Unsere Gesellschaft ist arbeitssüchtig. Wenn es links und rechts etwas gibt worüber sich beide einig sind, dann dass Jobs gut sind.
Jeder sollte einen Job haben. Arbeit ist unser Zeichen der moralischen Staatsbürgerschaft. Wir scheinen uns als Gesellschaft davon überzeugt zu haben, dass jeder der nicht härter an etwas arbeitet dass ihm keinen Spass macht, ein schlechter und unwürdiger Mensch ist. Infolgedessen saugt Arbeit immer größere Anteile unserer Energie und Zeit auf.
Viele Arbeiten sind völlig sinnlos. Ganze Branchen (denken Sie an Telemarketer, Unternehmensrecht, Private-Equity-Gesellschaften), ganze Berufszweige (mittleres Management, Marketingimagestrategen, hochrangige Krankenhaus- oder Schulverwaltungen, Redakteure von hauseigenen Unternehmensmagazinen) existieren in erster Linie, um uns davon zu überzeugen, dass es einen Grund für ihre Existenz gibt. Nutzlose Arbeit verdrängt Nützlichkeit (denken Sie an Lehrer und Verwaltungspersonal die mit Papierkram überfordert sind); es wird auch fast immer besser entlohnt. Wie wir im Lockdown gesehen haben, wird Arbeit um so weniger entlohnt, je offensichtlicher sie anderen Menschen zugute kommt.
Das System macht keinen Sinn. Es zerstört auch den Planeten. Wenn wir uns nicht schnell von dieser Sucht befreien, werden wir unsere Kinder und Enkel mit Katastrophen konfrontiert sehen, die die aktuelle Pandemie trivial erscheinen lassen.
Wenn dies nicht offensichtlich ist, liegt der Hauptgrund darin, dass wir ständig ermutigt werden, soziale Probleme so zu betrachten, als wären es Fragen der persönlichen Moral. All diese Arbeit, all der Kohlenstoff, den wir in die Atmosphäre schütten, muss irgendwie das Ergebnis unserer Konsumkultur sein; deshalb kein Fleisch mehr essen oder davon träumen, in den Strandurlaub zu fliegen. Aber das ist einfach falsch. Es sind nicht unsere Vergnügen, die die Welt zerstören. Es ist unser Puritanismus, unser Gefühl dass wir leiden müssen um diese Freuden zu verdienen. Wenn wir die Welt retten wollen müssen wir aufhören zu arbeiten.
70 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen stammen aus der Infrastruktur: Energie, Verkehr, Bau. Der Rest wird größtenteils von der Industrie produziert. Währenddessen haben 37 Prozent der britischen Arbeiter das Gefühl dass ihre Arbeit völlig überflüssig ist; würden sie morgen verschwinden, würde es der Welt nicht schlechter gehen. Zähl einfach eins und eins zusammen. Wenn diese Arbeiter Recht haben, könnten wir den Klimawandel massiv reduzieren, nur indem wir Bullshit-Jobs streichen.
Das ist also Vorschlag eins.
Vorschlag zwei: Scheiß-Konstruktion. Ein enormes Bauvolumen ist heute rein spekulativ: Überall auf der Welt verbinden sich Regierungen mit Finanzsektor um zusammen glitzernde Türme, die nie bewohnt werden, leere Bürogebäude, Flughäfen, die nie genutzt werden, zu schaffen. Hört auf damit. Niemand wird sie vermissen.
Vorschlag drei: geplante Obsoleszenz. Einer der Hauptgründe für unsere hohe industrielle Produktion ist dass wir alles so designen dass es kaputt geht oder in ein paar Jahren veraltet und nutzlos wird. Wenn man ein iPhone baut das in drei Jahren kaputt geht, kann man fünfmal so viel verkaufen, als wenn man eines baut welches 15 Jahre hält, aber man verbraucht auch fünfmal so viele Ressourcen und verursacht fünfmal so viel Umweltverschmutzung. Hersteller sind durchaus in der Lage, Telefone (oder Strümpfe oder Glühbirnen) herzustellen, die nicht kaputt gehen; Tatsächlich tun sie es auch – sie werden „Militärqualität“ genannt. Zwinge Sie, Produkte in Militärqualität für alle herzustellen. Wir könnten die Treibhausgasproduktion massiv reduzieren und unsere Lebensqualität verbessern.
Diese drei sind nur für den Anfang. Wenn man darüber nachdenkt, sind sie wirklich nur gesunder Menschenverstand. Warum die Welt zerstören, wenn es nicht sein muss?
Wenn es unrealistisch erscheint dies anzusprechen, sollten wir uns gut überlegen was diese Wirklichkeiten sind, die uns als Gesellschaft zu einem buchstäblich verrückten Verhalten zu zwingen scheinen.
Originally published: https://www.bigissue.com/opinion/david-graeber-to-save-the-world-were-going-to-have-to-stop-working/
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