jahnen heruntergerissen hätten, und Berlin läge. Ebert erklärte, daß eine Selbstverständltchkeit vorläge. Die Garde-Kavallerie-Schützen-Division, die die ganze Zeit im Felde gestanden habe, sollte hier in Berlin, ihrem Garnisonsort, einziehen und sofort entlassen werden. Nicht länger alS höchstens zwei Tage wären sie hier, ein Teil nur einen Tag, da diese Regimenter nicht in Berlin, sondern in verschiedenen andern Orten Mittel- und Westdeutschlands lägen, aber ihrem Wunsche, in Berlin einzuziehen, müsse man Rechnung tragen. Ich wandte mich scharf gegen derartige verschwenderische Spielereien, die unnütz Kohle, Transportmittel und sonstige namhafte Ausgaben verursachten und forderte ihre sofortige Entlassung bzw. den Abtransport. Meine fünf Rollegen waren dafür, da sie nun einmal vor Berlin lägen, sie nun auch einziehen zu lassen. In dem Augenblick kamen etwa 10 Mitglieder des Vollzugsrates und forderten Aufklärung über dieselbe Angelegenheit. Ebert gab die gleiche Erklärung wie zuvor. Die erschienenen S. P.- und S.-Mitglieder des V.-R. stimmten dem Vorschlage Eberts zu, nur die U. S. P.-Mitglieder desselben opponierten. Wir kamen dann überein, es war mittlerweile Mitternacht geworden, daß zwei S.-Mitglieder des V.-R. und ich sofort hinausfahren, das Kommando und die Soldaten sprechen sollten und daß die endgültige Entscheidung am andern Morgen gefällt werden follte.
Wir fuhren nun nach Wannsee, wo wir mit dem Hauptmann Pabst verhandelten. Nach einem kurzen, aber sehr scharfen Zufammenstoß gab er alle gewünschte Auskunft. Wir sprachen auf seine Veranlassung auch noch rein persönlich über die Offiziersfrage im allgemeinen und seine Person im besonderen. Das Resultat war, daß er seine pessimistische, von Selbstmordgedanken erfüllte Auffassung aufgab und mir zum Schluß herzlich dankte.
Am andern Morgen hatten wir mit Scheuch und Lequis im Kabinett Verhandlung. Auch hierbei wurde versprochen, genau nach unseren Anweisungen zu verfahren.
Heute behaupte ich, da nach den Versprechungen nicht gehandelt wurde, allerdings, zu ihrer Ehre sei es gesagt, nachdem Lequis abgedankt und Scheüch seine Demission eingereicht hatte, daß uns auch hierbei Landsberg und Genossen getäuscht haben. Ich behaupte: Die Garde-Kavallerie-Schützen-Division war von Landsberg und Genossen hinter unserm Rücken gerufen worden, um nach dem Putsch vom 6. Dezember den Landsberg-Ebert-Scheidemann-Truppen bei Niedermetzelung des Berliner Proletariats und der zu ihnen stehenden Truppen zu helfen.
An diesem Tage schnitt Landsberg auch die Frage des Joffe-Telegramms an.1 Ich gab eine kurze und bündigeErklärung, ebenso Haase. Darauf Keine weitere Frage und Keine Antwort. Ich frug nun am Schlusse der Sitzung, was das zu bedeuten habe, ob sie irgendwelche Konsequenzen daraus gezogen zu sehen wünschten, worauf die Antwort erfolgte: „Nein, für uns ist die Sache erledigt."
Hierzu möchte ich jedoch sagen: Selbst vorausgesetzt, daß das mir von deutschen Genossen gegebene Geld von Ioffe stammte, erkläre ich die Funksprüche Ioffes für mehr als dummdenn wenn ich ebenfalls Namen genannt hätte, dann wären jene Genossen sicherlich nicht mehr am Leben, die Konterrevolution hätte sie gemordet. Und im übrigen waren diese Funksprüche vom Standpunkt der Sowjetrepublik die denkbar größte Eselei, ich glaube nicht, daß es noch so einen Menschen gibt, der sich des Misbrauchs der Exterritorialität brüstet. Das war für die ganze bürgerliche Meute das denkbar angenehmste Fressen. Als Beweis dafür folgender Abwehrartikel aus der „Freiheit" vom 11. Dezember 1918:
„An den Laternenpfahl!
Von Emil Barth.
Einen Vorgeschmack, wie der weiße Schrecken mit satanischer Lust wüten würde, gibt der heutige Leitartikel der „Deutschen Tageszeitung": „Deutsche Revolution, russisches Geld".
Ein Herr P. B. ruft nach dem Reichsgericht, d. h. er ruft nach dem Hochverratsparagraphen, d. h. er ruft nach den Köpfen derer, die bei der Revolution an vorderster Stelle standen. Er ruft nach den Köpfen der siegreichen Revolution. Und man mache sich klar, nach wie vielen Köpfen dieser Herr rufen würde, wenn die Gegenrevolution siegte.
Wie und durch welche Ursachen das Telegramm Ioffes entstand oder ob, wie ich annehme, eine Mystifikation vorliegt, kann ich nicht sagendas jedoch kann ich sagen: soviel Worte, soviel Unrichtigkeiten. Ich stehe voll und ganz zu meiner Erklärung, und ich erweitere diese Erklärung dahin, daß nach meinem Wissen keiner von den Genossen, die mir Geld gegeben, etwas von den Russen erhalten hat. Ich leugne natürlich auch nicht, monatelang in eminent revolutionärem Sinne tätig gewesen zu sein. Ich leugne nicht, mehrere tausend Schutzwaffen und mehrere tausend Handgranaten zur Ausrüstung der Berliner Arbeiterschaft besorgt zu haben. Ich leugne auch nicht, daß diese Waffen durch eine vorzügliche Organisation über ganz Berlin verbreitet gewesen sind. Ich leugne nicht, daß es keine Großbetriebe in Berlin gegeben, die nicht bei dem Ausbruch der Revolution in der Lage gewesen wären, mit ihrer Sturmtruppe an der Spitze der Schutzleute Herr zu werden. Ich leugne nicht, daß, wenn es zum Kampfe gekommen wäre, es viele Opfer gekostet hätte. Ich möchte es mir aber ganz energisch verbitten, von irgendwem und irgendwann mir sagen zu lassen, daß ich im Interesse des Auslandes tätig gewesen sei.
Ich war tätig für die Revolution, für den Sozialismus, für die Menschheit. Ich war tätig, um eine illegale Organisation von vielen Tausenden zu schaffen, die, obwohl sie nicht im Schützengraben lagen, obwohl sie angeblich so hohe Löhne bezogen, bereit waren, freudig ihr Leben in die Schanze zu schlagen, um Millionen draußen an der Front daneben zu retten. Es ist nur bedauerlich, daß dies erst im Iahre 1918 und nicht schon einige Iahre früher geschah. Wäre dies früher geschehen, dann wären Millionen von Menschenleben erspart und Deutschland vor dem völligen Zusammenbruch bewahrt geblieben.
Das ist alles wahr. Wahr ist weiter, daß von dieser illegalen Organisation die Leitung der U. S. P. erst erfuhr, als daran absolut nichts mehr zu andern war. Ich konstatiere gern, daß dann auch nicht von einem einzigen Bedenken erhoben worden sind, sondern daß sie sich alle voll und freudig der notwendigen Aufgabe widmeten.
Es ist also etwas mehr, was ich heute sage, als was in meiner gestrigen Erklarung stand, und ich scheue nicht zurück vor dem Ruf nach meinem Kopfe, der von dem Organ ausgestoßen wird, dem selbst das Meer von Blut, das der Krieg gekostet hat, den Mutrausch nicht gestillt hat. Ich möchte aber gleich bemerken, sie mögen etwas vorsichtiger sein mit ihren Aeußerungen. Es war der Fehler aller Revolutionen, daß das Mitleid und die Menschlichkeit sie abhielten, das zu tun, was zur Erhaltung ihrer Sicherheit notwendig gewesen wäre. Und ich möchte hier mit aller Deutlichkeit konstatieren, daß auch in Rußland die Novemberrevolution solange friedlich ohne jeden Terror und ohne jedes Blutvergießen war, solange die Gegenseite ihrem Blutdurst und ihren Machtgelüsten nicht die Zügel schießen ließ. Und unsere blutdürstigen Hyänen, die vier Iahre lang vom Leichenschmause lebten und weit hinter der Front immer nach mehr Vlut und Leichen schrien, um aus dem Mute und den Knochen der Ermordeten und Verstümmelten Geld und wieder Gelb zu münzen, schreien nur nach unserem Blute, nach unseren Köpfen, um ihren Profit, ihr Allerheiligstes, nicht zu gefährden.
Aber sie mögen sich hüten, sie mögen den Schrei nicht allzu laut werden lassen, denn in der heutigen Zeit der Erregung und Erbitterung ist es äußerst leicht, daß sich die Extreme berühren: und sie mögen sich gesagt sein lassen, heute noch haben wir die Macht, und ebenso schädlich wie es für sie ist, daß wir die Köpfe noch auf den Schultern tragen, ebenso schädlich und gefährlich ist es auch für uns, daß bei ihnen dasselbe zutrifft. Sie mögen sich hüten, schon heute ihre Absichten von morgen allzu klar zu enthüllen: denn keine Macht der Erde kann es dann verhüten, daß dieses wollen von morgen heute unmöglich gemacht wird.
Sie mögen sich hüten, ihren Terror und weißen Schrecken an die Wand zu malen, sonst könnten sie durch unseren, dann notwendigen, aus Notwehr geborenen Terror vernichtet werden. Ich hoffe und wunsche das nicht! Ich hoffe und wünsche, daß alle einsehen lernen, daß der Zusammenbruch des Reichs territorial, wirtschaftlich und finanziell nur verhütet werden kann, wenn sich alles einmütig um das Vanner der Freiheit und des Rechtes,um das Banner des Sozialismus schart. Die anderen mögön sich gesagt sein lassen, daß von dem friedlichen Aufbau und Ausbau des völlig zerrütteten, aus tausend Munden blutenden Landes das Wohl des deutschen Volkes abhängt, daß wir aber nicht feige genug sind, diese Freiheit und unser Leben leichten Kaufes preiszugeben. Sie mögen sich gesagt sein lassen: Komme, was da wolle, wir fliehen nicht, sondern wir kämpfen, um zu siegen oder zu sterben.
Sie mögen sich gesagt sein lassen, sie alle, die jahrelang in Kriegsbesoffenheit den Mord als des Lebens höchstes Gut gepriesen hatten, um sich nun feige vor den Folgen zu drücken, die die Reichseinheit unterminieren, um ihren Geldsack zu retten, daß es nur unserm Einfluß zu danken ist, daß Ruhe herrscht und daß es nur eines Winkes von uns bedarf, um ihrer entledigt zu sein. Sie mögen sich merken, daß ihr Ruf nach dem Laternenpfahl sehr leicht sie zu dessen erster Zierde machen konnte.
Wir sind zum Frieden gewillt, zum Kampfe bereit!"
***
Die neuen Waffenstillstandsverhandlungen erforderten ebenfalls wieder einige Verhandlungen. Am 12. Dezember kamen Telegramme, die von Internierung der Waffenstillstandskommission, von scharfen Forderungen zur Erfüllung der Bedingungen vom 11. November und Androhung der Besetzung der neutralen Zone nördlich Köln bis zur holländischen Grenze berichteten. Am 12. traf eine Depesche ein, in der mitgeteilt wurde, daß die Entente die ttund S.-Räte nicht anerkenne.
Hier zeigte Erzberger so recht sein Talent, von ihm gewünschte Sachen in Tatsachen umzuformen, und dieses Gewünschte dem Kontrahenten als seinen Wunsch zu suggerieren. Er beantragte Reueerlaubnis für die Delegierten zum Kongreß der A.- und S.-Räte nach Berlin, was angeblich Foch ablehnte, und aus dieser Ablehnung machte er eine Nichtanerkennung der A.- und S.-Räte. Ob er das aus sich, oder im Einverständnis mit unsern drei ebenso wahrhettsliebenden Kollegen machte, wird vielleicht einmal die Zukunft lehren. Doch die Delegierten kamen zum Kongreß ohne jede Schwierigkeit. Am 16. abends gab uns Erzberger seinen Bericht, in dem er ganz besonders darauf drängte, daß die Lokomotiven und Waggons geliefert würden und verlangte die volle Ausnützung aller derartigen Fabriken durch Einführung von drei Schichten und Verteilung dieser Arbeiten in weitere Vetriebe. Ich unterstützte ihn und beantragte zu beschließen, daß Borsig den streikenden Formern die gestellten Forderungen bewilligen müsse, um sofort den Betrieb aufzunehmen. Doch auch mit der Forderung blieb ich allein, nur wurde beschlossen, Borsig aufzufordern, sich mit den Streikenden zu einigen.
Am 13. und 14. beschäftigten uns einige Vorstöße der Militärkamarilla, die sich bereits wieder fühlte, und die sich nicht mehr begnügte mit dem Grenzschutz Ost, sondern auch einen Grenzschutz West organisierte.
Am 16. Dezember begann der Rätekongreß.
Am 15. fand abends die Begrüßungsfeier statt. Die Einbeirufung, Leitung und Arrangierung des Kongresses lag in den Händen des Vollzugsrates, der mit geradezu abstoßender Eifersucht darüber wachte, daß die Volksbeauftragten seine Souveränität nicht antasteten. Da Landsberg und Genossen, die an Pfiffigkeit, Rabulistik und rücksichtsloser Ausnutzung ihrer Macht dem Pfiffikus des Vollzugsrats Richard Nlüller bedeutend über waren, da sie handelten, wo dieser redete, kam es zu einigen nicht erbaulichen Zwischenfällen, wovon ich nur den krassesten schildern will.
Der Vollzugsrat hatte eine Pauschalsumme für den Kongreß verlangt, die dann kaum zur Hälfte reichte. Als dann Erhöhung verlangt wurde, kam es zu einer geradezu beschämenden Blamage des Vollzugsrates. Und da nach außen hin der Vollzugsrat gewissermaßen als U. S. P. und die Volksbeauftragten als das Entgegengesetzte angesehen wurden — wie falsch dies war, habe ich schon oben gesagt: denn wir waren hier die Hälfte und dort nur ein Drittel — fo waren wir natürlich die Mitblamierten.
Doch soweit kannte man ja unsere Genossen vom V.-R., die eben in die Falle Landsberg, der die S. P.-Mitglieder des V. R. völlig an der Strippe hatte, hineingetappt waren. Aber, daß sie es unterließen, für eine Zusammenkunft der U. S. P.-Delegierten am Sonnabend zu forgen, wird für immer unverzeihlich bleiben.
Vom V. R. war nur Paul Eckert, der mit den Vorbereitungen, die Richard Müller in der Hand hatte, gar nicht vertraut war, anwesend, von den V. B. nur ich. Die Genossen von außerhalb traten «n mich heran, und wir hielten dann im Vorraum, wo alles hinund herflutete, eine Sitzung ab, in! der sich der Groll der Delegierten gegen Berlin in stärkster Weise zeigte. Wir besprachen das Notwendigste und setzten eine Sitzung für den andern Morgen fest, M der jedoch die maßgebendsten Mitglieder des V. R. wiederum nicht erschienen. In dieser Sitzung zeigte sich, daß die Direktionslosigkeit in der technischen Organisation ein Uebel, aber nicht das Hauptübel war. Es herrschte eine Zerfahrenheit in prinzipieller und taktischer Hinsicht, die nicht zu überbieten war. Die äußersten Extreme waren links Heckert und rechts Hilferding, und dazwischen bildete jeder für sich eine Fraktion, ja manche sogar zwei. In einem Punkte waren allerdings alle Delegierten einig, in der abfälligen Beurteilung Berlins, wenn auch die Motive wiederum alle Schattierungen aufwiesen. Eine neue Psychose war da. Es war, als ob ein Teil der besten Männer des Proletariats beweisen wollten, daß auch sie die Unvernünftigkeit, bis zur höchsten Potenz gesteigert, in sich verkörpern könnten. Ein Mann: dessen großes Wissen, dessen revolutionäre Vegeisterung doch wahrlich kein Mensch bezweifeln konnte, der sich aber einen klaren Blick für die wirklichen Realitäten bewahrt hatte und taktischen Blick und taktisches Geschick besaß, Lauffenberg, wurde als Leisetreter beiseite geschoben. Das Wort Prinzip schien jedes klare Denken erwürgt zir hauen. Ach, was war in jenen Tagen nicht alles Prinzip? Wie viele, die kaum allein gehen, auf keinen Fall in den Sattel steigen Konnten, spielten sich als Prinzipienreiter auf. Männer, die in der persönlichen Unterhaltung wirklich Klar sehen, wurden in den Sitzungen „prinzipientoll."
So planlos und direktionslos wie der eigentliche Kongreß vorbereitet war, so planlos war alles in unserer Fraktion. Sie konnten sich aus lauter Rivalität auf keinen Kongreßvorsitzenden, auf keine Schriftführer einigen. Bei Besetzung der einzelnen Kommissionen wurde alles dem Zufall überlassen. All dies war die Schuld unserer Genossen vom V. R. und ganz besonders seines Vorsitzenden. Ohe, wenn jemand gewagt hätte, auch nur mit einem Wort etwas von sich aus in die Hand zu nehmen, der wäre unwei gerlich als Verräter des Rätegedankens und bewußter Zerstörer des Ratesystems erklärt, verschrien, in Acht und Bann getan worden.
Am Montag konnte man vier Gruppen unterscheiden:
1. Die stärkste Gruppe, Heckert, Braß, Müller: Abstinenz auf alle Fälle.
2. Die Gruppe Geyer, Köhnen: Abstinenz wenn irgend möglich.
S. Die Gruppe Lauffenberg, Barth: wenn irgend möglich keine Abstinenz.
4. Die Gruppe Hilferding, Dittmann: unter keinen Umständen Abstinenz.
Ach, es war zum Verzweifeln. In einer potenziert revolutionären Zeit, wo Reden Blech und Handeln Gold, schnelles Handeln Diamanten sind, in einer derartig bewegten Zeit sich mit Gewalt selbst auszuschalten, mit Gewalt dem mich fanatisch hassenden Gegner alle Macht in die Hände spielen, dem Renegaten Blankovollmacht für alle von ihm zu begehenden Verbrechen zu geben, das ist wahrhaftig zum Verzweifeln.
Richard Müller ist derjenige, bei dem das Proletariat sich bedanken kann für seine Entwaffnung, bei dem die Ebert-Noske sich bedanken dürfen, daß sie in Amt und Würden statt sonst wo sitzen. Er sagte bei seinem Vericht auf dem Kongreß: ich verzichte auf die weitere Tätigkeit im Vollzugsrat, und war nun bestrebt, seine persönliche Abstinenz zur Parteisache zu machen. Heckert, dem jeder Mick für Wirklichkeit und Wirkung abging und der völlig auf denn unsinnigen spartakistischen Standpunkt stand, daß das Zusammengebrochene noch einmal zusammenbrechen müsse, war von dem Ehrgeiz erfüllt, der radikalste der Delegierten zu sein, während Braß sich lediglich von der Wirkung seines Tuns auf die Agitation im rheinischen Industriegebiet leiten ließ. Sie setzten sich in der FraKtion durch, der Zentralrat wurde boykottiert, die Landsbergs bekamen VIankovollma'cht, die Militärkamarilla feierte ihre völlige Rehabilitierung, die sozialistische Republik wurde beerdigt, die bürgerliche über die Taufe gehaben.
Hierzu trug allerdings das Referat Dittmanns auf dem Kongrsß ein gerüttelt Maß von Schuld. Ich fühle mich jedoch verpflichtet zur Verteidigung Dittmanns einige Worte zu sagen. Er schreibt ebenso wie Scheidemann und Richard Müller seine Reden vorher wörtlich nieder, und er hat sie mit Haase vorher genau durchgesprochen. Also er hat nicht mehr Schuld wie Haase.
Der Blödsinn feierte also Orgien, indem diejenigen, welche dauernd mit ihrer ganzen Lungenkraft schrien: Alle Macht den A.-und S.-Räten!, den Zentralrat boykottierten.
Auf den Kongreß selbst will ich nur ganz kurz eingehen.
Müller richtete drei Viertel seiner Rede gegen den Rat der volksbeauftragten, Dittmann war ganz erfaßt vom Einigungsfimmel. Ich selbst machte bei diesem Punkte einen scharfen Vorstoß gegen meine Kollegen wegen der Militärkamarilla und dem Grenzschutz. Ebert stellte sich vor den Kongreß und beeinflußte ihn mit seiner biedermännischen Rabulistik, und Haase lließ, zum Teil selbst schuldig, mich im Stich. Ich wollte niederlegen. Haase beschwor und bat mich, doch zu bleiben. Er versprach mir, daß er mich im Kabinett in der Kommandound in der Sozialisierungsfrage bis zur äußersten Konsequenz unterstützen würde. Ich blieb.
Daumig hielt ein vorzügliches, aber zu akademisches Referat. Er sprach, was verständlich, resigniert, in der Abwehr, statt frisch und lebendig, wie später auf dem 2. Rätekongreß, zum Angriff überzugehen. Haase stellte sich ohne Einschränkung auf den Voden der bürgerlichen Demokratie.
Die Neuwahl des Zentralrates war schnell erledigt. Es dedurfte eine.«außerordentlich scharfen Vorstoßes, um die aus Gewerkschaftsangestellten bestehende Mehrheit zu bewegen, die Sozililisierung noch zu beraten. Hilferdings Referat war matt, widerspruchsvoll: die Wirklichkeit auf den Kopf stellend, das Finanzkapital schonend, die Exportindustrie, deren restlose Sozialisierung das zwingendste Gebot ist, wenn die Valuta gehoben werden soll, und die Landwirtschaft ausschaltend. Er verlangte Wartezeit und «klärte die sozialistische Mehrheit der Nationalversammlung als das Fundament der Sozialisierung. Ein richtiges Mädchen aus der Sremde, für jeden eine Gabe bringend, für den einen eine bessere, für den andern eine mindere, für das Proletariat Honigseim und Seifenschaum. Ich machte auch hierbei einen scharfen Vorstoß und bewirkte auch, daß mein Vorschlag über die Vergwerke akzeptiert wurde. Mein Vorstoß gegen die Militärkamarilla bekam eine kräftige Unterstützung durch eine Demonstration der Berliner Garnison.
Der Kongreß brachte neben andern zwei wesentliche Veschlüsse, deren sofortige Erledigung uns aufgetragen war.
Der erste, zur Kommandogewalt, lautete:
1. Die Kommandogewalt über Heer und Marine üben die Volksbeauftragten unter Kontrolle des Vollzugsrats aus.
2. Als Symbol der Zertrümmerung des Militarismus und der Abschaffung des Kadavergehorsams wird die Entfernung 'aller Rangabzeichen und das Verbot des außerdienstlichen Waffenrragens angeordnet.
3. Für die Zuverlässigkeit der Truppenteile und für Aufrechterhaltung der Disziplin sind die Soldatenräte verantwortlich. Der Kongreß der A.- und S.-Räte ist der Ueberzeugung, daß die unterstellten Truppen den selbstgewählten Soldatenräten und den „Vorgesetzten" im Dienste den zur Durchführung der öielc der sozialistischen Revolution unbedingt erforderlichen Gehorsam erweisen. Vorgesetzte außer Dienst gibt es nicht mehr.
4. Entfernung der bisherigen Achselstücke, Unteroffizierstressen usw., Kokarden, Achselklappen und Seitengewehre ist ausschließlich Angelegenheit der Soldatenräte und nicht einzelner Personen. Ausschreitungen schädigen das Ansehen und die Revolution und sind zur Zeit der Heimkehr unserer Truppen unangebracht. Der Kongreß verlangt Abschaffung aller Orden und Ehrenzeichen und des Adels.
5. Die Soldaten wahlen ihre Führer selbst: frühere Offiziere, die das Vertrauen der Mehrheit ihres Truppenteils genießen, dürfen wiedergewählt werden.
6. Offiziere der militärischen Verwaltungsbehörden und Veamte im Offiziersrang sind im Interesse der Demobilisation in ihren Stellungen zu belassen, wenn sie erklären, nichts gegen die Revolution zu unternehmen.
7. Die Abschaffung des stehenden Heeres und die Errichtung der Volkswehr sind zu beschleunigen.
Der zweite, zur Sozialisierung lautet:
„Der Kongreß der Arbeiterund Soldatenräte beauftragt die Regierung, mit der Sozialisierung aller hierzu reifen ?n> dustrien, insbesondere des Vergbaues, unverzüglich zu beginnen."
Der Kongreß, insbesondere die Fraktionssitzungen der U. S. P., hatten aber auch bewiesen, daß die Partei unmöglich einheitlich bleiben konnte. Das sah jeder ein, nur, was werden würde, das war nicht zu sagen. Machte sich die Spartakusgruppe selbständig und ging der rechte Flügel zur S. P., dann war die Partei erledigt, blieb der rechte Flügel, dann gab es zunächst einen scharfen Kampf innerhalb der Partei, dessen Ausgang ungewiß war.
b) Vom 20. bis 24. Dezember.
Am Abend des 20. Dezember sollte eine gemeinsame Sitzung des Zentralrates (Z. R.) mit den V. B. stattfinden. Als ich von meinem Zimmer zur Kabinettsitzung ging, kam ich durch einen langen Saal, in dem eine Sitzung, unter Vorsitz Landsbergs, mit den Vertretern der besetzten Gebiete stcrttfand. Da ich nicht annehmen konnte, daß dies eine Parallelsitzung sei, blieb ich bis zum Schlusse, wo dann Landsberg mir auf meine Frage, wann die Sitzung des K. mit dem Z. R. sei, erklärte: die tagt schon lange. Ich ging nun hin und fand dort von den V. B. nur Ebert und Scheidemann, außerdem aber Gröner.
Wie unaufrichtig die Ebert, Scheidemann und Landsberg uns gegenüber handelten, wird man erkennen, wenn man bedenkt, daß auf unser Telegramm vom 15. 12. an die O. H. L. noch keine Antwort eingegangen sein sollte — eine Antwort, auf die der ganze Kongreß wartete — und daß nun, nach Veendigung des Kongresses, Gröner anwesend war. Es muß doch jedem nicht völlig blöden Menschen klar sein, daß Gröner seine Ankunft telegraphisch oder telephonisch mitgeteilt hatte, und daß er in dieser Mitteilung auch die Antwort der O. H. L. mit eingeflochten haben muß. Ich war, als ich Gröner sah, im ersten Augenblick ganz überrascht. Die Aussprache zwischen den zwei V. B., dem Z. R. und Tröner hatte schon lange Zeit gewährt und folgende Normen angenommen. Hei meinem Eintritt sprach Lampl-Hamburg, der Begründer der sieben Hamburger Punkte, zur Kommandogewalt auf dem Kongreß, aus dessen Ausführungen ich nicht Klug werden konnte. Nach ihm sprach Gröner, dessen Ausführungen kurz zusammengefaßt lauten: „Meine Herren! Ich danke Ihnen für Ihr weitgehendes Entgegenkommen, das von Ihrem großen Verständnis und dem Bewußtsein Ihres großen Verantwortungsgefühls Zeugnis ablegt. Wir sind uns also einig, daß es beim Feldheer und dem Grenzschutz so bleibt, wie es ist, Vertrauensleute der Mannschaften, nicht S. R., die die materiellen Interessen der Mannschaften zu vertreten, ein gutes VertrauensVerhältnis zwischen Offizieren und Mannschaften und stramme Zucht und Disziplin zu schaffen versuchen, und in der Heimat erfolgr schnellste Demobilisation und bis zu derselben eine organische HinÜberleitung zur Volkswehr."
Nach Gröner sprachen noch zwei Mitglieder des Z.R. in demselben Sinne, worauf ich zum Worte kam, um auszuführen:
„Genossen, gestatten Sie mir, daß ich Ihnen sage, daß mir Ihr Verhalten geradezu unglaublich erscheint. Einstimmig beschloß der Kongreß die sieben Hamburger Punkte. Er beschloß sie als Gesetz, nicht als Material oder zur Verücksichtigung: denn den dies aussprechenden Punkt acht hat er gestrichen. Und nun bedenken Sie, in dem Augenblicke, da Sie zusammentreten, um, wenn die V. B. eventl. zaudern und zögern sollten, diese zu zwingen, daß sie den Veschluß sofort zur Tat werden lassen, da mißbrauchen Sie schnöde das in Siez gesetzte Vertrauen und fallen vor einem stirnrunzelnden General um. Dies ist, das sage ich Ihnen unumwunden, ein glatter Verrat Ihrerseirs an den A. und S. R. Deutschlands, am deutschen Proletariat, ist ein unglaublicher Mißbrauch des in Sie gesetzten Vertrauens bei Ihrer ersten Handlung. Sie, die Sie das Musteran Treue und Entschiedenheit, die Sie der Sels der sozialistischen Republik sein sollen, an dem sich die heranbrandenden Wogen der Militärkamarilla brechen sollen, Sie fällen sich selbst, was sollen denn da unsere Genossen draußen noch glauben, was sollen sie tun?
Und Ihnen, Herr General, möchte ich sagen: der Kongreß der A. und S. R., das allein maßgebende und souveräne Parlament, trat nicht zusammen, um Ihnen genehme Veschlüsse zu fassen, sondern um zu beschließen, was er im Interesse der Revolution für notwendig hielt. Diesen Veschlüssen haben Sie sich ohne jede Einschränkung zu fügen, und wenn Sie das nicht wollen, oder glauben nicht zu können, dann haben Sie Ihren sofortigen Abschied zu nehmen. Nehmen Sie Ihren Abschied jedoch nicht, arbeiten, handeln und wirken aber gegen die Veschlüsse, dann begehen Sie Hochverrat geaen die sozialistische Republik, die Ihnen dann wohl zeigen wird, daß sie sich Ihrer zu entledigen und sich zu sichern vermag.
Genossen! Ich verlange von Ihnen den Veschluß, daß sich die V. B. sofort mit dem K. M. in Verbindung setzen, um die technischen Sragen zu erörtern und zu lösen, damit zu Weihnachten den Brüdern im grauen Rock dieses Gesetz als Gabe überreicht wird."
Diese Ausführungen und deren Ton bewirkten eine erfreuliche Ernüchterung bei dem Z. R., und nachdem die Genossen Haase und ganz besonders Dittmann — die gleich nach mir gekommen waren — meine Ausführungen kräftigst unterstützt hatten, wurde meinem Antrage gemäß beschlossen.
Es war also Veschluß, daß den Soldaten bis spätestem Weihnachten die vom Kongreß beschlossenen Hamburger Punkte gesetzlich zuerkannt sein müssen.
Gröner ging, und wir verhandelten gleich über die Sozialisierung.
Auch hierbei wurde nach meinem Vorschlag beschlossen, daß durch Verordnung der V. B. der gesamte Kohlen-, Erz-, Kaliund Salz-Vetgbau in den Vesitz der Allgemeinheit, mit weitgehendster Verwaltungsbefugnis der Arbeiterund Angestelltenräte, übergehen müsse, wobei die Entschädigungsfrage offen bleiben solle, und zwar vor den Feiertagen, als Weihnachtsgabe an das gesamte arbeitende Volk Deutschlands .
Die nächste gemeinsame Sitzung wurde auf den 3. Januar festgesetzt.
In der Kabinettsitzung am 21. früh kam Ebert mit einerVorlage des K.M. wegen der Demobilisation. War es schon eigenartig, daß nicht mit dem K.M. verhandelt wurde, wegen des Kongreßbeschlusses, so war es zweifellos noch viel eigenartiger, daß eine derartige Vorlage kam und noch eigenartiger, daß dieselbe von Landsberg und Genossen so lebhaft und warm befürwortet wurde. Eine Vorlage, die allen bisher gefaßten Veschlüssen ins Gesicht schlug, die Klar von dem Vestreben diktiert war, eine gewaltige Heeresmacht zu schaffen, und nicht nur das, fondern eine neue Drillanstalt mit all ihren gemeinen Einrichtungen brutalen und grausamen Vestrafungen, mit völlig exklusivem Offizierkorps und unter Ausschluß der Soldatenrate, nur mit Ausbau der Küchenkommissionen.
Es Kam nun zu einer äußerst scharfen und lebhaften Debatte. Von unserer Seite wurde Klargelegt, daß dieser Entwurf nicht nur unserer Verordnung betreffend die Demobilisation vom 12. November, sondern auch, und dies in geradezu provokatorischer Weise, auch dem Kongreßbeschluß und dem Veschluß vom gestrigen Abend mit dem Zentralrat zuwider sei. Weiter erklärten wir, daß es gar nicht angängig sei, einen derartigen Veschluß ohne die Zustimmung des oentralrates zu fassen: Außerdem sei der materielle Inhalt des Entwurfes nicht nur eine Verhöhnung, sondern eine beschimpfende Massakrierung der Revolution.
Landsberg und Genossen drohten mit dem Austritt aus dem Kabinett: Wir sagten: bitte schön, geht! Nun schlugen sie um. Da bei einer Abstimmung die Vorlage mit drei gegen drei Stimmen abgelehnt worden wäre, so gaben sie klein bei und waren mit der Vertagung bis zum Zusammentritt des Zentralrates einverstanden. Diese völlig überflüssige — reine Sabotage darstellende — Debatte dauerte bis 1/2 1 Uhr.
In der Zwischenzeit hatte Haase ein Telegramm vom S. R. Ober-Ost erhalten, das ein Geheimtelegramm Hindenburgs enthielt, mit folgendem skizziertem Inhalt:
Streng vertraulich! Geheim!
Ich erkenne die von dem Kongreß der A. und S. R. gefaßten Veschlüsse nicht an .... Dieses Necht hat nur die National-Versammlung .... Die Veschlüsse widersprechen auch den zwischen mir und der Regierung getroffenen Verabredungen und Vereinbarungen .... Es bleibt deshalb bei den bisher gegedenen Vefehlen. Hindenburg.
Haase verwahrte sich scharf gegen eine derartige Anmaßung.
Landsberg hieß sie zwar nicht gut, aber er plädierte für den guten Glauben und die gute und ehrliche Absicht Hindenburgs, derselbe Landsberg, der täglich Zetermordio schrie, wenn irgendwo ein A. oder S. R. eine kleine Dummheit machte.
Ebert, dem das militärische Gebiet im Kabinett unterstand, hätte doch als erster schärfste Verwahrung einlegen müssen, aber er hieß es zwar nicht glücklich, aber aus der soldatischen in unsere Sprache übersetzt, für gerechtfertigt und zweckentsprechend: denn bis zu unserer Verkündigung müsse es doch beim alten bleiben, wenn nicht völliges Durcheinander eintreten sollte.
Ich trat erst scharf Landsberg und Ebert entgegen und verlangte dann die Amtsentsetzung der gesamten G. H. L., deren Verhaftung und Aburteilung.
O weh! O weh! Nie konnte ich? Ich wurde beinahe gelyncht.
Wir verlangten nun erneut die sofortige Zusammenberufung des lediglich aus Rechtssozialisten bestehenden Z. R. Sie lehnten ab! Sie hatten noch nicht vorbereitet und ausgeführt, was sie im Schilde führten, sie wollten den Z. R. erst vor vollendete Tatsachen stellen und ihn dann zum Hehler ihrer Taten machen.
Am Sonnabend Abend hatte Ebert eine Unmenge Zeüg in seiner Mappe, das alles „dringend" erledigt werden mußte, womit denn auch der Abend ausgefüllt wurde. Um Schlusse der Sitzung schlug Ebert vor, am Sonntag keine Sitzung abzuhalten, damit jeder von uns die wegen des Kongresses liegen gebliebene Arbeit erledigen könne.
Ich widersprach, indem ich darauf hinwies, daß es die höchste Zeit sei, wenn wir die beiden wichtigen Anträge des Kongresses, dem Auftrage des Z. R. gemäß, zu Weihnachten erledigt haben wollten — und dazu hätten wir uns verpflichtet — um uns mit dem K. M. und dem Reichswirschaftsamt in Verbindung zu setzen, um eiligst das Notwendige zu veranlassen und zu erledigen. Es sei doch geradezu unerträglich, wie von ihrer Leite dauernd künstlich Differenzen und Hindernisse hervorgerufen und aufgebaut würden. Ebert erklärte, daß er diesen Vorwurf, weil unberechtigt, zurückweisen müsse. Die künstlichen Differenzen schüfe ich. Morgen geht es nicht, und am Montag müßten die Vesprechungen mir dem Kriegsminister und dem Reichswirtschaftsminister stattfinden. Er glaube kaum, daß es möglich sei, noch vor den Seiertagen die beiden Angelegenheiten zu erledigen.
Haase, den nun wieder seine Konzilianz im Vanne hatte, griff vermittelnd ein. Er erklärte, die beiden Vorlagen müßten erledigt werden, aber er selbst wäre auch froh, wenn er morgen einmal freu wäre, um die dringendste Arbeit hier und zu Hause zu erledigen. Resultat: am Sonntag keine Sitzung.
Am Sonntag hatte ich eine fünfstündige Aussprache mit einem Gesandten Lenins. Es war seit der Revolution das erste Mal, daß ich einwandsfrei, völlig objektiv über Rußland unterrichtet wurde. Der Allgemeinzustand Rußlands sei nicht hoffnungslos, nicht katastrophal, aber schlecht. Sie hätten den zähen Willen und auch die Energie, sich völlig allein durchzusetzen, aber hoffnungsvoll wäre in dem Augenblick ihre Lage, wo sie von Deutschland hunderttausend Techniker und qualifizierte Handwerker zum Aufbau ihrer Industrie erhielten. Ich setzte ihm eingehend meine Auffassung und mein Wollen auseinander und am Schlusse der Unterhaltung erklärte er mir, daß er mit verschiedenen deutschen Genossen gesprochen habe, aber bei keinem eine so verblüffende Uebereinstimmung mit der Auffassung, sowohl in der Gesamtlage, wie in Einzelfragen mit Lenin gefunden habe wie bei mir.
Am Montag früh um 9 Uhr kam ich mit Haase in das Sitzungszimmer. Ebert, Scheidemann und Landsberg saßen am Tisch und unterhielten sich lachend uber das Malheur Scheidemanns, daß er sein Gehalt als Minister bei Ausbruch der Revolution zurückzahlen mußte. Recht breit erzählte Ebert, noch breiter erzählte Scheidemann, bis ich dazwischenplatzte, indem ich sagte: das ist ja sehr interessant und amüsant, aber ich glaube doch wirklich, daß wir heute unsere Zeit notwendiger gebrauchen, und bitte anzufangen.
Ebert räusperte sich, rückte seinen Sessel, dehnte seinen ihm plötzlich zu eng werdenden Kragen, putzte seine Augen aus und fing dann endlich, ganz verlegen und, da er keine Mappe bei sich hatte, also auch nicht in dieselbe sehen konnte, hilfesuchend von einem zum andern sehend, also zu reden an:
„Kollegen, so — geht — es — nicht — mehr. Das — halten — ja — die — stärksten — Nerven — nicht — aus. Wir können hier, in Berlin, keine Stunde mehr regieren. Am Sonnabend, nein, das ist nicht zum Ertragen, da war doch alles in Berlin wieder auf den Kopf gestellt. Wenn hier 12 Mann bewaffnet hereinkommen und die Wache wehrt sich nicht, und wir wehren uns nicht, dann heben sie uns einfach aus, und das Regieren hat ein Ende. Das geht hier mit den ewigen Deputationen und den ewigen Bedrohungen keine Stunde mehr. Wir müssen heute noch nach Weimar oder Rudolstadt."
Landsberg spann nun diesen Faden noch weiter. Autorität, Herrschaft der StraKe, Regierungssoldaten, die zum Schießen bereit sein müssen, Spartakisten, Verbrecher und Narren, die Als Zuchthaus oder Irrenhaus gehören, die Regierung muß mit dem Reich gegen Verein usw. Die ganze Leichte einer schönen Seele, während ihre Augen Haß und Verachtung sprühten.
Haase vermittelte, ganz besonders in den Vordergrund rückend, dass wir ohne Zentralrat eine Verlegung der Regierung nicht beschließen Könnten.
Ich wurde grob und höhnend. „Seien Sie doch ehrlich!" sagte ich, „sagen Sie doch, Sie wollen den Konflikt! Sie sabotieren unsere Arbeit, spielen Schindluder mit dem Sozialismus, verraten die Republik, um Faschingsoder Hottentotten-Wahlen in Ihrem Sinne für die Nationalversammlung zu machen. Sie unterbinden jede Sozialisierung! Sie stellen sich schützend vor die Militärkamarilla! Sie wollen aus Berlin, um im Reiche für sich Stimmung zu machen! Sie sind eine Volksregierung und fürchten und hassen das Volk! Sie sind als Regierung durch die Revolution erzeugt und schmähen, verlästern und verraten die Revolution! Sie wollen nach Weimar oder Rudolstadt, weil, wenn hier zwölf Mann bewaffnet kommen und die Wache sich nicht wehrt, daß Sie, um sich zu wehren, zu feige sind, brauchen Sie mir nicht erst zu sagen, es mit der Regierung vorbei ist. Das stimmt! Aber wenn wir heute nach Weimar oder ttudolstadt — warum nicht nach Buxtehude oder Katzenellenbogen — fahren, und dort kommen zwölf Mann bewaffnet und die Wache wehrt sich nicht und wir wehren uns nicht, ist es dann nicht auch ausregiert? Und das geben Ste doch zu, daß wir, wenn wir jetzt sofort beschließen, wegzufahren, doch unsere sieben Sachen packen müssen und darum vor morgen früh nicht fahren können. Welches homerische Gelächter würde erschallen, wenn wir am Morgen des Weihnachtsabends, wo jeder, der es einigermaßen möglich machen kann nach Hause zu den Seinen fährt, wenn wir an dem Tage Hals über Kopf mit einer unheimlichen Heimlichkeit von unsern Familien aus Lerlin flüchten würden. Hören Sie auf mit diesen Hanswursteleien, vertrödeln Sie nicht die Zeit!"
Diese Debatte ging bis 12 Uhr, wo Baake meldete, daß eine Deputation der Matrosen da sei, die dringend verlangten, vorgelassen zu werden, da ihnen das Geld für die Löhnung verweigert würde. Landsberg, der fonst immer tobte, sagte, wir wollen sie gleich vorlassen.
Die Matrosen kamen herein und erklärten, daß ihnen die notwendigen 80 000 Mk. zur Löhnungszahlung verweigert würden und daß sie für nichts gutsagen könnten, wenn den 1600 Mann zu Weihnachten ihre Löhnung nicht ausgezahlt würde.
Das Mephistogestcht Landsbergs strahlte in fanatischer Freude. Strahlend zog er ein Schriftstück aus der Tasche und erklärte:
„Hier ist ein Protokoll vom 16. Dezember, worin Sie sich verpflichteten, die Matrosendivision auf 600 Mann zu reduzieren und das Schloß zu räumen, widrigenfalls Ihnen die Löhnung nicht mehr ausgezahlt würde."
Die Matrosen bestritten, etwas derartiges vereinbart zu haben. Ihr Sprecher führte aus: Sie seien am 9 November aus Aufforderung Eberts von Kiel herübergekommen. Er habe sie noch als Reichskanzler, nicht als V. B. gerufen, vielleicht schon damals mit der Absicht, sie gegen die Revolution zu verwenden, wie er es, da sie sich hierzu nicht gebrauchen ließen, mit der von ihm anscheinend gerufenen Finnlandgarde beabsichtigte. Seit dem 6. Dezember, an welchem Tage sie sich nicht von ihrem damaligen Führer, von Metternich, gegen die Revolution haben mißbrauchen lassen, werde gegen sie gehetzt und ihnen das Leben sauer gemacht. Schon bei der letzten Löhnung seien sie auf Schwierigkeiten gestoßen. Wels habe ihnen erklärt, sie müßten reduziert werden. Sie hätten sich auch mit Wels über die Reduzierung dahingehend verständigt, daß alle nicht politisch und gewerkschaftlich organisierten Matrosen entlassen werden müßten, und daß dann, bei einer eventl. weiteren Reduzierung, Wels die Entlassungen, die sie ihren Genossen und Kollegen gegenüber unmöglich aussprechen könnten, selbst vornehmen müßte. Hierzu sei aber eine vorherige Aussprache und Verständigung mit dem Rot der Volksbeauftragten notwendig, da sie der Auffassung seien, daß derselbe, ganz besonders aber Ebert, nicht die Matrosen, die von ihm gerufen und in den ersten Tagen der Revolution sein Rückgrat gewesen waren, einfach aufs Pflaster setzen würde. Im übrigen seien ja schon 1400 Mann entlassen. Die Räumung des Schlosses hätten sie ohne weitere s zugestanden und seien auch sofort dazu bereit, wenn vereinbart würde, daß es nicht von anderen Truppen besetzt werden dürfe und sie die Wache vor den verschlossenen Toren stellten. Das vorliegende, von Landsberg verlesene Schriftstück sei kein Protokoll, sondern eine ihnen bis jetzt völlig unbekannt gewesene, der Wahrheit nicht entsprechende, einseitige Darstellung von Wels, Würden Verabredungen heute mit uns getroffen, so würden sie sich natürlich strikte danach richten.
Landsberg mußte das Fehlen der Unterschriften, d. h. seine vorherige völlig falsche Darstellung bestätigen, und wir beschlossen, daß die Matrosen sofort das Schloß räumen, die Schlüssel abliefern und sich verpflichten sollten, bis zum 1. Januar die Division auf 600 Mann zu verringern, daß jedoch die zu entlassenden Matrosen möglichst der „Republikanischen Sicherheitswehr" eingereiht werden fMten. Nach Ablieferung des Schlüssels sei das Geld auszuhändigen.
Wir tagten noch bis 1/2 3 Uhr weiter, verständigten uns, daß die Verlegung des Regierungssitzes von Berlin vertagt werden solle und setzten die nächste Sitzung auf abends 6 Uhr an.
Um 4 Uhr kamen etwa 20 Matrosen zu mir ins Ammer mit einer riesigen Kiste mit Schlüsseln, unter Führung Dorenbachs, der mir erklärte, daß sie das Schloß geräumt hätten, daß dies. die Schlüssel seien und er froh sei, wenn bei der ungeheuren, durch die Vorenthaltung der Löhnung und den Veschluß der Regierung erzeugten Erregung die Löhnung vorüber sei. Ich klingelte nun im Veisein der Matrosen Wels an und sagte ihm, daß die Matrosen mit den Schlüsseln vom Schloß bei mir seien, also dasselbe geräumt hätten, und er ihnen nunmehr ihr Geld auszahlen solle.
Wels: „Nein! Das geht nicht! Die müssen mir die Schlüssel selbst bringen, sonst gibts keinen Pfennig. Jetzt habe ich sie in der hand.
Ich: ,,Menschenkind, mach doch keinen Unsinn und rede Keine Blech. Die Schlüssel sind hier, und du Kannst sie ja, wenn wir entschieden haben, wer sie aufbewahrt, abholen. Die Matrosen sagen: sie hätten sie hierhergebracht, weil, wenn sie nach der Kommandantur gegangen wären, es leicht zu unliebsamen Zusammenstößen hätte führen können. Du weißt doch selbst, welcher Beliebtheit du dich bei ihnen erfreust, und es wäre doch jedenfalls das denkbar bedauerlichste, wenn es 24 Stunden vor Weihnacht durch den einen oder andern Unbesonnenen zu irgendwelchen unliebsamen Zusammenstößen käme."
Wels: „Das ist mir ganz gleich! Ich muß die Schlüssel haben, ehe ich das Geld herausgebe! Ich habe die Verantwortung."
Ich: „Aber nun erlaube einmal, wenn ich dir sage, ich übernehme die Verantwortung, dann muß dir das doch genügen. Also zahle. Ia?"
Wels: „Nein! Deine Verantwortung genügt mir nicht. Wenn es Ebert sagt, dann ja!"
Ich: „Zum Donnerwetter noch mal! Ietzt kann ich wirklich verstehen, daß kein Mensch mit dir verhandeln kann, ohne sich mit dir in den Haaren zu liegen! Du sprichst mir nolens volens die Vertrauenswürdigkeit ab. Wenn die Matrosen nicht hierständen, würde ich dir etwas anderes sagen. Doch das eine merke dir. Ebert ist kein Iota mehr und kein Iota weniger als ich. Wir sind sechs V. B. mit völlig gleichen Rechten. Ich habe mir wahrlich noch Keine Sekunde etwas darauf eingebildet, V. B. zu sein. Aber hier hört es denn doch auf. Also ich übernehme die Verantwortung, und du gibst das Geld."
Wels: „Ich wollte dich nicht beleidigen. Aber Ebert hat das Militärische. Wenn er mir also sagt: Zahle! Dann kann ich zahlen, aber wenn du es sagst, dann bleibt mir immer die Verantwortung."
Ich: „Na gut! Ich schicke jetzt die Matrosen zu Ebert, dann mag doch er, wenn es mir nicht möglich ist, die Sache zu regeln, weil du mir die Verechtigung absprichst, sie regeln."
Schluß.
„Ihr habt ja gehört, was ich sagte," erklärte ich den Matrosen, „geht hinüber zu Ebert, der Klingelt bei Wels an, dann ist die Sache erledigt."
Die Matrosen waren nun begreiflicherweise ärgerlich, schimpften und fluchten und zogen mit ihrer Bundeslade ab.
Ich erledigte nun einige andere Deputationen und besprach dann mit Unterstaatssekretär v. Möllendorf seinen Wirtschafte plan, als der Sekretär Eberts ins Zimmer kam und mich bat, sogleich zu Ebert zu kommen. Ich verabredete mit Möllendorf eine neue Zusammenkunft, sagte ihm, welche s statistische Material ich wünsche, und ging zu Ebert.
In seinem Arbeitszimmer war er nicht, und so ging ich nach seinem Wohnzimmer, klopfte an und trat ein. Ebert lief im Zimmer hin und her, Landsberg, Scheidemann und Vaake saßen. Sie schauten mich alle vier ganz perplex an, ich sie auch.
„Sie ließen mich doch rufen," sagte ich zu Ebert.
Ebert: „Ich? Nein!"
Ich: „Nanu, machen Sie doch keine Witze! Krüger war doch bei mir."
Landsberg: „Ja, Kollege Barth, wir wollten nur sehen, ob Sie uns Gesellschaft leisten."
Ich: „Gesellschaft leisten?"
Landsberg: „Ja, wissen Sie denn von nichts? Von gar nichts?"
Ich: „Na sprechen Sie doch nicht in Rätseln."
Landsberg: „Na, dann will ich Ihnen die Mitteilung machen, daß wir außerordentlich erfreut sind, daß Sie uns in unserer Gefangenschaft Gesellschaft leisten."
Ich: „Was? Gefangenschaft? Seit wann machen denn Sie Witze?"
Landsberg: „Ich sehe Sie wissen wirklich von nichts, ich werde es Ihnen also erklären. Wir sind von den Matrosen verhaftet. Von unserer eigenen Wache. Kein Mensch darf das Haus verlassen und die Telephonzentrale ist gesperrt. Sie sind also unser Schicksalsgenosse."
Ich: „Machen Sie doch keinen Unsinn! Haben Sie Telephon hier? Nein! Na da will ich mal von meinem Zimmer telephonieren. Davon muß ich mich selbst überzeugen, bevor ich es glaube."
Ich ging nun in mein Zimmer, nahm den Hörer und auf die Erklärung, die Leitung ist gesperrt, sagte ich dem Vetreffenden, er solle keinen Unsinn machen, ich müsse Verbindung haben. Darauf wurde ich verbunden.
In dem Augenblick rasselte das andere Telephon mit folgendem Gespräch:
„Hier Klawunde, Vorsitzender des S. R. Potsdam."
„Hier Barth. Ist Heyne nicht mehr Vorsitzender vom P. S. R?"
„Nein! Seit Sonnabend bin ich es. Hier wurden eben einige Regimenter Infanterie und Kavallerie nach Berlin verladen, die schon, wie mir eben mitgeteilt wurde, seit heute morgen alarmbereit lagen. Sie sollen von der Regierung gerufen sein, um einen Spartakistenputsch niederzuschlagen. Stimmt das?"
„Unsinn! Versuchen Sie doch alles Mögliche, um deren Abfahrt zu verhindern. Die sind ja verrückt! Einen Putsch! Blutvergießen am Weihnachtsabend. Sehen Sie doch bitte sofort zu, was ich noch machen läßt."
„Zwei Züge sind schon lange weggefahren. Ich werde sehen, was ich noch machen kann."
Ich ging nun sofort zu Ebert und frug, wer in Potsdam diese Anweisungen gegeben habe. Ich bekam zur Antwort: Wir wissen von nichts. Die Gesichter Eberts und Landsbergs strahlten vor Wonne und Freude.
Die Sperre der Reichskanzlei war schon aufgehoben.
Ich bat nun Ebert dringend, sofort bei allen militärischen Stellen anzurufen, um Auskunft zu bitten und Gegenbefehle anzuordnen.
Ebert erklärte: Das ginge nichtdenn es könne doch nicht angehen, daß wir dauernd einer Handvoll Elemente preisgegeben seien, daß wir dauernd auf einem Pulverfasse säßen. Mit diesen Zuständen müsse jetzt aufgeräumt werden.
Ich sagte ihm, das sei ein verbrecherische s Vabanquespiel, wozu ich meine Einwilligung nicht gäbe, ich müsse auf das lebhafteste protestieren. Irgend welche Maßnahmen könnten doch in der Angelegenheit nur durch Kabinettsbeschluß unternommen werden, und wir müßten uns doch auf das Entschiedenste verbitten, daß irgendeine militärische Stelle in unserm Namen etwas unternehme. Landsberg sagte hierauf, dak er meine Aufregung nicht verstehe, da ich mich doch über die andere Seite nicht aufrege. Ich entgegnete, daß dieser in der Erregung begangene, durch Wels verschuldete Dummejungenstreich doch erledigt sei, und daß doch sie durch Vorenthaltung der Löhnung ein gut Teil Schuld auf sich geladen hätten. Eine Gewaltmaßregel habe immer eine andere der Gegenseite zur Folge, und unsere Aufgabe als Volksregierung sei es doch, dafür zu sorgen, daß Ruhe und Vertrauen herrsche und nicht wilder, blutiger Kampf tobe.
Ebert versprach nun, zu veranlassen, daß keine Truppen von Potsdam kämen, bzw. daß ankommende zurückgeschickt würden. An diese Worte glaubte ich, auf die Worte verließ ich mich.
Um 6 Uhr hatten wir Sitzung, in welcher wir die Verordnung über Tarifverträge, Arbeiterund Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten berieten. Reichsarbeitsminister Bauer trug die Verordnung vor und begründete sie, wobei alle meine Mänderungsanträge gegen fünf Stimmen abgelehnt wurden.
Dies ist doppelt wichtig. Einmal, daß ich keine Verantwortung für diese mit Recht angefeindete und bekämpfte Verordnung trage. Und dann, was bedeutend wesentlicher und wichtiger ist, weil daraus hervorgeht, daß die Ebert, Scheidemann, Landsberg abends zwischen h und 8 Uhr, da ihnen, was auf der Kommandantur vorgegangen, schon bekannt war — wir erfuhren dies erst später, da Ebert, als ich die Frage der Matrosen anschneiden wollte, sie für erledigt erklärte — nicht nur nichts sagten, sondern sogar eine Aussprache darüber verhinderten, um zu ihrem planvoll vorbereiteten Vorgehen völlig freie Hand zu behalten.
Nach Erledigung dieser Verordnung wurde an diesem ilbend noch endgültig Vrockdorf-Rantzaus Verufung zum Leiter des A. A. gegen meine Vedenken «und entgegen meinem Vorschlage, Vreitscheid hierzu zu nehmen, mit fünf gegen eine Stimme beschlossen.
Um 8 Uhr war unsere Sitzung zu Ende. Haase und Dittmann gingen sofort weg, ohne mir, obwohl ich sie auf den Ernst der Situation und meine Vedenken aufmerksam machte, zu sagen, wohin. Allerdings hatte ich sie auch nicht danach gefragt.
Um 1/2 9 Uhr kam nun ein Trupp Matrosen vor die Reichskanzlei, besetzte den Hof, und einige Mann kamen zu mir nach oben und erklärten: Im Tiergarten stehen einige tausend Mann Infanterie, Kavallerie und Artillerie mit Geschützen, Minenwerfern und Maschinengewehren. Wenn sie nicht sofort abziehen, dann marschiert die ganze Berliner Garnison, und es gibt ein furchtbares Gemetzel.
Nach den Worten Eberts drei Stunden zuvor, hielt ich'das für vollständig ausgeschlossen. Ich ging zu Ebert und befragte ihn, worauf er mir versicherte, er wisse von gar nichts, habe die Order gegeben, alles Militär von Berlin zurückzuziehen, und er glaube nicht daran.
Ich sagte: ich würde nach dem Tiergarten fahren, um mich selbst zu überzeugen und, falls die Angaben stimmten, die Truppen im Auftrage der Regierung wegzuschicken. Hiermit war er einverstanden.
Im Tiergarten sprach ich mit einem Offizier, der mir erklärte, daß sie im Auftrage der Regierung handelten. Er zog sich nun mit seinen Truppen zurück und sagte, daß er den Befehl an die andern Truppen weitergeben würde.
Ich fuhr nun zurück, und als ich vor die Reichskanzlei kam. da standen zirka 300 Mann der G.K. Sch. D. mit Stahlhelm, aufgepflanztem Seitengewehr, mit dem Aufbau der Geschütze und Maschinengewehre beschäftigt, während im Hofe die Matrosen, auch 200 bis 200 Mann, standen. Ich suchte sofort den Führer, einen Major, stellte mich vor, fragte, was das sein solle und in wessen Auftrag er handle.
Sie seien im Auftrage der Regierung da, um die Matrosen mit Gewalt aus der Reichskanzlei zu schaffen. Pardon würde nicht gegeben.
Ich gab nun den Gegenbefehl, befahl abzurücken, was die Offiziere, da ich für sie nicht maßgebend sei, verweigerten. Ich sagte nun, daß drei Offiziere mit nach oben kommen sollten, um zu verhandeln. Ich konnte, nachdem ich mich mit den Matrosen verständigt hatte, das gewünschte freie Geleit geben. Oben waren Ebert und Landsberg. Mit den Offizieren waren auch einige Matrosen zur Verhandlung nach oben gegangen. Diese Verhandlungen waren wild und stürmisch, bis dann mein Vorschlag, daß die eine Truppe links, die andere rechts abziehe, die Reichskanzlei ohne Wache bleiben und alles andere morgen in der Kabinettsitzung nesprachen und geregelt werden solle, angenommen wurde.
Ebert knüpfte hieran nur die Bedingung, daß ich bei den Matrosen und Soldaten sprechen und das Beschlossene zur Annahme bringen solle. Das tat ich, und gegen 1/2 11 Uhr zog alles ab. Um 12 Uhr verließ ich, nachdem ich mich noch einmal vergewissert hatte, dntz alles in Ordnung war, die Reichskanzlei.
Es ist nun notwendig, das nachzutragen, was sich und wie es sich in der Reichskanzlei und in der Kommandantur abgespielt hm. Vemerken will ich noch, daß ich das erst am andern Morgen erfuhr.
Als die Matrosen mit den Schlüsseln des Schlosses mein Simmer verlassen hatten, suchten sie Ebert, fanden ihn jedoch im ganzen Hause nicht, d. h. dies bedeutete für die Matrosen, daß sie das Geld nicht bekommen konnten. Da sagten sie sich, nun sind wir seit'drei Tagen von Pontius zu Pilatus gelaufen, jetzt baben wir es satt. Gingen runter zur Wache — das warben ebenfalls Matrafen, die noch keine Lohnung erhalten hatten — und sagten i besetzt die Reichskanzlei und die Telephonzentrale bis ihr von uns weitere Nachricht, bekommt. Die V. B. zu verhaften war nicht ihre Absicht, sondern nur die Absperrung, bis sie auf d.er Kommandantur ihr Geld geholt hätten. Aber daß es zur Absperrung der Reichskanzlei, zum Blutvergießen vor der Kommandantur usw. Kam, das war lediglich die Schuld Eberts und Landsbergs.
Die Matrosen fuhren nun mit der Bundeslade und den Schlüsseln zum Marstall und erklärten dort, was sich in der ReichsKanzlei zugetragen.
Darauf zogen etwa 100 Mann Matrosen nach der Kommandantur. Auf dem Wege dahin wurden aus der Vibliothek heraus Zwei Mann von hinten erschossen, worauf sie die Kommandantur stürmten, sich das Geld zur Löhnungszahlung holten und gleich den Kommandanten Wels und seinen Adjutanten Fischer mitnahmen mit der ausdrücklichen Erklärung, daß sie nur so lange verhaftet bleiben sollen, bis sich ihre Unschuld an der Erschießung der beiden Matrosen ergäbe.
Es braucht kein Mensch das Vorgehen der Matrosen in der Reichskanzlei und Kommandantur gutzuheißen, aber wer hätte, wenn er objektiv prüft, die Stirn, sie zu verurteilen? War nicht alles, alles von den Landsberg und Genossen getan, um die Matrosen zu provozieren? War ihnen zu dem Zwecke nicht drei Tage die Löhnung vorenthalten? Waren sie nicht von Wels verhöhnt und verspottet? Hat nicht Wels durch seine Nichtanerkennung meiner Verantwortung diese Erregung Künstlich gesteigert? Hat nicht da!Verstecken Eberts vor den Matrosen ihnen die Galle zum Neberlaufen gebracht? Hat nicht die Erschießung der beiden Matrosen erst die Möglichkeit des Eingreifens der G. K. Sch. D. schaffen sollen? Hat nicht durch diese Erschießung weiter die republikanische Sicherheitswehr zur Verstärkung der G. K. Sch. D. mit den Matrosen in Kampf gebracht werden sollen, wobei die G. K. Sch. D., die seit drei Tagen alarmbereit lag, als rettender Engel in der Not erscheinen sollte? Doch genug der Fragen, ich fahre fort.
Am andern Morgen — am Morgen des Weihnachtsabends — um 8 Uhr erdröhnte auf einmal Berlin unter Kanonendonner und Minenwerferschlägen. Ich trank Kaffee, als meine Frau sagte, es schießt. Richtig es schoß. Das ist am Schloß! Um 1/2 9 Uhr Kam mein Chauffeur, und wir fuhren schleunigst nach dem Schlosse. Vor der Kommandantur mußte ich aussteigen und erfuhr dort, daß der Stab der G. K. Sch. D. in der Universität sei. Ich ging hin. Dort traf ich den Hauptmann Pabst, der mir erklärte, sie hätten den Befehl von der Regierung, sie könnten nichts ändern. Ich erklärte, als Mitglied der Regierung und da ich hier allein bin, als Regierung, gebe ich den Befehl, sofort den Kampf abzubrechen.
„Herr Barth", sagte Pabst, ich muß nach meinen Vefehlen handeln. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie die Einstellung des Gemetzels bewirkten. Sie wissen, ich bin mit Leib und Seele Soldat, aber daß ich auf Deutsche schießen muß, das erweckt in mir Ekel und Abscheu. Klingeln Sie doch beim K. M. an, dort werden Sie das Nähere erfahren."
Zu Diskussionen hatte ich weder Zeit noch Lust, darum schnell nach der Reichskanzlei. Haase und Dittmann waren noch nicht da, auch keiner von den anderen. Ich rief nun das K. M. an und hatte mit Major v. Harbou folgendes Gespräch:
„Ich wollte soeben zum Schloß, um mir Klarheit über die Vorkommnisse zu verschaffen. Ich Kam jedoch nur bis zur Universttät. Dort konnte ich den Hauptmann Pabst sprechen. Der gab mir die Auskunft, die Truppen hätten von Ihnen den Befehl gehabt, heute morgen ein Ultimatum an die Matrosen zu stellen und mit Waffengewalt die Durchführung zu erzwingen. H., Pabst sagte mir auch, daß dieser Befehl von der Negierung ausgegangen sei. Wie verhalt sich die Angelegenheit?"
Major v. Harbou: „Jawohl! Ich habe den Auftrag von der Negierung und kann die Anordnungen nur auf einen Kabinettsbeschluk hin rückgängig machen. Dringen Sie diesen Beschluß zustande."
„Das ist unmöglich, da die Kabinettsmitglieder nicht anwesend sind. Ich bin zurzeit das einzige Regierungsmitglied im Hause. Ich sagte Ihnen aber schon gestern, daß Sie die ganze Verantwortung für die Folgen dieser militärischen Anordnung allein tragen müssen. Gestern habe ich noch den Zusammenstoß vermeiden können und erreicht, daß die Matrosen und die von Ihnen geschickten Truppen abzogen. Heute nun die Metzelei. Ich verlange und befehle Ihnen die sofortige Einstellung des Blutbades."
Major v. Harbou: „Dann bringen 2ie eben einen Kabinettsbeschluß zustande, daß die militärischen Maßnahmen aufgehoben werden. Ohne einen Kabinettsbeschluß kann nichts erfolgen."
„Landsberg, Ebert und Scheidemann lassen heute Blut vergießen, halten sich aber irgendwo auf, wo man sie nicht erreichen kann. Sie erklären also, daß Sie ohne Kabinettsbeschluß die Feindseligkeiten nicht einstellen. Ich mache Sie nochmals darauf aufmerksam, daß zurzeit wegen Abwesenheit der Kabinettsmitglieder ein Beschluß nicht herbeigeführt werden kann. Ich stelle ferner fest, daß Sie die Feindseligkeiten ohne Kabinettsbeschluß aufgenommen haben."
Major Harbou: „Ich erkläre nochmals, daß das Generalkominando die Feindseligkeiten nur auf schriftlichen Vefehl des gesamten Kabinetts einstellt. Daß das Generalkommando auf Anweisung einzelner Kabinettsmitglieder diese militärische Anordnungen traf, erklärt sich dadurch, daß mir bekannt war, daß der V. B. Ebert die militärischen Angelegenheiten der Regierung vertritt."
„Das heißt also, daß Sie auf Unordnung Eberts den Angriff und diesesMutbad unternommen haben. Ferner, daß Sie auf meinen Vefehl nicht reagieren."
Major Harbou: „Nein, nein! Aber in dem Falle kann ich nur einen Gegenbefehl des gesamten Kabinetts oder Eberts, Scheidemanns und Landsbergs, oder Eberts allein anerkennen."
„Das genügt mir! Guten Morgen!"
Ich stürzte nun nochmals fort, um zu sehen, wer da sei. Haase und Dittmann waren noch nicht anwesend, die andern drei waren nun in Eberts Zimmer.
„Wer von Ihnen hat den Befehl zu dem Gemetzel gegeben? Wer von Euch trägt die Verantwortung, daß Berlin mit Kanonen beschossen und Minen beworfen wird?"
„Was? Mit Kanonen beschossen?" riefen alle drei zugleich.
„Wenn Ihr heuchelt, daß Ihr nicht wißt, daß mit Kanonen geschossen wird, was in Berlin doch jedes Kind weiß, dann heuchelt ihr zu viel, dann gebt Ihr indirekt zu, den Vefehl gegeben zu haben. Wenn im Grunewald ein Autoreifen platzt, dann fallt Ihr vor Angst vom Stuhle und zittert wie Espenlaub, und wenn ganz Berlin unter dem Kanonendonner erzittert, dann hört Ihr nichts? wer hat den Befehl gegeben?!"
Ebert: „Ja, ich weiß von nichts." — Landsberg: „Ja ich auch' nicht." — Scheidemann: „Ich weiß von gar nichts."
Ich: „Sie wissen nichts?! Soeben erklärt mir Major von Harbou, er habe die Vefehle von Ihnen! Stimmt das?"
Ebert: „Ich weiß absolut von nichts."
„Entweder sind Sie oder er ein gemeiner Lügner und blutrünstiger Schurke! Hier unterschreiben Sie alle drei: Kampf einstellen! Militärische Maßnahmen rückgängig machen? Generalkommando Lequis hat mit allen Truppen sofort Berlin zu verlassen."
Landsberg: „Wir haben doch keinen Befehl gegeben, so Können wir doch auch keinen zurücknehmen."
Ich: „Unterschreiben Sie, oder unterschreiben Sie nicht?" ,
Landsberg: „Sind Haase und Dittmann noch nicht hier, damit wir das im Kabinett besprechen?"
Ich: „Sie versuchen Zeit zu gewinnen und uns erneut und noch mehr zu äffen. Aber ich will nach Haase und Dittmann sehen."
Ich traf gerade auf Haase und Dittmann, die eben kamen, die jedoch, wie immer, voll Optimismus waren und an eine Velügung von seiten der Ebert, Scheidemann, Landsberg nicht glaubten, da sie ihnen das nicht zutrauen könnten. Haase meinte, daß es ein Uebergriff der Militärs sei, den aber die drei decken wollten.
Die Sitzung begann, und Haase sagte gleich, daß er ohne jede Einschränkung Eberts Worten glaube. Da er annehme, daß völlige Uebereinstimmung herrsche, wolle er gleich den Kriegsminister anklingeln, um ihn zu veranlassen, daß er die nötigen Vefehle sofort gäbe. Er stand auf, um ans Telephon zu gehen. Da sprang Ebert auf, wie von der Tarantel gestochen, und erklärte, daß er selbst dem Kriegsminister televhonieren wolle.
„Bitte," sagte Haase, „das ist mir gleichgültig, wer telephoniert, nur daß in dem Sinne telephoniert wird. Daraus kommt es mir an."
Ebert suchte Verbindung, und als er den Kriegsminister hatte, gab es folgendes Gespräch
Ebert: „Guten Morgen, Eczellenz. Hier Ebert. Es wird uns eben die Mitteilung, daß auf das Schloß und den Marstall ein Angriff der G. K. Sch. D. stattfände. Da uns von der Angelegenheit nichts bekannt ist, möchte ich Sie doch im Auftrage des gesamten Kabinetts dringend bitten, umgehend zu veranlassen, daß weiteres Blutvergießen unterbleibt."
– – –
„Ia, es ist einstimmiger Beschluß des Kabinetts, und wir bitten, daß sofort die Feindseligkeiten eingestellt und verhandelt wird."
– – –
Ebert: „Ich danke."
Es kam nun Tost-vom 53er-Ausschuß der Marine, der um Ausstellung einer Vescheinigung oder Vollmacht bat, um zwischen beiden Parteien verhandeln zu können. Nach anfänglichem Widerstand Landsbergs bekam er sie. Dann kamen Cohen als Vorsitzender des Zentralrates und Richard Müller als Vorsitzender des Berliner Vollzugsrates und baten ebenfalls um Vollmachten zum Verhandeln. Auch sie bekamen sie.
Darauf kamen drei Mitglieder vom 53er-Ausschus; vom Iade-, Elbeund Kieler Gebiet, um Auskunft zu holen, wie das kam und wer die Schuld trägt, damit sie, die Matrosen, von Milhelmsbafen, kehrte, Hamburg und Kiel zum Schutze ihrer Kameraden aufrufen Könnten.
Allen erklärte Ebert, genau wie uns, daß er selbst völlig überrascht sei und keine Auskunft geben könne, aber auf schnellste Aufklärung dringen würde.
Gegen 1/2 12 Uhr kamen Cohen und Müller und berichteten, daß eine Verständigung erzielt sei, indem die Matrosen sofort das Schloß räumten, bis 1. Januar sich auf 800 Mann reduzieren und sich unter den Stadtkommandanten stellten.
Da sagte Landsberg zähneknirschend: „Was soll denn das? Mit Rebellen verhandelt man nicht, die schlägt man nieder."
Ich gab ihm hierauf die verdiente Antwort, die er sich sicherlich nicht hinter den Spiegel steckte.
Um 1 Uhr vertagten wir uns auf 4 Uhr.
с) Vom 24. bis 28. Dezember
Um 4 Uhr traf uns eine neue Ueberraschung.
Zur Sitzung warеn Vertreter des A. A., des K. M. und von Ober-Ost erschienen. Ebert erklärte bei Eröffnung, die herren vom Auswärtigen Amt, vom Kriegs-Ministertum und von Ober-Ost seien in einer ausserordentlich wichtigen, weittragenden und dringenden Angelegenheit hier, und er bedauere lebhaft, das Landsberg bereits abgereist sei. Aber auch er sei der Auffassung, das dem wunsche der herren der drei Reichsbehörden Rechnung getragen werden müsse. Am besten sei es wohl, wenn ein herr vom A. A. die Materie vortrage.
Ein Geheimrat vom A. A. (leider habe ich die Notiz mit dem Namen verloren) trug uns nun folgendes vor: „Wir erhalten soeben durch Ober-Ost ein auf 24 Stunden befristetes Ultimatum der Polen, in dem sie die fofortige Auslieferung von 10000 Gewehren und 500 Maschinengewehren von der Wilnafront zur Bekämpfung der Bolschewisten verlangen. Ausserdem die sofortige Räumung und Uebergabe Wilnas, mit allem Kriegsgerät, Kanonen, Ulinenwerfern, Maschinengewehren und Munition. Wir vom A. A., das K. M. und O. O. sind der Auffassung, das diesem Ultimatum sofort entsprochen werden muss." Er sowohl als die Vertreter des K. M. und von O. O. begründeten dies eingehend mit den widersprechendsten und fadenscheinigsten Gründen.
Ebert und Scheidemann — letzterer mit der sich schon seit dem 9. November immer wiederholenden Belegung der Bolschewiften mit den Kosenamen Räuber-, Verbrecher und Mörderbande — unterstützten mit noch schwächeren Behauptungen und Thesen dies Verlangen.
Wir drei andern waren uns in dieser Frage völlig einig und erklärten, das wir sowohl aus prinzipiellen wie taktischen Gründen dagegen wären. Prinzipiell aus drei Gründen: 1. Weil wir auf alle Fälle mit allen Nationen Frieden wollten und die Bewilligung dieses Ultimatums den Krieg mit Rusland bedeute. 2. Weil wir es ablehen müßten, gegen das sozialistische Rusland auch nur das allergeringste zu tun.
Aus taktischen Gründen: 1. Weil selbst, wenn Rusland nicht sozialistisch, fondern kapitalistisch, imperialistisch wäre, es ein Verbrechen am deutschen Volke im allgemeinen, der Armеe im Often im befonderen wäre, mit dem, nach Angabe unserer Militärs, bestorganisierten und bestdisziplinierten Heer, das auf 200 Kilometer Front unsern truppen gegenüberstebt, Krieg zu beginnen. 2. Weil es ganz besonders nach der vom A. A. dem K. M. und O. O. betriebenen Provokationspolitik gegenüber den Polen, alle Tage möglich werden kdnne, daß die von uns gelieferten Waffen gegen unsere eigenen Brüder gerichtet werden.
Ebert und Scheidemann, das A.A., das K.M. und O.G. erklärten hierauf, daß sie dann alle Verantwortung für die Vorkommnisse im Osten ablehnen müßten.
Mir einigten uns auf Vertagung zum 26. Dezember unter Hinzuziehung der S. R. der Ostfront und beschlossen dann noch die Einberufung des Zentralrates zum 27. Dezember. Zum Schluß erklarten Ebert und Scheidemann erneut, daß sie ebenso wie wir nach Aufklärung der Vorkommnisse am Morgen strebten.
Am 26. Dezember fand die Sitzung statt. Anwesend waren wieder die Vertreter des A. A., des K. M., O. O., die S. R. der Ostfront und — zwar ungeladen, aber fröhlich glänzend — Herr Erzberger, als Vertreter der Waffenstillstandskommission. Nicht anwesend waren die Ebert, Scheidemann und Landsberg, die an diesem Tage — streikten.
Haase eröffnete und leitete die Sitzung und gab den S. R. und Erzberger eine resümierende Darstellung der Sitzung vom 24. Die Vertreter der drei Reichsstellen fuhren schwerstes Geschütz auf, um uns einzuschüchtern. Wir legten erneut eingehend unsere Stellung dar und wurden hierbei von den S. R. und — Erzberger auf das Kräftigste unterstützt. Das A. A. legte zugleich ein Gesuch Winnigs vor, in dem er beantragte, daß er vom Reichskommissar zum Gesandten ernannt werde, um im Falle unvorhergesehener Ereignisse die Exterritorialität zu besitzen. Dagegen wandten wir uns ebenfalls auf das Entschiedenste, indem wir auf schnellster Räumung des Baltikums bestanden. Ganz besonders unterstützte uns hierin Erzberger, der das Verlangen als gegen den Waffenstillstandsvertrag verstoßend bezeichnete und prinzipiell lebhaft dagegen protestierte, daß das A.A. sich in offensichtliche Angelegenheiten der W. K. (Waffenstillstands-Kommission) mische. Die Herren vom A.A. waren ob Erzbergers Vorstoß platt.
Doch das ließ die Herren vom K. M. und vom O. O. nicht verdrießen. Sie machten einen erneuten Vorstoß, indem sie beantragten, daß wir die Ermächtigung zum Abschluß bereits schwebender Verhandlungen zwischen Minnig und einem englischen General in Niga geben sollten,in welchen gemeinsames militärisches Vorgehen gegen Rußland festgelegt werden sollte. Da ging denn selbst der immer ruhige Haase aus der Wolle. Wir sagten den Herren nicht nur unverblümt die Meinung, beschuldigten sie nicht nur des Verbrechens, freventlich mit dem Leben der Soldaten an der Ostfront, vom Kaukasus bis zur Ostsee zu spielen, deren Rückkehr durch derartige Verbrechen in Frage gestellt sei, sondern verlangten auch, daß sofort die notwendigen Akten eingefordert würden, um evtl. Winnig, die Vertreter des A. A. und O. O. aus dem Baltikum abzuberufen und zur Verantwortung zu ziehen. Wiederum unterstützten uns die S. R. der Ostfront und Erzberger, der die ganze Tätigkeit Winnigs und der übrigen Herren im Baltikum für ein schädliches Gegenarbeiten gegen die W. K. erklärte und, wenn keine völlige Aenderung und Klärung der Verhältnisse geschaffen würden, mit dem Rücktritt der gesamten W. K. drahte.
Doch auch das irritierte die Herren nicht! Sie kamen mit noch schwererem Geschütz. Die Herren vom O. O. erklärten, daß die englische Leitung im Baltikum verlange, daß wir gegen die Russen kämpfen, da wir nach dem W. V. dazu verpflichtet seien, die von uns noch nicht geräumten Gebiete zu schützen.
Wir, und ganz besonders auch Erzberger, legten den Herren klar, daß wir nicht verpflichtet seien, diese Gebiete gegen Angriffe von außen zu schützen, sondern nur die Aufgabe hätten, im besetzten Gebiet für Ruhe und Ordnung zu sorgen, woran wir ja wegen eines geregelten und schnell vor sich gehenden Rückzuges am meisten interessiert seien. Wir erklärten den Herren weiter, daß wir jeden, der angreifende Operationen gegen die Russen befehle oder ausführe, wegen gemeinen Mordes belangen würden, da wir nicht wegen des Verbrechens eines einzelnen oder einzelner das Leben von Hunderttausenden gefährden lassen wollten.
Doch die Herren waren zäh! Sie erklärten nun übereinstimmend, die vom A. A., vom K. M. und von O. O., daß sie sich zur Verteidigung des Baltikums moralisch verpflichtet fühlten, da ja bis jetzt von Deutschland den Letten und Litauern die Lildung eines eigenen Heeres verboten worden sei und sie die Letten und Litauer nun nicht schutzlos den Bolschewisten preisgeben könnten. Auch hierauf bekamen sie von Erzberger, den S. R. und uns die notwendige Antwort.
Wir beschlossen die Ablehnung des polnischen Ultimatums und das Verbot, irgend etwas im Baltikum ohne unsere Zustimmung zu unternehmen und erklärten weiter, daß wir uns alle übrigen Maßnahmen vorbehalten.
Hierauf erklärten die Vertreter des A. A., des K. M. und O. O. erneut, daß sie dann alle Verantwortung für das, was im Osten komme, ablehnen müßten.
Schluß unserer Sitzung um 3/4 2 Uhr.
Am nächsten Morgen waren bei Eröffnung der Sitzung die Herren vom A. A., vom K. M. und von O. O. wieder anwesend. Mir stieg die Galle hoch.
Doch o Schreck! Als Ebert die Sitzung eröffnete, sagte er, daß die Herren wieder anwesend seien wegen einer allerdings noch viel wichtigeren Angelegenheit. Er glaube, es sei wohl das beste, wenn die Herren vom A. A. die Sache vortragen.
Ein Herr vom A. A. sprach also:
„Meine Herren! Gestern Mittag um 1/2 2 Uhr kam es nach dem Einzug Paderewskis in Posen wegen der Hissung englischer, französischer und polnischer Flaggen, die der Kommandant nicht dulden konnte, bei deren Entfernung zu Zusammenstößen zwischen Deutschen und Polen. Die deutschen Eruppen wurden aus Posen hinausgedrängt. Dieses Veispiel in der Stlldt Posen wird wahrscheinlich Nachahmung finden. Wir glauben es dem deutschen Namen und der deutschen Ehre schuldig zU sein, dem Nate der Volksbeauftragien zu empfehlen, sofort an Polen den Krieg zu erklären und alle Machtmittel gegen Polen aufzubieten."
Landsberg schilderte nun mit seiner ganzen BeredsamKeit die Verworfenheit der Polen und die durch sie uns angetane Schmüch, die nur durch Mut weggewaschen werden könne. Er flehte uns an, an Polen den Krieg zu erklären.
Wir sprachen unsere Verwunderung ob dieser widerspruchsvollen Zickzack-Politik aus. Gestern lehnten sie jede Verantwortung im Osten ob unserer Ablehnung des polnischen Ultimatums ab, und heute verlangten sie gegen die Polen, denen sie gestern die Waffen liefern wollten, den Krieg. Noch mehr! Sie glaubten heute wieder jede Verantwortung im Osten ablehnen zu müssen, wenn ihrem Antrage nicht stattgegeben wird. Wir würden eine Kriegserklärung an Polen für ein Verbrechen halten. Die ganzen Osttruppen wären zum Untergang verurteilt, unsere Kartoffelund Vrotversorgung rvürde zusammenbrechen, und Gberschlesien wäre sofort für uns verloren. Aber mehr! Polen ist ein Teil der Entente. Ein Krieg gegen Polen wäre Aufhebung des Waffenstillstandes, wäre die Vesetzung des Nuhrbeckens, wäre die völlige Erdrosselung Deutschlands. Das lehnen wir rundweg ab.
Stundenlang versuchten die Ebert, Scheidemann und Landsberg mit ihren Trabanten uns zu bekehren. Vei der Abstimmung wurde die Kriegserklärung mit drei gegen drei Stimmen abgelehnt.
Ich fragte nun, ob schon festgestellt sei, wer die Schießerei am 24. Dezember verursacht habe.
Ebert verneinte, die Untersuchung sei noch im Gange. Der Zentralrat sei noch nicht zusammen, darum könne die Sitzung erst morgen stattfinden.
Zur selben Zeit war eine lange Erklärung und Rechtfertigung schon druckreif im „Vorwärts", eine Erklärung der Drei, die vom ersten Worte bis zum letzten der Wahrheit widersprach.
Um jedoch jedem die ganze Wesensart der Ebert, Scheidemann und Landsberg vor Augen zu führen, soll das „Dokument" folgen:
„Was hat sich am 23. und 24. Dezember in Berlin abgespielt?
Auf wen fällt die Schuld an Gewalttat, Straßenkampf und Bruderkrieg?
War es die Regierung, die mit den Mitteln einer „verbrecherischen Gewaltherrschaft" Blut zu vergießen befahl?
War es die Löhnungsforderung der Volksmarine-Division, die das blutige Weihnachtsfest heraufbeschwor? Nein, nicht die Matrosen und nicht die. Regierung haben die Schuld!
Urteilt selbst, Genossen!
Folgendermaßen haben sich die Vorgänge abgespielt: Schon am 18. Dezember war ein Uebereinkommen zwischen der Regierung und der Volksmarine-Division zustande gekommen, wonach die Matrosen gegen andere Zugeständnisse das Schloß räumen und ihren Mannschaftsbestand heruntersetzen sollten.
Am 23. Dezember vormittags verhandelte der Volksbeauftragte Genosse Ebеrt aufs neue mit dem Genossen Tolt und zwei Vertretern bes hauptausschusses der Marine in Wilhelmshaven. Dabei ist auch die Differenz mit der Volksmarine-Division besprochen worden. Das Ergebnis war die Verabredung, alle Differenzpunkte am 27. Dezember in gemeinsamer Sitzung durchzuberaten und bis dorthin alles zu tun, um die Ruhe aufrecht zu erbalten.
Matrosen und Regierung waren sich also einig. Dennoch erschienen am Nachmittag bewaffnete Matrosen bei den Genossen Ebert und Landsberg und teilten ihnen die bekannten Befehle mit: das Reichskanzlerhaus zu sperren und die Telephonzentrale zu besetzen! Die Reichsregierung als Gefangene ihrer eigenen Wache! Die wichtigsten Regierungsgeschäfte, darunter unausschiebbare der Waffenstillstandskommission, verzögert! Warum? Die Matrosen, die den Befehl ausführten, wutzten selbst keinen Grund anzugeben. Sie beriefen sich nur auf den Befehl ihres Führers Dorenbach! Der hatte den Mut gehabt, die deutsche Regierung vor der ganzen Welt unheilbar zu kompromittieren, indem er sie festsetzte.
Warum? Darauf wutzte auch der Führer der Wache im Reichskanzlerhaus, Kamerad Junge, keine Antwort, als er vom Schloss zurückkam und die Bescherung oorfand. „Wäre ich dagewesen", so sagte er, „dann wäre der Befehl nicht ausgeführt worden".
Aber die Drahtzieher und Verhetzer trieben ihr frevelhaftes Spiel weiter. Die Sperre über das Reichskanzlerhaus war keine Stunde aufgehoben, als sie von derselben Stelle, von Dorenbach, aufs neue verfügt wurde. Ober damit nicht genug: der herr veranlaste auch die Verhaftung des Stadtkommandanten Wels und seiner Adjutanten.
Neue Verbhandlungen begannen, wieder waren sich alle vernünftigen Elemente darin einig, das jedes Blutvergiessen zu vermeiden sei. Genosse Tost vom Vollzugsausschuss bemühte sich um eine Verftändigung. Güsten von der Matrosendivision sagte, die Regierung habe recht, er sehe ein, das Wels, Fischer und Bongartz freigelassen werden müssten, sonst käme es zu Blutvergiessen, ja vielleicht zum Sturz der Regierung und damit zum Einmarsch der Entente.
Die Regierung, obwohl aufs ungeheuerlichfte vergewaltigt, und durch die eigenen Volksgenossen blotgestellt, kam den von dunklen Elementen missbrauchten Matrosen in jeder Weise entgegen und war zu jeder Verständigung bereit, wenn nur Blutvergiessen vermieden werde. Den auf die Republik vereidigten Gruppen, die zum Schutz der Regierung herbeigeholt waren, ward jede gewaltsame handlung verboten. Schliesslich kam es am späten Abend noch einmal zu einer Einigung: die Matrosen verplichlteten fich zur Freilassung Wels und seiner Adjutanten und zur Räumung des Schlosses, in dem, nach dem Bericht des unabhängigen Finanzministers Simon, seit der Besetzung durch die Marine ausserordentliche des Volksvermögens vernichtet wurden und verschwunden sind.
Die Regierung hatte getan, was sie tun konnte. ll1er verhinderte nun auf der anderen Seite die Ausführung des Uebereinkommens?
Um 11 Uhr, um 12 Uhr, um 1 Uhr nachts wurde mit Schloß und Marstall telephoniert. Immer noch war Wels nicht freigelassen. Die Regierung wartete: Truppen, die aus Potsdam im Anzuge waren, wurden zurückgeschickt, überall wurde zur Rutze gemahnt. Um 1 Uhr morgens kam von einem Führer der Volksmarinedivision aus dem Schloß die telephonische Meldung:
„Ich kann für das Leben von Wels nicht mehr garantieren!"
Auf diese Nachricht hin, daß ein Mann, den die Regierung auf den schwersten Posten gestellt hatte, von feigem Meuchelmord bedroht sei, daß die besonnenen Führer und Kameraden von der Marine nicht mehr die Herrschaft hätten über die, welche auch vor einem verbrecherischen Totschlag nicht zurückschrecken, gaben die drei allein noch anwesenden Volksueauftragten Ebert, Scheidemann und Landsberg die Weisung an die zuständige militärische Kommandostelle, das Nötige zu veranlassen, um das Leben des Genossen Wels zu retten und ihn zu befreien.
Der Terror hatte, trotz der Vesonnenheit der Männer von der Marine, mit denen die Regierung verhandelt hatte, gesiegt! Wenn die Volksregierüng nicht schimpflich ihre Pflicht vernachlässigen und die Republik in der ganzen Welt dem Gespürt und der Verachtung preisgeben wollte, mußte eingegriffen werden.
Zwei Tatsachen stehen fest:
Die Volksbeauftragten wollten, wie immer, jedes bewaffnete Vorgehen vermeiden. Das ist ihnen ja oft genug, nicht nur aus weitesten Kreisen der Arbeiter, vorgeworfen worden.
Die Führer der Volksmarinedivision, die mit der Regierung verhandelten, wollten die Einigkeit herstellen und haben das nach dem Straßenkampf aufs neue durch die Zusicherung bewiesen, sich an keinerlei Aktion gegen die Regierung mehr zu beteiligen.
Trotzdem die Mißhandlungen, die Todesdrohungen, ja das Todesurteil gegen Wels! Trotzdem die neuen Verhetzungen gegen die Männer der Mehrheitspartei in der Regierung, die Lügen und. Verleumdungen!
Welcher Teufel hat dies blutige Unkraut in den Weizen gesät? Wer — so fragen wir an der Hand dieser authentischen Darstellung nochmals —, wer will es nicht zu Frieden und Zusammenarbeit kommen lassen? Wer hat es verstanden, jeden Vertrag zu einem Vlatt Papier zu machen?
Die sind es, und die klagen wir an, welche Tag für Tag unsern Genossen in der Regierung alle Verbrechen angedichtet haben. Die kein anderes Wort mehr kennen als „Bluthund" und selbst im Mut waten! Die angeblich für die Revolution kämpfen und nichts anoeres wollen als Vernichtung, Anarchie, Terror! Denen die russische Wüste und ihr verhungernde s Volk noch nicht genug sind, die noch «ine Wüste anstreben: Deutschland! Die Weltrevolution predigen und nur eines erreichen werden: Weltuntergang!
Genossen! Hier habt Ihr den Bericht über die Handlungen Eurer Vertrauensmänner in der Regierung. Ihr müßt das Urteil sprechen, denn durch Euer Vertrauen heißen nur Volksbeauftragte! Wenn Ihr uns Entlastung erteilt, müßt Ihr aber noch ein weiteres tun: Ihr müßt uns die wacht schaffen!
Es gibt keine Regierung ohne Macht! Ohne wacht können wir Euren Auftrag nicht ausführen! Ohne wacht sind wir jedem preisgegeben, der verbrecherisch genug ist, für den eigenen jämmerlichen Ehrgeiz seine Kameraden und ihre Waffen zu mißbrauchen!
Wollt Ihr die deutsche sozialistische Republik? Wollt Ihr, daß Eure Parteigenossen in Eurem Auftrag die Regierung führen?
Wollt Ihr daß wir für Euch so schnell wie möglich Frieden schließen und für die Lebensmittelzufuhr sorgen? Dann helft uns, der Regierung eine Volksmacht zu schaffen, daß sie ihre Würde, ihre Entschlußfreiheit ihre Tätigkeit gegen Anschläge und Putsche schützen kann.
Der 24. Dezember hat uns ungeheure Werte an Volksvermögen und Volksansehen gekostet.
Noch ein solcher Tag, und wir verlieren den Rang eines Staates, mit dem man verhandelt und Frieden schließt!
Eine Regierung, so sagte Genosse Ebert zu den Vertretern der Volksmarinedivision, die sich nicht durchsetzen kann, hat auch kein Recht auf Existenz!
Helft Ihr dies Recht verteidigen!
Jeder Mann ein Kampfer für dies Recht!"
Heute sehe ich ja klarer als damals. Der Krieg gegen Rußland oder Polen oder noch besser gegen beide sollte die Offentlichkeit von ihrem Tun ablenken. Doch auch hierbei hinter unserem Rücken zu handeln, das haben sie doch nicht gewagt.
Am nächsten Tage eröffnete Ebert die gemeinsame Sitzung der V. B. und des Z. R. mit der wörtlichen Wiedergabe des vorstehenden Verichtes. Ich schilderte hierauf eingehend die tatsachlichen VerHältnisse, so wie oben. Daran anschließend, gab ich eine Schilderung der Vorgänge im Marstall, die in Eberts Darstellung genau so mit der Wahrheit kollidierte wie in den übrigen Punkten. Ich erklarte, daß ich von der Verhaftung von Wels kein Wort erfahren hatte bis zum andern Morgen, daß ich, wenn mir Ebert ein Wort davon gesagt hätte, in den Marstall gegangen wäre und Wels herausgeholt hätte. Aber auch völlig anders hatte sich dort olles abgespielt. Wels sei verhaftet worden wegen des Verdachtes, daß er den Vefehl zum Schießen gegeben und infolgedessen die Verantwortung für die Erschießung der beiden Matrosen trage. Um 10 Uhr sei festgestellt worden, daß er tatsächlich den Befehl nickt gegeben. Er sollte nun mit Fischer entlassen werden. Während Fischer ging, sollte Wels — auf seinen Wunsch — bis zum andern Morgen in Schutzhaft bleiben. Um 12 Uhr — wohlgemerkt, nachdem ich gegangen war — wurde von der Reichskanzlei im Marstall wegen Wels angefragt. Da na n nun wahrheitsgemäß die Antwort, daß Wels auf seinen Wunsch in Schutzhaft sei, da bei einer Entlassung auf den völlig unbeleuchteten Straßen keine Garantie für seine Sicherheit übernommen werden konnte. Daraus macht nun Ebert das Gegenteil und ruft den Kriegsminister, gibt ihm eine Blankovollmacht zum militärischen Angriff. Um 9 Uhr findet unsere Kabinettsitzung statt, um 8 Uhr aber erfolgt der Angriff mit Kanonen, Minenwerfern und Gasgranaten. Konnte man diese Stunde nicht warten? Ebert sagt, um 12 Uhr sei das Leben von Wels in Gefahr gewesen: hätte er dann früh um 8 Uhr noch gelebt? Und wenn er um 8 Uhr noch gelebt hatte, hätte, wenn es sich so verhielt, nicht der erste Schuß ihm sein Teben kosten müssen? Nein, das sind die Gründe nicht gewesen! „Um sich vor den Entscheidungen über Ihre Veschlüsse zu drücken, der Kommandogewalt, der Sozialisierung und der Demobilisation, darum hat man hinter unserm Rücken den Befehl zum Angriff gegeben und hat uns drei Tage getäuscht, indem man sagte, daß man nichts davon wisse." Haase und Dittmann führten ebenfalls eine scharfe Sprache. Haase war, ob soviel Gewissenlosigkeit, ganz aufgebracht. Zeugen zu vernehmen, lehnte der Zentralrat ab. Abends um 8 Uhr zogen wir uns, nachdem wir folgende Fragen an den Z. R. zur Entscheidung vorgelegt hatten zurück.
Die Fragen lauteten:
1. Billigt es der Zentralrat, daß die Kabinettmitglieder Ebert, Scheidemann und Landsberg in der Uacht vom 23. zum 24. Dezember dem Kriegsminister den in keiner Weise begrenzten Auftrag erteilten, mit militärischer Gewalt gegen die Volksmarinedivision in Schloß und Marstall vorzugehen?
2. Billigt der Zentralrat, das am Morgen des 24. Dezember von den Truppen des Generalkommandos Leams mit nur 10 Minuten befristete Ultimatum, sowie die Artilleriebeschießung von Schloß und Marstall?
3. Erklärt sich der Zentralrat für die sofortige, strikte Durchführung der vom Kongreß der A.-und S-Räte geplanten Veschlüsse über die Abschaffung der Rangabzeichen_ und das Untersagen des Waffentragens außerhalb des Dienstes für die Offiziere im Heimatheer?
4. Billigt es der Zentralrat, daß die Oberste Heeresleitung in einem vertraulichen Telegramm an die Heeresgruppe Ober-Ost erKlärt, sie erkenne diese Beschlüsse der A.- und S-Räte nicht an?
5. Billigt der Zentralrat die von den Kabinettsmitgliedern Ebert, Scheidemann und Landsberg befürwortete Verlegung der Neichsregierung von Berlin nach Weimar oder einem anderen Orte Mitteldeutschlands?
6. Billigt der Zentralrat, daß statt der völligen Demobilmachung. des stehenden Heeres nur eine Reduzierung desselben auf den Friedensstand unter Zurückhaltung und eventuellen Auffüllung der: beiden IahreskIassen 1897 und 98 stattfindet?
7. Steht der Zentralrat mit uns auf dem Standpunkt, daß die Regierung der sozialistischen Republik sich militärisch nicht stützen kann und darf auf die Generalität und die Reste des auf dem Kadavergehorsam aufgebauten, alten, stehenden Heeres, sondern nur auf eine nach demokratischen Grundsätzen aus Freiwilligen zu bildende Volkswehr?
8. Ist der Zentralrat dafür, daß die Sozialtsierung der dafür reifen Industrien durch gesetzgeberische Akte sofort in Angiff genommen wird?
Um 11 Uhr brachte uns der Zentralrat seine Antwort und bat uns um die Veantwortung der von ihm formulierten Fragen. Auf die von unseren Genossen formulierten Fragen hat der Zentralrat folgendermaßen geantwortet:
1. Die Volksbeauftragten haben lediglich den Auftrag erteilt, das Nötige zur Vefreiung des Genossen Wels zu veranlassen. Dasist aber auch erst geschehen, nachdem den drei Volksbeauftragten von dem Führer der Volksmarine-Division telephonisch mitgeteilt worden ist, daß er für das Leben des Genossen Wels nicht mehr garantieren könne. Das billigt der Zentralrat.
2. Die zweite Frage beantwortet der Zentralrat mit: Nein.
3. Der Zentralrat steht auf dem Standpunkt, daß die auf dem Kongreß gefaßten Veschlüsse durchzuführen sind. Der Rat der Volksbeauftragten wird aufgefordert, die Ausführungsbestimmungen alsbald vorzulegen.
4. Die vierte Frage wird mit nein beantwortet.
In den Fragen 5, 6 und 7: der Zentralrat kann diese Fragen ohne vorherige eingehende Erörterung mit dem Rat der Volksbeauftragten nicht beanworten.
8. Der Zentralrat wünscht in allernächster 2eit von der für die Vorbereitung der Sozialisierung eingetretenen Rommission einen Vortrag über den Stand ihrer Arbeiten zu hören. Er ist der Meinung, daß die Sozialisierungskommission in Ausführung der Veschlüsse des Kongresses der Aund S.-Rate so schnell wie möglich positive Vorschläge über die Sozialisierung der dazu reifen Betriebe (insbesondere des Bergbaues) macht.
Ferner stellte der Zentralrat noch folgende Anfrage an die Volksbeauftragten:
„Sind die Volksbeauftragten bereit, die öffentliche Ruhe und Sicherheit, insbesondere auch das private und öffentliche Eigentum gegen gewaltsame Eingriffe zu schützen?
Sind sie mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln auch bereit, ihre eigene Arbeitsmöglichkeit und die ihrer Organe gegen Gewalttätigkeiten, ganz gleich, von welcher Seite sie erfolgen sollten, zu gewährleisten?"
Bei Wiedereröffnung der Sitzung gab Haase für uns folgende Erklärung ab:
Wir treten aus der Regierung aus und begründen diesen Schritt in folgender Weise:
1. Das Blutbad vom 24. Dezember 1918 ist dadurch verschuldet, daß die Volksbeauftragten Ebert, Scheidemann, Landsberg dem Rriegsminister den unbegrenzten Auftrag zu militärischer Gewalt anwendung gegeben haben. Zur Befreiung des Stadtkommandanten Wels war ein folcher Auftrag weder nötig noch zweckdienlich. Das Leben von Wels wurde gerade durch eine Kanonade auf das Gebände, in dem er sich selbst befand, auf das höchste gefährdet. Der militärische Angriff erfolgte außerdem erst ? Stunden, nachdem dem Kriegsminister der Auftrag erteilt worden war, also zu einer Zeit, wo, wenn Wels' Leben wirklich bedroht war, mit seiner Unversehrtheit kaum noch gerechnet werden konnte.
Die Volksbeauftragten Ebert, Scheidemann und Landsberg haben während dieser ganzen Zeit keinen Schritt getan, um die Ausführung ihres Auftrage, der einer Blankovollmacht gleichkam, zu überwachen.
Wir können es nicht verantworten, daß einem Vertreter des alten E>ewaltsystems die Verfügung über das Leben der Mitmenschen nach seinem Velieben übertragen wird. Der Weg der Verhandlungen, der schließlich zum Ziel geführt bat, hätte in keinem Stadium der Angelegenheit verlassen werden dürfen.
Im Gegensatz zu dieser unserer Auffassung hat der Zentralrat das Verhalten von Ebert, Scheidemann und Landsberg in dieser Frage gebilligt.
2. Wie gefährlich der dem Kriegsminister erteilte Auftrag gewesen ist, ergibt sich schon daraus, daß der Zentralrat die Art der Ausführung des Auftrages selbst in Veantwortung der Frage 2 ausdrücklich hat mißbilligen müssen.
3. Die Antwort auf die Frage I befriedigt uns ebenfalls nicht, da sie nicht die sofortige und strikte Durchführung der vom Kongreß der A.und S.-Räte gefaßten Veschlüsse verlangt, sondern lediglich die Aufforderung zur alsbaldigen Vorlage von Ausführungsbestimmungen enthält.
4. Unsere Fragen zu 5, 6 und 7 sind von entscheidender Vedeutung für die Führung der inneren und auswärtigen Politik im Geiste der Revolution. Da der Zentralrat in Veantwortung dieser grundlegenden Fragen trotz der eingehenden Erörterung, die sie in der Verhandlung gefunden haben, hinausschiebt, so werden die Errungenschaften der Revolution nach unserer Ueberzeugung auch hierourch gefährdet.
5. Die Beantwortung der Frage wegen der vom Kongreß der A.- und S.-Räte geforderten sofortigen Sokalisierung der dazu reifen Industrien sichert durchaus nicht die Verwirklichung der Kosichten des Kongresses.
6. Da wir hiermit aus der Regierung ausscheiden, haben wir die an uns als Volksbeauftragte gestellte Frage nicht mehr zu beantworten.
Nach einigen Worten Haases an den S. R. verließen wir die Sitzung. Eine ernste, arbeitsreiche und aufreibende Tätigkeit hatte ihr Ende erreicht. Die Intrige hatte gesiegt.
Am nächsten Morgen — wir mußten doch noch einige Tage zur Erledigung unserer Arbeiten nach der Reichskanzlei — standen Landsberg, Vaake und Scheuch auf dem Treppenflur, als Dittmann vorbeiging, und er hörte, daß sich Scheuch in der entschiedensten Weise verbat, daß in diesem Zusammenhange sein Name genannt würde.
Wir sprachen darüber, und ich erklärte gleich, daß da wieder eine neue Täuschung der drei Herren vorliege. Ich erinnerte, daß ja Ebert eigentlich am Dienstag, als er Haase vom telephonieren abhielt, Scheuch indirekt zum Lilgen gezwungen habe und daß er ihn jedenfalls nun erneut zu seinem Mitschuldigen machen wollte, indem er ihn vor vollendete Tatsachen stellte.
Der Zufall wollte es nun, daß beim Verlassen des Hauses Dittmann ihn erneut traf. Scheuch sagte: „Nun, die Herren sind aus der Negierung ausgeschieden? Ich habe heute ebenfalls endgültig mein Nmt niedergelegt." Darauf meinte Dittmann, daß er sich aber einen schlechten Abgang gewählt habe, und auf die erstaunte Ärage. wieso, erklärte ihm DittmanA, daß er doch, indem er auf ein Haus mit Kanonen schießen lasse, um einen in demselben sich befindlichen Mann zu befreien, seine ganze autoritative militärische Stellung und seinen Namen lächerlich gemacht habe.
Darauf erklärte Scheuch ganz erregt: „Ich muß dagegen ganz entschieden protestieren! Einen derartigen unsinnigen Auftrag habe ich weder erhalten, noch gegeben. Hätte ich einen solchen Ruftrag erhalten, so hätte ich ihn ob seiner Unsinnigkeit und Zweckwidrigkeit rundweg abgelehnt! Mein Auftrag war, mit allen verfügbaren Mannschaften und technischen Hilfsmitteln die Matrosen zu Paaren zu treiben und zur bedingungslosen Uebergabe zu zwingen."
Die Handlungsweise der Ebert, Scheidemann und Landsberg — immer unter der Leitung und Negie des letzteren — die drei Tage ihre Kollegen getäuscht haben, um dann am 4. Tage sie erneut,. den Zentralrat und das gesamte deutsche Volk zu täuschen, möge jeder selbst beurteilen .
Zum Schlusse seien hier noch unsere und der neuen Regierung und des Zentralrats Erklärungen beigefügt. Die Erklärung der U.S.P. lautet:
„Die Regierungskrise, die jetzt zur Lösung gekommen ist, degann, tiefer gesehen, schon an dem Tage des Regierungsanfanges. Unter dem Zwang der revolutionären Ereignisse waren die Vertreter grundverschiedener Anschauungen zu gemeinsamer Arbeit zusammengeschmiedet worden. Alle Veteiligten hatten das Vestreben, die ihnen zugewiesene Aufgabe zu erfüllen und zu diesem Zweck alle persönlichen Reibungen zu vermeiden. Es ist auch geglückt, das Zusammenarbeiten von dem erbitternden Moment persönlicher Vorwürfe frei zu halten. Aber die sachlichen Gegensätze mußten ausgetragen werden und hemmten, je länger, desto mehr den Regierungsorganismus.
Als am 6. Dezember in der Thausseestraße die Maschinengewehre der Stadtkommandantur auf friedliche Demonstranten feuerten, als ein Trupp Soldaten den Vollzugsrat der Arbeiter- und Soldatenräte festnahm und der Versuch gemacht wurde, Ebert zum Präsidenten der Republik auszurufen, war die Situation kritisch geworden. Da aber der Stadtkommandant Wels nicht nur sofort seine Unschuld beteuerte, sondern auch der Beweis, daß er an den Anordnungen, die zum Vlutvergießen geführt hatten, beteiligt gewesen sei, nicht erbracht werden konnte, und da ferner Ebert mit Nachdruck versicherte und glaubhaft machte, daß er von den: Putsch völlig überrascht sei und ihn mißbillige: so war für die unabhängigen Mitglieder des Kabinette damals keine politische Situation gegeben, die ein Ausscheiden aus dem Rat der Volksbeauftragten gerechtfertigt hätte und die den Massen verständlich gewesen wäre.
Die Meinungsverschiedenheiten in wichtigen Fragen der inneren und äußeren Politik steigerten sich aber seitdem. Die Vertrauensseligkeit der Mehrheitssozialisten gegenüber der Obersten Heeresleitung führte sie dazu,. die von dieser Seite kommenden vorschläge meist unbesehen anzunehmen. Dazu wurde die Macht der alten Militärgewalt von neuem gestärkt. Der Grenzschutz im Westen, der aus militärischen Gründen nicht zu erklären ist, mußte den Gedanken nahelegen, daß es darauf abgesehen sei, Truppen, die dem politischen Leben ferngehalten werden, fest in der Hand ihrer Offiziere zu behalten, um sie bei geeigneter Gelegenheit für konterrevolutionäre Zwecke zu verwenden.
Diese Auffassung erhielt neue Nahrung, als plötzlich am 22. Dezember eine Demobilmachungsorder vorbereitet wurde, die die Zurückhaltung und Auffüllung der beiden Jahresklassen 1897 und 1898 vorsieht. Da die Oberste Heeresleitung gleichzeitig gegen die Veschlüsse des Kongresse s der A.und S.-Räte über Abschaffung der Rangabzeichen und das Verbot des Waffentrager außerhalb des Dienstes heftig frondierte, so drängte die Frage zur Entscheidung, ob das Kabinett diese Nebenregierung, die sich noch verhängnisvoller jetzt betätigte, als unter dem alten Regime, gewähren lassen oder den Kampf mit ihr aufnehmen wolle. Das Zögern der Mehrheitssozialisten bewirkte, daß die Oberste Heeresleitung immer kühner in ihrem Angriff wurde, und die gesamten Offiziere gegen die Beschlüsse des Kongresses der A.- und S.-Räte, denen die Regierung zugestimmt hatte, und damit auch gegen die Regierung aufputschte.
Unvermeidlich wurde eine klare Tntscheidung zwischen Mehrheitssozialisten und Unabhängigen, als am 24. Dezember Schloß und Marstall bombardiert wurden und neue Vlutopfer fielen. Den Unabhängigen war damit ihre Haltung klar vorgezeichnet. Da der Zentralrat aber von seinen eigenen Freunden als die oberste Gewalt bezeichnet war, so verstand es sich für ihn von selbst, daß er seine Entschließungen nicht fassen wollte, bevor er über alle Vorgänge unterrichtet und sein Urteil abzugeben in der Lage war.
Der Zentralrat, in den auf dem Kongreß die Unabhängigen Keine Vertreter entsandt haben, hat am Sonnabend, den 28. Dezember auf die Fragen, die die Unabhängigen ihm vorlegten, in völlig unbefriedigender Weise geantwortet und hat namentlich Ebert,Zcheidemann und Landsberg gedeckt, obwohl diese selbst zur lieberraschung ihrer unabhängigen Kollegen zugestanden, daß sie in der Nacht zum. 24. Dezember um 1 Uhr früh dem Kriegsminister den unbegrenzten Auftrag gegeben haben, alles zu tun, um Wels zu retten und damit die ungeheuerliche Kanonade gegen Schloß und Marstall sowie das Blutvergießen verschuldet haben. Damit war der politische Moment gekommen, in dem die Unabhängigen das Kabinett verlassen mußten.
Die Unabhängigen standen kurz vorher vor der Frage, ob sie ullein die Regierung übernehmen wollten. Dazu wären sie nur in der Lage gewesen, wenn sie sich auf einen Zentralrat hätten stützen können, der ihre Anschauungen in allen wesentlichen politischen Fragen teilte, denn jeder Regierung fehlte die Existenzgrundlage, wenn die Gewalt, von der sie selbst ihre Macht herleitet, die sie jederzeit abberufen kann, in den Grundanschauungen anders denkt wie sie selbst. Die weitere Entwicklung der inneren und äußeren Politik wird die vorhandenen Schwierigkeiten für die neue Regierung sicherlich vermehren. Läßt sie sich dazu verleiten, die Rolle des starken Mannen die sie so unglücklich begonnen bat, weiter fortzuführen, so wird das zu Kämpfen mit unabsehbaren Folgen innerhalb des Volkes führen.
Die Unabhängigen sind aus der Regierung mit dem Vewußtsein ausgeschieden, daß sie nach dem allgemeinen Zusammenbruch unter den denkbar schwierigsten Umständen in die. Regierung eingetreten sind, jederzeit bestrebt, die Revolution zu sichern und zu fördern. Sie mußten aber ausscheiden in dem Augenblick, wo sie nicht mehr in der Lage waren, die Gefährdung der Revolution durch die Politik der Mehrheitssozialisten zu verhindern."
Dagegen veröffentlichten Zentralrat und Regierung folgende Erklärung:
„Arbeiter, Bürger, Soldaten!
Die Regierungskrise hat die Lösung gefunden, die das deutsche Volk erwartet hat. Die Unabhängigen sind ausgeschieden, die Reichsregierung wird aus den Reihen der Mehrheitssozialisten ergänzt und, von inneren Hemmungen frei, an die Lösung ihrer großen Aufgaben gehen: die Wahlen zur Nationalversammlung und den Frieden vorzubereiten und bis dahin die Aufrechterhaltung einer freiheitlichen Ordnung sicherzustellen.
Die Vertreter der Unabhängigen sind ausgetreten, weil der Zentralrat der deutschen sozialistischen Republik gegen sie entschieden hat. Der Zentralrat hat erklärt:
„Die Volksbeauftragten Ebert, Landsberg und Scheidemann haben lediglich den Auftrag erteilt, das Nötige zur Befreiung des Genossen Wels zu veranlassen. Das ist aber auch erst geschehen, nachdem den drei Volksbeauftragten von dem Führer der Volksmarine-Division telephonisch mitgeteilt worden ist, daß er für das Leben des Genossen Wels nicht mehr garantieren könne. Das billigt der Zentralrat."
Nach diesem Schiedsspruch von der höchsten Instanz, von den Vertrauensleuten sämtlicher Arbeiterund Soldatenräte Deutschlands, sind die Unabhängigen aus der Regierung geschieden» Sie haben sie in einem Augenblick verlassen, wo alles in Frage gestellt ist: Waffenstillstand, Frieden, Ernährung, Bestand des Reiches! Wo zum ersten Male vom französischen Vevollmächtigten General Soch die unzweideutige Neuerung vorliegt: „Mit einer bolschewistischen Regierung verhandeln wir nicht!"
Obwohl viele Stunden lang die Berechtigung der Notwehr bewiesen wurde, in der Ebert, Landsberg und Scheidemann gehandelt haben, und diese vom Zentralrat anerkannt wurde, haben die Unabhängigen ihren Austritt wieder mit der angeblichen „Schuld" der sozialdemokratischen Volksbeauftragten begründet.
Auf die Frage des Zentralrates, ob die Volksbeauftragten bereit seien, die öffentliche Ruhe und Sicherheit insbesondere auch das private Leben und öffentliche Eigentum gegen gewaltsame Eingriffe zu schützen, und mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln ihre eigene Arbeitsmöglichkeit und die ihrer Organe gegen GewalttätigKeiten, ganz gleich von welcher Seite, zu gewährleisten — auf diese Frage haben die Unabhängigen geschwiegen!
Vor der Beantwortung dieser Lebensfrage des deutschen Volkes haben sie sich gedrückt! Damit haben sie bewiesen, daß sie die erste Pflicht jeder Regierung nicht erfüllen wollen: Die Sicherheit innerhalb des Staates zu gewährleisten!
Indem die Unabhängigen die Mittel zur staatlichen Sicherung ablehnten, haben sie sich als regierungsunfähig erwiesen.
Für uns ist die Revolution keine Parteiparole, sondern das kostbarste Gut des ganzen schaffenden Volkes.
Wir übernehmen ihre Aufgabe als Beauftragte des Volkes mit dem Schwur: Alles für die Revolution, alles durch die Revolution! Aber auch mit der festesten Absicht, jedem unerbittlich entgegenzutreten, der aus der Revolution des Volkes den Terror einer Minüerheit machen will.
Hunderttausende demonstrierten heute für die neue Regierung, um den skrupellosen Mißbrauchern der Straße zu beweisen, 100 die Mehrheit steht. Aus ihrer Solidarität beruht unser Auftrag und unser Amt. Die Massen sind unsere Rechtfertigung, ihr Wille gibt uns die Kraft zu der Riesenaufgabe!
Keine unfruchtbare Varteizänkerei mehr, sondern einheitliche Arbeit in Eurem Sinn, im republikanischen, sozalistischen, demokratischen Sinn!
Soldaten!
Der Zentralrat der deutschen sozialistischen Republik, der vom Kongreß aller A.und S.-Räte rechtmäßig gewählt ist, hat die Volksbeauftragten Ebert, Scheidemann und Landsberg in ihren gemtern bestätigt. Er hat ferner die drei Genossen Noske, Loebe und Wissel zu Mitgliedern der Reichsregierung ernannt.
Die neue Reichsregierung muß die freiheitliche Ordnung unserer jungen Volksrepublik festigen, die Wahlen zur Nationalversammlung, die nach dem Veschluß des Kongresses der Kund S.-Räte am 19. Januar vorzunehmen sind, sichern und die unteressen des deutschen Volkes nach außen wahrnehmen.
Reichsregierung und Zentralrat der A.- und S-Räte stehen zu diesem Zweck geschlossen zusammen.
Soldaten, Ihr müßt uns helfen!
Wir kennen nur den freiwilligen Gehorsam freier Männer. Wer unserer Sache nicht aus Ueberzeugung dienen Kann, der mag gehen.
Wer aber Soldat bleibt, der muß wissen, daß die neue Reichsregierung die höchste Vehörde der deutschen Republik ist und daß jedermann, der Waffen trägt, ihr als der obersten Kommandogewalt Treue schuldet.
Die Regierung will nichts als die Freiheit und Wohlfahrt des Volkes. Die sollt Ihr schützen helfen! Wenn Ihr entschlossen seid, die freiheitliche Ordnung der Republik nach allen Seiten zu schützen, wird sie niemand anzutasten wagen. Darum seid der großen Sache, der deutschen Volksrepublik treu! Vefolgt die Anordnungen ihrer höchsten Vehörden! Wer Waffen gebraucht, um die freiheitliche Ordnung zu stören, oder wer Euch auffordert, dies zu tun, der begeht ein Verbrechen an unserem Volk. Soldaten! Wenn wir nicht Ordnung halten, müssen wir verhungern! Rettet durch selbstgewollte Disziplin die Errungenschaft der Revolution und unser Volk vor dem drohenden Untergang!"
- 1Joffe bemerkt in diesem Telegramm, das er dem V. B. Barth mehrere Hunderttausend Mark und Waffen zur Vorbereitung der Revolution gegeben habe.
Comments
5
5. Der Vollzugsrat, die revolutionären Obleute und ich.
Vom 10. November bis zum 28. Dezember war ich so ziemlich täglich im Vollzugsrat. In der Sitzung der revolutionären Obleute war ich zweimal.
Es liegt mir völlig fern, eine Kritik an den beiden Körperschaften zu üben. Ich kenne beider Schwierigkeiten, weiß die Strömungen bei den Obleuten zu würdigen, weiß ganz besonders, wie aufreibend die Tätigkeit im V. R. für unsere Genossen war.
Der Vollzugsrat, der am 10. November im Zirkus Lusch halb aus Soldaten und halb aus Arbeitern zusammengesetzt wurde, war eigentlich eine totgeborene Körperschaft. Daß sie nicht starb, daran tragen die Verhältnisse, nicht die Mitglieder des Voilzugsrats die Schuld: denn von einigen ehrlichen Menschen abgesehen, waren die ganzen soldatischen Mitglieder des Vollzugsrats solche, die von anderen vorgeschoben, nur das eine Interesse hatten: die Arbeitsmöglichkeit des Vollzugsrats zu unterbinden und ihn nach außen fortgesetzt zu diskreditieren.
Am 10. November im Zirkus Busch, nachdem die Wels, Cohen und Genossen in so und so viel Kasernen und in zwei Versammlungen für „Soldatenräte" gesorgt hatten, mit denen sie dann die Versammlung terrorisierten, gab es nur zwei Möglichkeiten. entweder den sofortigen blutigen Kampf zwischen Arbeiterschaft und Soldaten, oder ein Lavieren bis zur völligen Demobilisation.
Als ich den Vorsitz niederlegte und meinen Paletot angezogen hatte, hatte ich mich für den Kampf gegen die Soldateska und gegen die S. P. entschieden. Als nun aber alle meine Freunde, auch Liebknecht, auf mich einstürmten, da gab ich nach in der Ho.ffnung, daß die straffe Organisation und Schulung des proletarischen Heeres sofort in die Hand genommen würde, um dann schlagfertig in der reifen Stunde die Revolution, wenn sie von der S. P. gehemmt werden sollte, weiterzutreiben. Aber das Nachgeben bedeutete eben die denkbar schlechteste Zusammensetzung des V.R., halb Soldaten und halb Arbeiter, und längeres Lavieren. Und was für Arbeiter waren es denn? Halb U. S. P., halb S. P., d. h. ein Viertel des V.R. war revolutionär und von drei Vierteln wußte man nichts, absolut nichts! Oder gibt es vielleicht einen Menschen, der behaupten will, daß er am 10. November wußte, ob nun in der Revolution die S. P. hemmend oder vorwärtstreibend sein würde, ob die Scheidung der Geister innerhalb derselben nicht schnell erfolgen und die Revisionisten beiseite oder gar aus der Partei hinausgedrückt Würden oder umgekehrt? Möglich war beides.
Also ein Viertel des Vollzugsrates waren unsere Genossen, woraus doch von vornherein die Schlußfolgerung gezogen werden mußte, daß in allen Fragen, in denen die S. P.-Mitglieder dagegen waren und nicht der persönliche Vorteil oder die Vefriedigung des persönlichen Ehrgeizes die soldatischen Mitglieder für unsere Genossen stimmen ließ, sie unterliegen mußten. Daraus folgte weiter, daß es nicht klug war, wenn unsere Genossen im V.R. dauernd Kompetenzstreitigkeiten mit den V. B. herbeiführten.
Diese Kompetenzstreitigkeiten hinderten den V.R., die Revolution zu schützen und vorwärtszutreiben. Als am 12. November die Kompetenzen festgelegt und die Exekutive und Legislative unter der Kontrolle des V. R. uns übertragen war, da hätten statt Kompetenzen reale Sachfragen die Reibungen erzeugen sollen. Z. V. hätte anläßlich des Geheimtelegramms Gröners an O. O. wegen der Verhinderung der Demobilisation, als ich im Kabinett die Enilassung Gröners nicht durchsetzen konnte, der V. R. dies fordern und bei Verneinung durch das Kabinett es zu einer Streitfrage machen sollen. Ebenso in Fragen wie die Lösung der Ostprobleme — Rußland, Polen, Ukraine und Valtikum — in S. R.-Fragen u. a. m., wobei praktisch revolutionär gearbeitet und die S. R.-Mitglieder für uns gewonnen worden wären.
In diesem Sinne habe ich dauernd versucht —bei jeder aufbauchenden Frage — auf unsere Genossen einzuwirken, doch dauernd vergebens. Nur als die Solf-Frage nach der Konferenz am 24. November aufkam, forderte er schleunigst die Entlassung Solfs und Erzbergers und erneuerte diese Forderung am 2. Dezember. Aber dies war gerade die ungeeignetste Frage, um einen Konflikt im Interesse der Revolution zu entfachen. Es war ja keine prinzipielle, Kaum eine sachliche, sondern im wesentlichen eine Personenfrage. Die Geheimerlasse der O. H. L., die S. R.-Fragen und die Sozialisierung sollten sie zum Kampfobjekt machen, sagte ich ihnen, gleich alle drei!
„Ha!" sagte da R. Müller, „da kommt einer, der gerne andere als Prügeljungen haben möchte! Nein, nein! Ihr tragt die Verantwortung und die nehmen wir Euch nicht ab."
Meine Antwort will ich mir hier ersparen. Ist eine Sicherung der Revolution, eine Weiterführung derselben denkbar, wenn derartige Popularitätshascherei mit maßgebend ist? Es ist eben viel einfacher, dauernd Kompetenzstreitigkeiten zu erheben, als in praktischen Fragen den entscheidenden Kampf zu wagen. Es ist leichter, sich eine Pose zu geben, in der man so recht schön in blendender Rüstung dasteht ohne etwas zu tun, als wirklich zu wagen und zu handeln. Ich fand beim V. R. keine Unterstützung, nur Anfeindung, wobei ich bei keinem Genossen bösen Willen voraussetze. Wir redeten zwei Sprachen und verstanden uns nicht und deshalb glaubten sie sich berechtigt, überall gegen mich Mißtrauen zu säen. Wenn ich ihnen in Stunden, wo die Sekunden die Vedeutung von Iahren haben, sagte: handelt, laßt doch den Prinzipienschimmel laufen, dann warfen sie mir Verrat an den Kopf.
Es ist ja das Fürchterliche, daß sich das Proletariat in seinem größten Elend mit den plattesten Phrasen willig und billig abspeisen läßt, daß es sich noch daran berauscht. Im Iahre 1908, als die große Arbeitslosigkeit herrschte, fanden Arbeitslosenversammlungen statt, und die Referenten empfahlen, nach dem Aufgebot aller radikalen Phrasen, eine Resolution für das allgemeine, gleiche. direkte und geheime Wahlrecht in Preußen und in den Gemeinden. Als ich die Unsinnigkeit dieser Forderung für die hungernden und darbenden Arbeitslosen darlegte und zu direkter Aktion aufforderte, da wurde ich auf das Stichwort des Referenten (Emmel-Mühlhausen) hin als Spitzel verprügest, obgleich ich selbst die 27. Woche arbeitslos war.
Aehnlich jetzt, nicht zuletzt bei meinen Freunden vom V. R. Es war nicht das Wahlrecht, es waren die „Rate", das neue Prinzip.
Ich aber pfeife auf alle Prinzipien, wenn sie nicht bestimmend für die Tat sind. Mehr: ich hasse alle Prinzipien, die dauernd im Munde geführt werden, um — die Tatenlosigkeit zu verdecken.
Das gilt für alle Zeiten, für revolutionäre Zeiten gilt es tausendfach. Die meisten Revolutionäre wissen nicht, daß das Wort der Weg, die Tat das Werk ist.
Nur wenigen, sehr wenigen ist es immer nur klar, in welchem Stadium eine Revolution sich befindet. Revolutionäres Gären, revolutionäre Phase und revolutionäre Aktion sind drei sich ergänzende, sich immer wieder ablösende, revolutionäre Perioden mit völlig verschiedenen Aufgaben und somit verschiedenen Mitteln und Methoden, wobei das richtige Mittel für die eine Gift und somit Tod für die andere Periode bedeutet.
Revolutionäres Gären ist alle Entwicklung auf kommerziellem, wirtschaftlichem, sozialem und politischem Gebiet. Diese revolutionäre Epoche der Evolution, die Jahre und lange Iahrzehnte währen kann, ist die Epoche des Wortes, ist die Erfüllung der Geister mit dem heiligen Odem des Sozialismus, ist die laute rührige Agitation, ist die Zeit, wo das Wort, das gesprochene und geschriebene, der Hammer, wo Versammlungssaal, Presse und Parlament die weithinhallenden, singenden und klingenden, von Schmerzen und Qual kündenden, zur Solidarität aller leidenden untereinander und zum Kampf gegen die Vedrücker aufrufenden Ambosse sind.
Die Zeit der revolutionären Phase, das ist die Zeit, die Ruhe und Stille, Friedhofsruhe, täuschende Stille vor dem Sturme fordert, in der die wahren Kräfte der Revolution organisiert, zusammengeballt, gerüstet und gewappnet werden müssen, um die revolutionäre Aktion zu vollbringen. .
Diese revolutionäre Aktion muß, wenn sie siegen will, plötzlich wie ein Blitz aus heiterem Himmel, in der historisch richtigen Stunde, mächtig, kräftig, staunenerregend, furchterweckend, alles faszinierend, mitreißend, zum Staunen und Vewundern zwingend, erfolgen.
Ebbt nun diese revolutionäre Aktion ab, ganz gleich aus was für Umständen oder Widerständen, so tritt an ihre Stelle die revolutionäre Phase, vielleicht ergänzt durch die Mittel der revolutionären Gärung, aber die Revolution wird zum sicheren.Untergang verurteilt, der Sieg der Gegenrevolution wird auf ein sehr schwer wieder zu zerstörendes Fundament gestellt, wenn Mittel der revolutionären Aktion in dieser Periode verwendet oder besser gesagt, dilettantisch verhrecherisch vergeudet werden. Wehe dem Proletariat, wenn kurzsichtige Dilettanten in dieser Periode seine Führer find, dann ist es zur grauenvollen Niederlage verdammt, ganz gleich, ob Fanatismus, Ehrgeiz oder Kurzsichtigkeit die Führer bestimmen.
Der beinahe kampflose Sieg vom 9. November war die Hemmung des Sozialismus, war deren Auslieferung an ihre Verräter. Das gewaltige Heer, das bei einem Kampfe um den Sozialtsmus sicher auf Seiten der Sozialverräter gestanden hätte, bedingte, wenn der Kampf nicht sofort erfolgte, die Einstellung der revolutionären Aktion, bedingte die revolutionäre Phase bis zur Demobilisation.
Nach wenigen Tagen mußte es jedem, der glaubte, „Führer" zu sein, klar sein, daß bei dem alle erfassenden Nationalversammlungsfimmel die Zeit der revolutionären Phase dauern müsse bis , mindestens vierzehn Tage nach Einberufung der Nationalversammlung, d. h. bis zu deren Selbstdiskreditierung beim ganzen Volke.
Von diesem Gesichtspunkte aus war mein Wirken überall oiktiert, ganz besonders bei meinen Freunden im V. R. und bei den revolutionären Obleuten. Ober da kam ich schön an. „Nur über meine deiche geht der Weg der N. V." „Alle Macht den A.- und S.-Räten" „Rücktritt der U. S. P. Mitglieder im Rate der V. B." das waren die Schlagworte, die sich zur rechten Zeit dem Revolutionsdilettantismus boten. Meine positive Erklärung, daß meiner Ueberzeugung nach — wofür ich allerdings nur Anzeichen und Dermutungen, aber keine Veweise hatte — sofort nach unserm Nücktritt die blutige Diktatur Landsbergs herrschen würde, wurde mit Hohn und Spott und mit der Erklärung, daß sie dann über den Haufen gerannt würden, abgetan. Meine weitere Erklärung, daß mir vor diesen Arbeiter- und ganz besonders vor diesen Soldatenräten — nicht wegen meiner — sondern wegen der Revolution graue, wurde mir als Verrat untergeschoben. Meine Behauptung, daß wir gegenwärtig nicht die Macht besäßen, um den Kampf aufzunehmen, da die Massenpsvche uns entgegenstände, wurde verlacht, und ich wurde der Feigheit geziehen. Mein Verlangen, die illegale Organisation ruhig und still, aber energisch, großzügig und gut bewaffnet über ganz Deutschland auszubauen, als Revolutionsromantik verspottet. Wegen meines Vestrebens, den wirtschaftlichen Streiks, soweit sie auf überspannten Forderungen basierten, entgegenzuwirken, wurde ich als Kapitalsknecht erklärt. Meine Warnung, daß diese Streiks uns die Möglichkeit nehmen, die Massen um der Revolution und des Sozialismus willen auf die Straße zu holen, wurde mir als riesige Dummheit angerechnet.
Ganz besonders verübelt und verargt wurde es mir, daß ich mich gegen die Straßendemonstrationen und Demonstratiönchen wandte, gegen die, die Reaktion stärkende und die revolutionäre Kraft des Proletariats zermürbende, das Berliner Proletariat lächerlich machende revolutionäre Gymnastik, diese Gymnastik, die der Revolution totstcher das Genick umdrehen werde.
Um Entstellungen vorzubeugen, will ich schon hier bemerken: Die Räte müssen die Exekutivorgane im sozialistischen Staate sein, im Reich, in den Provinzen« und Gemeinden, im kommerziellen und wirtschaftlichen Leben. Sie müssen diese Träger nicht nur während der Dauer der Diktatur des Proletariats, sondern dauernd sein. Immer unter der Kontrolle des Proletariats und immer abberufbar. Sie müssen ferner die Legislative bilden. Aber die Diktatur des Proletariats heißt doch letzten Endes nicht mehr und nicht minder als das im Sinne' des Sozialismus handelnde Proletariat Welche Aufgabe die Räte nach der Diktatur haben werden, das weiß ich nicht. Aber das eine weiß ich: Entweder gibt es eine Diktatur des Proletariats mit einer, dieDiktatur ausübenden Spitze, deren Anordnungen zu befolgen sind, so wie in Rußland, oder es gibt keine Diktatur des Proletariats. Gs geht eben einfach nicht, daß jeder einzelne den Diktator spielt, und daß jede Dummheit als Revolutionsrecht für berechtigt erklärt wird. Kann sich das auf dem Boden der Diktatur stehende Proletariat nicht auf einen oder einige führende Köpfe einigen, wie in Rußland, deren Willen 8efehl ist, dann gibt es nie etwas Derartiges in Deutschland. Also: nicht „alle Macht den Räten", sondern die Diktatur des Proletariat in dem angeführten Sinne und die Räte als deren Organe.
Auf Einzelheiten einzugehen, glaube ich, mir ersparen zu können. Nur das sei bemerkt, daß der Veschluß des V.R. vom 15. November, die Gewerkschaften betreffend, das Unverantwortlichste war, was er überhaupt vollführte. Als ich dann in einer Nachtsitzung dessen Inhibierung durchsetzte, war es zu spät, die Arbeitsgemeinschaften waren abgeschlossen.
Die revolutionäre Gymnastik — einmal da und einmal dort ein bischen Generalstreik, ein bischen Demonstration und auch ein bischen «nallerei — also die Mittel einer Aktion, in theatralischer Ausführung, das ist eben Revolutionsverrat.
Comments
6
6. Vom Dezember 1918 bis März 1919.
Am 28. Dezember war ich ans der Regierung ausgeschieden, und ich glaubte es nun der Revolution und mir schuldig zu sein, dort, wo ich den Hebel der Revolution sah, bei den revolutionären Obleuten, meine Kraft zur Verfügung zu stellen, um dahin zu wirken, daß die illegale Organisation organisatorisch, technisch und taktisch über Deutschland ausgebaut würde.
Ich glaubte, daß es trotzdem und alledem meinem Einfluß gelänge, diese Organisation vom Dilletantismus der Revolution wegzureißen, um sie zum gewaltigen, alle Widerstände brechenden Hebel der Revolution zu machen. Doch als ich am 31. Dezember in eine Sitzung der Obleute kam, wurde ich hinausgewiesen, ohne daß mir die Möglichkeit gegeben wurde, eine sachliche Auseinandersetzung herbeizuführen. Ich ging mit der Erklärung, daß ich das wohl ertragen könne, daß aber mir bewußt sei, daß in kurzer Frist der Dilettantismus ihres geistigen Führers, der sicher in jede gestellte Falle hineintappe, sie und die Revolution qualvoll zu Tode martern werde. Es wäre mir bedeutend lieber, ich hätte so unrechd gehabt, wie ich leider in wenigen Tagen recht bekommen sollte.
Vom 29. bis 31. Dezember tagte der Spartakistenkongreß, der die Gründung der kommunistischen Partei brachte. Die Veschlüsse dieses Kongresses, die über das, was Liebknecht, logisches und Rosa Luxemburg wollten, weit hinausgingen, verhüteten die damals auf des Messers Schneide stehende Zertrümmerung der U. S. P., die Aufsaugung der revolutionären Obleute, ihre Degradierung zu einem Anhängsel der K. P. und die Loslösung jedweden vernünftigen Gedankens und Tuns der Arbeiterräte wie auch die sofortige Zertrümmerung derselben. Es war noch einmal ein Glück für die Revolution, daß in diesen Tagen das Sprichwort' allzu scharf macht schartig, seine Gültigkeit bewies.
Wenn ich sage, daß zum Glück die scharfen Beschlüsse des Spartakuskongresses die Aufsaugung der rev. Obleute verhütete, so war es auf der andern Seite ein großer Schaden, daß nunmehr zwei Körperschaften bestanden, die sich gegenseitig versuchten den Rang abzulaufen an revolutionär-romantischen, nach außen hin effektvoll wirkenden, dem Stande der Revolution nicht entsprechenden und ihr darum schädlichen Experimenten. Es war und ist der Fluch der deutschen Revolution, daß sie zuviel Generäle besaß, die nicht danach sahen, „was", sondern „wer" etwas macht und voll Neid und Scheelsucht sofort unterminierend wirkten, wenn glicht sie selbst die Macher waren.
Nach der Gründung der K. P. lag es nun folgendermaßen: Abgesehen von der prinzipiellen Vefürwortung der revolutionären Gymnastik, hatte schon diese Gründung an sich das Vestreben, die Notwendigkeit und eigene Tüchtigkeit, Energie und eigenen Wagemut zu beweisen. Vor allem wollten Liebknecht und seine Freunde eine revolutionäre Aktion, ganz gleich aus welcher Veranlassung, zu unternehmen versuchen, um ihren revolutionären Glorienschein sich zu erhalten. Um so mehr mußten sie das, da sie bestrebt sein mußten, die wirkliche Macht in der Berliner Arbeiterschaft, die revolutionären Obleute, zu verhindern, ohne sie etwas zu unternehmen.
Die revolutionären Obleute aber, die ebenfalls um ihr Prestige bangten, mußten wiederum bestrebt sein, etwaige Aktionen maglichst allein, oder doch mindestens, die Führung sich sichernd, mit der K. P. zusammen durchzuführen, aber auf keinen Fall die K. P. allein eine Aktion machen zu lassen.
Halb zog sie ihn, halb sank er hin, so ging es in diesem Falle beiden, den rev. Obleuten und der K. P., und es bedurfte nur des geringsten Anlasses, um beide Körperschaften, in wildem Nettstreit, in eine, selbst die verworrenste, verwegenste und aussichtsloseste Veweaung zu stürzen.
Ich selbst fuhr am 3. Januar auf eine Agitationstur und kam am 27. Januar zurück, nachdem ich in 24 Orten 26 Versammlungen abgehalten hatte. Darum sind meine Ausführungen über die Januarbewegung nicht als die eines Augenzeugen und Mitbeteiligten, sondern eines historisch Prüfenden zu betrachten.
Der Kampf begann bereits am 9. November, zwischen drei Gegnern, den die Revolution Vorwärtstreibenden, den sie Hemmenden und der Reaktion, wobei von der ersten Stunde an die beiden letzten gemeinsame Sachen machten, wogegen die ersteren von eben dieser Stunde ab desorganisiert und zersplittert auf den Kampfplatz traten.
Am 9. November erscholl auf einmal der alles in seinen Vann ziehende Ruf: Nationalversammlung!
Auf der Straße und in Versammlungen, in der Presse und in Flugblättern, man hörte und las nur: Nationalversammlung.
Die Arbeiter- und Soldatenräte übten die Macht aus, fühlten sich in ihrer Macht, die andern respektierten ihre Macht, sie waren geradezu die Verkörperung der Revolution, sie kamen beratend,»beschießend und Gesetze verkündend in den Städten, Provinzen, Limdern und im Reiche zusammen und sie, die Revolution repräsentierenden und die Staatsmacht in sich verkörpernden A.-und S.-Räte riefen: Nationalversammlung!
In den ersten Tagen, als die Parolen: „Nationalversammlung" und „alle Macht den Räten" erschollen, da war die Orientierung noch nicht so einseitig, aber von Tag zu Tag gewann die eine Parole und die andere verlor. Und warum?
Die Voraussetzung der Durchführung dieses Verrats war, die Revolution in den ersten Tagen von sozialistischen Maßnahmen abzuhalten, Zeit zu gewinnen. Der Ruf nach der Nationalversammlung hieß die Hinderung von diktatorischen Maßnahmen der Revolution. Er bezweckte und erreichte auch außerdem die Verschiebung der Kampffront und der Kampfforderung. Die Kampffront verschob sich hierdurch in sofern, als er eine Einigung von der S. P. bis zur äußersten Rechten herbeiführte und außerdem Verwirrung in das gegnerische Lager trug. Die Kampfforderung verschob dieser Ruf insofern, als er die revolutionär vorwärtstreibenden Kräfte an Formalien ihre Kräfte vergeuden ließ, wodurch die sichere Gewinnung breiter Massen aus dem gegnerischen Lager, die bei sachlichen Kämpfen diesem sicher gewesen wäre, verhütet wurde.
Räte oder N. V. ist — und wenn einzelne Fanatiker noch so sehr dagegen toben — keine prinzipielle, noch nicht einmal eine taktische, sondern eine rein formale Frage, hinter die die Anhänger der N.V. ihr Nichts-tun-wollen und die andern ihr Nicht-wissenwas-sie-wollen versteckten. Iene sagten: nur die N. V. kann uns Frieden bringen, kann uns Vrot geben, kann die Rohmaterialien für die Produktion verschaffen. Sie allein kann Ruhe und Ordnung bringen. Und diese? Wollten sie einheitlich den Frieden? Wollten sie all das andere? Sie schwankten haltlos wie das Rohr im Schilfe hin und her, sich untereinander bekämpfend, nur in der Ueberzeugung sich einig, daß die Revolution, der Sozialismus verraten und rings von Feinden umgeben sei. Durch falsche Parolen hatte sich die Massenpsyche für die Gegenrevolution entschieden, ein kaum überwindlicher Schlag für die Revolution. Die Gegenrevolution organisierte und rüstete mit allen Kräften, zäh und energisch den kleinsten Vorteil nutzend, weder Lilge, Heuchelei, Verleumdung noch Vrutalität scheuend.
Es kam der R.-Kongreß mit der Boykottierung des Zentralrates und dem wilden Schrei nach dem Ausscheiden der drei V.B., dieser Boykott war der zweite, die Revolution tödlich treffende Schlag.
Die Gegenrevolutionäre organisierten besser als am 6. Dezember am 24. Dezember das blutige Kesseltreiben gegen die Revolution, mit dem Ergebnis, daß sie die gesamten Machtmittel des Staates in den Dienst der Gegenrevolution stellen konnten. Nunmehr war ihr Streben, möglichst schnell und umfassend, den letzten Schlag zu führen, den verhaßten Gegner zu vernichten und sich selbst ob der Größe, Stärke und Umsicht zu beweihräuchern, um am 19. Januar in der „Wahlschlacht" den Dank des Volkes entgegenzunehmen.
Wollte man aber den Dank und nicht den Fluch des Volkes ernten, so mußte man die Sache so schieben, daß man als Retter gegenüber dem skrupellos über Leichen schreitenden, Recht und Gerechtigkeit mit Füßen tretenden, rückhaltslos alles seinem Machtkitzel opfernden „Bolschewismus" auftrat.
Beim Tragischen liegt immer das Komische. Eichhorn, der Berliner Polizeipräsident, sollte der Held und die Ursache des blutigen Kampfe? werden, der beiden Seiten zur ewigen Schande gereichen wird.
Landsberg und Liebknecht rüsteten zum entscheidenden Schlage. Der Erstere Kalt wägend, mit strategischer Systematik, der Letztere rein gefühlsmäßig. Iener die Massen — nicht in Berlin, sondern im Reiche — zu sich hinüberziehend, dieser sie abstoßend. Die wochenlange, systematische, an Verlogenheit kaum noch zu überbietende Polenhetze, mußte bei einem Vorgehen gegen dieselben die Volksstimmung hinter sich haben, und darum erfolgte nun der deutsch-polnische Krieg. Die Besudlung der Sowjet-Republik bedingte, daß man auch ihr gegenüber den starken Mann spielte. Die Massen sind Erfolgsanbeter. Landsberg, dieser Gewaltsmensch, der nicht nur dies wußte, sondern seiner Glorifizierung in der ganzen bürgerlichen Presse ob dieser Schandtat sicher war und außerdem auf die energischste Unterstützung seiner Partei und der Gewerkschaftsbonzen bauen durfte, suchte erst diese Frage als das Kampfobjekt aus. Aber durch die Spartakustagung kam diese Auslösung nicht, die seiner Partei auch noch die patriotische Drapierung für die Wahlen gebracht hätte. Nun griff er nach dem Mittel, das ihm Hessen sollte. Er sorgte für die Entlassung des Berliner Polizeipräsidenten Eichhorn. Diese Entlassung war für ihn eine zweifache Notwendigkeit. 1. rechnete er bestimmt auf den dadurch ausgelösten Kampf, und 2. mußte er die letzte, ihm nicht bedingungslos zur Verfügung stehende Machiposition der Revolution beseitigen, sie in seine Hände bringen. Hätte er dies ohne seine absichtliche Provokation, ohne das Vlutvergießen getan, so würde ich ohne wenn und aber sagen: mit Recht' denn es ist für beide Teile eineSelbstverständlichkeit, die ihnen zukommenden und zustehenden Machtmittel in die Hand zu nehmen. So verständlich nun dies für Landsberg, nach meinem Dafürhalten war, fo unverständlich ist es von der Gegenseite, diese Frage zum Kampfobjekt zu wählen.
Liebknecht und seine Freunde hatten seit Wochen nach unserm Ausscheiden als Volksbeauftragte gerufen nach dem Ausscheiden unserer Staatsund Unterstaatssekretäre und Minister, sie haben den Vovkott oder besser die Abstinenz beim Zentralrat durchgesetzt und hier bei einem, gegenüber den eben genannten, doch untergeordeten Posten, riefen sie zum Kampfe. Das hieß doch alle Logik auf den Kopf stellen. Es war aber auch der Gipfel der Leichtfertigkeit, eine Parole zum Kampfe zu wählen, die außerhalb Berlins keinen Hund hinter dem Osen hervorlockte.
Wie der Kampf auf eine breite Basis gestellt werden konnte, wie die Kampfparole gewählt werden mutzte, wenn man schon in dieser völlig ungeeigneten Zeit losschlagen wollte, das habe ich damals in allen Versammlungen erklärt, indem ich sagte, daß es nicht die Person Eichhorns oder der Berliner Polizeipräsident sei, um die die Berliner Arbeiterschaft sich erhob, sondern um der gewaltsamen Entwaffnung des Proletariats und der Bewaffnung der Bourgoisie willen, d. h. wegen der Entwaffnung der Revolution und Vewaffnung der Gegenrevolution.
Am 5. Januar tagten die Obleute, und da wurde ihnen erklärt, daß zehntausende Soldaten mit tausenden Geschützen und Maschinengewehren in Berlin und seiner weiteren Umgebung marschbereit stünden, die ob mit oder ohne die Arbeiterschaft marschieren und handeln würden, und als der Tanz begann, da Kam nicht ein Mann.
Doch hiermit leider noch nicht genug. So gewissenloS diese „Information", um den Veschluß herbeizuführen, noch tausendmal gewissenloser war der Kampf organisiert, der völlig ohne Führung war. In Berlin wurde Verschwörerin gespielt, daß man dreist und tollpatschig spielte, spielte mit Menschenleben und mit der Revolution, das zeigte sich schnell. Nieder mit Ebert, Scheidemann, Landsberg hatten sie wochenlang gerufen, und jetzt schritten diese Rufer — deren Rufe nicht die Mauern von Jericho erschütterten — zur Aktion, um mit dieser Regierung zu handeln? O nein! So war das nicht gemeint! Es ist ja nur Theaterdonner: denn wir wollen mit der Regierung nicht handeln, sondern ———verhandeln!
O du heilige Einfalt!
Einer der besten, mutigsten und überzeugtesten Revolutionäre wurde als Parlamentär des Vorwärts gemordet: Artur Schöttler. Wer, lieber Freund, weiß deine Verdienste?
Ueber die grauenvolle Ermordung Liebknechts und Rosa Luxemburgs ist ja viel geschrieben. Daß ich bei aller sachlichen Differenz, als Kampfgenosse immerdar zu ihnen stehe, das zu bemerken halte ich für notwendig, es noch einmal beweisen zu können, das ist mein Wunsch.
Die Januarbewegung ist die Geburtsstunde der Freiwilligenkorps, der Einwohnerwehren, der Antibolschewistenliga, mit ihren die Städte verschandelnden Plakaten, der wilden Hetze zu Iudenpogromen, der Restauration des Heeres und des Herr-im-Hause-Standpunktes der Schlotbarone, der lähmenden und gewalttätigen Auseinandersetzung innerhalb des Proletariats.
Diese Freiwilligenkorps mit dem alten Drill und Plunder und neuen, unglaublich hohen Löhnen, mußten mit einem instinktiven Haß erfüllt sein gegen jene, in der Revolution geborenen, mit Soldatenräten beglückten Formationen: Republikanische Soldatenwehr und Matrosendivision.
Am 6. März kam es zwischen beiden zum offenen blutigen Kampfe, nachdem es schon vorher in Vremen, Mel, Hamburg und Berlin Plündereien gegeben hatte. Doch hiervon später.
Auf der Konferenz der Armeekorps-S.-R. in Berlin und auf dem Marinekongreß in Hamburg hatte ich Referate gehalten, im Anschluß an letzteren in Kiel und Hamburg in Versammlungen gesprochen. Unter anderem auch in einer öffentlichen Versammlung der aktiven Deckund Unteroffiziere in Kiel, der eigenartigsten Versammlung, die ich je erlebt. Es waren ungefähr 1200 Mann anniesend, von denen ostentativ einige Hundert ihre Vrownings entsicherten. Als ich fünf Minuten gesprochen Hatte, ertönten, auf das Zeichen des die Anwesenden führenden Oberfeuerwerkers, plötzlich einige Hundert Vootspfeifen. Mir tut heute noch die große Fußzehe weh, wenn ich daran denke. Ich rektifizierte sie ungeschminkt und konnte dann zwei Stunden ungestört sprechen und unter stürmischem Veifall schließen.
Am 18. Februar brach im Ruhrbecken der Bergarbeiterftreik aus, der schnell wieder erlosch, der aber der Regierung die notmendigen Vorwände bot, um im ganzen Rheinland ein Schreckensregiment zu errichten.
Am 21. Februar erfolgte die Ermordung Eisners in München. Wie ein Mann erhob sich das bayrische Proletariat, um dem Rategedanken eine neue Vedeutung zu verleihen. Als ich am 23. im Auftrage des V. R. nach München kam, da war es eine Lust, diese Stimmung zu finden, diese wunderbare Stimmung der Masse, der aus den scheelsüchtig hadernden „Führern" kein Führer entstand. Es waren nach meiner Auffassung drei Genossen mit Führerqualitäten vorhanden, Landauer, Sauber und llickisch, denen auch ein gut Teil tüchtiger Genossen zur Verfügung gestanden hatten, wie Toller, Unterleitner und andere, Aber der Fluch, der in Berlin dauernd über der Bewegung waltete, er erstickte sie auch hier. Daß reden Blech und handeln Gold ist, offenbarte sich noch nirgends so klar, als damals in München. Das Gold lag zum Greifen da, aber man ließ es liegen und schmiedete Blech.
Die Münchner revolutionären Obleute, unter Führung Levins und Mühsams, die im Gegensatz zu den Berlinern nicht in den Verrieben wurzelten, die eben, weil dies schön klang, sich so benamsten, verfügten über Säcke voll Phrasen und revolutionäre Verantwortungslosigkeit, die sie bei der Arbeiterschaft und besonders den Arbeitslosen kunterbunt durcheinander würfelten, damit aber die Vernunft und die Einigkeit und jedwede Aktionsfähigkeit erdrosselten. Und doch! Eisner konnte nicht nur, sondern mußte der Simson der deutschen Revolution werden, der tote Eisner hätte die Säulen des Bestehenden gestürzt, wenn ja, wenn die Talente der Revolution nicht vergeudet wären.
Man denke, die Volksbeauftragten wären bis zur Bildung des Kabinetts durch die N. V. in demselben geblieben, nachdem der Z. R. aus ebenfalls halb S. P. halb U. S. P.-Genossen gebildet war. Trotz aller ränkevoller Intrigen wäre dann die Bildung der FreiwilIigenkorps nicht erfolgt, wären die Einwohnerwehren nicht geschaffen, wäre das Proletariat nicht entwaffnet worden.
In den völlig vertrödelten ersten 14 Tagen ihrer Tagung hatte die N. V. den stärksten Katzenjammer erzeugt. Wenn jetzt die Organisation der Revolution vorhanden gewesen wäre, dann hätte dieser Mord das Signal zur endgültig sozialistischen Revolution gegeben. Wenn!
Aber so waren die Kräfte in Berlin, im Ruhrbecken und an der Wasserkante verpufft, und was bedeutend schlimmer mar, fichrerund steuerlos trieb das Revolutionsschiff.
Räte, K.P., U. S. P., wollten führen, stritten sich immer, wenn sie zum Handeln verpflichtet, um die Führung, um Kompetenzen. In jedem Vezirk dasselbe, Einigkeit herrschte nur insoweit, daß man sich von Berlin aus nicht hineinreden lassen wollte. So war es auch in jedem Orte, die sich alle für souverän erklärten. Und dann erst in den einzelnen Parteien?
Also, die große politische Ausnutzung von Eisners Tod für die Revolution, für die er doch fiel, war nicht möglich, aber möglich war sie für Vayern und im Anschlusse daran für Süddeutschland, wenn der Zusammenschluß der sozialistischen Parteien, unter Ausschlich der kompromittierten S. P.-Führer, sofort erfolgte, und er wäre erfolgt, wenn die Kommunisten Männer der Tat gewesen wären. In einer Nachtsitzung habe ich bei ihnen in diesem Sinne gewirkt, doch vergebene Von der Sitzung selbst darf ich wegen. der späteren, mir nach dieser Sitzung nicht überraschend gekommenen Ereignisse nichts sagen. Nur soviel: es herrschte dorr hoch gelehrter, wissenschaftlicher Doktrinarismus, der ostentativ alle Realitäten des Lebens beiseite schob.
Am 24. Februar begann in Mitteldeutschland der Generalstreik, der am 3. März wiederum im Blute erstickt wurde.
Am 4. März brach dann in Berlin der doch von vornherein zur Niederlage verdammte Generalstreik aus, der am 7. März, unter dem Donner der Geschütze und Minenwerfer, abgebrochen wurde.
Vom 2. bis 7. März tagte auch der Parteitag der U. S. P., auf dem äußerst radikale Reden geredet und Beschlüsse gefaßt wurden, stand er doch im Zeichen des generalstreikenden und dem vom 2chlachtgetöse der Weißgardisten gegen die Rotgardisten widerhallenden Berlin.
Die wildverhetzte und. blindwütende, um ihre Brotstelle baugende Soldateska feierte Vlutorgien, und das kam so:
Am 5. säuberten auf Befehl der Kommandantur die Matrosen den Alexanderplatz, und als sie an das Polizeipräsidium herankamen, wurden sie von den dort liegenden Freiwilligen mit Maschinengewehren beschossen. Darauf entspann sich der Kampf zwischen den Matrosen und der republikanischen Soldatenwehr auf der einen, der G. K. Sch. D. auf der anderen Seite. Dieselben, die im Januar gemeinsam gegen die Arbeiter kämpften, bekriegten sich jetzt. Das wußte die Landsberg-Regierung zwar genau, aber trotzdem ließ sie von einem Spartakistenputsch berichten.
Am 9. März fuhr ich nach Oberschlesien, um eine seit Wochen festgelegte Agitationstur zu machen. Am 8. war dort der Generalstreik ausgebrochen.
Als ich früh am 10. in Hindenburg ankam, erschrak ich ob des Elendes. Buchstäblich in Lumpen gehüllt, barfuß, hohlwangig, liefen die Kinder, die alten und die schwangeren Frauen, trotz des scharfen Frostes, umher, die wildeste Erregung ist bei einer derartigen Not verständlich.
Am Nachmittag kam es zu einer Schießerei, doch dem Genossen Lichtenstein und mir gelang es, daß die Truppen zurückgezogen und der Sicherheitsdienst wieder von der Polizei übernommen wurde. Zum Abend ließ ich eine Versammlung der Vertrauensleute der Bergwerke und Hütten einberufen, in der ich den Genossen die Zwecklosigkeit ihres Generalstreik auseinandersetzte, da, nachdem im Ruhrrevier in Mitteldeutschland und in Berlin die Streiks nacheinander ausbrachen und unterdrückt wurden, sie allein nicht in der Lage seien, ihre politischen Forderungen durchzusetzen. Nach anfänglichen, stürmischen Unterbrechungen konnte ich, öfter von Veifall unterbrochen, meine Ausführungen zu Ende führen, und es wurde dann ziemlich einstimmig meine Resolution, in der die Arbeitsaufnahme und die Vertagung bis zum allgemeinen, ganz Deutschland umfassenden Generalstreik ausgesprochen wurde, angenommen.
Zu dieser Versammlung mußte ich wegen des Belagerungszustandes die Genehmigung des Hauptmanns der Grenzschutztruppen einholen, die ich auch erhielt. Er hatte seinen Adjutanten in die Versammlung geschickt und telephonierte nach derselben an, seine Freude wegen des Abbruchs des Streiks aussprechend.
Um 1/2 1 Uhr nachts schrillt auf einmal das Telephon bei dem Genossen Lichtenstein, bei dem ich noch saß, und eben dieser Hauptmann fragte an, ob ich noch da sei und erklärte, nachdem bejaht war, er käme sofort. Ich sagte sofort zu Lichtenstein, ich würde ausgewiesen werden, auf Grund des gemeinsamen Wunsches der oberschlesischen Industriellen und der Gewerkschaftsbonzen. Am Nachmittag war ich nämlich schon in Kattowitz gewesen, um die wirtschaftlichen Forderungen der Streikenden beim bergbaulichen Verein durchzusetzen. Als ich nun mit dem Bergrat — Knochenhauer heißt der gute Mann — verhandelte, erklärte er, daß für die Bergwerks und übrigen Werksbesitzer der Streik dauern könne, so lange er wolle, denn je schneller der Zusammenbruch käme, um so besser, da man hierdurch allein zu den alten geregelten Zuständen käme. Er bat mich dann in das andere Zimmer, wo katzbuckelnd und in Demut ersterbend die oberschlestschen Gewerkschaftsbonzen saßen. Also der Hauptmann kam, entschuldigte sich ob der späten Störung und ob des ihm außerordentlich peinlichen, ihm sein ganzes Rechtsempfinden vergewaltigenden Auftrages. Kurz, er brachte die Ausweisung. Wir sprachen nun mit der Division in Gleiwitz, die die Ausweisung dispensierte bis zur Rücksprache mit dem Generalkommando in Breslau. Am andern Morgen um 8 Uhr kam ein Leutnant und brachte mir die endgültige Ausweisung, mit dem Bemerken, daß sie diese Ausweisung für eine brutale Rechtsvergewaltigung hielten, und daß sie dieselbe, wenn ich nicht freiwillig ihr folge, nicht abführen, sondern ihren Abschied nehmen würden.
Comments
7
7. Vom März bis zum Versailler Friedensprotokoll.
Ich fuhr ab, nachdem ich nochmals in einer Sitzung dringend gebeten hatte, auch diese Provokation über sich ergehen zu lassen.
Als ich nach Berlin zurückkam, wurde ich von den maßgebenden Personen gebeten, die illegale Organisation, die seit Januar erledigt war, wieder aufzubauen, wozu ich mich, nachdem festgelegt war, daß alle territorialen Bewegungen und Streiks unterbunden würden, bereit erklärte.
In kurzer Zeit waren die Fäden geknüpft, die Organisation über alle Gaue Deutschlands hergestellt, an deren Ausbau nun fieberhaft gearbeitet wurde. Doch leider war in kurzer Zeit nicht zu vermeiden, daß offizielle Führer der U. S. P. in diese Organifation hineingezogen und diese hierdurch in der entscheidenden Stunde zur Untätigkeit verurteilt wurde.
Es spukte damals in vielen, in sehr vielen Köpfen der romantische Gedanke der revolutionären Gymnastik, in Berlin und im ganzen Reiche, und es bedurfte rührigster Arbeit, dem Einhalt zu gebieten. Daß es nicht völlig gelang, daß im Ruhrbecken und in München, in Braunschweig und Oberschlesien trotzdem Bewegungen — überall für das Proletariat katastrophale Bewegungen — ausbrachen, das lag an der Ueberfülle von „Revolutionsgeneralen" und an den gutbezahlten Lockspitzeln der Regierung, der Soldateska und der Schlot- und Börsengewaltigen.
Ganz besonders anfeuernd wirkten auf alle strategischen Genies der Revolution die Vorgänge in Ungarn, eine Bewegung, die man als eine revolutionär-reaktionäre, oder reaktionär-revolutionäre, aber doch auf keinen Fall als eine proletarische Revolution ansehen kann und darf. Ich sage das nicht etwa erst heute, sondern sagte das am ersten Tage der ungarischen „Räte"-Republik. Es liegt mir fern, jenen heute verfolgten Menschep einen Eselstritt zu versetzen, aber ich erachte es für nötig, um den umlaufenden Legenden über meine Stellung, die ich damals einnahm, entgegenzutreten, daß ich kurz diese meine Stellung klarlege. Karolyi konnte nicht weiter und übergab Bela Kuhn die Macht, der nun einen nicht nationalen, sondern nationalistischen, chauvinistischen und imperialistischen Kommunismus errichtete. Das erste dieser Räterepublik, die an Ratlosigkeit und Widersprüchen etwNs noch nie dagewesene darstellte, war der Aufruf zur nationalen Verteidigung gegen Rumänien, Iugoslawien, Tschecho-Slowakei, Polen und Ukraine und im übrigen gegen die gesamte Entente. Abgesehen von dieser, mit größenwahnsinnig gar nicht zu bezeichnenden Ueberhebung, die in einer derartigen Situation den sicheren Untergang bedeutete, war sie eine völlige Diskreditierung des kommunistischen Gedankens, ja geradezu die gewaltsame Strangulierung desselben. Kommunismus und Chauvinismus sind wie Feuer und Wasser. Kommunismus ist Menschlichkeit, Chauvinismüs ist Machtpolitik. Jener bedeutet, daß das Menschenleben alles, das Eigentum nichts ist, und dieser das Umgekehrte. Es blieb also Bela Kuhn und seinen Freunden nur die Wahl, entweder die Macht im Staate zu ülwrnehmen mit der Parole: Friede um jeden Preis, oder sie mußten auf die Uebernahme der Macht verzichten. Waren sie der Auffassung, daß sie die Vevölkerung Ungarns bei dieser Parole nicht für, sondern gegen sich hatten, dann mußten sie verzichten: denn dann waren die Ungarn nicht für die Menschlichkeit, sondern für die Brutalität, d. h. nicht für die Heiligkeit des Menschenleben, sondern für die des Privateigentums. Dann mußte ihnen aber auch klar sein, daß sie, wenn sie trotzdem die Macht übernahmen, den Kriegsmachern und Kriegsverlängerern nachträglich, statt sie zu desavouieren, Indemnität erteilten und sich das Zeugnis der Dummheit oder niederträchtiger Demagogie aufstellten. Ferner mußten sie doch erkennen, daß sie dadurch nur für die Restauration wirkten.
So waren die Konsequenzen für Ungarn. Aber bedeutend vernichtender waren die Konsequenzen ihres Tuns für die Weltrevolution. Abgesehen davon, daß dieser kommunistische Chauvinismus eine beträchtliche Zahl Dummer in Deutschland und auch Oesterreich in seinen Bann zog, war er in den Ententestaaten geradezu vernichtend für die Weltrevolution. Die Ententeregierungen konnten nun — und mit Recht — ihren Völkern erklären, daß der Kommunismus für die Mittelmächte nur der Deckmantel für den wüstesten, chauvinistisch-imperalistischen Nationalismus sei, dessen Gefährlichkeit bedeutend größer als die des altpreußischen Militarismus wäre, da er nicht nur Mitteleuropa, sondern Mittelund Osteuropa umspanne. Die Ententeregierungen hatten es nun verhältnismäßig leicht, dem Kommunismus die ganzen Scheußlichkeiten des preußischen Militarismus in die Schuhe zu schieben und ihm außerdem allen Unsinn von Greueltaten anzudichten. Die Ententevölker, halb voll Kriegsschreck, halb voll Siegesrausch, ließen sich nicht nur betören, indem sie ihren Regierungen bei schärfstem Zufassen zujubelten, sondern haßten nun auch die sozialistischen Bestrebungen in ihren Ländern, was bei dem überall bestehenden Belagerungszustand und der kleinen Zahl sozialistischer Grgane nicht verwunderlich ist. Diese ungarische Räterepublik, dieses widerspruchsvolle und widersinnige Gebilde, das den denkbar schrecklichsten Todeskeim bei seiner Geburt in sich trug, war einer der schwersten Schläge für die Weltrevolution. Sie war das frevelhafteste Spiel mit dem erhabensten Menschheitsgedanken.
In Deutschland führte diese Mischung von Eselei und Verbrechen am Sozialismus zunächst zu einem wilden Rausche der Phrase auf der einen, zu großen Rüstungen und wilden, sich täglich selbst überbietenden Verfolgungen und Füsilierungen auf der anderen Seite. Eine gut inszenierte patriotische und reaktionäre Welle, die man fünf Monate nach der Revolution, unter einer „sozialistischen" Regierung für unmöglich hätte halten sollen, wogte über Deutschland hinweg. Dem Grenzschutz und der Einwohnermehr folgte nun der Handschutz. Während überall das Proletariat entwaffnet wurde, wurden mindestens eine Million Junker, Bourgeois und Bauern, zumeist nach der Monarchie schreiende Elemente, nicht nur unter den Augen der Regierung, sondern von ihr selbst bewaffnet. Die nationalistischen Drohungen gegen die Entente gewannen nach dem Ultimatum derselben wegen des Durchmarsches der Hallertruppen geradezu einen gefährlichen Charakter. Und an der Svitze dieser Bewegung stand die Regierung. Diese Bewegung erzielte auch einen „Erfolg". Die Truppen wurden nicht über Danzig, fondern quer durch Deutschland befördert, d. h. die knappen Transportmittel wurden um das Vielfache den Polen — zur Verfügung gestellt. Vernunft wird Unsinn.
Diese nationalistische Welle erfaßte nicht nur alle Kreise-von westarp bis Scheidemann, sondern auch die Kommunisten und einen Teil der U. S. P. Es bedurfte unseres ganzen Einflusses, um innerhalb der U. S. P. und im Vollzugsrat die Parole: Friede um jeden Preis, zum Durchbruch zu bringen.
Aber nicht nur nach außen, auch nach innen wirkte diese Welle. Belagerungszustand, Standrecht und Schutzhaft wurden in der denkbar rigorosesten Weise angewandt. Kessel müßte sich vor Neid im Grabe umdrehen. Doch es gelang uns in Berlin selbst bei der Verhaftung Däumigs die Provokationen zu parieren.
Nicht so günstig stand es für uns in der Provinz. Per schwerste Schlag traf uns am 1. April durch den Streik im Ruhrrevier. Trotz aller Bemühungen brach dort die territoriale Bergarbeiterbewegung aus, die von kommunistisch-svndikalistischer Seite an dem Feuer der ungarischen Bewegung gekocht wurde. Mit einem Federstrich wurden die alten Bergarbeiter-Organisationen beseitigt, wurde die Bergarbeiter-Organisation gegründet und der Generalstreikbeschluß gefaßt, mit folgenden Forderungen:
1. Sofortige Einführung der Sechsstundenschicht mit Ein- und Ausfahrt für Untertagarbeiter unter Beibehaltung der bisher für längere Schichtdauer gezahlten Löhne.
2. 25 Prozent Lohnerhöhung.
3. Regelung der Rnappschaftsfragen.
4. Anerkennung des Rätesystems.
5. Sofortige Durchführung der Hamburger Punkte (betreffend Kommandogewalt).
6. Sofortige Freilassung der politischen Gefangenen.
7. Sofortige Bildung einer revolutionären Arbeiterwehr.
8. Sofortige Auflösung aller Freiwilligenkorps.
9. Sofortige Anknüpfung aller politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zur russischen Sowjetrepublik.
10. Entwaffnung der Polizei im Ruhrrevier und Reich.
11. Bezahlung der Streikschichten.
Reformistische, radikale und revolutionäre Forderungen in buntem Gemisch. Weder Forderungen, die das Gesamtproletariat zum Handeln gegen die Regierung aufzurufen und es zusammenzuschweißen vermochten, noch Forderungen, die bei der Regierung Verhandlungswillen erzeugten. Keine revolutionäre Enteignung der Grubengewaltigen, nur radikal schillernde Forderungen an dieselben. Nur in einer Frage wird die äußerste Konsequenz gezogen: Nicht nur Veiseiteschiebung der sozialverräterischen Lergarbeiterführer, sondern völlige Zertrümmerung der bisherigen Vergarbeiterorganisationen.
In wenigen Sätzen ausgedrückt hieß das:
1. Brüskierender Verzicht auf die Unterstützung der Gesamtarbeiterschaft.
2. Schärfste Brüskierung der Gewerkschaft, Partei- und Regierungsinstanzen.
Doch um die kunterbunten Forderungen als Seifenblasen zu Kennzeichnen, sandten sie sofort eine Kommission an die Regierung, dieselbe um Verhandlungen bittend.
Doch diese Regierung, deren einziges Können im Bluffen bestand, warf sich in Pose, um der Welt mit Bluff und dem Proletariat mit zynischer Brutalität folgenden, in schreiendem Gegensatz zu ihrer Unfähigkeit und Ohnmacht stehenden Aufruf ins Gesicht zu schleudern:
Aufruf.
Ueber den Kopf der berufenen Arbeitervertretungen hinweg ist eine „Delegiertenkonferenz der revolutionären Vergarbeiter" in den Generalstreik getreten. Die Forderungen, die dabei gestellt werden, würden in ihrer Gesamtheit die deutsche Republik der politischen Anarchie und dem wirtschaftlichen Zusammenbruch ausliefern. Wäre dieser Streik, der den Arbeitern nicht helfen soll, sondern die Allgemeinheit zerstören will, siegreich, so würde das bedeuten: Vernichtung der Kohlenförderung durch Sechsstundenschicht und sinnlose Lohnerhöhungen: Stillegung aller Industrien, die auf RuhrKohle angewiesen sind: Vereitelung der endlich zugesicherten Lebensmittelzufuhr, die mit Industrieprodukten und Kohlenzufuhr bezahlt werden muß. Die Regierung, die solche Forderungen annehmen .würde, wäre die Totengräberin der Republik, des Volkes und der Freiheit. Die Reichsregierung hält nach wie vor fest an den Vereinbarungen, die sie seit Februar mit den Vergarbeitern getroffen Hot: Arbeiterund Vezirksräte, durch die allein die Arbeiterschaft in den Produktionsprozeß hineingeführt und zur gleichberechtigten Mitbestimmung und Mitarbeit hinzugezogen werden kann. Dazu das Sozialisierungsgesetz im Zusammenhang mit der Sozialisterung des Kohlenhandel und schließlich die Einführung der 1 1/2 Stundenschicht. Da keine Politik, keine Verwaltung, keine Ernährung mehr möglich ist, wenn solche grundsätzlichen Einigungen nach wemgen Tagen und Wochen umgeworfen und durch unmögliche und übertriebene Forderungen gegenstandslos gemacht werden, hat die Reichsregierung in Erfüllung ihrer heiligsten Pflicht, Reich und Volk zu retten, zusammen mit der preußischen Regierung folgendes beschlossen:
Die Regierungstruppen rücken in das Revier ein, um die Arbeiter und die Vetriebsanlagen vor dem Terrorismus zu schützen. Der Reichsernährungsminister wird entsprechend den Vrüsseler Forderungen der Alliierten in das Streikgebiet kein Pfund der eingeführten Lebensmittel abliefern lassen. Der Reichsarbeitsminister wird keinerlei Vezahlung für Streikschichten gewähren. Dagegen soll den Arbeitern der Zechen, auf denen nach der 7 1/2-Stundenschicht gefördert wird, eine besondere Schwerstarbeiterzulage, steigend mit dem Förderquantum, bereitgestellt werden. Die Reichsregierung muß unser Volk und Leben erhalten. Sie darf die Republik nicht dem tödlichen Terror durch eine Provinz und einen Stand ausliefern. Alles für den, der arbeitet! Nichts für den, der jetzt streikt! Sonst gibt es für Deutschland keine Rettung mehr.
Die Reichsregierung:
Scheidemann, Schiffer, Vauer, Vell, David, Erzberger, Gothein, Landsberg, Noske, Preuß, Wissell, Koeth, Reinhardt.
Es war wohl selten ein Streik, in dem widersprechendere Tendenzen treibend waren, als in diesem. Sein Ausbruch war die Auslösung der durch die ungarische Räterepublik erzeugten Hypnose, des Glaubens an den von selbst in den Schoß fallenden Sieg. Doch die Interessen und Tendenzen waren sich weltenfern, standen sich schroff gegenüber. Ein Teil der Führer betrachteten ihn als die Geburtsstunde einer neuen Gewerkschaftspfaffokratie, ein Teil als das Ende der gewerkschaftlichen Organisation überhaupt. Ein Teil glaubte, daß dieser Streik die Unterstützung der russischen Sowjetrepublik im Kriege gegen den Ententekapitalismus bringen würde, indem sie auf den militärischen Eingriff derselben hofften, was den Krieg an der Seite Rußlands bedeuten würde, während andere im Gegensatz hierzu an die Vesetzung durch die Entente und die hierdurch herbeigeführte selbständige rheinische Räterepublik glaubten. Wieder andere hofften auf den Anfang der zweiten deutschen Revolution, der sozialistischen, während ihre Antipoden glaubten, daß dieser Streik bewirke, daß die politischen Aktionen und Vestrebungen zugunsten der rein wirtschaftlichen, die zentralen zugunsten der kommunalen erledigt würden. Es fehlte der Bewegung der innere Halt, das einheitliche wollen und der anerkannte Führer, was ihr auch den Todesstoß versetzen sollte.
Ganz anders und einheitlich spekulierten die Herren der Regierung. Die ewig und immer die Revolution verratenden Herren der S. P., die um ihre fetten Pfründe, die Herren vom Zentrum, die um ihren pfäffischen Einfluß, und die Herren Demokraten, die um ihre, die Kriegsgewinne weit in den Schatten stellenden Revolutionsgewinne bangten und zitterten waren alle durch das ungarische „Mene tekel" in Wut versetzt und waren sich einig, die völlig verzigeunerten Freiwilligen zum entscheidenden Einschreiten auf die rheinisch-westfälischen Kumpels loszulassen, um sie für jetzt und immerdar zu „kurieren". Da auch im demokratischen Schwabenländle am 30. März ein Generalstreik ausgebrochen und von dem großen Historiker [Wilhelm] Blos, dem einst sentimental die große französische und die 48/49er Revolution schildernden, württembergschen Ministerpräsidenten, sofort der Belagerungszustand und Standrecht verhängt und Kanonen aufgefahren und abgeprotzt wurden, so hatten sie ja ein berühmtes Vorbild, das zu übertreffen, nun ihr eifrigstes Vestreben war. Sie führten eine Verhandlungkomödie auf, bei der sie den einstigen Gewerkschaftspfaffen Severing, als neugebackenen Staatskommissar für Rheinland-Westfalen, den August spielen ließen, bis sie die notwendige Truppenmacht zusammengezogen hatten.
Nachdem diese Vorbereitungen am 9. April erledigt waren, und nachdem die vier Vergarbeiter-Verbände Mit den Zechengewaltigen über die Köpfe der Arbeiter hinweg verhandelt und kleine Zugeständnisse erreicht hatten, wurde die Streikleitung verhaftet. Die Verhaftung von Streikposten folgte und zugleich der Beginn des Blutbades. Wie im Feindesland hauste die Soldateska. Hunderte Tote und Tausende Verhafteter, und trotzdem ebbte der nun völlig führerlose Streik — der sich allerdings schon vorher um nichts mehr als um die Sechsstundenschicht und die 25 Prozent Lohnerhöhung drehte — sehr langsam ab und zog sich bis Ende des Monats hin, eine ungeheure Erbitterung zurücklassend.
In der Zwischenzeit hatte der frevelnde Uebermut und die gewissenlose Leichtfertigkeit der Kommunisten den Feinden des Proletariats noch zu einigen andern billigen Triumpfen verholfen und diesem selbst vernichtende Niederlagen beigebracht. Wenn auch die Niederlage im Ruhrrevier — dem stärksten Zentrum der proletarischen Macht Deutschlands — schwer war, so wurde nach außen hin die Niederlage der Münchener Räterepublik beinahe katastrophal. Wahrend am 6. April der Gautag der sozialdemokratischen Partei für Nordbavern sich mit 42 gegen 8 Stimmen gegen die Räterepublik erklärte, die Mitgliederversammlung der S. P. in Nürnberg für Neutralität — wenn eine Mehrheit des Volkes für sie sei — aussprach, billigte sie der am gleichen Tage tagende Gautag der S. P. für Südbar>ern mit 240 gegen 13 Stimmen — wenn sich die Unabhängigen und Kommunisten daran beteiligen würden. In der Nacht vom 6. zum 7. April wurde nun die Räterepublik für Vavern proklamiert mit den vorläufigen Mitgliedern der Regierung: Segitz, Nickisch, Frauendorfer und Schneppenhorst (S. P.), Mühlon, Jaffe, Simon, Landauer und Unterleithner (U. S.P.), Steiner (Bauernbund) und Neurath. Das Programm und die dazugehörige Erklärung des Zentralrates war äußerst weitgehend, so daß die Veteiligung der S. P.-Mitglieder tatsächlich als ein Wunder zu betrachten war. Die Degierung Hoffmann erklärte nun gleich am 7. ihr Weiterbestehen, und die U. S. P. erklärte, daß sie überrascht und die Ausrufung ihr als Popularitätshascherei der Ausrufenden erscheine, und stellte noch weitergehende Forderungen auf, die auch von der S. P. und K. p. angenommen wurde. Trotzdem erklärten die Kommunisten, nicht an der Regierung teilnehmen zu wollen. Das war der gesuchte Vorwand der S. P., sich ebenfalls zurückzuziehen. Vei einiger Großzügigkeit, bei geringster Kenntnis politischer Notwendigkeiten, hätte jetzt die Liquiderung der Räterepublik erfolgen müssen, d. h. die U. S. P. mußte sich auch zurückziehen, und dieses Ding wäre zwar an Lächerlichkeit gestorben, aber der revolutionäre Wille wäre ungebrochen geblieben. Es erfolgte aber der Sturz der unabhängigen Regierung und die Vildung einer noch weniger maglichen kommunistischen, während schon rundum die Feinde rüsteten. Der Zusammenbruch mit seinem Schrecken war unvermeidlich, und er kam schnell. Am 2. Mai erfolgte der Einmarsch der gleich Vandalen hausenden Soldateska.
Inmitten Deutschlands war eine, allen Verfolgten Asylrecht gewährende Insel, die allen Dunkelmännern des Reiches längst ein Dorn im Auge war: Braunschweig. Wenn die Kommunisten überall das Recht sich nahmen, Dummheiten zu machen, warum sollten dann die Braunschweigs bescheidener sein? Um so mehr, da in Braunschweig Kommunisten und Unabhängige wirklich etwas zv sagen hatten. Am 9. April waren die Arbeiter Braunschweigs in den Generalstreik getreten mit der Parole: Alle Macht den Räten, um, wie vorauszusehen, dem General Maercker einen billigen Triumpf zu ermöglichen. Er zog denn auch am 16. April in Braunschweig ein und hob alle Räte auf und mit ihnen die Insel des Asylrechts.
Der zweite Rätekongress, der, man soll nie sagen, daß das Unmöglichste nicht Ereignis wird, an Krähwinkelei und Rückwärtserei den ersten noch überbot, hatte vom 8.—12. April in Berlin getagt. Welche Vedeutung er hatte, ging aus der Wertschätzung hervor, die ihm die Regierung zuteil werden ließ, indem sie während seiner Tagung ihrer Gewaltpolitik die Krone aufsetzte durch Verhaftung des Streikkomitees im Ruhrrevier und durch die Erschießungen dort. Nichtsdestoweniger stellte er ihr ein Vertrauensvotum aus.
Ruhrstreik, Württemberg, München und Braunschweig waren weder einzeln, noch zusammen Kampfparolen, die wild begeisternd die Masse zum Tod verachtenden Kampfe aufzurufen vermochten. Sie zusammen waren Erzeugnisse der durch die ungarische Raterepublik hervoroder wieder wachgerufenen Revolutionspsychose, die Minderheiten zu entfachen, aber die große Masse nicht in ihren Bann zu zwingen vermag. Es waren psychologisch verständliche, aber nicht gut zu heißende, die Revolution moralisch und ganz desondern organisatorisch, taktisch und technisch schwer schädigende Bewegungen.
Auf sie traf zu, daß man Revolutionen nicht machen kann, wann man will, sondern daß die psychologischen Voraussetzungen dazu gegeben sein müssen.
Auch in Bremen, in Hamburg und in Oberschlesien gab es kleine Plänkeleien, und in Berlin kam es zu den allerdings anders zu bewertenden Streiks der Bankbeamten und der Angestellten in der Metallindustrie.
Am 18. April kündigte sich die Parole der kommenden Revolution an, das Ereignis, das allein die Parole sein konnte, das Ereignis, das jedem, die Weitertreibung der Revolution Wollenden, die Parole sein mußte. Was die verratene Revolution begonnen, die kommende soziale Revolution mußte es vollenden, weil nur sie die Gewähr der Erfüllung zu bieten vermochte, und weil nur ihr der Ruhm gebührt, das große zu sein: Friedensbringerin.
Sämtliche Auslassungen der Regierung, der Nationalversammlung, des Auswärtigen Amtes, der Waffenstillstandskommission, jeden Führers und jeden Trottels war nach der Melodie gestimmt: ein Rechtsfriede, sonst keinen. Und da die Friedenskonferenz in Paris auch nur einen Rechtsfrieden wollte, und trotzdem hinter verschlossenen Türen tagte, wo sich die drei Gewaltigen, Wilson, Lloyd George und Elemenceau mit ihrem italienischen Geduldeten im Schweiße ihres Angesichts mühten, mußte es doch dem Dümmsten klar sein, daß es ein äußerst liberal ausgelegter Wilsonfriede würde, nur nicht liberal in unserem, in Deutschlands Sinne. Also wer nicht völlig blöde war, mußte einen äußerst schweren Diktatfrieden — ohne Verhandlungen und ohne Aenderungen — erwarten, was nach all den Phrasen und der ganzen innerpolitischen Entwicklung auf eine Ablehnung oder zum mindesten ein Drohen mit der Ablehnung von seiten der Regierung hinauslief.
Und diese Frage des Friedens, des Friedens um jeden Preis, das mußte die Parole der kommenden Aktion sein, die alle in ihreir Bann ziehen konnte.
Am 18. April kam die Einladung zur Friedenskonferenz, die uns gewöhnlichen werblichen am 20. mit der Antwort von Brockdorff-Rantzaus kundgetan wurde in folgender Aufmachung:
Einladung zur Entgegennahme der Friedensbedingungen.
Telegramm der Waffenstillstandskommission in Spaa vom 18. 4. 19 an Reichsminister Erzberger.
General Nudant übersandte am 18. April, 4 Uhr nachmittags, folgende Note: Der Vorsitzende des Conseils telegraphiert am 18. April 1919 was folgt:
Wollen Sie bitte folgende Mitteilung an die deutsche Regierung weiterleiten:
1. Der Oberste Rat der alliierten und assoziierten Mächte hat beschlossen, die mit Vollmachten versehenen deutschen Delegierten für den 25 .April abends nach Versailles einzuladen, um dort den von den alliierten und assoziierten Mächten festgesetzten Text der Friedenspräliminarien in Empfang zu nehmen.
2. Die Deutsche Regierung wird daher gebeten, dringendst Zahl, Namen und Eigenschaft der Delegierten anzugeben, welche sie nach Versailles zu schicken beabsichtigt, ebenso Zahl, Namen und Eigenschaft der Personen, welche sie begleiten. Die deutsche Delegation soll strengstens auf ihre Rolle beschränkt bleiben und nur Personen umfassen, die für ihre besondere Mission bestimmt sind.
gez. Nudant.
Der Reichsminister des Auswärtigen Graf Brockdorff-Rantzau hat dem Vertreter des Auswärtigen Amtes bei der Waffenstillstandskommission in Spaa in Veantwortung der französischen Mitteilung vom 18. April folgende Instruktion erteilt:
„Bitte dortigem französischen Vertreter folgende Mitteilung zur Weitergabe an lne alliierten und assoziierten Mächte zu machen:
Die deutsche Regierung hat die Mitteilung des französischen Ministerpräsidenten und Kriegsministers vom 18. April erhalten.
Sie wird die Herren Gesandten von Haniel, Geheimen Legationsrat von Keller und Wirklichen Legationsrat Ernst Schmitt zum Abend des 25. April nach Versailles entsenden. Die Delegierten sind mit den erforderlichen Vollmachten ausgestattet, den Text des Entwurfs der Friedenspräliminarien entgegenzunehmen, den sie alsbald der deutschen Regierung überbringen werden. Sie werden begleitet sein von zwei Bureaubeamten, Herrn Hofrat Walter Reimker und Diätar Alfred Lüders, sowie von zwei Kanzleidienern, Herren Julius Schmidt und Niedek."
Dieser Ton zog folgende Antwort oder besser Zurechtweisung nach sich:
„Der Vorsitzende des Ministerrats und Kriegsminister telegraphiert am 20. April 1919 unter Nr. 2076:
Ich bitte Sie, der Deutschen Regierung die folgende Antwort der verbündeten und assoziierten Regierungen zu übermitteln: Die alliierten und assoziierten Regierungen können nicht Abgesandte empfangen, die lediglich zur Entgegennahme des Wortlauts der Friedensartikel ermächtigt sind, so wie es die Deutsche Regierung vorschlägt. Die alliierten und assoziierten Regierungen find verpflichtet, von der Deutschen Regierung zu fordern, daß sie vevollmächtigte nach Versailles entsendet, die ebenso vollständig ermächtigt sind, die Gesamtheit der Friedenfragen zu verhaudein wie die Vertreter der alliierten und assoziierten Regierungen.
(gez.) Nudant."
Der Reichsminister des Auswärtigen hat am 21. April nachmittags seinem Vertreter in Spaa telegraphiert:
„Bitte dortigem französischen Vertreter zur Weitergabe an die alliierten und assoziierten Mächte folgendes mitzuteilen:
Nachdem der französische Mnisterprästdent und Kriegsminister der Deutschen Regierung die Aufforderung der alliierten und assoziierten Regierungen übermittelt hat, die deutschen Delegierten mit einer ebenso vollständigen Ermächtigung zu Verhandlungen über die Gesamtheit der Friedensfragen zu versehen wie die vertreter der alliierten und assoziierten Regierungen sie besitzen, hat die Deutsche Regierung in der Voraussetzung, daß im Anschluß an die Uebergabe des Entwurfs der Präliminarien Verhandlungen über deren Inhalt beabsichtigt werden, folgende mit entsprechenden Vollmachten versehene Personen zu Delegierten bestimmt:
Reichsminister des Auswärtigen
Dr. Graf Brockdorff-Rantzau,
Reichsjustizminister Dr. Landsberg,
Reichspostminister Giesberts,
Präsident der Preußischen Landesversammlung Leinert,
Dr. Karl Melchior,
Professor Dr. Schücking.
Als Begleiter der Delegierten sind weitere Personen in Aussicht genommen, deren Namen und Stellung die Deutsche Regierung baldigst in einem zweiten Telegramm bekanntgeben wird.
Die Deutsche Regierung ist bereit, die vorstehend bezeichneten Personen nach Versailles zu entsenden, wenn ihr die Zusicherung gegeben wird, daß den Delegierten und ihren Ngleitern während ihres Aufenthaltes dort Bewegungsfreiheit sowie freie Lenuhung von Telegraph und Telephon zum Verkehr mit der Deutschen Regierung gewährleistet ist. Sie behält sich vor, für einzelne Sriedensfragen nachträglich besondere Sachverständige zu benennen.
Die Abreise der Delegierten und ihrer Vegleiter würde sich jedenfalls um einige Tage verzögern.
(gez.) Brockdorff-Rantzau.
Armes Deutschland, hast du Pech! Bist bei deiner Friedensdelegation nicht auf den Hund gekommen, aber auf den Mephisto der Revolution, Landsberg. Er, der rückständigste Geist in Deutschlands Gauen, der antisozialistischste, chauvinistischste, das Ausland hassende Mensch, wurde weiter der deutschen Friedens delegation, und er, der Verderber der öffentlichen Meinung, wurde der Meinungsmacher der öffentlichen Meinung Deutschlands , in dessen schwersten, entscheidungsvollsten Stunden. Er hüllte das unter Not und Elend seufzende deutsche Volk in den glänzend schillernden, wahrhaft Tod und Verderben bringenden Dunstschleier des Nationalismus.
Er, der starke, furchtbare und grausame Sieger im Innern, der vor, während und nach seiner Abreise in Berlin, Braunschweig, Bremen, Hamburgs Stuttgart, Leipzig, Rheinland-Westphalen, München, kurz in Ost und West, in Süd und Nord, soweit die deutsche Zunge klingt, von einer bis an die Zähne bewaffneten Soldateska Siege über wehrlose Frauen und Kinder, Greise und Krüppel — denen so der Dank des Vaterlandes abgestattet wurde — erfechten ließ, glaubte der Entente gegenüber in der Geste des starken Mannes auftreten zu können. Doch diese Geste des starken Mannes sollte nicht verhüten, daß er, der dem deutschen Volke seine Siebe zeigte, indem er es mit blauen Bohnen fütterte, und seine schützende Hand über die es auswuchernden und aushungernden Bourgeois und Agrarier hielt, in verführerisch — sentimentaler Weise über Aushungerung eben dieses deutschen Volkes durch die Entente lamentterte, die Nichtauslieferung der Gefangenen beklagte und an das Mitleid und die Tränendrüsen appellierte.
Doch der Schlag kam schwer und fürchterlich.
Der „Tiger", nicht der in der Tigerhaut steckende und ihn mimende Landsberg, sondern Clemenceau hob die Tatze zum vernichtenden Schlage. Er erklärte die Helfferich und Bethmann, die Hohenzollern und Wittelsbach, die Moltke und Falkenhayn, die Ludendorff und Tirpitz für Rebellen an der Menschheit. Er stellte seine Bedingungen und erklärte kurz und bündig: Vogel friß oder stirb.
Bitter, gallenbitter traf dieser Schlag das deutsche Volk, das den von ihm erhofften Milliardensegen, statt ihn zu erhalten, nun spenden sollte, das statt Länder zu schlucken, welche zu servieren hatte, das statt Herrenvolk zu werden, Knecht spielen mußte, das statt größter Kohlenund Eisenbesitzer zu sein, um Kohle und Eisen betteln würde müssen, das statt 'Meere zu beherrschen, um fedes Schiff feilschen sollte. Schwere, erdrückende Lasten für das deutsche Volk, die nur ein sozialistisches Deutschland zu tragen vermöchte, und an denen im anderen Falle, die Urenkel unserer Urenkel ebensoschwer tragen werden wie wir selbst.
Und trotzdem! Vlieb etwas anderes übrig, als mit den notwendigen Vorbehalten ,„Ja" zu sagen? Gab es Möglichkeiten Zu einem „Nein"?
Wer nicht völlig blind in der Welt stand, mußte sich sagen, daß an eine Wetterführung des Krieges von deutscher Seite garnicht gedacht werden konnte.
Glaubt vielleicht jemand, daß Deutschland ein zum Kampfe gewilltes Heer hätte aufbringen können? Und, abgesehen vom Heere, woher hätte man denn die für ein Millionenheer notwendigen Rohstoffe, Geschütze und Munition, Schuhe und Vekleidung, woher die Transportmittel nehmen sollen?
Außerdem: Am 1. Kampftage wären die Ententetruppen im Ruhrgebiet, die polnisch-tschechischen Truppen in Oberschlesien einmarschiert, nach 3 Tagen wäre Deutschland ohne Kohle gewesen.
So also lagen die Verhältnisse, und für eine Regierung, die nicht von allen guten Geistern verlassen war, die nur ein Guäntchen Verstand und Verantwortungsgefühl besaß, mußte klar der Weg vorgezeichnet sein. Es mußte nun eine restlose Aufklärung des Volkes in diesem Sinne erfolgen und ein in ruhiger Würde vorgenommener Versuch, eine Vesserung der Vedmgungen zu erhalten und, bei deren Ablehnung, Annahme der Bedingungen mit den notwendigen, rein sachlichen und lediglich deren Ausführung betreffenden Verwahrungen.
Doch wir hatten eben eine Regierung des Unverstandes. Und so mußte kommen, was kamDröhnender Theaterdonner, der im Inland Verserkerwut und Tobsuchtsanfälle auslöste, was uns im Auslande den letzten moralischen und sachlichen Kredit kostete.
Am 6. Mai wurden die Friedensbedingungen übergeben und am 20. Mai sollte die schriftliche Antwort überreicht werden.
Am 8. Mai erschien ein Aufruf der deutschen ltegierung, der die Friedensbedingungen für unerträglich und unerfüllbar erklärte, neuen Haß zwischen den Völkern säete, aus dem neues Morden erwachsen mußte. Er geißelte die Auslieferung der deutschen Arbeiterschaft an den fremden Kapitalismus, dem gegenüber das deutsche Volk mit seiner Regierung fest zusammenstehen werde.
Das war das Signal für die ganze Presse, in wildfanatischer, chauvinistischer Weise für Ablehnung des Friedens einzutreten. Das „Berliner Tageblatt", das, seiner besseren Vergangenheit ins Gesicht schlagend, den Ehor führte, schrieb . . . ablehnen, was da kommen mag!
Am 12. Mai tagte die Uationalversammlung, in der Scheidemann, mit theatralischer Geste, seinen berühmtesten Komikerspatze machte, indem er erklärte, daß ditz Hand verdorren müsse, die diesen Frieden unterzeichne, der preußische Ministerpräsident Hirsch: lieber tot, als Sklave, ausrief: Müller (S. P.) beteuerte: wir lehnen ab, komme, was kommen mag! Groener begnügte sich, den Vankerott an die Wand malend, mit einem Protest: Haußmann sagte: unannehmbar: Dr. Guidde rief dreimal nein, zum Schluss sagte Fehrenbach, daß eine Welle des Hasses und der Rache das Volk erfassen müsse, die Schuld am Kriege trügen unsere Feinde: auch in Zukunft würden deutsche Frauen Kinder gebären, und diese Kinder würden die Sklavenketten brechen und die Schmach abwischen, die unserm deutschen Antlitz zugefügt wurde: um zu schließen mit: Deutschland, Deutschland über Alles!
Nur Haase trat für die Unterzeichnung des Friedens ein, allerdings nicht in der von mir gewünschten Form, — indem er erklären sollte, daß nur ein sozialistisches Deutschland den Vertrag zu erfüllen in der Lage sei — sondern, indem er die UnterZeichnung von den anderen forderte.
Als ich im März mit dem Aufbau der illegalen Organisation begann, da machte ich zur Vedingung und legte fest, daß die Friedensfrage. die Kampfparole werden müsse, da ich sowohl die Friedensbedingungen, die Art der Friedensverhandlung ,als auch den Hurrarummel der völlig in eine Sackgasse verrannten Regierung voraussah und voraussagte. In dieser Frage waren wir uns in der illegalen Organisation denn auch völlig einig. Es war mit Hochdruck gearbeitet worden, sowohl in Berlin, wie auch im Reiche. Verschiedene Vesprechungen mit Genossen vom Reiche hatten stattgefunden, und auch sie waren in allen Fragen völlig mit uns einverstanden und erklärten, daß überall die Parole des Generalstreiks glatt befolgt werden würde.
Ich berief nun zum 12. Mai eine Sitzung namhafter und befähigter Genossen ein, die die Aufgabe hatten, sofort kommissionsweise ein Programm auszuarbeiten, um falls uns die Regierung übertragen würde, fofort mit einem fertigen Programm auftreten zu können. Keiner von ihnen wußte etwas von den eigentlichen Vorgängen und Zusammenhängen.
Am 14. Mai fand eine Konferenz für Deutschland statt, in der ich, nach VeschluK der Berliner Organisation, empfahl, am 19., dem Tage vor der Ueberreichung der Antwortnote, in den Generalstreik zu treten, um den Frieden zu erzwingen, und Deutschland vor dem schreckensvollsten Unglück zu bewahren.
Wiederum waren es Dittmann und Gen., die mit den opportunistischen Gründen dagegen auftraten. Sie glaubten nicht an den Erfolg und wollten nicht die Unterzeichner des Friedens sein. Rich. Müller trat ebenfalls dagegen auf mit der Vegründung, daß erst die Militärdiktatur kommen müsse, ehe wir die Macht übernehmen Könnten. Ich trat alledem entgegen, mit dem Hinweis, daß mir feige Heuchler seien, wenn wir die Annahme des Friedens verlangten, aber Angst vor dem Volkszorn hätten, ihn selbst abzvfchließen. Nein, wir wären schon diese feigen Heuchler, wenn wir nicht alles, selbst das Leben einsetzten, um diesen Frieden zu erzwingen. ?m fortgeschritteneren Stadium sei uns das schwerer möglich, und wenn der Krieg neu entfache, dann habe uns unsere Feigheit mit zu den Mördern all der dann Fallenden gemacht, wir seien Phraseure, vor denen auszuspucken jedermann berechtigt sei. Was sei unser Leben, wenn-wir Hunderttausenden, vielleicht Millionen, das Leben retten, Deutschland vor völliger Zerstörung und Auflösung bewahren und dem Sozialismus zum Siege verhelfen. Wagten wir den Kampf, dann müssen uns die Ententeregierungen anerkennen, müssen wir von ihnen, bei unserm Siege, Lebensmittel und Rohstoffe erhalten, können sie uns bei unsern innerpolitischen Maßnahmen nicht in die Arme fallen. Und die Ententevölker hatten zu uns als Kriegsverhinderer Vertraven, die Sozialisten und Pazifisten und alle menschlich Denkenden würden die durch unser Tun ausgelöste Svmpathie in den Dienst der Friedensbedingungs-Aenderung stellen, und wenn wir hielten, was wir uns selbst und dem deutschen Proletariat versprachen, dann würde unser Beispiel die Weltrevolution gewaltig fördern. Tun wir nichts, und es führe zum Kriege, dann wären wir von all den Kompromittierten die Kompromittiertesten. Würde die Tamtam machende Regierung in letzter Minute umfallen und doch unterzeichnen, dann hätten wir zwar für das deutsche Volk viel getan, aber für den Sozialismus nichts: denn der Friedenskontrahent . wären dann eben die Sozialverräter, und die wären dann der Entente heilig und eine Erhebung gegen sie, selbst bei glattem Siege und.wenn das ganze Volk dahinter stände, nahezu unmöglich. Ich sprach eindringlich, doch vergebens. Die Genossen fielen um bis auf Berlin und drei Bezirke. Ganz besonders Köhnen und Stöcker unterstützten Dittmann. Däumig zeigte sein Interesse, indem er fehlte.
Die Bewegung wurde vertagt bis zur Kriegserklärung. Ich sage jetzt, sie kommt nie wieder, weil die Angst vor der eigenen Courage und dilettantische Popularitätshascherei, die beiden größten Feinde einer Revolution, in der deutschen revolutionären Bewegung alles verhindern und ertöten.
Am 19. Mai erfuhr ich, daß der Garde-KavaIlerie-Schützen-Division von einem in unsern Reihen sich befindenden Lumpen alles verraten sei. Da ich zugleich auch hörte, daß ein Haftbefehl der G.-K.-Sch.-D. gegen alle bekannten Genossen der U. S. P. im ganzen Reiche vorläge, daß ferner eine brüske Provokation der Arbeiterschaft Berlins geplant sei, um ein noch nie gesehenes Blutbad unter ihnen anzurichten, und daß der neue Krieg beschlossene Sache sei, so erklärte ich mich bereit zu einer Besprechung mit Hauptmann Pabst, von dem der oder besser die Vermittler behaupteten; daß er einer der führenden Militärs sei, der gegen den Krieg und für eine Verständigung mit der Arbeiterschaft sei.
Diese Besprechung fand statt und Pabst, der mir gleich zugab, was ich erfahren hatte, erzählte eingehend, was er von uns wußte. Und das war tatsächlich alles, was der größere Kreis unserer vertrautesten Genossen wußte. Außerdem erklärte er, ein völliges Namensverzeichnis zu haben. Wir sprachen einige Stunden und er war bereit, mich bei Einberufung einer Offiziersversammlung, zu der ich auch Noske laden würde, zu unterstützen, riet mir aber erst eine Vesprechung mit General von Oven an. Damit war ich einverstanden.
Wir gingen dann — drei Genossen — zu der Besprechung mit v. Oven. Wie wir die Besprechung auffaßten, das ist daraus zu ersehen, daß wir einigen Genossen erklärten, daß, wenn wir bis 9,30 Uhr nichts von uns hören ließen, sie sofort alle Genossen benachrichtigen müßten, damit keiner zu Hause schliefe, da sie ja alle Adressen hatten und daß, wenn wir verhaftet würden, ihre Verhaftung auch sicher sei. Außerdem verlangten wir, daß dann mit der Vekanntgabe unserer Verhaftung auf die Absicht eines Massakres unter der Berliner Arbeiterschaft hingewiesen und zur Besonnenheit gemahnt werden solle.
Und trotz dieser Umstände kamen nachher die verschiedenen Erklärungen und Abschüttelungen, die ich damals ruhig über mich ergehen ließ. Und doch habe ich die Berliner Arbeiterschaft vor Schlimmem bewahrt und der kriegslüsternen Militärkamarilla nach Innen und Außen das Konzept verdorben, Deutschland vor dem Fürchterlichsten bewahrt.
Die Verhandlungen selbst waren folgendermaßen. Einleitend bemerkte ich:
,,Meine Herren! Offen und frei wollten wir das, was wir uns zu sagen haben, sagen. So grundverschieden unsere politischen Auffassungen sind, in einem Punkte glaube ich, berühren wir uns, nein mehr, setzte ich voraus, wollen wir, wenn auch auf den verschiedensten entgegengesetzten Wegen dasselbe: Das Wohl des deutschen Volkes! In zwei Punkten sind wir bei aller Gegensatzlichkeit die gleich Leidtragenden. Sie sowohl, wie wir, sehen dauernd Ihre wesentlichsten Schritte verraten. Ihre Pläne offengelegt. Und Sie, wie wir, werden wegen ihres Wollens des Hochverrats geziehen. Sie wollen, statt der bürgerlichen Republik, die Monarchie, weil, Ihrer Ueberzeugung gemäß, es die bessere Staatsform ist, d. h. weil sie glauben, daß Ruhe und Ordnung, aber auch Wohlstand und Freude in einem monarchistischen Staatswesen eher gegeben sei, aber auch, weil sie in den glücklichsten und erhabendften Stunde Ihres Lebens, ihrem Monarchen den Eid der Treue aus tiefinnerster Ueberzeugung schwuren. (Lebhaftes sehr gut, wunderbar, des Herrn Oven und der a. H.)
Meine Herren! Diese Ueberzeugung ehre und achte ich, obwohl ich sie nicht nur nicht teile, sondern, da sie nach meiner Ueberzeugung falsch ist, sie bekämpfe, d. h. nicht mit Gewalt — Weltanschauungen lassen sich nie mit Gewalt bekämpfen — sondern mit geistigen Waffen, aber wie gesagt, ich achte sie. Wir wollen stalt der bürgerlichen, die sozialistische Republik, weil wir der lieberzeugung sind, daß sie allein das zu geben vermag, was die Menschheit braucht, Lebensglück und Lebensfreude. Ganz besonders aber, weil die Wunden dieses verheerenden Krieges nur hierdurch geheilt, die Zerstörungen nur so wieder aufgebaut werden können. Wir wollen also auf verschiedenen Wegen und mit verschiedenen Mitteln dasselbe: den Wiederaufbau Deutschlands.
Trennen, scharf trennen tun wir uns in den Mitteln. Sie glauben mit den militärischen Machtmitteln, wir glauben durch des Geistes Macht, des Verstandes Schärfe und die weitgehendste Solidaritat das gesteckte Ziel zu erreichen. Nun liegt es mir völlig fern, Sie etwa zu meiner Auffassung bekehren zu wollen. Was ich will, das ist: Blutvergießen zu vermeiden.
Die Zeiten und die Menschen sind sehr erregt. Die kleinsten Unbesonnenheiten können zu blutigen Zusammenstößen führen, und diese blutigen Zusammenstöße führen todsicher zu unserm Untergang.
Der Friede steht vor der Tür, die Herabsetzung der Armee wird zur Tatsache, 4000 Offiziere und 96 000 Mann dürfen nur bleiben. Seien Sie sich deshalb klar, welche Verantwortung auf Ihnen lastet. Hie wissen, daß der Boykottbeschluß gegenüber den Freiwilligen besteht, Sie wissen also, daß hunderttausende Familienväter schwer, sehr schwer Arbeit finden werden. Dieser Boykottbeschluß muß nach meinem Dafürhalten aufgehoben werden und zwar durch einen freiwilligen Beschluß der Arbeiterschaft. Das geht nur, wenn Sie sich, d. h. das gesamte Militär politisch neutral verhalten, wenn Sie es ablehnen, außer bei Plünderungen, als Volizeimacht einzugreifen. Eine Verhinderung oder eine Auflösung von Versammlungen ist und kann und darf Ihre Aufgabe nicht sein. Ich weiß, Sie bemühen sich, eine derartige Verfügung oder Verordnung zu erhalten, aber das genügt nicht, sondern Sie müssen sich öffentlich dagegen verwehren. Nur dann, wenn Sie das tun und danach handeln. können wir der Arbeiterschaft die Aufhebung des Boykottbeschlusses empfehlen, nur dann sind Sie die große Verantwortung ob Ihrer Zu entlassenden Mannschaften los. Genau so liegt es bei den Offizieren, von denen ein großer Teil durchaus intelligente und pflichtbewußte Menschen sind. Die müssen übergeführt werden in einen bürgerlichen Veruf und zwar muß ihnen während der Ausbildung, die natürlich kostenfrei sein muß, ein Existenzminimum gewährt werden. Hierzu wird die Arbeiterschaft, die doch letzten Endes mit ihrer Hände Arbeit die Rosten aufbringt, nur bereit sein, wenn die Gffiziere politisch neutral sind, wenn die Arbeiterschaft die Gewißheit bat, daß Sie nicht die Schuld bei allen reaktionären Maßnahmen tragen.
Die Zukunft liegt nicht nur grauenvoll, sondern völlig in Nebel gehüllt vor uns, nur soviel ist für jeden klarsehenden Menschen zu erkennen, daß, mag es kommen wie es will, ob die bürgerliche Republik bleibt, ob die Monarchie, oder ob die sozialistische Republik kommt, wenn dem terroristischen Vorgehen der letzten Monate nicht Einhalt geboten wird, wenn über Deutschland eine verstärkte terroristische Welle hinweggeht, wenn der physische Rampf aller gegen alle ausbricht, dann ist Deutschlands Untergang besiegelt, und um das zu verhüten, appelliere ich an unser gemeinsames Wollen: Deutschlands Aufbau."
General Oven erwiderte:
„Meine Herren, ich freue mich außerordentlich, daß ich bei Ihnen in so klarer Weise Verständnis für unser psychologisches Empfinden, als auch für die Notwendigkeiten für Deutschlands Zukunft finde.
Wir haben uns trotz unserer monarchistischen Ueberzeugung in den Novembertagen dem Neuen zur Verfügung gestellt und haben loyal unsere Pflicht erfüllt. Als Militärs ist uns Disziplin ün Fleisch und Vlut übergegangen, und im öffentlichen Leben glauben wir eben, als notwendigstes, um den Zusammenbruch zu verhüten und den Aufbau zu ermöglichen, für Ruhe und Ordnung Morgen zu müssen, nach Anordnung der Regierung. Von dem frieden wollen wir nicht reden, den geben wir auf keinen Fall zu, wir werden bis zum letzten Blutstropfen unsere alten Grenzen im Osten verteidigen und auch Elsaß-Lothringen dem Vaterland zu erhalten wissen. (Auf den Tisch schlagend:) Das Volk wird wie ein Mann zur Verteidigung seiner Ehre aufstehen, und ganz besonders die Armee erkennt den Frieden nicht an.
Was im Innern die Fragen betrifft, wüßte ich nicht, was uns «ngenehmer wäre, als den Gegensatz, der draußen gegen das Offizierkorps besteht, zu beseitigen, und wir wären Ihnen sehr dankbar, wenn Sie in dieser Veziehung etwas täten. Was Sie als Aequivalent verlangen, darin bin ich in der Sache völlig mit Ihnen einverstanden. Seit Monaten stehen wir in einem zähen Rampf mit der Regierung wegen unserer Polizeitätigkeit, gegen die wir uns fortgesetzt wehren. Wir protestieren dauernd dagegen, daß wir fortgesetzt die auch von uns oft für verfehlt und zweckwidrig gehaltenen Unordnungen des Herrn Ernst ausführen müssen, vnd hierdurch einen künstlichen Gegensatz zwischen Volk und Heer schaffen. Die Herren Ernst und Heine verstecken sich hinter uns und machen auf unsere Kosten in Popularität. Aber, meine Herren, in der Form gehen wir weit auseinander. Es bleiben uns nur zwei Wege: entweder wir nehmen unseren Abschied, oder wir versuchen auf dem vorgeschriebenen Dienstwege eine Aenderung herbeizuführen. Im übrigen, wer sagt denn, daß ich. mit den Maßnahmen nicht einverstanden bin, wenn ich die Form nicht billige?
Auf meinen Vorschlag wird jetzt eine starke Polizeitruppe gebildet, dann haben wir mit derartigen Vorgängen nichts mehr zu tun."
Er sprach ziemlich eine Stunde, und es kam dann eine zweistündige Aussprache, an der sich alle beteiligten, und aus der wir entnehmen konnten, daß der Krieg nach außen und nach innen zu erwarten stand. Ia, wir entnahmen, daß der Schlag gegen die Berliner Arbeiterschaft schon zweimal vertagt werden mußte, weil die Provokationen fruchtlos blieben.
Wir wurden uns nun schlüssig, daß über die Köpfe der Parteileitung und der dieser Parole entgegenstehenden Führer der einzelnen Vezirke hinweg die Parole sofort ins Land gehen müsse, daß bei Nichtunterzeichnung des Friedens sofort bei Ablauf des Waffenstillstandes der Generalstreik allerorts auszubrechen habe, und daß ferner in allen Orten die führenden Genossen nicht zu Hause sein dürften, dies um fo mehr, da wir auch entnahmen, daß ein weitverzweigtes Spitzelsystem unseren Gegnern zur Verfügung stand.
Der hochwohllöbliche Parteivorstand der U. S. P. lud mich nun wegen einer Angelegenheit der illegalen Organisation zu einer Sitzung, um mich kalt zu stellen. Ich gab die Erklärung ab, daß ich, wenn sie es wünschen, aus der Partei ausscheiden würde, was sie aber verneinten, ich solle nur erklären, daß ich nirgends als im Auftrage der Partei aufträte. Im Interesse der Sache gab ich diese Erklärung ab und habe bisher und werde auch in Zukunftdanach handeln, bis vielleicht einmal die Zeit kommt, darüber eine Auseinandersetzung herbeizuführen.
Ich legte auch, trotz des Widerspruchs aller Genossen, den vorsitz in der illegalen Organisation nieder, da ich die Sache über die Person stellte, und jenen nicht einen billigen Vorwand geben wollte, um sich bei entscheidenden Maßnahmen auf billige Weise drücken zu Können, war allerdings weiter tätig.
Nun kam der Parteitag der S. P., wo Noske mit seinen ebenso blöden, wie falschen Enthüllungen kam und auch einen billigen Triumph erzielte.
Noske! Erst war er der den Winken seines Herrn — Landsberg — treufolgender Diener, der sich dann, jedes Geistesfunken bar, ob seiner Roheit stolz, zum Portier jedes Uniformierten hergab. Das gnädig herablassende Sob seiner Herren machte ihn glücklich, und bis zur Tollwut erprobte er seine Muskelkraft an jedem nicht gentlemenlike gekleideten Menschen.
Ganz besonders schämte er sich seiner Anverwandten und früheren Vekannten und stürzte sich darum blindlings auf sie. Doch, Vater vergib ihm, denn wer weiß, ob ihm seine Brüder vergeben. Er darf sich nicht wundern, wenn es ihm geht wie Eulenspiegel, der einst jammernd seiner Mutter klagte„Mutter, alle Leute sind mir feind!" „Ei, warum denn, mein Kind?" „Ja, ich mach's Ihnen danach!"
Der Parteitag der S. P. stieß mit großem Tam-tam und Tra-ra in die nationalistische Pauke, schrie sein Unannehmbar, komme, was da wolle, hinaus, um dann einige Tage später – – alles zu schlucken.
– – – –
Ich bin stolz darauf und rechne es mir als eine der größten Taten an. daß durch meine Einwirkung der Krieg nicht neu entflammte, daß die Menschheit vor neuem Massenmord bewahrt und Deutschland vor grauenvollster Zerstörung und seinem völligen Zerfall und Untergang bewahrt wurde. Hierdurch habe ich auch dem Sozialismus, wenn auch nicht so klar erkennbar, einen großen Dienst erwiesen, aus dem für die Menschheit und Menschlichkeit in nicht allzu ferner Zeit Gutes ersprieken wird.
Dank und Anerkennung fordere und wünsche ich hierfür von keinem Menschendenn meine Vefriedigung trage ich so stolz und froh in meinem Herzen, daß mir die Anerkennung der Menschen völlig gleichgültig ist.
Das wilde Geschrei der Alldeutschen ob der Revolution, die öen Waffenstillstand, und ob der zum Kampf bereiten Arbeiterschaft, die den „Schmachfrieden" erzwang, ist mir der beste Beweis, daß ich zweimal in entscheidungsvollsten, weltgeschichtlichen Stunden der Menschlichkeit gegenüber der Gewalt zum Siege verhalf.
Am 16. Juni, abends 1/2 8 Uhr, wurde die auf fünf Tage befristete Antwort der Entente übermittelt, nachts um 1/2 3 Uhr sollte meine und einiger anderer Genossen Verhaftung erfolgen. Doch keiner wurde gefunden, weil keiner zu Hause war, und die Angst vor uns Gesuchten und nicht Gefundenen bewirkte die Friedensunterzeichnung am 23. Juni, 4 1/2 Uhr, kurz vor Ablauf des Ultimatums. Ein glänzender Sieg des revolutionären Willens.
Meine mir vorläufig gestellte Aufgabe war hiermit gelöst. Ich zog mich völlig vom politischen Leben zurück, und ich werde in dieser Zurückgezogenheit verbleiben, bis ich von meinem Worte entbunden bin und wieder geholt werde. Ich habe mich nie jemand aufgedrängt und werde dies auch in Zukunft nicht tun.
Anhang.
An die Mitglieder der Gewerbschaften!
Alle Bemühungen der organisierten Arbeiterschaft, den Frieden aufrecht zu erhalten, den mörderischen Krieg zu bannen, sind vergeblich gewesen.
Der Krieg mit seinen Verwüstungen des wirtschaftlichen Gebens, mit seinen unermeßlichen Opfern an Gut und Blut ist über die Kulturnationen hereingebrochen. Unzählige werden als Opfer auf den Schlachtfeldern bleiben. Schwer wird die Arbeiterklasse diese Last zu tragen haben. Arbeitslosigkeit, Not und Entbehrung wird in nie gekanntem Umfang hereinbrechen.
In dieser ernsten Stunde richtet die Generalkommission der Gewerkschaften Deutschland im Auftrage der heute tagenden Konferenz der Vertreter der Vorstände den Appell an die Mitglieder der Gewerkschaften, ihrer Organisation treu zu bleiben, um die dringend notwendige Fortsetzung der Tätigkeit der Gewerkschaften zu sichern.
Die Gewerkschaften werden alle Mittel in den Dienst ihres Aufgabenkreises stellen. Aber dauernd können sie diese Verpflichtungen nur erfüllen, wenn diejenigen, die in Arbeit stehen, -nach wie vor es als ihre Pflicht betrachten, durch die Beitragsleistung es zu ermöglichen, daß die Unterstützungen an die Hilfsbedürftigen weitergezahlt werden. Die Gewerkschaften werden bestrebt sein, soweit es in ihren Kräften steht, die bitterste Not der Mitglieder und ihrer Angehörigen zu mildern.
Wir erwarten aber auch in dieser schicksalsschweren Stunde, daß nicht diese wirtschaftliche Schwächung der Arbeiterklasse ausgenützt wird, um die Löhne herabzudrücken und unwürdige Anforderungen an die Arbeiterschaft gestellt werden.
Wir hoffen, daß die Arbeiterschaft zu ihren Organisationen steht und sie über eine Zeit der schwersten Prüfung lebensfälng erhält und die Solidarität sich in alter Treue bewährt.
Berlin, den 2. August 1914.
Erklärung der Sozialdemokraten im Deutschen Reichstag am 4. August 1914.
Wir stehen vor einer Schicksalsstunde. Die Folgen der imperialistischen Politik, durch die eine Aera des Wettrüstens herbei geführt würde, und durch die sich der Gegensatz zwischen den Völkern verschärft hat, sind wie eine Sturmflut über ganz Europa hereingebrochen. Die Verantwortung hierfür fallt den Trägern dieser Politik zu, die wir ablehnen.
Die Sozialdemokraten haben diese verhängnisvolle Entwicklung mit allen Kräften bekämpft und noch bis in die letzten Stunden hinein durch machtvolle Kundgebungen in allen Ländern, namentlich in innigem Einklang mit den französischen Brüdern, für die Aufrechterhaltung des Friedens gewirkt. Unsere Anstrengungen sind vergeblich gewesen. Nun stehen wir vor der Tatsache des Krieges, und es drohen die Schrecken einer feindlichen Invasion.
Nicht für oder gegen den Krieg. haben wir heute zu entscheiden, fondern über die Frage, wie für die Verteidigung des Landes die Mittel aufzubringen sind. Nun haben wir zu denken an die Millionen Volksgenossen, die ohne ihr Verschulden in diese Verhältnisse hineingerissen worden sind. Sie werden von den Schrecknissen des Krieges am schwersten betroffen. Unsere heißesten wünsche begleiten unsere zu den Fahnen gerufenen Volksgenossen ohne Unterschied der Partei. (Lebhafter Beifall.)
Wir denken auch an die Mütter, die ihre Söhne hergeben müssen, an die Frauen und Kinder, die ihren Ernährer verlieren, denen zu der Angst um ihr Leben die Schrecken des Hungers drohen. Ihnen werden sich bald Zehntausende verwundeter und verstümme!ter Kämpfer zugesellen. Ihnen allen beizustehen, ihr Schicksal zu lindern, ist unsere allerdringendste Pflicht. (Lebhafter Beifall.)
Für unser Volk und seine freiheitliche Zukunft steht bei einem Krieg mit dem russischen Despotismus, der sich mit dem Mute des eigenen Volkes befleckt hat, viel, wenn nicht alles auf dem Spiele. Es gilt diese Gefahr abzuwehren, die Kultur und die Unabhängige Keit unseres eigenen Landes sicherzusteelln. (Lebhafter Beifall.)
Da machen wir wahr, was wir immer betont haben. Wir lassen in der Stunde der Gefahr das Vaterland nicht im Stich. (Lebhafter, sich wiederholender Beifall.) Wir fühlen uns dabei im Einklang mit der Internationale, die das Recht jedes Volkes auf nationale Selbständigkeit jederzeit anerkannt hat.
Die wir in Uebereinstimmung mit ihr jeden Eroberungskrieg verurteilen, hoffen wir, daß die grausame Schule der Kriegsleiden in neuen Millionen den Abscheu vor dem Kriege wecken und sie für den Sozialismus und Völkerfrieden gewinnen wird.
Wir fordern, daß dem Kriege, sobald das Fiel der Sicherungen erreicht ist, und die Gegner zum Frieden geneigt sind, ein Ende gemacht werde durch einen Frieden, der das freundnachbarliche Verhältnis der Völker zueinander ermöglicht, nicht nur im Interesse der von uns stets verfochtenen internationalen Solidarität, sondern auch im Interesse des deutschen Volkes .
Von diesen Grundsätzen geleitet, bewilligen wir die Kredite. (Vielfaches Bravo.)
Comments
just to add a few things
just to add a few things about Barth, he had strong anarchist leanings in his youth and was arrested several times back then, during the war, he faked a mental disability to avoid being drafted in 1917. He did not play a major role in politics after 1919, he rejoined the SPD in 1921 or 1922 but did not play an active role in it. He worked during the 1920ies sometimes for Der Bücherkreis, a social democratic book club which had been set up in 1924 by the former leading KAPD member Friedrich Wendel and which was run from 1928-33 by the council communist entryist Karl Schröder who also lead the clandestine Roten Kämpfer (Red Fighter) network. Barth was several times arrested by the Nazis after 1933.
In his pioneering study on
In his pioneering study on Richard Müller, head of the »Revolutionären Obleute«, Ralf Hoffrogge describes the relation between Müller and Barth as - at least - difficult.
(Ralf Hoffrogge, Working Class Politics in the German Revolution. Richard Müller, the Revolutionary Shop Stewards and the Origins of the Council Movement [Historical Materialism Book Series Vol. 77], Leiden – Boston 2014 (Brill), p. 56– 57)
»After the January Strike it was clear to the Shop Stewards that the military authorities at least knew of the existence of their organisation, even if they did not know exactly how it functioned or who its members were. The Shop Stewards met immediately after the strike ended and each member named a substitute in order to keep the organisation ready for action in the event of a mass arrest. Before he was drafted, Müller named Emil Barth, leader of the plumber’s section within the Berlin DMV, as his substitute to lead the Shop Stewards.66 It was not an easy decision for Müller. He was forced to perform the impossible task of selecting someone who was both capable of leading the movement yet unknown: any known candidate was just as likely to be arrested as he was. He rejected the idea of choosing a politician from the USPD because he thought that would jeopardise the Shop Stewards’ independence. As he later recollected, he decided on Barth because he ‘had contributed a great deal to the Shop Stewards’ expansion’ even if ‘his fantastical speeches’ had to be accepted as an ‘unavoidable evil’.67
After Müller’s arrest, Barth led the Berlin Workers’ Support Committee, which supported victims of the repression that followed the strike.68 However, [57] during the November 1918 Revolution he would become estranged from Müller and the Shop Stewards. For, as an USPD representative to the Council of People’s Deputies (Rat der Volksbeauftragten), he would be part of the revolutionary government that eventually overshadowed the power of the Executive Council of the Workers and Soldiers Council that Müller led and that expressed his council socialist ideas most closely. After the revolution failed, Barth and Müller would issue a series of impassioned broadsides against one another.69 These later events could only add to whatever original misgivings Müller had about Barth as a substitute.
Footnotes
66 Müller-Franken 1928, p. 100. On Barth, see also Ryder 1967.
67 Müller 1924a, p. 163.
68 The Committee (Unterstützungskommission der Berliner Arbeiterschaft) included various members of the Revolutionary Shop Stewards, but also SPD representatives. It can be viewed as an institutional link between the January Strike’s Action Committee and [57] the Executive Council that formed in November. See Engel, Holtz and Materna 1993, p. xi; Dirk H. Müller 1985a, p. 316.
69 In his memoirs, Barth described Müller as competent and radical but ‘completely apolitical’. Müller in turn called Barth’s entire book ‘vain, fantastical posturing’. See Barth 1919, p. 11; Müller 1924a, p. 46.«
Literature quoted:
Barth 1919: Barth, Emil, Aus der Werkstatt der deutschen Revolution, Berlin (Adolf Hoffmanns Verlag)
Engel, Holtz and Materna 1993: Engel, Gerhard and Bärbel Holtz and Ingo Materna (eds.), Groß-Berliner Arbeiter- und Soldatenräte in der Revolution 1918/1919, Dokumente der Vollversammlungen und des Vollzugsrates. Vom Ausbruch der Revolution bis zum 1. Reichsrätekongreß, Volume 1, Berlin (Akademie Verlag)
Dirk H. Müller 1985a: Müller, Dirk H., Gewerkschaftliche Versammlungsdemokratie und Arbeiterdelegierte vor 1918, Berlin (Colloquium Verlag)
Müller 1924a: Müller, Richard, Vom Kaiserreich zur Republik, Vienna. (Citations in the text refer to the second reissue, Berlin 1979 (Olle & Wolter), where pagination is different from the 1924 original due to the insertion of a preface)
Müller-Franken 1928: Müller-Franken, Hermann, Die Novemberrevolution – Erinnerungen, Berlin (Der Bücherkreis)
Ryder 1967: Ryder, A.J., The German Revolution of 1918: A Study of German Socialism in War and Revolt, Cambridge (Cambridge University Press)